Wader Tagblatt
(Enztalbote)
Amtsblatt fkr WAbad. Chronik nn!» Anzeigenblatt
skr das obere Enztal.
Erscheint täglich, ansgenmnmen Sonn- u. Feiertag«. Bezugspreis monatl. M. 850, vierteljährl. M. 105«.— frei in« Hau» geliefert; dnrch die Post bezogen iw innerdeutschen »erlehr 1050.- eiuschl. Postbestellgeld. «inzelnnMwer« 14 Mk.:: Girokonto Nr. 50 bei der Oberamt«sp«rkafse Neneubllrg, L«ei,stelle Wilbbad. Bankkonto, Direktion d.Disco«tog«s.,Z»eigst.Mildb. Postscheckkonto Stnttgart Sir. 29174.
Anzeigrnpreis r Die einspaltig« Petitzeile oder deren Ran« Mk. 25.—, auswärts Mk. 28.—. :r Reklawe- zeilr 70 Ml. »ei größeren Aufträgen Rabatt «ach Tarif. FLr Offerten «. bei Ansknnfterteilnng werben j««eil, 10 Rk. «ehr berechnet. Schlnß der Anzeigenannahme : täglich 8 Uhr oorwittag«. n In Xonknr«- fäle» ober wenn gerichtliche Neitreibnng uot»««dig wird, fällt jede Nachlatzgeaothrnag wog.
Drnck der D»chdr»«erei «ildbob« Tagblatt r »erk», »»b Gchristleitn», Th. »«< in «ilbbab.
Nummer L89
Feruraf 17V
Spruch
In Sknrm und Angswikkern, in Zagen und in Zittern treib's, wie du willst, mit mir.
Rur laß mich nicht verfallen,
Herr Gott, und gib uns allen heimatgewisse Fahrt zu dir!
Gustav Schüler.
Wochenrundschau
»lltta-, Samstag, den S. Dezember ISA
Das war wieder eine inhaltschwere Woche von drinnen und draußen. Gewichtige Nachrichten wirbelten nur so durcheinander, so daß einem der Kopf summen könnte, wenn man bedenkt, daß diese Geschehnisse großenteils nur die Einleitung zu noch bedeutenderen Ereignissen und Entscheidungen darstellen, die in ihrer Entwicklung noch in Dunkel gehüllt sind. Ende voriger Woche wurde in München der seit dem Zusammenbruch des Kapp-Putsches vom 13. März 1920 verfolgte Kapitän Ehrhardt, der bekannte Kommandant der Marinebrigade von Doberitz und Gründer jener „Organisation L" (Consul), die besonders in dem Offenburger Prozeß in Sachen des Erzbergermords eine Rolle spielte, verhaftet. Gegen Ehrhardt richtet sich aus dem Kapp-Putsch her die Anklage wegen Hochverrats. Der Staatsgerichtshof wird aber auch wohl bemüht sein, über die sagenhafte Organisation L Licht zu verbreiten. Wahrscheinlich wird der Prozeß Ehrhardt spannender werden, als der in dieser Woche vor dem Staatsgerichtshof m Leipzig zum Austrag gelangte Prozeß gegen die beiden Jünglinge Huster t und Oehlschläger, d-e, einst wackere Kämpfer für Oberschlesiens Freiheit, den verbrecherischen Gedanken sch niedeten, den Kasseler Oberbürgermeister, früheren kaiserlichen Staatssekretär und zeitweiligen Reichskanzler der Republik, Scheidemann, durch Bespritzung mit Blausäure aus der Welt zu schaffen. Mit lOjähriger Zuchthaus^ strafe und ebenso langem Entzug der bürgerlichen Ehrenrechte hat jeder der beiden das tolle Unterfangen zu büßen. Zeit genug, um zu der Erkenntnis zu kommen daß es in einem gesitteten Staat ebenso unstatthaft wie wertlos ist, den politischen Gegner zu meucheln.
Genug davon. Die Zeit ist in Deutschland hoffentlich vorbei, wo im politischen oder sozialen Kampf Bruderblut vergaffen und das Leben der Volksgenossen für Nichts geachtet wird. Sie hat leider lange genug gedauert. Sollte denn die gemeinsame Not noch nicht groß genug sein, um auch den Ueberhitzten von rechts und links die Ueberzeugung ein- zuschweihen, daß nur gemeinsame Arbeit Volk und Vaterland noch retten kann? Unsere Lage bedarf doch wahrhaftig keiner weiteren Erläuterung mehr, wenn der Reichsfinanzminister am 7. Dezember im Hauptausschuß des Reichstags eine Nachtragsford crung zum Reichs- haushaltplan für 1922 im Betrag von 343 Milliarden Mark allein für die allgemeine Reichsverwaltung anmelden wußte, obgleich für diesen Teil der Neichsausgaben der ur- sprüngliche Plan schon 99 Milliarden vorgesehen hatte. Es ist aber auch kein Wunder; vermöge der entsetzlichen Geldentwertung kostet die Tonne guter deutscher Kohlen jetzt über 22 000 M gegen 12 M vor dem Krieg, und die englische Kohle, von der wir wegen der Ablieferungen an Frankreich über 2)4 Millionen Tonnen kaufen mußten, ist fast noch einmal so teuer. Stabeisen kostet über 293 000 -st die Tonne gegen seither 98 Und trotz der scheinbaren Zahlungsfrist für die Kriegsentschädigungen sind für die feindlichen Staaten in diesem Jahr 1922 6 1 3)4 Milliarden aufzubringen, wovon allein auf die Besatzungskost e n 25 Milliarden kommen. Erschwerend sind die feindlichen Forderungen, die nebenher in Holz gemacht werden. Ohne Unterlaß rollen die Wagen nach Frankreich hinein, aber es ist immer noch nicht genug. Nicht 1,43 Millionen Festmeter (Wert etwa 200 Milliarden Mark) wie bisher will die Entschädigungskommission haben, sondern sie hat tüe Forderung jetzt auf 4,8 Millionen Festmeter im Wert von 800 Milliarden Mk. geschraubt. Da ist es doch natürlich, daß die deutschen Wälder verwüstet und in Deutschland selbst ein Holzmangel entsteht, der die Inlandspreise jetzt schon weit über die Markentwertung emporschnellsn ließ. Frankreich will offenbar außer einem Weltkohlen- auch noch einen Weltholzhandel aufmachen; recht bequem wem» oo dm
Kurze Tagesübersicht.
Relchsfirianzminister Tr. Hermes beleuchtet im Hauptausschuß des Reichstags die furchtbare Finanzlage Deutschlands, die der Versailler Vertrag hervor- gernfen hat.
Gleichzeitig werden die «naehenren Holzanfordernn- g?n der Entente bekannt gegeben.
Tie ReichSrejffrrung soll sich seht breit erklärt haben, die „Sühneforderung" für die Zwischenfälle in Bayern (1 Million Goldmark) zu übernehmen — also zu zahlen!
In London sind der französisch«, italienische und belgisch« Ministerpräsident eingetroffen, um in eine, Konferenz die ReparationSfrage zu besprechen.
In Spanien wurde ein neues liberales Ministerium gebildet.
Deutschen nur die Lieferung z« befehlen braucht und, wte bei den Kohlen, wahre Spottpreise für das Holz an der Kriegsentschädigung abschreibsn läßt. Was nebenbei doch nicht verhindert, daß die Franzosen drei Vierteljahre lang bis zur nächsten Ernte ihr K-Brot (Reparationsbrot) haben werden, wie wir seinerzeit unser K-Brvt (Kriegsbrot) schlucken mußten. Die Franzosen find bekanntlich Schleckmäuler und essen nur blühweißes Weizenbrot. Sie hatten Heuer aber auch eine Mißernte wie wir und ihr Weizen reicht bei weitem nicht aus. Drüben in Amerika liegt zwar Weizen im Ueberfluß, aber er ist auch für Frankreich sündhaft teuer, denn mit ihrer verrückten Entschädigungspolitik haben die Franzosen wenigstens das erreicht, daß ihr Franken, -am Dollar gemessen, fast nur noch den dritten Teil wert fit. Das R-Brot soll also 20 Prozent Zusatz von Roggen und Reis erhalten, in Frankreich Grund genug, um eme Regierung unbeliebt zu machen.
Die deutsche Währung hält nun allerdings mit der französischen immer noch keinen Vergleich aus; der französische Franken hat derzeit einen Börsenwert von 568 -K. Was diese Entwertung der Mark, die seit einigen Tagen gegenüber dem Dollar auf etwa den zweitausendsten Teil des alten Werts herabgesunken ist, für Kriegsentschädigungsletstungen zu bedeuten hat, geht aus der Tatsache hervor, daß für die im Londoner Ultimatum festgesetzte jährliche Tributzahlung von 3 Milliarden Goldmark heute etwa 360 Milliarden Pa- piermark mehr aufgebracht werden müssen als im Mai 1921 notwendig war. Um so viel hat sich unsere Währung seitdem verschlechtert. Wo ist da die Möglichkeit des Bezahlens, wo ist die Hilfe? Von Amerika ist es schon oft herübergesagt worden und erst kürzlich hat es wieder ein hervorragender Italiener ausgesprochen: Wie kann man euch Deutschen helfen, wenn ihr euch nicht selber hellet' Sie meinten natürlich nicht die Selbsthilfe, die man bisher in Deutschland anwandte, indem man Banknoten druckte. Rund 7 70 Milliarden, davon nur 13,8 „fundierre" Darlehenskassenscheine, sind heute im Umlauf; in der letzten Novemberwoche wurden allein über 110 Milliarden ausgegeben, die höchste Leistung, die bisher ereicht wurde. Mit dieser Selbsthilfe sind wir aber nur immer mehr in die Tinte gekommen und die erwartete Hilfe vom Ausland blieb aus, mußte aus» bleiben. Reichskanzler Cuno will, wir er auf dem Tag der Berliner Presse am 3..Dezember sagte, einen andern Weg beschreiten. Er will vor die Feinde hintreten, mit Vertrauen gegen Vertrauen ihnen ein bestimmtes Angebot machen, was Deutschland auf Grund seiner äußersten Leistungsfähigkeit zu geben gewillt ist; er will aber auch Nachweisen, daß höhere Forderungen zu erfüllen, unserem ausgebeuteten Land unmöglich ist.
Es ist demnach wohl anzunehmen, daß die Reichsregierung ein bis ins einzeln auf Hieb und Stichfestigkeit geprüftes Programm aufftellen w'.rd. Soviel man bis jetzt erfahren hat, haben bereits Besprechungen mit hervorragenden Persönlichkeiten des deutschen Wirtschaftslebens stattgefunden, ohne deren Mitwirkung eins Lösung allerdings nicht möglich wäre. Sofort soll eine internatioi ale Anleihe ausgenommen werden, deren einer Teil an Frankreich ausgeliefert würde, wom:t einer Hauptforderung Poincares Genüge geschähe; der andere Teil soll für die Festigung der Reichsmark Verwendung finden.
Ueeur uf IV*
57. ZxhVGMG
Daneben dürste e» -u einer zweites innere» Zw an g s anle ih « in Deutjchland kommen Die Kraft dieses Programms auf Angriff und Verteidigung wird umso größer fein, je geschlossener das deutsche Volk hinter der Reichsregierung steht. Es wird ihr daher nicht unwillkommen sein, wenn die Sozialdemokratie in einer besseren Einsicht den Schmollwinkel verläßt; die Große Koalition soll in Vorbereitung sein und da« Reichskabinett im neuen Jahr in diesem Sinn eine abermalige Umgestaltung erfahren. Ja man möchte wünschen, daß es einmal, wo doch nun so viel aufs Spiel gesetzt wird, eine ganz große Koalition gäbe, die da» ganze deutsche Volk und alle Parteien umfaßt«.
Es wird wohl ein frommer Wunsch bleiben, — ober welche Wirkung müßte es aus das Ausland haben, wenn wir alle einig wären! Es ist billig zu bezweifeln, eb PoincarL gewagt hätte, den abscheulichen Derst ümmelungsplan, den er gegen unser Rheinland ausheckte und den er bis heute noch nicht offen eingestehen will, überhaupt zu unternehmen. Die entehrende und nach der finanziellen Sette ganz sinnlose Sühnefordernng gegen Bayern und das Reich wegen einer Bagatelle, di» sonst mit ein paar höflichen Entschuldigungswortsn abgetan zu werden pflegt, wäre wohl unterblieben, wenn der Botschafterrat und sein Auftraggeber die Gewißheit hätten, daß das deutsche Volk wie ein Mann gegen solche Zumutungen sich erhebe. Aber sie glaubten auf Deutschlands Uneinigkeit bauen zu können, daher setzten sie ihrer Forderung noch den Hohn auf. Die Sühnsforderung, so schrieb das Blatt Poincaräs, der „Petit Parisien" 'et nur die Hauptprobe für die Lösung der En t schädigungs- frage. Das heißt: Bezahlen die beiden bayerischen Städtchen bis 10. Dezember die Goldmillion, d. h. heute rund zwei Milliarden Papiermark nicht, dann wird der Staatsbesitz in der Pfalz beschlagnahmt und dann werden die anderen Verbündeten alsbald sehen, wie einfach es ist, aus Deutschland die ganze Kriegskontributton herauszuholen, wenn man dasselbe Gswattoerfahren im Rheiu- uttd Ruhrland anwendet.
Kein Zweifel, Poincare wird seine Drohung wahr zu machen suchen, wenn ihm die Reichsregierung nicht mit aller Entschiedenheit entgegentritt, und das wird Reichskanzler Cuno tun, wenn er sich vom deutschen Volk genügend gestützt weiß. In des Volkes Hand ist sein eigenes Schicksal gelegt, es trägt mit die Verantwortung. Aber sollte auch Poincarä dm ersten Schritt wagen, er wird wieder zurückweichen müssen, wie er damals das besetzte Frankfurt auf Lloyd Georges Drängen hat wieder räumen müssen. Die Lage ist heute «Mich. England und vor allem Amerika sind des ewigen Säbelgeraffels müde. Der vollständige Mißerfolg Clemenceaus in Amerika redet eine deutliche Sprache, so deutlich fast, wie die ernste Vermahnung, die der amerikanische Botschafter Haroey dieser Tage bet einem Bankett des Amerikanerklubs in London an Frankreich richtete. Aber sie wollen aus deutscher Seite endlich einmal entschlossenen Widerstand sehen, nur dann habm sie Veranlassung, die friedsnstörenden Maßlosigkeiten Frcmkrci ';s in die Schranken zu w ffm. Mit der hinterhältigen Politik Poincares scheint man in "ngland überhaupt recht unzufrieden zu sein. Bonar Law n'll sich auf der Brüsseler Konferenz unbestimmten Datums nicht durch eine von Poincare an den Haaren herbeigczogene Uebermacht des „Kleinen Verbands ' überrumpeln lassen. Er ist ohne Zweifel nicht abgeneigt, in Brüssel den Forderungen Frankreichs weitgehend Rechnung zu tragen und sie zu unterstützen, aber er will alle Hauptpunkte des französischen Geheimprogramms vorher genau kennen und eine grundsätzliche Uebereinstimmung gesichert haben, sonst bleibt er lieber von Brüssel weg. Poincare aber will mit feinen Geheimnissen nicht Herausrücken, und lo halten es die Londoner Blätter noch für recht unsicher, ob bei der Zusammenkunft der vier Ministerpräsidenten in London am 9 Dezember etwas herauskommt und ob die Brüsseler Konferenz überhaupt stattfinden wird. Denn auch Mussolini soll nicht mehr so ganz Feuer und Flamme für Poincars sein, wie es die Pariser Presse behauptet hatte. In Lau- sänne auf der Friedenskonferenz haben „die Drei" sich ja schließlich auf ein gemeinsames Programm in der Meerengenfrage der Türkei gegenüber geeinigt, ein Programm, das von Jsmed Pascha als eine „brauchbare Grundlage für weitere Verhandlungen" bezeichnet