Malier
(Enztalbote)
Amtsblatt für WWbad. Chronik nutz Anzeigenblatt
für das obere Cnztal.
Erscheint täglich, ausgenommen Sonn- u. Feiertags. Bezugspreis monatl.Mk. SS.—, vierteljährl. M. 285.- frei ins Haus geliefert; durch die Post bezogen im innerdeutschen Verkehr 315.— einschl. Postbestellgeld. Einzelnummern 3.50 Mk.:: Girokonto Nr. SV bei der Oberamtssparkaffe Neuenbürg, Zweigstelle Wildbad. Bankkonto-Direktion d.Discontoges.,Zweigst.Wildb. Postscheckkonto Stuttgart Nr. 29174.
Anzeigenpreis: Me einspaltige Petitzeile oder deren Raum Mk. 8—, auswärts Mk, 19.—. :: Reklame- zeile Mk. 29.—. Bei größeren Aufträgen Rabatt nach Tarif. Für Offerten u. bei Auskunfterteilung werde» jeweils 2 Mk. mehr berechnet. Schluß der Anzeigenannahme r täglich 8 Uhr vormittags, n Zn Konkursfällen oder wenn gerichtliche Beitreibung notwendig wird, fällt jede Nachlatzge«ährung weg.
Druck der Buchdruckerei Wilddader Tagblatt; Verlag und Schriftleitung Th. Gack iu Wildbad.
Nummer 244
Fernruf 179
Wildbad, Mittwoch, den 18. Oktober 1922
Tagesspiegel l
Vl, auf IS. Oktober fällige weitere Zahlung an Belgien Dt durch Rebergabe von Goldschalzwechseln im Betrag von »und 47.50 Millionen Goldmark an die Entschädiguvgs- kmmission beglichen worden. 2,50 Millionen waren bereits «f andere Meise bezahlt.
Die amerikanischen Lesahungskruppen sollen gegen Weihnachten wieder zu Hause sein, da nach Ansicht, ihrer Re. ßierung die Lage in Deutschland eine weitere Anwesenheit ütn-rfiüssig mache. — Wegen der »Lage in Deutschland" wäre die «Anwesenheit" von Anfang an nicht nötig gewesen, so wenig als die der Franzosen. Belgier und Engländer.
Eine große Anzahl rheinischer Industrieller unter Fäh- rung von Alfred haniel und Generaldirektor Eltze hat «neu Kreuzzug nach Rußland angetreten. Es handelt sich zunächst um em Lokomokivengeschäft.
König Konstantin ist in Rom eingekroffen.
Der Papst hak den Flüchtlingen von Smyrna weitere Unterstützungen zuwenden lassen. *
Die Sowjetregierung hat beschlossen, die Ostseeflokke wie- der aufzubauen.
Reuter meldet aus Wladiwostok, die bolschewistischen (roten) Truppen feien gegen Wladiwostok vorgerückt, die Ja- paner haben aber das Vordringen zeitweilig aufgehalken. Inzwischen seien die weißen Truppen der AMri-Republik in den südlichen Ausläufer der Provinz abgerückt. Die Flotte der weihen Truppen sei zusammengezogen und die Hauptstadt Rikolsk aufgegeben.
Der Kaiser über den Kriegsausbruch
Im zehnten Kapitel seiner „Erinnerungen" behandelt der Kaiser nach den Veröffentlichungen der Pariser „Agence Radio" die Kriegserklarung Es heißt darin: „Als die Nachricht von der Ermordung meines Freundes, des Erzherzogs FranzFerdinand eintraf, verließ ich dis Kieler Woche und kehrte nach Hause zurück, denn ich hatte die Absicht, mich nach Wien zu dem Leichenbegängnis zu begeben. Aber von Wien aus bat man mich, auf das Projekt zu verzichten. Ich erfuhr später, daß unter anderen Fragen auch die meiner persönlichen Sicherheit dazu gekommen war, eine Erwägung, die ich selbst natürlich außer Acht gelassen hatte. Sehr beunruhigt über die Wendung, welch« die Ereignisse nehmen konnten, beschloß ich damals, meine Nordlandreise aufzugeben und in Berlin zu bleiben. Der Kanzler Bsthmann-Hollweg und das Auswärtige Amt hatte eine andere Anschauung. Sie wünschten gerade, daß ich die Reise unternehmen solle, dis auf Europa eine beruhigende Wirkung ausüben werde. Lange leistete ich Widerstand, aber Beihmann-Hollweg legte dar, daß die Aufgabe eines angekündigten Reiseplans den Glauben erwecken könne, daß die Lage schwerer scheint, als sie sei. Der Verzicht auf meinen Reiseplan könne sogar zur Entfesse- jung des Kriegs führen und dafür könnte man mich verantwortlich machen. Ich besprach mich mit dem Chef des Generalstabs, Moltke. Er betrachtete die Lage ruhig und bat, seinem Urteil zu vertrauen. Als ich dies sah, entschloß ich mich schweren Herzens, auf die Reise zu begeben. Der berühmte Krön rat vom 5. Juli aber fand niemals statt. Das ist eine Erfindung böswilliger Leute. Natürlich empfing ich vor meiner Abreise, wie dies immer geschah, einige der Minister, um ihren Bericht über die Lage und dis Angelegenheiten ihrer Departements anzuhören. Meine Flotte befand sich in Fjords von Norwegen. Während meines Aufenthalts in Ballholmen übersandte mir der Staatssekretär für auswärtige Angelegenheiten nur selten Nachrichten. Ich wurde gleichwohl durch die norwegische Presse Unterrichtet. Ich sah ein, daß die Lage immer schwieriger wurde und telegraphierte wiederholt an Beihmann-Hollweg and das Auswärtige Amt, wobei ich demselben erklärte, daß ich es für klug halte, zurückzukehren. Jedesmal bat man mich, die Reisenichtzu unterbrechen. As ich erfuhr, daß die englische Flotts nach der Revue von Spithead nicht aufgelöst wurde, telegraphierte '»noch einmal nach Berlin, daß meine Rückkehr nur ,°ttg erscheine Mem Standpunkt wurde aber nicht geteilt. Als ich aber durch »ie norwegische Presse erfuhr - Berlin ha e nur nichts davon gesagt — daß Oesterreich ein ^ tum an Serbien abgesandt hatte; und als ich die No.e Serbiens an Oesterreich kennen lernte, kehrte ich, ohne we> jer§s abzuwarten, zurück und befahl der Flöhte. . ch
Wilhelmshaven zu begeben. 8m Augenblick der Abreise erfuhr ich aus norwegischer Quelle, daß ein Teil der englischen Flotte in die nördlichen Gewäss rab- zedampft war und den Auftrag hatte, während wir uns noch im Friede uszu st and ve- fanden, sichmeiner zudem richtigen.
Wichtig zu bemerken ist folgendes: Am 25. Juli hatte man im Auswärtigen Amt dem englischen Vollcharter Edvard Goschen erklärt, daß meine selbstwillige Rückkehr bedauerlich sei (!), weil sie beunruhigende Gerüchte Hervorrufen könne. Nach Potsdam zurückgekehrt, fand ich den Kanzler und das Auswärtige Amt im Streit mit dein Chef »es Eeneralstabs. General v. Moltke drückte die Ansicht »us, daß der Krieg' unbedingt ausbrechen werde, während Kanzler und Auswärtiges Amt überzeugt waren, daß es dazu »icht kommen werde. Der Krieg könne vermieden werden. Erforderlich sei lediglich, daß ich nicht den Mobilisat'.onsbefehl erteile. Dieser Streit ging durch die nächsten Tage hindurch chrt. Als man General v. Moltke mitteilte, daß die küssen die Häuser längs der Grenze anzün- >« t « y, daß sie die Bahngeleis, an den 'Arenzstativuen avtz- rissen und große Mobilisattonsplanö ausgaoen, begann vre deutsche Diplomatie in der Wilhelmstcaße zu begreifen. Das beweist klar, daß man im Juli 19 14 zum Krieg nicht bereitwar. Möge man endlich doch aufhören, zu sagen, daß w i r den Krieg vorbereitet hätten!!
Im Frühjahr 1914, als der russische Hofmarschall den russischen Zaren Nikolaus II. fragte, welches seine Pläne für das Frühjahr seien, antwortete der Zar: „Ich bleibe dieses Jahr zuhause, weil wir Krieg haben werden." (Diese Antwort soll dem Kanzler Beihmann-Hollweg bekannt geworden sein, ich wußte aber oamals nichts davon, und erst im November 1918 habe ich davon erfahren.) Das ist de rs e lb e Z a r, der mir 1914 in Björkä und in Baltischport aus eigenem Antrieb sein Ehrenwort gab, das er durch einen Händedruck und durch eine Umarmung noch feierlich bekräftigte, daß er niemals das Schwert gegen Deutschland ziehen werde, falls ein Krieg in Europa ausbreche und daß er das Schwert niemals an der Seite Englands ziehen werde. Dies lat er in Anerkennung der treuen freundschaftlichen Haltung, die der deutsche Kaiser während des russisch-japanischen Kriegs bewiesen hatte, während England Rußland einen schlimmen Streich gespielt hatte. Er haßte England Der Kaiser wiederholt dann, was er bereits früher erwähnt hatte, daß er sich im Frühjahr 1914 mit Ausgrabungsarbeiten auf Korfu beschäftigte. Aber während dieser Zeit hatten die Feind« den Angriff vorbereitet.
Die deutsche Diplomatie dagegen versagte, sie sah den Krieg nicht kommen, sie wollte, daß der Frieden um jeden Preis ausrecht erhalten werden solle. Den Anzeichen maß die Diplomatie nicht die richtige Bedeutung bei. Auch darin kann man einen Beweis für die friedliebende Gesinnung Deutschlands erblicken. Die Ansichten des Auswärtigen Amts erreglen im Land eine gewisse Opposition, ebenso im Generalstav und der Admiralität, die im Bewußtsein ihrer Pflicht Warnungen erteilten und wollten, daß man sich zum Widerstand vorbereite. Die Armee konnte es dem Auswärtigen Amt nicht verzeihen, daß sie durch die Fehler des Auswärtigen Amts überrascht worden war, und die Diplomaten waren verärgert, weil entgegen ihrer Erwartung der Krieg doch ausgebrochen war.
Das neue Moratorium
Von einem außen politischen Mitarbeiter.
Die Havasagentur war so gnädig, das Wohlwollen der Entschädigungskommission für die neue deutsche Devisenordnung auszusprechen. Man zeigt also Anteilnahme an den verzweifelten Bemühungen der deutschen Reichsregierung, die Markvaluta zu retten. Natürlich entspringt diese Anteilnahme nicht uneigennützigen Beweggründen. Man erwartet vielmehr eine Förderung der Zahlungen. Daß man auf selten der Entente keine Woche verlieren will, beweist die Einbringung des englischen Vorschlags: Auf vierzig SchreibmaschinenseitLN hat John Bradbury, der britische Vertreter in der Enschädigungskommission, einen Plan entworfen, der, wie er erklärt, zwischen ihm und Barthou, dem neuen französischen Vorsitzenden der Kommission, vorläufig Geheimnis bleiben soll. Aber da sowohl ein französischer Ministerrat als auch die Kommission selbst sich bereits ein- aebend mit dem Vlan besaßt haben, ist schon soviel darüber
Fernruf 179
57. Jahrgang
kn die Oesfentlichkeit gedrungen, oatz man sich ein Bild mache« kann.
Es handelt sich um eine fünfjährige Frist für die deutschen Zahlungen, die man aber ebenso wie das jetzt laufende Abkommen nicht so nennen darf, weil sie einen oerscheter - len Aufschub darstellt. Die englische Regierung wünscht jedenfalls, daß Deutschland für fünf Jahre von allen Barzahlungen befreit werde. An Stelle der Devisen- oder Golk» Zahlungen sollen Schatzwechsel mit fünfjähriger Lauffrip ausgegeben werden. Die Gegenleistung: Eine außerordentlich strenge Finanzüberwachung in Berlin durch den Unterausschuß der Entschädigunaskommission, den sogenannten Garantieausschuß. Dieser soll ein unbegrenzte» Einspruchsrecht gegenüber allen Ausgaben des Reich» erhalten. Damit wäre die Selbständigkeit der deutschen Finanzverwaltung und überhaupt die Finanzhoheit der Reichsregierung aufgehoben. Keine noch so dringende Maß« nähme, wie z. B. die Erhöhung der Beamtengehälter, Aufwendungen für kulturelle und sozialpolitische Zwecke wären möglich ohne Erlaubnis der Verbündeten. Und daß besom Sers Frankreich, das in der Kommission nach wie vor den Ton angibt, für die inneren Ausgaben Deutschlands kein Verständnis zeigen wird, ist nach den bisherigen Erfahrung gen wohl anzunehmen. Britische Kolonien haben «ine viel -veitergehende finanzielle Selbständigkeit, als es das Deutsch- Reich bei dieser Neuordnung haben würde. Deutschland käme praktisch unter französische Verwaltung^ and es wäre ein schlechter Trost, wenn mar. etwa in dem „witt- gastlichen Zusammengehen" deutscher und französischer In- Mstrlegruppen einen Ausgleich sucht. Frankreich würde das Schwergewicht seines Einflusses doch immer wieder auf dis politische Seite legen, und die politische Absicht der heutigen and vielleicht auch der nächsten französischen Regierung Ist and bleibt die Unterjochung und Zerstückelung Deutschlands.
Bradburys Plan arbeitet nicht am dieses Ziel hin, aber -r eröffnet unbewußt die Aussicht darauf, um die englisch» Forderung einer wesentlichen Zahlungserleichteruna fax Deutschland dem bisher unerbittlichen französischen GefW räher zu bringen. Bradbury tut aber noch ein übriges. Die Schatzwechsel, die Deutschland mit fünfjähriger Lauffrist aus- ;ugeben hätte, soll jede der verbündeten Regierungen ftlH hre eigene Rechnung und unter eigener Bürgschaft zu Gest» nachen können. Die Gemeinbüraschafi der Verbündeten sock ttso aufhören! Somit geht der Vorschlag einer Aufhebung >er Gemeinsamkeit in der Entschädigunosfrage von England aus, während bisber lediglich Frankreich es gewesen var, das in Streitfällen mit seiner „HandlungssreibeÜ oroyle. Man wird wohl raum veyauplen rönnen, vag me;« Wendung zugunsten Deutschlands ausschlagen werde. Denn wenn England künftig das Recht für sich in Anspruch nehmen will, selbständig gegen Deutschland vorzugehen, wird Frankreich sich erst recht an dem letzten Hl und Gut des „betrügerischen Bankerotteurs", wie Deutscqlanü jetzt so liebenswürdig von der Pariser Presse angesprochen wird, schadlos halten. Bradburys Plan wird also, wir es scheint, von der französischen Regierung nicht abgelehnt, sondern über», irümpft. Barthou, der das „Geheunnis" der englischen Vorschläge nicht länger wahren kann, hat den Vertretern dev französischen Zeitungen versprochen, daß er noch in dieser Woche mit einem Gegenvorschlag antworten und einen ausführlichen französischen Plan der Entschädigungskommission unterbreiten werde. Barthou wird voraussichtlich die Rosinen aus dem Bradburyschen Kuchen klauben und dazu noch aus den alten Poincareschen Plan der „produktiven Pfänder" zurückkommen. Man wäre dann genau so weit, wie vor dem letzten deutschen Stundungsgesuch und dl« Aussichten auf die Brüsseler Finanzkonferenz wären sehr trübe. .
Neue Nachrichten
Die Berliner Straß«, kämpfe '
Berlin. 17. Okt. Zu den Kämpfen am Sonntag vor 8em Zirkus Busch wird weiter gemeldet: Der Ueberfall auf die Teilnehmer der Versammlung des „Bunds für Freiheit und Ordnung" war genau und in der Voraussetzung vorbereitet^ daß es zu blutigem Kampf kommen werde. Der ..proletarische Gesundheitsdienst" stand mit vielen Tragbahren und Wagen bereit, um die Verwundeten der Angreifer in Sicherheit zu bringen. Die Aufrührer hielten einige umliegende Straßen besetzt und hielten jeden an, der durch die Straßen geMl wollte; nicht wenige Personen wurden dabei schwer mißhandelt und der Oberkleidung, der Uhren und Brieftaschen beraubt Der Zirkus hatte vom Bund für Ordnung eine Schutz, wache' von etwa 200 Mann erhalten, während 6 (sechs) Mann der Schutzpolizei von der Polizeidirektion für Ordnung sorgen sollten. Morgens 8 Uhr stürmten plötzlich einige Sturmkolonnen der Kommunisten, deren jede einige 100 Mann stark war. Li« verschiedenen Eingänge des Zirkus, die 6 Schutz.