(Enztalbote)

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Druck der Buchdruckerei Wildbader Tagblatt; Verlag und Schristleitung Th. Gack in Wildbad.

Nummer 157

Fernruf 179

Tagesspiegel

Im Rechtsausschuß des Reichstags beantragte das Zen­trum, die Schuhbeslimmungen des Ausnahmegesetzes auch auf Reichs- und Landtagsabgeordnete auszudehnen.

Die Reichstagsfrakkionen des Zentrums und der Demo­kraten haben bei der Deutschen Volkspariel schriftlich ange­fragt, ob sie unter der Voraussetzung, daß gegen die Wei­marer Verfassung und die Republik nicht gearbeitet werden dürfe und daß der Reichsregierung die zum tatkräftigen Schutz der Republik erforderlichen Machtmittel gewährt wer­den, zu einer Beteiligung an der Regierung bereit wäre. Die Anfrage bezweckt die Erweiterung der Regierungskoa- lition für die Annahme des Schuhgesehes.

In Zwickau (Sachsen) sind bei dem Aufruhr am Diens­tag nach amtlicher Mitteilung 14 Personen getötet und etwa 70 verwundet worden.

Die vermeintlichen Mörder des Feldmarschalls Wilson Lonnelly und Brien sind wieder ln Freiheit gesetzt.

Die Deutsche Volkspartei hat aus die Anfrage sich grund­sätzlich zum Beitritt bereit erklärt.

Wochenrundschau

Vor reichlich vierzehn Tagen waren die Berliner Blätter voll von der Krise, in der sich die Reichsregierung befinde wegen des Gesetzes über die neue Getreideumlage. Wir kühleren Neichsprovinzler glaubten nicht daran. Und siehe da, die angeblich so gefährliche Klippe ist vom Reichs­schiff umsegelt worden. Die drei Regierungsparteien, ver­stärkt durch die 61 Stimmen der Unabhängigen, haben im 'Reichstag der Vorlage glatt zum Sieg verholfen, wie es vorauszusehen war. Nach dem Gesetz werden also von heu­riger Ernte 2^ Millionen Tonnen Getreide trotz der gleichen Zahl ein verhältnismäßig größerer Teil der Ernte, als im Vorjahr, weil der diesjährige Ernteertrag' voraus­sichtlich geringer sein wird von der öffentlichen Hand er­faßt; landwirtschaftliche Betriebe bis zu 5 Hektar Getreide­anbaufläche bleiben von der Umlage befreit, bei größeren Betrieben sind 2 Hektar frei. In den ersten vier Monaten nach dem 15. August ist mindestens ein Drittel der Umlage abzuliefern, und zwar ist dafür ein Grundpreis von 345 Mk. für den Zentner Roggen und 370 Mk. für den Zentner Weizen festgesetzt. In der Folgezeit wird für den Rest in zwei Zeitabschnitten bei der Preisbestimmung die jeweilige Veränderung des Weltmarktpreises mit der Maßgabe be­rücksichtigt, daß der Grundpreis der ersten Ablieferung als Richtpreis gilt. Das ist so zu verstehen, daß der Grundpreis der ersten Ablieferung sich im zweiten und dritten Abliefe­rungsabschnitt entsprechend erhöht, wenn in dieser Zeit der Weltmarktpreis in die Höhe geht, und daß er sich ent­sprechend vermindert, wenn (was allerdings kaum zu er­warten ist) der Weltmarktpreis sich inzwischen senken sollte. Es braucht nicht gesagt zu werden, daß der Ansangsgrund­preis unsres Umlagegetreides wesentlich niedriger sein wird, als der mutmaßliche Weltmarktpreis, denn sonst würde man die Umlage überhaupt nicht gemacht haben.

Mit dieserKrise" war es also nichts. Dagegen hat sich eine andere entwickelt, die damals allerdings auch die Ber­liner Presse nicht ahnen konnte. Inzwischen ist nämlich am 24. Juni der verbrecherische Mord an dem Reichsminister Rathenau begangen und in dessen Folge am 26. Juni eine scharfe Ausnahmeverordnung des Reich '-Präsiden» ten zum Schutz der Republik veröffentlicht worden. Gemäß dem Wort des Reichskanzlers Dr. Wirth im Reichstag: Der Feind steht rechts!" und der ausdrücklichen Versicherung des Reichsjustizministers Dr. Radbruch ist diese Ausnahmeverordnung ausschließlich gegen diejenigen Volksteile gerichtet, die Anhänger der alten monarchischen Staatsform sind. Diese Verordnung soll nun auf das Drängen der Linksparteien die Form eines Gesetzes auf die Dauer von fünf Jahren erhalten, und zwar soll sie zu- gleich so außerordentlich verschärft werden, daß z. B. auf eine ganze Reihe von Handlungen die Todesstrafe ge­fetzt ist, und daß selbst die Verunglimpfung früherer und verstorbener Rsgierungsmitglieder aus republikanischer Zeit mit schweren Strafen belegt wird. In Verbindung mit diesem Ausnahmegesetz, das als solches eine Verfassungs- Änderung darstelli und daher von den beiden gesetzgebenden Körperschaften Reichsrqt und Reichstag mit Zweidrittel. Mehrheit angenommen werden muß, um rechtswirksam zu sein, hat die Reichsregierung das sogenannte Amnestie- LLjetz etngehrgcht, dys den Lyn den güßerorhenslichen Ge-

Wildbad, Samstag, den 8. Zuli 1922

richten wegen des Kommunistenaufstands an Ostern vorigen Jahrs Verurteilten Straferlaß geben soll.

Es war naheliegend, daß Gesetze von solch einschneiden­der Bedeutung auf Widerspruch stoßen werden. Die bayerisch eRegierung und die bürgerliche Land­tagsmehrheit haben sieganz entschieden abgelehnt, auch die württembergische Regierung glaubte ohne wesent­liche Abänderung demSchutzgesetz" nicht zustimmen zu können. Der Reichskanzler berief nun die Ministerpräsi­denten zu einer Besprechung nach Berlin und nach einer zweitägigen Auseinaildersetzung soll eine Uebereinstimmung erzielt worden sein. So meldete der halbamtliche Telegraph. Das ist aber nicht wahr gewesen. Gr af Lerchenfeld kehrte, wie die bayerischen Blätter gleicher maßen berichteten, verstimmt nach München zurück. Im Ministerrat teilte er mit, daß er in Berlin den bayerische Standpunkt festgehalten habe, und daß einige der Herren Kollegen also wohl Württemberg ihm beigetreten seien, ober er sei über­stimmt worden. Der Ministerrat beschloß einstimmig, von der bayerischen Linie nicht abzugehen, und die bürgerlichen Landtagsparteien erklärten, daß sie geschlossen hinter der Regierung stehen.

So kam nun die Schutzvorlage zu beschleunigtem Ver­fahren vor den Reichsrat. Es wurde gemeldet, daß das Gesetz mit 48 gegen 18 Stimmen (Bayern und eine Reihe preußischer Provinzen), also mit der erforderlich«, Zwei- Lrittelsmehrheit angenommen worden sei. In Berichtigung einer Meldung derSüddeutschen Zeitung", daß der Stimm­führer der württ. Vertretung (vier Stimmen), der württ. Gesandte Hildenbrand, im Reichsrat im Gegensatz zu seiner Anweisung aus Stuttgart für Las Gesetz gestimmt habe, erklärte die württembergische Regierung, daß sie zwar nicht den Auftrag erteilt habe, gegen das Gesetz zu stimmen, aber verschiedene Abänderungsanträge sollten gestellt werden. Ob Hildenbrand diese Anträge ge­stellt hat, ist aus der Regierungserklärung nicht ersichtlich; es scheint nicht der Fall gewesen zu sein. Dann würde aber das Abstimmungsbild eine wesentliche Veränderung erfahren.

Den Linksparteien geht das Schutzgesetz aber noch nicht weit genug, und um ihren Forderungen Nachdruck zu verschaffen, veranstalteten die drei sozialistischen Parteien im Verein mit den freien Gewerkschaften am 4. Juli große Kundgebungen zum Schutz der Republik. So­gar die Eisenbahnzüge mußten auf Anordnung des Reichs­verkehrsministers G r ö n e r zu einer bestimmten Stunde eine gewisse Zeit stille stehen, wo sie sich auch befinden mochten. Die Geschäftsbetriebe wurden geschlossen, vielfach wurde die Schließung allerdings erzwungen. Im großen und ganzen sind aber die Kundgebungen in Ordnung ver­laufen. Nach und nach werden indessen auch viele höchst bedauerliche Ausschreitungen bekannt, die trotz der dringenden Warnung der leitenden Stellen vorgekommen sind. In der sächsischen Stadt Zwickau haben die Kom­munisten das Heft in die Hand bekommen, und die staatliche Schutzpolizei mußte nach blutigem Kampf aus Befehl der sächsischen Regierung das Feld räumen. Aehnlich ist es in ganz Thüringen, wo in den Gemeinden gemeinsame Kontrollausschüsse der drei sozialistischen Parteien als Verwaltungsbehörden gebildet wurden und ein gleicher Oberausschuß die Landesregierung in die Hand nehmen soll.

Es mag sein, daß die Reichsregierung sich den Schutz der Republik nicht gerade so gedacht hat, aber vom Standpunkt der sozialistischen Parteien, deren Ziel der proletarische Klassenstaat ist. läßt sich gegen die thüringische Methode nichts einwenden. Mögen sie es einmal versuchen. Im Reichstag, dem das Schutzgesetz jetzt zur Beschlußfassung vorliegt, wird man das Für und Wider über den Versuch ja wohl zu hören bekommen. Peinlich ist dagegen die Tat­sache, daß in Köln von den Teilnehmern der Kundgebung die englischen Truppen, die die deutsche Schutzpolizei bei den Ordnungsmaßnahmen unterstützten, in Zusammen­stößen am Dom und am Hauptbahnhof angegriffen und mit Flaschen und Pflastersteinen bervßrfen wurden. Die Eng­länder gingen darauf rücksichtslos mit den Waffen vor und die unbesonnenen Leute werden ihre -Torheit schwer zu büßen haben, denn in solchen Dingen verstehen die Eng­länder keinen Spaß. Es wird aber auch an politischen Un­annehmlichkeiten nicht fehlen.

Das ist um so bedauerlicher, als das englische Militär der Besetzung sich immer anständig benommen hat. Als der bei Deutschland verbleibende Teil Oberschlesiens anfangs dieser Woche endlich von der feindlichen Besatzung er­löst wurde, da winkte die deutsche Bevölkerung den ab-

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57. Jahrgang

ziehenden englischen und italienischen Truppen noch mit Tücherfchrvenken Abschiedsgrüße nach. Herzlich war auch der Abschied von den einzelnen Offizieren und Soldaten der beiden Truppenkörper. Die Franzosen hingegen wagten sich in den letzten Tagen ihrer Schreckensherrschaft einzeln oder in kleiner Zahl gar nicht mehr auf die Straße, die Herren Offiziere sah man nur nochin Zivil", und nicht wenige von ihnen reisten zivil voraus. Die Franzosen konnten es sich aber nicht versagen, zuin Schluß noch in Gleiwitz, Beuchen, Ratibor, Hindenburg und an anderen Orten den Deutschen der Zivilbevölkerung natürlich bewaffnete Polenbanden auf den Hals zu Hetzen und sich selbst mit Vergnügen an der Hetzjagd zu beteiligen. In solchen Fällen, da sind sie KriegsheldenI Als es in Peis- kretscham zum Städtele naus ginF da fiel von ungefähr ein Schuß, vielleicht war's eine polnische oder französische Flinte. Flugs brachten die französischen Helden ihre Revolver­kanonen in Stellung und schossen drei Stunden lang wie toll in den Straßen herum. Nur sechs deutsche Zivilisten sind totgeschossen und einige Häuser sanken in der Schlacht in Trümmer. Man sollte sie eigentlich nacy französischem Muster als Sehenswürdigkeit liegen lassen.

Trotz des Londoner Verdunfestes und trotz der Behaup­tung Poincares, Frankreich habe für den Wiederaufbau des Kriegsgebiets bereits 90 Milliarden Franc» auf- gewendet in London spottete man mit Recht über diese Aufschneiderei, liegen in Frankreich die ineisten Ruinen noch so, wie sie vor vier Jahren gelegen haben. Aber jetzt soll Ernst gemacht werden. Mit den Ruinen nicht, kein« Spur. Aber etwa 20 000 deutsche Arbeiter sollen auf 10 Jahre zur Fronarbeit aufN e p a r a t i o n s- >kont o" nach Frankreich transportiert werden, um Flußläufs zu verbessern, Eisenbahnen zu bauen und Tunnel» zu graben, vielleicht auch den nach England hinüber. Um den reißen­den Rhonestrom einzudämmen, braucht Poincm's z. S. 12 0VV deutsche Arbeiter, die bei Mündiger Arbeitszeit in 10 Jahren 1,2 Milliarden Francs auf Kosten Deuffchlanü», versteht sich verdienen sollen. Rechnet man die Gehälter der zahllosen leitenden französischen Ingenieure, Werksleiter. Vorarbeiter usw. ab und berücksichtigt die Entwertung des Francs, so käme auf den deutschen Arbeiter ein Tagesver­dienst von höchstens 5 Francs oder 4 Mark alter Währung, Eine ganz verlockende Aussicht, nicht wahr?

Daneben halten aber Pomcarö und die Pariser Kriegs­partei immer noch an dem Plan fest, das Rheinland dauernd zu besetzen. Der Münchner Prozeß gegen den Erzlumpen Leoprechting, der zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt wurde, hat die Machenschaften der französischen Politik geradezu in bengalischer Beleuchtung er­strahlen lassen. So ein Nichtsnutz, der sich von der Reichs­regierung in die rechte Hand 46 000 Mk. drücken läßt, um für die Neichseinheit" in Bayern wirken, und in die linke die 50 000 Mk. französischer Schmiergelder für die Los­trennung Bayerns vom Reich nimmt, das war ein Mann für den Herrn D a r d, den französischen Gesandten in München. Und solcher Art sind die Dorten, Smeets und wie sie alle heißen, die Helfershelfer des Erbfeinds. Die Gelegen­heit ist günstig. Es ist gelungen, die deutsche Mark so zu stürzen, wie noch nie; sie ist jetzt noch 0,78 Pfennig wert. Mit einer so entwerteten Mark lassen sich die entsprechend im Preis gestiegenen fremden Gelder, mit denen wir den Kriegstribut mit vorläufig allmonatlich 50 Millionen Gold­mark (fast 5^4 Milliarden Papiermark) bezahlen müssen, nicht mehr kaufen und die Rohstoffe für die Ausfuhrindustrie kaum mehr in ausreichendem Maß beschaffen. In dieser Zwickmühle wollte Poincare das Deutsch« Reich haben: das ist für ihn der Boden, wo dieSanktionen" blühen. Ohne allen Zweifel hat das Großkapital in Frankreich und anders­wo das Hauptverdienst an der neuen Markentwertung, die für Deutschland ganz unabsehbare Folgen des Unheils neben der unmittelbaren Lebensmittelverteuerung haben wird. Darum ruft die Presse in Frankreich und diejenige des edlen Northcliffe in England: Die Deutschen wollen betrüge­rischen Bankrott machen, um sich ihrer Schulden zu entledigen; holt, was noch zu holen ist!" Es mag wohl sein, daß nichtsnutzige Spekulanten in Deutschland im fro^ liehen Verein mit dem feindlichen Großkapital wissentlich oder unwissentlich arbeiten, aber das Gezeter über den betrügerischen Bankrott" kann über die Schuld und Absicht der eigentlichen Urheber nicht hinwegtäuschen. Sie ist ein Rüstzeug der Politik, die zielbewußt auf den Untergang Deutschlands hinarbeitet und zum mindesten dar linke Rheinufer französisch Mchen will,

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