Nr. 64
Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Eauv.
98. Jahrgang.
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Samstag, den 17. März 1S2S. !
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Neueste Nachrichten.
In den letzten Tagen ist — zweifellos von Ententefeite — ein Trommelfeuer von Bermittlungsgeriichten auf die Oeffentlichkrit losgrlassen worden, die nun mit demselben Kraftaufwand auch wieder dementiert werden. So wirderholt Reuter de« Standpunkt Englands, Latz es in dem Ruhrkonflikt „neutral" zu bleiben gedenke, und daß es an Deutschland fei, bei Frankreich und Belgien zu sondieren. Auch das Auswärtige Amt in Washington dementiert das Gerücht, als ob England an Amerika herangetreten sei, «m dieses zur Vermittlung zu veranlassen. Die amerikanische Negierung vertrete die Auffassung, daß Frankreich eine solche Vermittlung nicht wünsch«, man werde aber die Lag« aufmerksam verfolgen, um eine passende Gelegenheit zu einer Lösung zu finden.
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Die „Erfolge" der Nubraltion werde« von dem Organ der französische« Schwerindustrie dahin gekennzeichnet, daß 8» bis S» Prozent der Hoch»fe« „gestoppt", also entweder gelöscht find oder doch nur mit halber Kraft arbeiten, wodurch die Gefahren der Arbeitslosigkeit in Frankreich sich täglich vergrößern. Durch diesen Hinweis will man Poincarö zur Beschleunigung der Kolsabsuhr aus dem Ruhrgebiet mit allen Mitteln treiben.
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Die Neparationslommission will Einspruch erheben gegen die Auflegung der deutschen Dollaranleihe, da die Alliierten rin finanzielles Vorrecht in Deutschland hätten. Man sieht daraus, dag derHkntrnte gar nichts an der Besserung der Mark liegt.
Im Hinblick auf die erbitterte Stimmung in Deutschland gegen Frankreich und Belgien hat M deutsche Regierung um Ersetzung von fran ösischen und belgischen Kontrolloffizlerc« in Deutschland durch andere Offiziere nachgesucht, was jedoch nicht gewährt wurde.
Zur Lage.
lieber die französisch-belgischen Verhandlungen in Brüssel bört man eigentlich im Gegensatz zu der sonstigen Mitteilsamkeit der offiziösen Ententeprcsse bei derartigen Anlässen recht wenig. Es war natürlich zu erwarten, daß man eine halbamtliche Auslassung loslassen würde, aus der die „vollständige Einigkeit" der beiden Alliierten über das Problem der Nuhrfrage ersichtlich sein würde, und eine solche Erklärung ist auch prompt erfolgt. Einig soll man sich darüber gewe'en sein, daß das Ruhrgebiet nur staffelwcise» je nachdem Deutschland seine Rrparationsver- pfkicht mgen erfülle, geräumt werden solle. Das ist ungefähr derselbe „Rechts"-Standpunkt wie der bezüglich der Räumung des Rheinlands nach IS Jahren, wenn — Deutschland die Nepa- rationsoerpflichtungcn erfüllt habe. Da Frankreich und sein belgisches Anhängsel diese Forderungen so hoch gestellt haben, damit sie nicht erfüllt werden können, so ist die weitere logische Folgerung durchaus eindeutig. Es ist aber immerhin doch bemerkenswert, dag die Belgier darauf bestanden haben — sollen, der Welt schon jetzt in der kategorischsten Form die Versicherung zu geben, daß „Frankreich und Belgien niemals und in keiner Weise daran gedacht hätten, das Ruhrgebiet vom Deutschen Reichs m trennen, noch weniger, es zu annektieren." Wie man allerdi.„s diese „Versicherung" in Einklang mit dein Riescn- aufwand an militärischen und finanziellen Mitteln bringen will, die zur Besetzung des Nuhrgcbiets und des rechtsrheinischen Gebiets erforderlich waren, entzieht sich bisher unserer Kenntnis. Daß man diesen Niesenapparat nur deshalb anwenden wollte, um die paar lausend Tonnen zu wenig gelieferter Kohlen zu Helen, oder aber um uns die ganze erhabene Größe der „öruncls Nation" vorzuführen, vermögen wir doch nicht fo ohne weiteres anznnchmen, trotzdem es uns bekannt ist, daß der Franzose es sich etwas kosten läßt, wenn es um die „Llioire" geht. Man w.rd also zu dem Schlüsse kommen, daß trotz aller Versicherungen d e „friedliche" Aktion im RichrgeNct ganz andere Ziele verfolgt, als die, die man zur Bemäntelung der aller Rechtsan- fchauung Hohn sprechenden Gewalt- und Raubxolitik angibt.
OL Franlroich diese Ziele zu erreichen imstande sein wird, wird von der moralischen Widerstandskraft Deutschlands ab- ^trotzdem wir im Hinblick auf unsere vollständige militärische Ohnmacht und ohne jegliche Aussicht auf Hilfe von auswärts an keinen bewaffneten Widerstand denken können, besitzen wir eine wirksame Waffe, die uns bei zähem, überlegtem Aushalten den Endsieg bringen kann und mutz, die Waffe des Rechts. Daß den Franzosen der passi've Kampf der deutschen «evölkerung, der deutschen Regierung viel weniger angenehm .'st als ein unter de» jetzigen militärischen und politischen Ver-
hältnissen sinnloser aktiver Widerstand, der ihnen den gewünschten Anlag zur Geltendmachung ihrer gegenwärtigen Ueberlegen- heit bieten würde, ist für jeden Einsichtigen klar. Um das deutsche Volk zu einer unbesonnenen leidenschaftlichen Tat hinzureiben, werden ja von der französischen Soldateska neben offenem Raub privaten Eigentums die unerhörtesten Schandtaten an den Beamten und der Bevölkerung im Ruhrgebiet begangen. Weil die Franzosen merken, daß ihre Aktion nicht den gewünschten Erfolg zu erreichen die Aussicht hat, hat jetzt auch zwecks Besserung der moralischen Lage Poincarä erklärt, dah Frankreich geneigt'sei, etwaige positive deutsche Vorschläge zu „hören", die man selbstverständlich auch wieder als unannehmbar bezeichnen würde. Diese Auffassung, dass Deutschland zurrst Vorschläge zur Regelung der Reparationsfrage mache« müsse, nachdem man vor dem Ruhreinfall von dem letzten sehr weit gehenden deutschen Angebot nicht einmal Notiz zu nehmen für nötig fand, wird jetzt auch offiziell von England vertreten. Reuter meldet, wie wir gestern mitgeteilt haben, an zuständiger Stelle werde erklärt, Großbritannien werde Lei nächster Gelegenheit seinen Entschluß wiederholen, zwischen Deutschland einerseits und Frankreich und Belgien andererseits u iHstt zu vermitteln. Die Frage geht England nichts an, insoferk als es Deutschlands Aufgabe fei, einen Plan vorzulcgcn, der Frankreich und Belgien befriedige. Nachdem also Lloyd George seine ganz gewiß nicht zu verachtende Rethorik darauf verwendet hatte, die große weltpolitische Gefahr der französischen Gewalt- und Vernichtungspolitik zu bekämpfen, nachdem er sogar seinen MinisterprLsidcn- tenposten im Kampfe um den Sieg feiner „Idee" geopfert hatte, nachdem sein Nachfolger Donar Law, trotz größten Entgegenkommens gegenüber der französischen Ansicht schließlich doch auch darauf hingewicsen hat*e, daß England ein« Teilnahme an der französischen Aktion abgelehnt habe, weil man diese für ungeeignet zur Erlangung der Reparationszahlungen betrachte, ist man im Foreign Office fetzt zu dem Schlußergcbnis gekomnzxn, daß England die ganze Nuhrgefchichte von Haut und Haar gar nichts angehe. Dieser Standpunkt wird vertreten, trotzdem England als Hauptbeteiligter an dem Zustandekommen des Versailler „Vertrags" figuriert hat, und also auch als Hauptkontrahent für dessen Einhaltung, und zwar nicht nur von deutscher Seite, verantwortlich ist. Aber bekanntlich sind wir noch weit davon entfernt, daß internationale Verträge nach der Lage der objektiven Rechtsverhältnisse beurteilt und gehalten werden müssen, weil keine internationale Rechtsinstanz vorhanden ist, die die Macht besitzen würde, diese Verträge zu schützen. Weil also bis auf den heutigen Tag nicht das Recht, sondern die Macht in internationalen Fragen entschieden hat, deshalb kann England es sich auch leisten, den Rs.htsstandpunkt hinter seinem Jnter- csscnsi-andpunkt zurücktreien zu lassen. Und seine politischen und wirtschaftlichen Interessen weisen England, wie wir immer und immer wieder betont haben, auf die Seite Frankreichs und seiner in Europa geschaffenen Allianz mit der sog. „Kleinen Entente". Es handelt sich hier eben einfach um eine Teilung der politischen und wirtschaftlichen Macht- und Interessensphären, da selbstverständlich keiner der beiden Verbündeten allein oder gar gegen den andern in der Lage wäre, seinen durch den Weltkrieg ins Riesenhafte erweiterten Machtbesitz zu verteidigen. Also nicht rein politische oder rein wirtschaftliche Gesichtspunkte sind es, die Frankreich und England und das hinter diesen stehende Amerika zu offenem oder geheimem Zusammenhalten veranlassen, sondern beide, in stetiger Wechselwirkung zu einander befindliche Momente. Frankreich hat jetzt die englisch-amerikanische Politil der Erwerbung des Erdölweltmonopols im Orient unterstützt, England und Amerika unterstützen durch ihre Passivität als Gegengeschenk dafür die Politik der französischen Schwerindustrie einerseits, das Eisen- und Kohlenmonopol in Europa zu erhallen, und der französischen Nationalisten andererseits, das linke Nheinufer in den dauernden Machtbereich Frankreichs zu bringen, um so mit der Zeit das Blut des greisenhaften sranzö,.scheu Volkes wieder aufzufrischcn.
Diese Tatsachen der Kräfteverhältnisse und Kräftewirkungen müssen wir uns besonders heute vor Augen halten, um zu erkennen, vor welche Aufgaben uns der deutsche Widerstand stellt, der nur durch Geschlossenheit nach außen hin und mit eiserner Ruhe zum guten Ende führen kann. Wenn wir uns dabei darüber klar sind, daß Frankreich durch diesen Kampf mindestens. dieselben wirtschaftlichen Schäden erleidet, daß es sich militärisch, politisch und moralisch immer mehr exponiert, was ja von seinenen eigenen Staatsmännern und Politikern zugegeben wird, wenn wir bedenken, daß England heute rin Wiederaufleben des Weltkrieges sehr zu fürchten hat, dann werden wir auch die Kraft zur Ausdauer finden. 0.3.
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Tie französische Ecmlt-oliiik.
Das Organ der sranzofischenHAweriudustrie über den schweren MttzersohWber RuhraLrtron.
Paris, 16. März. Was von den groDWüerischen Reden, von den in Fanfarentönen gehaltenen ZeiiunMartikeln der Regierung zu Hilten ist, darüber klärt heute in ganz überzeugender Weise das Organ der französische« Schwerindustrie, das „Jour- nve Industrielle", die öffentliche Meinung in Frankreich auf. lleber die Lage der französischen Schwerindustrie schreibt das Blatt: Auf den Halden der Ruhr liegen 406 000 Tonnen Kols, auf die Frankreich Anspruch hat. Sie würden genügen, um zwei Monate in gewissem Grade die Tätigkeit unserer Hochöfen zu sichern, von denen 8ü bis SV Prozent gestoppt sind. Bis jetzt haben die Deutschen alles getan, um die Abbeförderung zu verhindern. Dir zeitweise Arbeitslosigkeit unserer Metallindustrie ist in der Tat eine der besten Waffen, über die sie gegen uns verfügen. Das Blatt betrachtet dann die Ruhrfrage von folgenden zwei Gesichtspunkten: 1. Seit Beginn der Ruhroperationen seien nach Frankreich und Deutschland nicht mehr als zehn Waggon Kols herausgekommen. Die Franzosen haben dadurch bis jetzt etwa 20 Millionen Franken verloren, da die Industrie trotz alledem ihre Arbeiter habe beschäftigen wollen. Ausschlaggebend sei aber nicht dieser Verlust, sondern die Tatsache, daß künftig tausende von französischen Arbeitern znm Feiern gezwungen sein würden, daß der Metallpreis steige« werde, wie alle anderen Preise und daß gerade die in der Pariser Gegend so zahlreichen Industriezweige von der Arbeitslosigkeit schürf bedroht würden. Das Ansteigen der Preise, die Arbeitslosigkeit und der Wirrwarr, die daraus entstehen würden, seien gerade im gegenwärtigen Augenblick für die Sozialisten wünschenswert. 2. Während die französischen Hochöfen stilliegen und die alliierte Industrie Arbeitslosigkeit und Teuerung herannahen sehe, rühmten sich die Ind'striellen im nichtbesetzten Deutschland, daß sie Kohlenvorräte oder Jmportkohle für drei Monate hätten. Wenn man das so weitergehen lasse, müsse die Ruhrbesetzung zu einem zwecklosen Unternehmen werden. Wenn die Besetzung eine Zwangsmaßnahme sei. so müsse der Zwang wirksamer durchgeführt werdm; sei die Besetzung keine Zwangsmaßnahme, so habe sie keinen Zweck. Man habe jetzt 2^ Monate im Auhrgebiet gestanden. Irgend etwas hätte man dabei herausholen müssen. Wenn die Regierung jetzt den Beschluß gefaßt habe, die Kohlenhalden zu räumen, so verfüge sie doch sicher über die Mittel dazu, diese Räumung vorzunehmrn. Besitze sie diese Mittel nicht, so sei der Entschluß zum Unheil gefaßt worden. Aber dadurch habe die Regierung gegen ihre Pflicht verstoßen. Es sei oft wiederholt worden, daß die Besetzung des Ruhrgrbiets von den französischen Industrlellen diktiert worden sei. In WirUlchk.it seien diese Industrielln beiseite gestoßen worden. Wenn sie heute ihre Stimme erheben, fo deshalb, weil es sich nicht mehr um reinen Gewinn oder Verlust handelt, sondern um Arbeitslosigkeit, Teuerung, soziale Wirren und um die nationalen Cefahren, die daraus entstehen würden.
England bleibt „neutral" kn der Nuhrfrage!
London, 17. Mürz. (Reuter.) Gegenüber weiteren Gerüchten über eine Vrrmittlungsaktion wird nochmals f-"'- gestellt, daß Großbritannien an seiner NeutraUtätsm. l-ik in der Nuhrfrage festhält und die Ausfassung vertritt, daß die offenbare Lösung darin besteht, daß Deutschland Frankreich und Belgien sondiert.
Ein Gerücht!
Berlin, 17. Mürz. Der „Verl. Lokalanz." will wissen, daß sich der Direktor der Bank von England, Montague Norman, der sich seit einigen Tagen in Paris ausgehal- ten hat, auf dem Wege nach Berlin befindet.
Auch Amerika dementiert
London» 16. Mürz. Reuter meldet aus Washington: Hughes hat ein amtliches Dementi der Pressemeldung, wonach Großbritannien Vorschläge für eine amerikanische Vermittlung zwischen Frankreich und Deutschland in der Nuhrfrage gemacht haben sollte, veröffentlichen lassen.
Die übliche Zfzxiichhallnng Amerikas.
Paris, 16. März. Havas'erganzt in einer Meldung ans Washington die vom „Newyork Herold" wiedergegebenr amtliche Erklärung des Staatsdepartements über ein angebliches Ersuchen um Vermittelung zwischen Deutschland und Frankreich durch folgende Bemerkungen: In amtlichen Kreisen herrsche die Empfindung, daß Frankreich nicht geneigt sei. Vorschläge seitens irgend einer anderen Macht rntgegenzunehmen. Infolgedessen komme zur Zeit kein Vorschlag in Betracht. Indessen beobachte» bi«