(Enztalbote)
Amtsblatt für M'ddad. Chronik unk» Anzeigenblatt
für das obere Enztal.
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Druck der Buchdruckerei Wildbader Tagblatt; Verlag und Schristleitung Th. Gack in Wildbad.
Nummer 194
Fernruf 179
Tagesspiegel.
Wildbad, Montag den 21. August 1922
Fernrnf 179
57. Jahrgang
Tom RelchSrat ist der Euttvnrf eines Gesetzes zur Neuordnung der Strafgerichte zugegangen. tzn allen Strafsachen — mit Ausnahme der Neichsgerichtssachen — sollen in Zukunft in erster und in der Berufungsinstanz Laien entscheidet.
Das Rsichskabinett hat in seiner Freitagsitznng der lHrlMnng der Beamtengehälter zugestimmt und weiter die Entschavigungssrage behandelt.
Eine Vertrauensversammlung der Deutschen Volks- Partei in Aachen hat in einer Entschließung schärfsten Protest gegen die Verabschiedung des Regierungspräsidenten erhoben.
Weitere Erhöhung der Eisenbahn- und Postkarife werden angekiindigt. Tie auf 1. September vorgesehene Erhöhung der Gütertarife soll eine weitere Steigerung erfahren.
Zahlreiche der vorgenomMcnen Ausweisungen aus Elsaß-Lothringen sollen infolge der darob entstandenen Erregung wieder zurückgenommen oder abgeschwächt werden.
Pin amerikanischer WcchrheiLszeuge
^ Dem Herrn Poincarö ist ein neuer Ankläger erstanden, ben er nicht so leicht abschütteln kann. Es ist Freden« Lausman, der Abkömmling eines alten amerikanischen Geschlechts, ein früheres Mitglied des höchsten Gerichtshofs Ses Staats Washington und ein Jurist von hohem Ansehen, öchon 1920 kam der amerikanische Geschichtsforscher Prozessor Sidney B. Fay auf Grund einer eingehenden und völlig sachlichen Untersuchung der unmittelbaren Kriegs- Ursachen zu dem Schluß, daß die deutsche Regierung de« Krieg weder ausgeheckt noch gewollt hat, und nun ist Baus- man, im vollen Besitz des großen Aktenmaterials, das seit- vem veröffentlicht wurde, von dem aber, wie er klagt, „die Welt beinahe nichts gehört hat", einen Schritt witergegangen und hat in einem mit schneidender Schärfe geschriebenen Luch, das unter dem Titel „Frankreich wird vm Erklärung gebeten" erschien, nach einem eingehenden Studium nicht nur der unmittelbaren, sondern auch der entfernteren Ursachen des Kriegs sestgestellt, daß von einer Verantwortlichkeit Deutschlands für den Krieg wenig dis Rede sein kann, daß vielmehr die Hanptoerantwortlich- keit für ihn neben Rußland Frankreich trifft und in erster Linie gewisse französische Staatsmänner, wie Poincarö, Delcassö, Miller and, Viviani und Palöolo- gue. Bausman zeigt, daß die französische Politik seit 1870 völlig von dem Rachegedanken beherrscht war, bah sie Rußland mit Ueberlegung und ununterbrochen ausrüstete und zu einer herausfordernden Haltung gegen Deutschland ermutigte, und daß sie beständig darauf gerichtet war, eine günstige Gelegenheit für einen Krieg zu schaffe n, um Elsaß-Lothringen zurückzugewinnen, Deutschland zu zerstückeln und Frankreich seinen alten Platz azi der Spitze Europas zurückzugeben. Er zeigt zweitens, daß die französischen Staatsmänner durchaus nichts taten, um Rußland von einer unnötigen Mobilmachung abzuhalten von der sie wußten, daß sie mit einem europäischen Krieg gleichbedeutend sei.
Gegenüber den Angriffen der französischen Kammer aus Poincarös „Willen zum Frieden" im Jahr 191-1 hat ein französisches Blatt mit Pathos erklärt. Poincarö besitze einen unwiderleglichen Beweis seines Willens, die tragischen Ereignisse von 1914 abzuwenden, nämlich seinen Brief an den König von England. Ein sehr interessanter Abschnitt in Bausmans Buch zeigt, was es mit diesem „unwiderleglichen Beweis" auf sich hatte:
Das Datum des Briefes ist der 81. Juli (1914), der Tag *Por Deutschlands Kriegserklärung an das mobilisiert» Rußland. Nichts wirst auf die beiderseitige Politik Englands und Frankreichs ein stärkeres Licht. Das Telegramm des Präsidenten Poincarö war ein lebhafter Anruf in Redens- arten an den König von England, den Krieg zu verhindern. Wie? Durch die Erklärung, daß England im Krsea «ml der
Seite Frankreich; und Rußlands sein werde. Es ist der Mühe wert, über diese Forderung nachzudenken. Der englische König lehnte sie ab. Wieder warum? Weil er sehr gut wußte, daß in dem Augenblick, wo er Paris zustimmend antworte, Heller Jubel in Petersburg ausb'cchen würde. Poincarö wünschte durch eine solche Erklärung Englands einen Krieg so wenig abzuwenden, daß ich vielmehr nicht im geringsten bezweifle, daß seine Absicht war, ihn dadurch sicher zu machen. Man braucht nur auf die unmittelbare, diplomatische Geschichte der Sache zu blicken. Was hat dieser Poincarö m diesem aufregenden Monat getan, um einen Krieg abzuwerwen? Wir wissen im Gegenteil, daß jedermann in ihm einen Kriegseiferer erblickte . Dieser Mann nun, von dem nicht ein Schritt zugunsten ves Friedens verzeichnet ist, richtet plötzlich in zwölfter Stunde einen leidenschaftlichen Anruf an den König von England, er solle „die schrecklichen Kräfte aufhalten", die der Präsident von Frankreich in Bewegung gesetzt hatte und damals noch setzte. Er sandte das Telegramm, nachdem die Russen bereits die allgemeine Mobilisierung befohlen hatten. Es war unehrlich in seiner Absicht. Erzielte es eins günstige Antwort, so konnte nichts auf der Welt dis Russen davon abhalten, ihre Heere auf Deutschland zu werfen. Sie mußte in den militärischen Kreisen Rußlands dis letzten Bedenken bezüglich des Kriegs beseitigen. Rußland war bereits in ihren Händen. Nur der Zar, ein ängstlicher Monarch, mpchte noch zögern und zurückhalten. Wenn sich aber England für die Verbündeten erklärte, mußte das militärische Element in Rußland alles mit sich reißen. Poincarö war sehr schlau. Von jedem Gesichtspunkt aus erfüllte das Telegramm seinen Zweck. Sollte man ihm künftig wegen seines Kriegseifers Vorwürfe machen, so konnte er immer aus dieses Telegramm Hinweisen . . . Studiert man aber die ganze Lage tiefer, so erkennt man, daß nichts den Krieg sicherer Überstürzen konnte, als daß Petersburg erfuhr, England sei auf seiner Seite. Nicht Deutschland galt es zurückzu- halten, sondern Rußland."
Bausmans Buch ist nicht mit der kühlen Sachlichkeit von Achs historischer Studie geschrieben; es wird durchzittert von der Entrüstung eines Mannes, den inan lange mit Lügen fütterte und dem schließlich ein Licht darüber aufging. Immer wieder stößt man auf Ausrufs der Art: „Wie völlig falsch waren doch viele der Ansichten, an die wir während ves Kriegs wie an die heilige Bibel glaubren!" „Wie wenig wußten wir doch um die wirklichen Verhältnisse in Europa'. „Die Art unsrer falschen Unterrichtung war allgemein; vollständig." Vausinm : selbst hatte alle die Lügen der Lerbandspropaganda für bare Münze genommen, bis ihm )er Zufall ein Werk Morels in die Hände spielte, das ihn stutzig machte und ihn veranlaßte, das ganze Tatsachenmaterial mit seinem durch seinen richterlichen Beruf geübten Gehirn selbständig zu studieren. Und wenn er dann der Welt die Frucht dieses Studiums in seinem Buch mitteilte, so bestimmte ihn dazu die Usberzeugung, daß ohne Zerstörung der Schuldlüge kein wirklicher Friede und keine Genesung Europas möglich seien. Er schreibt in der Vorrede:
„In den letzten drei Jahren sind ungefähr tausend Dokumente und diplomatische Briefe über die Beziehungen zwischen Frankreich und Rußland ans Licht gebracht worden. Sie alle zeigen mit verhängnisvoller Einförmigkeit, daß sich die Regierung Frankreichs zwischen 1904 und 1914 der gefährlichen Politik des Petersburger Hofs hingab. So außerordentlich diese Enthüllungen sind, die Welt hat beinah« nichts von ihnen gehört. Voll Nachsicht gegen Frankreich nahmen wir sie mit Stillschweigen hin. Aber die heutig« Regierung Frankreichs treibt Europa zur Verzweiflung durch Ansprüche, gegründet auf vergewaltigte Unschuld. Nichts kann geschehen, um Frankreich zur Vernunft zu bringen, bis die Wahrheit bekannt ist und bis seine Regierung weih, daß sie bekannt ist. Frankreich ist ein verwöhntes Kind, ein gefährlich verwöhntes; es muß an seine Delcassös, seine Millerands, seine Poincarös erinnert werden."
Die Mark- und Wirtschaftskrise
Was geschieht zur Rettung?
Ihr Mitarbeiter hatte eine Unterredung mit dem Letter einer bekannten deutschen Großbank. Mein Grwäbrsmlvui
iaUe: me enutsche OesfsncUchkett scheint sich noch kein richtiges Bild zu machen von dem, was uns bei einem Dollarkurs von 1100 beoorstehi. Das Trostlose an den Währungsstürzen ist, daß sich die Mark nicht etwa wieder entsprechend erholt, wenn dir Gründe des letzten Schreckens wegfallen. Also wenn wir auch auf irgend eine Weise zu einer Zahlungsfrist kommen, bleibt doch wahrscheinlich mindestens die Grundlage 1000 Mark gleich 1 Dollar bestehen. Dc-se Tatache birgt einen Zusaminenbruch in sich für die deutsche und ür die europäische Äurtichait. Nur wenige deutsche Jndu- trtezweige haben den Auslandsmärkten gegenüber eine olche Stellung, daß Entwicklung und Geschäft unabhängig von der deutschen Währung gesichert wären. Für die meisten Arten der Ausfuhrindüstris wird jetzt, wo der geringste Abschluß mit dem Ausland Riesensummen erfordert, die Frage der Beschaffung der Rohstoffe so heikel! werden, daß man bezüglich der Zukunft die ernstesten Besorgnisse hegen »muß. Die Umsatzmeng« dürfte bei diesen Industriezweigen schwerlich aufrecht erhalten werden. Das Kapital wird immer knapper, die Rohstofseinkäuf- im Ausland immer schwieriger. Die hohe Konkurrenzfähigkeit Deutschlands auf dem Weltmarkt, das „Dumping", das die Engländer so sehr fürchten, wird sich nicht mehr geltend machen. Wir können den Vorsprung der Valuta nicht ausnützen. Wir werden „ungefährlich , weil wir nicht mehr im Ausland einkaufen können. Also Rückgang von Einfuhr und Ausfuhr.
Wie soll es aber erst mit den Gewerbezweigen werden, di« für den innerdeutschen Markt arbeiten? Jede neue Welle der Geldentwertung entzieht dem heimischen Markt eine Anzahl Käufer. Die Massen vcrel-ndcn nun wirklich, aber nicht durch ein „ehernes Lohngesetz", nicht durch die Eigensucht der Arbeitgeber, sondern durch das Gift der Geldentwertung. Ihre Kaufkraft sinkt von Tag zu Tag. Zu der Kreditnot der Industrie tritt also für die Zukunft auch noch die weitere Gefahr der inneren Absatzkrise.
In Jndustriekreisen lieht man diele Entwicklung schon seit einiger Zeit voraus. Aber man hat sich nicht überall vernünftig und weitblickend darauf eingestellt. Vielmehr sind im Anschluß an den Markzulammenbruch Arten der Berechnung eingerissen, dis nicht nur jede Rücksicht auf den Verbrauch vermissen lassen, sondern m einer Art Preistaumel schon weitere Preissteigerungen der Devisenkurse vorwegnehmen, die noch garnicht eingetretsn sind. Daß dadurch auch rückwirkend tue Devisenkurse stärker Hinaufgetrieben werden
.on ohnehin infolge der politischen Nacken-
weiteres verständlich, zumal da s den Boden der Papiermarkberechnung auch im 'Inland verlassen hat, immer stärker mit Devisen vollsaugt, um den endgültigen Staatsbankrott mit Goldmitteln überdauern zu können!
Gegen diese Art von Devisenspekulation ergeht jetzt der Nus nach außerordentlichen Zwangsmaßnahmen. Das Reichsfinanzministerium hat bereits mit maßgebenden
.cht,
sneri sich durchaus mit der vorhandenen Organisation der '"ußenhandelsüberwachunz durchführen lassen. Die Ursache »r heutigen Markverwüstung ist eine durchaus politi- ch«. Die Verantwortung trägt dis Regierung Poin- arö. Deshalb erscheinen auch in deutschen Finanzkrei- en dt« politischen Schritte, die der Reichskanzler gegen den äSahnsinn des französischen Entschädigungsseldzugs unter- immt, als die einzig richtigen und möglichen, soweit sich rhaupt noch eine Rettung ausdenken läßt. —er.
„Unmittelbare Verhandlungen"
Berlin, 20. August. Die Ankündigung einer besonderen Nbordnung der Entschädigungskommission, unter Führung des Engländers Bradbury, zur Anbahnung einer unmittelbaren Verständigung über die Entschädigungszahlungen hezw. die Stundung und zum Stadium der Lage Deutschlands wird hier günstig ausgcmmunen, nachdem die Londoner Konferenz völlig versa- -i. Auffallend und v eracht i g ist nur, daß die P> . r Presse von einem Tag z . andern plötzlich ihre Meinung geändert hat und mit erstaun- ichem Eifer für die „unmittelbare Verständigung" mb Deutschland (unter Beiseiteschiebung Englands) cintritt; einzelne Blätter befürworten geradezu eine „Gefühlspolitik (!) )ie Frankreich Deutschland gegenüber betreiben soll. Do- ariser Hetzblatt „Libre Parole" schreibt: „Wir (Franzose. / yaben Erz, Ihr (Deutschen) habt Kohle, in das Kali teilen mir
zenommen; die öffentliche Meinung in Frankreich sei laraus vorbereitet. — Die „ganz neue Wendung" ist unts, allen Umständen verdächtig.
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Kbei