Nr. 68

Amts- und Anzeigeblalt für den Oberamtsbezirk Calw.

68. Jahrgang.

Erscheinungrweise: 6mal wöchnitl. Anzelgenprei«: Die Zeile 120 Ml., Familienrmzelgen Ml., Rellainen LM Ml. Aul Sammetanzeigen lomml «in Zusq,ia« von roo o,». Leinlpr. 9.

Dienstag, den 2V. März 1323.

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Neueste Nachrichten.

An Essen wurde ein französischer Posten erschossen. Ohne irgendwelchen Anhaltspunkt über deu Täter wurden deutsche leitende Persönlichkeiten als Ecisclu verhaftet.

Poincarä hat vor den Pariser Journalisten eine Rede gehalten» in der er sich gegen diemoralische" Propag«n«da Deutschlands gegen das unschuldige Frankreich wendet. Wem« man aber mit Ruhe und Geduld aushalte, werde Frankreich seine Repa» rationen erhalten und außerdem eine endgültigeSicherung" des Friedens, worunter die vollständige Versklavung Deutsch­lands verstanden wird. Daß man auch in englischen Kreisen mit dieserSicherung" rechnet, beweist eine Erklärung von Lord Cecil, wonach für eineInternationalisier««^' des Rheinlands unter Garantie des von der Entente abhängigen Völkerbunds propagiert wird. Darauf laust ja bekanntlich schon seit Abschluß des Versailler Friedens das Streben Frank­reichs hinaus.

Der Reichskanzler wird in den nächsten Tage« seinen Besuch in

München und Stuttgart aussühren

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Das Wiesbadener Stadtthealer ist gestern abend säst vollständig abgebrannt.

Sie französische EeMlt-Mik.

Derhatung von Geiseln wegen der Erschießung eines sranzvfischen Postens in Essen.

Bochum, 19. März. Nach französischen Angaben ist in der Nacht zum Sonntag am Essener Hauplbahnhof ein französischer Posten erschossen worden. Da die Franzosen annehmen, daß der Posten von einem Deutschen erschossen worden sei, haben sie heute früh als Geiseln folgende Herren verhaftet: Den Reichstags- abgeordnetsn Eeheimrat Dr. Quaatz in seiner Eigenschaft als ehemaligen Syndikus der Handelskammer, den Landgerichtsprä­sidenten Dr. Volmer, seiner den Direktor der Reichsbankstelle Essen, sowie je einen Direktor der Essener Großbanken. Der stellvertretende Bürgermeister, Beigeordneter Bode, wurde von den Franzosen gesucht, aber nicht gefunden.

Berlin, 19. Mürz. Im Zusammenhang mit der Erschie­ßung eines französischen Postens am Essener Hauptbahnhof sind, wie die Blätter melden, außer den als Geiseln Ver­hafteten noch die Führer sämtlicher Kraftwagen festgenom­men worden, die ihren Stand am Bahnhof hatten. Einer Meldung desVorwärts" zufolge sind die Chauffeure bet der Festnahme von d"-- Franzosen mit Kolben und Bajo­netten schwer mischau^er worden. Weiter sind die Beamten und Beamtinnen des Fernsprechamtes, die sich in den Räu­men des seit Wochen stillgelegten Betriebs aushalten, ver­trieben worden. Das Gebäude wurde von den Franzosen besetzr.

Bochum» 20. März. Die in Essen angestellten Ermitte­lungen über die Vorgänge in der Nacht zum Sonntag, in deren Verlaus ein französischer Soldat und der 38jährige Buchdruckereibesitzer Kurt Schulte erschossen wurden, haben einwandfrei ergeben, daß Schulte ohne jeden Anlaß erschos­sen worden ist und daß er als Täter bei dem Anschlag gegen den französischen Soldaten keinesfalls in Frage kommen kann. Don Reisenden wird zuverlässig mitgeteilt, daß am Sonntag Abend und in der Nacht zum Montag die von Hamm kommenden Personenzüge in der Richtung auf Dort­mund an der französischen Kontrollstelle in Karnap einer verschärften Kontrolle unterworfen wurden. Einzelne Züge wurden fünf Stunden lang sestgehalten. Die Reisenden wurden einer strengen Leibesvisitation unterworfen. Ein Teil der Reisenden legte den dreistündigen Weg nach Dort­mund zu Fuß zurück.

Die planmäßige Fortsetzung der Gewalttaten.

Köln, 19. März. Die Belgier haben bei der Neichsbank- strlle in Münch.'n-Eladbach ein Guthaben von 68 Millionen Mark beschlagnahmt. Der Direktor der Neichsbankstelle ist verhaftet worden. Hierauf schloffen sämtliche Banken.

Münster, 20. März. Die Verkehrslage ist unverändert. Ge­stern war die Kontrolle der Personenzilge besonders an den an der Lftgrenze des Einbruchsgebiels gelegenen Kontrollstellen sehr I-churf. Auf der militarisierten Strecke werden die Oberbahnhoss- vorstehcr Franz und Katzler von den Belgiern als Geisteln fest- Lehalten und gezwungen, auf den Lokomotiven der französischen Züge mitzufahren. In der Nacht zum 18. März wurden sechs Personen von den Franzosen jestgenommen. angeblich wegen

Beteiligung an der Sprengung der Eisenbahnstrecke Volmarstein Vorhalle. In Witten wurde das Kopfgeld auf jeden sich in Witten aufhaltenden Schutzpolizeibeamten auf 500000 erhöht.

Berlin, 20. März. Nach einer Meldung desBerl. Tagebl." aus Offenburg hat das dortige Polizeikorps wegen der fran­zösischen Grußforderung die Stadt verlassen und ist nach Villin- gen gegangen. Die Offenburger Zeitungen sind auf drei Tage verboten worden, weil sie Nachrichten über die Vorgänge in Buer brachten.

Wieder zwei Deutsche von Franzosen ermordet.

Berlin, 19. März. Von amtlich informierter Seite wird aus Mainz mitgeteilt, daß am Samstag in der französischenmi- litsir eovpSrstivö" in Mainz ein deutsches, bei einer französi­schen Offiziersfamilie bedienstetes junges Mädchen von einem französischen Soldaten erschaffen wurde. Der Soldat hatte einen in dem Lokal liegenden Militärrevolver, von dem er nach seiner Ansicht und nach seinen Angaben nicht gewußt hat, daß er ge­laden war, ,,im Scherz" auf das Mädchen angelegt, das tödlich getroffen wurde. Der Soldat wurde verhaftet. In Lünen wurde, lautBerliner Lokalanzeiger", der Lehrer Markowski durch einen Kopfschuß schwer verletzt.

Französischer Privatraub in Fabriken.

Düsseldorf» 17. März. Nachdem es den Franzosen und Belgiern bisher nicht gelungen ist, Kohlen in nennenswer­tem Umfange aus dem Einbruchsgebiet herauszuholen, scheinen sie nunmehr, wie die neuesten Vorgänge in Düffel­dorf beweisen, gegen die Maschinenfabriken vorgehen zu wollen. So teilten sie in den letzten Tagen der Rheinischen Metallwaren- und Maschinenfabrik mit, daß die vorhande­nen Bestände an Waggons requiriert seien und stellten gleichzeitig das Ansinnen, eine Besichtigung der Betriebs­abteilung unter Führung der Leitung vornehmen zu wol­len. Die Forderung wurde abgelehnt, worauf eine franzö­sische Kommission die Besichtigung ohneErlaubnis vornahm. Als die Belegschaft erfuhr, daß Franzosen sich im Werk aus- hielten, verließ sie die Betriebe. Die französische Kommis­sion stellte eine Liste der vorhandenen Bestände an Wagen, Lokomotiven usw. auf und verlangte weiter von der Firma, dag ein Anschlußgleis zur Staatsbahn hergestellt würde, eine Forderung, der die Firma selbstverständlich nicht ent­sprach. Gestern wiederholten die Franzosen ihre Forderung und drangen nach erneuter Ablehnung gegen 4 Uhr nach­mittags mit Militär gewaltsam unter Ausbrechen des zur Staatsbahn führenden Tores in das Werk. Sofort ertön­ten die Sirenen. Die gesamte Belegschaft verließ die Ar­beitsstätte und bewegte sich nach der Einbruchsstelle. NBch- dem die von den Franzosen herbeigeholte Verstärkung die Belegschaft mit dem Bajonett zurückgetrieben hatte, began­nen die mitgebrachten Arbeiter unter dem Schutz des Mili­tärs die Herstellung des Gleisanschlusses. Darauf verließ die Belegschaft geschloffen das Werk und hat auch heute früh die Arbeit nicht wieder ausgenommen, da die Franzosen sich auch heute früh noch im Werk befanden und unter mili­tärischer Bewachung die Arbeit sortsetzten.

Die Folgen der Militarisierung der Eisenbahnen.

Köln, 19. Mürz. Am 16. März gegen 914 Uhr abends entgleiste bei der Ausfahrt aus dem Personenbahnhof nach Crefeld ein französischer Proviantzug. Fünf Güterwagen wurden beschädigt, drei davon vollständig zertrümmert. Die Ein- und Ausfahrt nach Düsseldorf durch den Viehbahnhof, sowie nach Crefeld ist gesperrt. Die Aufräumungsarbeiten beanspruchen längere Zeit, lieber die Zahl der Verletzten ist nichts Bestimmtes bekannt geworden. Der Material­schaden ist sehr erheblich.

Eine Turchhalterede PoknearLs.

Paris, 10. März. Poincarö sprach gestern auf einem Bankett der Pariser Journalisten. Er warnte sie vor falschen Nach­richten und sagte, in der moralischen Ossensive. die Deutsch­land gegen Frankreich unternommen habe, schrecke es vor keinem Mittel zurück und versinke in der ganzen Welt schädliche Gase auszustreuen. Diesem DeutMand brauche Frankreich nur seine Ruhe und Entschlossenheit entgegen­zuhalten. Vinnenkurzem werde es begreifen, es werde gezwungen sein, Frankreich seine Reparationen zu gewähr­leisten und diesem endgültig seine Sicherheit zu garantieren und der Friede, auf den man so lange gewartet habe und der so lange ungewiß gewesen sei, werde zur Tatsache.

Die französischen Kosten für die Nuhrbesetzung.

Paris, 19. März. Havas erjührt offiziös, daß die fran­zösische Presse im allgemeinen die Ausgaben für die Be­legung des Ruhraebiets stark übertrieben hat. Zn einem

Schreiben, das der Finanzminister der Finanzkommisston der Kammer hat zugehen kaffen, seien die Kredite für die Gesamtausgaben in den ersten vier Monaten des Jahres angefordert worden und zwar mit 196 Millionen Francs. 36 Millionen seien von den Kosten als Unterhalt der fran­zösischen Truppen im Landesinnern abzuziehen, sodaß sich die durch die Besetzung entstandenen Mehrausgaben in den ersten vier Monaten des Jahres auf netto 19 6 Milio« nen Francs belaufen.

Die systematische Sabotage Frankreichs gegen den Wiederaufbau der zerstörte« Gebiete.

Paris, 19. März. DerTemps" veröffentlicht eine Zusammen­stellung über dis deutschen Sachlieferungen im Jahr 1922. Die Zisfern sind weder von amtlicher deutscher Seite nachgeprüft noch ist ersichtlich, ob es sich um amtliches Material der Reparations« kommission handelt. Die Angaben desTemps" müssen daher unter diesem Vorbehalt wiedergegeben weiden. Die deutschen Verpflichtungen beliefen sich bekanntlich auf 720 Millio­nen Eoldmark in bar und 1450 Millionen Eoldmark in Sach­lieferungen. Davon sind 950 Millionen für Frankreich und 500 Millionen für die übrigen Alliierten ringegangen. Di« Vertei­lung der Sachlieferungen unter die Alliierten, ebenso wie die der Barzahlungen wurden auf Grund des Schlüssels von Spa gere­gelt. Das Verhältnis der Ansprüche der einzelnen bezugsberech­tigten Länder und der tatsächlich von ihnen übernommenen deutschen Sachlieferungen ergibt sich am deutlichsten aus folgen­der Zusammenstellung desTemps": (die erste Zahl hinter dem Land ist die Bezugsoerechtigung, di« zweite Zahl ist di« tat­sächliche Leistung in Eoldmark).

Frankreich: 950 000 000 (209 064 084): England:

120 000 000 (167 851 670): Italien: 146154000 (107702276); Belgien: 116 923 000 (65 645 990); S Ld sla o i e n: 73077 000 (116873 235): Rumänien: 16077000 (2102698): Portll. gal 10 961 500 (4 414 500): Griechenland 5 846 000

(4 519519); Japan 10961 500489. DerTemps" zieht aus diesen Ziffern folgenden Schluß: Alles in allem hat Frankreich 1L22 zwei Neuntel der Sachleistungen erhalten, aus die es An­spruch hatte (209 von 950 Millionen). Wenn man von den er­haltenen 181 Millionen für Kohlen absieht, erhielt Frankreich 28 Millionen Mark in Sachleistungen von 769 Millionen, die ihm zustanden. Gleichzeitig erhielten die übrigen allierten Mächte fast in vollem Umfang ihren Anteil, zwei von ihnen sogar da­rüber hinaus. Wie ist diese Sonderbarkeit zu erklären? Haben wir die Sachlieferungen genügend für den Wiederaufbau der zer­störten Erbiete auszunutzen versucht? Die amtliche Statistik läßt erkennen, was jeder der Alliierten zu erhalten berechtigt war, und was er erhalten hat. Wenn sie vollständig sein sollte, müßte sie auch angeben, was jeder angefordert hat und was ihm verweigert worden ist. Wenn man die in derTemps"-Mel- dung für die verschiedenen Länder wiedergegebenen Ziffern über die Dezugsberechtigung und die tatsächliche Leistung von Sach­lieferungen vergleicht, so ist es sehr bezeichnend, dag Frankreich nur einen Bruchteil von der ihm zustehenden Quote ausgenutzt hat, während andere Länder teilweise sogar mehr Sachlieferun- gcn bezogen haben, als ihnen nach dem Verteilungsplan zustan­de««. Berücksichtigt man außerdem, daß in den nach Frankreich ge­gangenen Lieferungen allein für 181 Millionen Eoldmark Koh­len enthalten sind und nur rund 28 Millionen reine Wiederauf­baulieferungen, so bewrisen diese Ziffern nur erneut die Tat­sache, daß cs Frankreich nicht darum zu tun ist, die ihm von Deutschland gebotenen Möglichkeiten zum Wiederaufbau der zer­störten Gebiete auszunutzcn, sondern daß es ihm nur darauf an­kommt, der eigenen Industrie billige Kohlen zuznfnhren, um ihr auf diese Weise zu großen Gewinnen zu rcrh:!,'?««.

Bonar Law Uber das letzte deutsche Angebot.

London, 20. März . Bonar Law teilte gestern im Unter­hause mit, es tresse nicht zu, daß Deutschland kürzlich end­gültig Frankreich 7500 Millionen Dollar, d. s. ungefähr 1600 Millionen Pfund Sterling, als Regelung der Repa­rationen ausschließlich der bereits geleisteten Reparationen in bar, Kohlen, Eisen und Waren angsboten und das Frank­reich dieses Angebot abgeiehnt habe, ohne einen Alternativ- Vorschlag zu machen. Der Premierminister fügte hinzu, daß unter gewissen Bedingungen Deutschland zur Zeit der Alli- ierten-Konserenz in Paris beabsichtigte, ein Angebot von 1)4 Milliarden Psund Sterling zu machen. Die britisci)« Negierung sei damals der Ansicht gewesen, daß bei Gewäh­rung eines Moratoriums 2i4 ' ' innerhalb

der Zahlungsfähigkeit Deutschlands liegen würden. Aber diese Vorschläge seien von den Alliierten nicht angenommen worden. ^