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Druck der Buchdruckerei Wilddader Tagblatt; Verlag und Schriftlettung Th. Gack in Wildbad.

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Numiver 235 Fernruf 179

Tagesspiegel

Veranlaßt durch die Rede Mac kennas auf deckReuyorker Bansterzusammenkunft erklärte der amerikanische Schahfekre- tär, eine akgemeine Streichung oder Herabsetzung der Kriegs­schulden de Verbündeten bei den Vereinigten Staaten (über 11 Millionen Dollar) würde für das allgemeine Gedeihen der Wett von Rächtest sein und wenn eine Macht die Zahlung verweigern wollte, so würde der Versuch ihrem Kredit einen nicht wieder gutzumachenden Schaden zufügen. Das Schatz­amt habe aber nicht die Absicht, sich als Gläubiger unbarm­herzig zu zeigen. Den Wink mit dem Zaunpfahl wird man in London und Paris verstehen. Mit dem Schuldenverzicht Amerikas ist es nichts, der Druck auf Deutschland mit Repara- klonen und Sanktionen kann also von neuem losgeheu.

Die französische Regierung beschloß, geschäftliche, ne »ent- lich industrielle Verblödungen mit Rußland künftig aus jede Weife zu unterstützen. Gesellschaften sollen aufgesordect werden, Verbindungen in Rußland anzuknüpfen. Eine Reihe von Gesellschaften hat bereits Vertreter nach Rußland gesandt.

Aus dem Orient kommen neuerdings Rachrichten, nach denen kemal Pascha die allerdings schier unglaublichen Zu­mutungen Englands und seines französischen «Freundes" Franklin Bouillon doch nicht so ohne weiteres annehmen will.

Einer Pariser Meldung zufolge soll Enver Pascha zwei bolschewistische Divisionen bei Samarkand (Turkeslan) voll­ständig geschlagen haben.

Wochenrundschau

Die Frage, wie hoch der Preis für das Umlage- g «treidezu bemessen sei, nachdem seit der gesetzlichen Fest­legung durch den Reichstag infolge der weiteren Markent- wertung im letzten Frühsommer eine gewaltige allgemeine Preisverschiebung eingetreten war, ist durch einen Beschluß des Reichskabinetts, der vom Reichstag noch zu genehmigen ist, entschieden worden. Für das erste Drittel des Umlage­getreides wird demnach durch die Reichsgetreidestelle 1035 Mark für den Zentner vergütet, ungefähr dar. Dreifache des ursprünglich festgesetzten Preises, und so viel, als damals der Weltmarktpreis betrug. Dieser letztere ist aber inzwischen, wie gesagt, stark in die Höhe geschnellt und bei einem Dol­larstand von rund 2200 Mark werden für einen Zentner Weizen heute 4500 Mark bezahlt. Die Landwirte sind, was man von ihrem Standpunkt begreifen kann, mit dem Um­lagepreis nicht zufrieden. Konnten sie bei dem Ergebnis der vorjährigen Ernte fast ebensoviel Getreide im freien Ver­kehr zu höheren Preisen verkaufen, als sie zum niedrigen Umlagepreis abliefern mußten, nämlich 2Z4 Millionen Ton­nen, so fällt Heuer dieser Ausgleich infolge der schlechten Ernte kaum mehr ins Gewicht; die Einnahmen aus dem Getreideverkauf werden für die meisten mit den Mliefe- rungen an die Reichsgetreidestelle bezw. die Kommunalver­bände so ziemlich erschöpt sein. Der Umlagspreis deckt aber nicht die Erzeugungskosten in Wirtschaften, die Kunstdünger verwenden müssen. Der Eifer in der Ablieferung ist denn auch nicht besonders groß; nach amtlicher Mitteilung sind bis anfangs dieser Woche 120 000 Tonnen abgeführt worden gegen 400 000 Tonnen im gleichen Zeitraum des Vorjahrs. Andererseits wollen die sozialistischen Par­teien des Reichstags überhaupt keine Preiserhöh­ung eintreten lassen, es soll nach ihrer Meinung bei den 374 Mark für den Zentner verbleiben und die sozialistischen Reichsminister waren genötigt, bei der Abstimmung im Reichskabinett sich der Stimme zu enthalten, obgleich sie persönlich von der Notwendigkeit der Preis­erhöhung überzeugt waren. Es ist aber kein Zweifel, daß die bürgerliche Mehrheit des Reichstags die Erhöhung be­willigen wird. Wenn jetzt wieder allgemein die Gehälter und Löhne heraufgesetzt werden, so die der Bergarbeiter um 901000 Prozent, wenn die Bäckergesellen in Berlin einen Wochenlohn von 4500 Mark, die Metzgergesellen in Ham­burg einen solchen von 6500 Mark, die Hafenarbeiter in Danzig einen Tagelohn von 1200 Mark erhalten haben, so wird kein billig Denkender verlangen, daß die Landwirte bei früheren Preisen stehen bleiben sollen, die durch die fortschreitende Markentwertung um das Vier­oder Fünffache überholt sind. Freilich wird nun auch der Vrotpreis vom November an wieder eine beträchtliche Steigerung erfahren, doch wird sie nach der Ansicht der Reichsregieruug über eine Verdoppelung nicht wesentlich hinausgehen. Selbstverständlich müssen auch die G e h ä lte r und Löbne den neuen Preisverhällmssen. die ebs» eine

Wildbad, Samstag, den 7. Oktober 1922

zwangsläufige Folge der Geldentwertung sind, wieder an­geglichen werden. Die Reichsregierung hat m diesem Sinn bereits mit den Arbeitgeberverbänden Fühlung genommen und dort Bereitwilligkeit gefunden. Nur mit den Besoldungsverhandlungen mit den Bea aten und Staatsarbeitern im Reichsfinanzministerium will es nicht recht vorwärts gehen, weil es sich hiebei nicht allein um Teuerungszulagen, sondern um eine völlige Umgestal­tung der Grundgehälter handelt. Die Verhmdlungen sollen von der Regierung als aussichtslos abgebrochen wor­den sein, womit die Frage natürlich noch nicht erledigt ist.

Im Reichsgerichtsgebäude zu Leipzig begann am 3. Okt. vor dem außerordentlichen Staatsgerichtshof der Prozeß gegen die am Rathenaumord beteiligten Personen, 13 meist junge Leute, die, wie sie auf der Anklagebank erscheinen, einen einnehmenden Eindruck ma­chen, so daß man sagen muß: Wie schade, daß solche deutsche Jugend, die im Feld, iin Baltenland und bei der Verteidi­gung Oberschlesiens todesmutig fürs Vaterland gekämpft hat, zu so schlimmen Verirrungen, zum politischen Mord sich hat verleiten lassen! Was hätten diese oxsermutigen jungen Leute noch leisten können, wenn sie den Sinn von Schillers Wort recht begriffen hätten: Ans Vaterland, ans teure, schließ dich an! Das Verbrechen ist geschehen und muß seine Sühne haben. Der erste der zehn Verteidiger, Dr. Hahn, stellte zu Beginn der Verhandlung den Antrag, daß der Staatsgerichtshof als ein politisches Ausnahme­gericht mit bewußter Vertretung der linksgerichteten Par­teien sich für gesetzes- und verfassungswidrig erkläre und die Sache vor ein ordentliches Schwurgericht verweise. Dem trat der Oberreichsauwalt Dr. Ebermayer, ein biderber Bayer, mit der Bemerkung entgegen, der Staatsgeri htshof sei nicht ein Ausnahmegericht, sondern ein Senderge­richt, das ordnungsmäßig durch Zweidrittelmehrheits­beschluß des Reichstags geschaffen sei. Der Gerichtshof lehnte den Antrag des Verteidigers ab und gab auch dem weiteren Vorbringen nicht statt, daß der Vorsitzende Senatspräsident Dr. Hägens, der sich offen zur Republik bekannte, als parteipolitisch befangen abzulehnen sei. Der Staatsgerichts­höf ist ja nun freilich vom formal-rechtlichen Standpunkt aus gewiß nicht einwandfrei, und er würde heute, wo man wie­der nihiger über die Ursache zu denken sich gewöhnt hat. in dieser Form auch wohl nicht mehr eingesetzt werden. Bayern hat ihn tatsächlich bis heute noch nicht anerkannt. Auch das Wort, das der Reichskanzler damals in der Erregung ge­sprochen hat:Der Feind steht rechts!" bliebe wahrscheinlich ungesprochen. Aber der Staatsgerichtshos ist nun einmal da, und die Leitung der Verhandlung durch den Vorsitzen­den gab bis jetzt gewiß auch dem peinlichsten Beobachter keine Handhabe, ihn der Befangenheit zu zeihen. Die Ver­nehmung der Angeklagten vollzieht sich mit völliger Ruhe, von politischer Erregung keine Spur. Aus den Verneh­mungen erfuhr man nur schon Bekanntes: baß diese jugend­lichen Schwärmer sich eingebildet hatten, durch die Ermor­dung Rathenaus die Radikalen zu einer Empörung auf­reizen zu können, nach deren Niederschlagung die Monarchie in allem Glanz und Herrlichkeit von selbst wieder erstehen müßte. Das Schicksal, das eine Welt m Unordnung ge­schleudert hat, hat auch den Verstand dieser Jugend vor seiner Urteilsreife in Unordnung gebracht.

Ein Lichtblick war dagegen die Erklärung des R e i ch s k a nzle-r s Dr. Wirth, die er ausländischen Pressevertretern gegenüber über die Schuldfrage abgab. Auf der Schuldlüge ist das ganze Gebäude des Schand- oertrags von Versailles aufgebaut, das haben Lloyd George und Poincare selbst anerkannt. Und darum hakt-m sie so krampfhaft an der Lüge fest. Aber ein Stück um das andere bröckelt von dem Fundament ab. Eine Schrift des früheren deutschen Gesandten Frhrn. von Romberg hat nun eine weitere Bresche gelegt. Romberg wies auf Grund der diplo­matischen Aktenstück nach, daß die Sammlung der amtlichen Schriftstücke, die über die Vorgeschichte des Weltkriegs im so­genannten russischen Orangebuch dies« Akten­bücher für Auswärtige Politik erhalten ihren Namen von der Farbe des Umschlags; so heißt das diesbezügliche deutsche Buch das Weißbuch, das französische das Eelbbuch, das eng­lische das Blaubuch usw. enthalten sind, gefälscht wur­den, indem gerade diejenigen Noten oder Stellen, aus denen Deutschlands Bemühungen, den Krieg zu verhüten, hervorgeht, unterschlagen oder entstellt wurden. Die Schrift

Fernruf 179 57. Jahrgang

Rombergs legt klar, daß zwischen der russischen Kriegspar­tei und der französischen Regierung volles Einverständnis be­stand, den Kieg vom Zaun zu brechen. Mit teufli­scher List gelang es der französischen Diplomatie, mit dem Schein der Schuld die mehr als kindliche deutsche Diplomatie von 1914 zu belasten und durch diese Täuschung England zum sofortigen Eingreifen gegen Deutschland zu vercmlassen. Die Hauptschuldigen sind, neben einigen tolpatschigen russischen Hetzern, Poincare und der damalige Ministerpräsident Viviani. Der Reichskanzler erklärte unter Berufung aus Rombergs Enthüllungen, die Reichsregierung sei es dem deut­schen Volk und der ganzeen Welt schuldig, zur Klärung der Schuldfrage alles beizutragen, was irgend in ihrer Macht stehe.

Die Erklärung des Reichskanzlers hat in Paris wie eine Bombe eingeschlagen. Die französische Regierung ersuchte so­fort den jetzigen Abgeordneten Viviani, eine Gegenerklärung abzugeben und dieser ließ auch eine solche durch di« Nach­richtenbüros verbreiten. Aber eine Widerlegung Rombergs oder des Reichskanzlers vermochte er nicht zu erbringen, son­dern er behalf sich mit Behauptungen, die deutschen Doku­mente seien lückenhaft; man dürfe sich nicht an den Wortlaut der Aktenstücke klammern, sondern müsse die Handlun­gen als Beweis nehmen als ob die russische Mobilmach­ung im Juli 1914 und das Verhalten Frankreichs nicht auch alsHandlungen" Beweis genug wären! Schließlich ver- steig sich Viviani und mit ihm die Pariser Presse einfach zu Drohungen: Deutschland hätte nicht nötig usw. Prompt wird auch sofort eine Daumenschraube angelegt; der Dollar steigt von 1500 auf rund 2200 Mark. Also wieder deutscher Valutasturz alsSanktion". Doch soll sich der Reichs- kanzler nicht bang machen lassen; bleibt er in dieser Verteidi­gung der Wahrheit und des Rechts nur fest, so wird er das. ganze deutsche Volk hinter sich haben. s

Die Lust zu S an k ti o n en ist in Frankreich wieder ge­kommen. Der PariserFigaro" spielt schon die Einleitung zu dem Tanz, der sehr wahrscheinlich kommen soll, indem allerleiVerfehlungen" entdeckt werden, die sich Deutschland wieder habe zuschulden kommen lassen. England und Frankeich haben sich offenbar unter Hand über die Orient frage verständigt; in London wie in Paris griff anfangs dieser Woche auf einmal eine merkwürdig zuversichtliche Stimmung Platz; keine Spur mehr von der Kriegserregung, die eben noch alles in Spannung hielt. Ventzelos, der kretische Ränkeschmied, wurde Kr London kurz abgetan; seinegroßgriechischen" Pläne würden England nur in einen Krieg verwickeln, sagte man ihm. In! voriger Woche aber schien die britische Regierung noch fest entschlossen, es um der Meerengen willen auf einen Krieg an-, kommen zu lassen. Da muß etwas vorgegangsn sein. Der französische Sondergesandte Franklin Bouillon, der. nach derPariser Orientkonferenz" mit Eilfchiff nach Smyrna zu Kemal Pascha reiste, ist nach der Unterredung mit Kemal. nicht, wie angeblich vorgesehen, nach Angora weitergereistz' sondern hat Kemal allein zu der türkischen Nationalverfamm» lung in Angora gehen lassen und hat flugs seinen Weg zw den Verbands-Kommissionen und Oberkommissionen nach; Konstantinopel genommen und dann am 3. Oktober die Be­sprechung der verschiedenen Generale in Mudania über den Waffenstillstand alsBeobachter" mitangehört. Mit eint», gem Murren, aberin versöhnlichem Geist", wie Havas so schön sagt, scheinen sich die Türken von dem .aufrichtigen Freund" Franklin Bouillon haben bereden lassen, folgende Waffenstillstandsbedingungen anzunehmen: Die Griechen scheren sich in längstens 10 Tagen mit Sack und Pack aus de uv ihnen vom Verband geschenkten Land Thrazien hinaus- Mohr hat seine Schuldigkeit getan, Mohr kann gehen. Die Türken von Angora dürfen aber dieses Land erst betreten^ wenn der Friede fest geschlossen ist. Inzwischen können sie einige Gendarmen und Oberamtleute nach Thrazien schicken, die sehen mögen, wie sie neben den Berbandskom-nifsionen und -Soldaten zurecht kommen. Kemal anerkennt dieneu^ trale Zone" und zieht seine Soldaten daraus zurück; er ve^ zichtet auf jedes Vorgehen auf Konstantinnpel sowohl wie gegen Mesopotamien. Und endlich, ein Prachtstück amtlicher Berichterstattung: England räumt ebenfalls die neutrale Zone und zieht sichauf nicht aus Tschanak (Kleinasien) und über die Meerengen nach Gallipolt zurück. Das heißt doch wohl, daß die Engländer die beiden einander gegenüber­liegenden, die Meerengen beherrschenden Punkte Gehal­ten. Ja wohl, was der Engländer^Mspricht. da» behält er..