(Enztalbote)
Amtsblatt für W'^bad. Chronik und Anzeigenblatt
für das obere Enztal.
Erscheint täglich, ausgenommen Sonn-«. Feiertags. Bezugspreis monatl.Mk. 15.—, vierteljährl. Mk. 45.— frei ins Haus geliefert; durch die Post bezogen im innerdeutschen Verkehr 48.— einschl. Postbestellgeld. Einzelnummern 75 Psg..: Girokonto Nr. SV bei der Oberamtssparkasse Neuenbürg, Zweigstelle Wildbad. Bankkonto: Direktion d. Discontoges., Zweigst. Wildb. Postscheckkonto Stuttgart Nr. 29174.
Anzeigenpreis: Me einspaltige Petitzeile oder deren Raum Mk. 1.50, auswärts Mk, 2.00. :: Reklamezeile Mk. 5.—. Bei größeren Aufträgen Rabatt nach' Tarif. Für Offerten u. bei Auskunfterteilung werden jeweils 1 Mk. mehr berechnet. Schluß der Anzeigenannahme : täglich 8 Ilhr vormittags. :: In Konkurs- fällen oder wenn gerichtliche Beitreibung notwendig wird, fällt jede Nachlatzgewährung weg.
Druck der Buchdruckerei Wildbader Tagblatt; Verlag und Schriftleitung Th. Gack in Wildbad.
W
-
Num r er 112
Fernruf 179
Wildbad, Montag, den 15. Mai 1922
Fernruf 179
57. Jahrgang
Tagesspiegel
Reichssinanzminisier Hermes ist nach Paris abgsrcisi.
Der österreichische Ainanzmknister wurde ermächtigt, zur Deckung des Staaksfehlbelrags 120 Milliarden Kronen durch „krediioperationen" zu beschaffen.
Die französisches Abordnung in Genua wird sich an der Beantwortung der letzten Note der Lowjetvertreter nicht beteiligen.
Das griechische Kabinett Gunaris ist zurückgetreten.
Meder ein Stück der Wahrheit naher
Am 11. Mai ist vor einem Schöffengericht in München ein Urteil gefällt worden,- dessen ungeheure Bedeutung jetzt, wo alle Welt nach Genua schaut, nicht vollgülig erfaßt wird. Wir meinen den Prozeß F e ch e n b a ch.
Freigesprochen wurden die Schriftleiter Coß- m ann_. („Süddeutsche Monats';:fte"), Emanuel Müller („Münchener Neueste Nachrichten") und Oskar Huber („Bayrischer Kurier"), während der Privatkläger Fschenbach die Kosten des Verfahrens gegen diese drei freigesprochenen Angeklagten zu tragen hat. Nur Dr. Adelmaier („Das bayrische Vaterland") wurde zu einer Geldbuße von'500 -R verurteilt, weil das Gericht bei ihm „die Absicht einer Be-
Mubts.
Und -nun, um was yänoelte es sich? Fechenoach war seinerzeit Sekretär des bayrischen Ministerpräsidenten K u r t Eisner, der am 18. Novmeber 1918, also 10 Tage nach Ausbruch der bayrischen Revolution, den wichtigen angeblichen Lerchenfeld'schen, in Wahrheit Schön'schen Gesandtschaftsbericht vom 18. Juli 1914 ohne Wissen und Wollen der Berliner Volksbeauftragten veröffentlicht hatte, und zwar derartig verstümmelt, daß gerade die Hauptstellen unterdrückt wurden. Diese betrafen die dringende Mahnung der Berliner Reichsregierung von 1914, daß Wien den Streitfall wegen des Mordes von Serajewo aus Serbien beschränken und jede Mobilmachung unterlassen solle. Durch die absichtliche Weglassung dieser wichtigsten Stelle hat Eisner den Sinn der Berliner Anweisung ins Gegenteil verkehrt. Der so gefälschte Bericht wurde sofort von der feindl. Presse gegen Deutschland ausgeschlachtet. Die Reichsregierung protestierte gegen die Fälschung. Der Reichskanzler a. D. Beth- mann-Hollweg ebenfalls. Hast alles nichts. Die in Paris eingesetzte „Kommission für die Feststellung der Verantwortlichkeit der Urheber des Krieges und dis auszunehmende Sühne" verwendete ihn in ihrem Bericht vom 29. März 1919. Daraus wurde der Schuldspruch des Ultimatums vom 16. Juli 1919 hergestellt. Und dieser Spruch fand seinen Ausdruck im Artikel 231, dem Angelpunkt des ganzen Versailler Vertrags.
Kleine Ursachen — große Wirkungen. Wiederholt kämpften die „Süddeutschen Monatshefte" und die „Münchener Neuesten Nachrichten" gegen diese Fälschung an. Letzten Sommer veröffentlichten diese und andere Blätter nicht nur das unverkürzte Schön'sche Aktenstück, sondern noch weitere, bis dahin unveröffentlichte Dokumente. Namentlich war es Dr. Dirr, bayerischer Archivdirektor und Landtagsabgeordneter, der schonungslos diese Fälschungen Eisners enthüllte. Ganz besonders belastend ist ein Telegramm, das der Deutschamerikaner D. Herron am 17. Nov. 1919 an Joffe und Eisner gerichtet hat und in welchem es heißt:
„Vor allem rate ich Ihnen dringend, möglichst viele deutsche Skaten zu überzeugen, Ihrer Führung zu folgen. Zweitens die ersten Schritte zu einem vollen und offenen Bekenntnis der Schuld und Untaten der deutschen Regierung am Anfang des Kriegs und an den Grausamkeiten der Kriegsführung zu unternehmen. Die moralische Wirkung einer Elchen Handlung wäre gewaltig und entscheidend.
Leider Gottes gab es auch andere derartige Dunkelmänner, die Eisner in seinem lande-verräterischen Vor- haben bestärkten. So der damalige bayrische «Finanz- minister" Iaffe, weiterhin der bekannte Sozmüstsn- Wrer Karl Kants kn. der die Knegsdokumente
herausgab und allerdings später'gegenteiliger Meinung wurde; dann Dr. Mäckle, Eisners Geschäftsführerin Berlin, und nicht zu vergessen: Bayerns Gesandter in der Schweiz, Professor Friedrich Wilhelm Förster. Von Maximilian Harden, dem Herausgeber der „Zukunft", ganz zu schweigen. —
Kurt Eisner war diesen schlimmen Einflüsterungen um so zugänglicher, als es ihm auf solche Weise gelingen konnte, Bayern vom Reich los zu trennen. Und wenn es nicht so weit kam, so verdankt man das, was hier zu ihrer Ehre gesagt sein muß, dem männlichen Widerstand der damaligen sozialistischen Reichsregie- runa, die an der geschlossenen Reichseinheit zähe ft schielt.
Was nun den Prozeß selbst betrift, so hatte Feiste n b a ch einen sehr schweren Stand. Alles, was er zu seiner Rechtfertigung vorbrachte: einen angeblichen Brief an Eisner, der beweisen sollte, daß die deutsche ' Reichsregierung chen Inhalt des österreichischen Ultimatums an Serbien lange zuvor genau gekannt habe, das Vorbringen, als sei Eisner der Tragweite seiner „Bearbeitung" nicht bewußt gewesen, der Hinweis aus Bismarck, der 1870 die Emser Depesche „gekürzt" hätte, ohne daß dies ihm als landesverräterische Fälschung angerechnet worden sei — alles dies war so schwach, daß die Verteidigung, und besonders die beiden Sachverständigen, Professor Caro- Halle und Dr. Fried- rich Thimme, ein leichtes Spiel-hatten. Ja, Fe- chenbach wurde so sehr in die Enge getrieben, daß er sich zu dem Bekenntnis verstehen mußte:
„Ich bin überzeugt, daß, wenn Eisner die deutschen Akten noch erlebt hätte, die nach seinem Tode veröffentlicht wurden, er seine Auffassung über die Alleinschuld Deutschlands am Kriege höchstwahrscheinlich geändert.hätte, und ich für meine Person erkläre, daß ich die Auffassung von unserer Alleinschuld am Kriege nicht mehr habe."
Wir gehen noch einen Schritt weiter. Es handelt sich nicht bloß um die Frage der „Alleinschuld" — sie existiert überhaupt für keinen Deutschen —, es handelt sich um die „Schul d" überhaupt, um die Schuld im rechtlichen und moralischen Sinne. Auch die müssen wir ablehnen. Das hier auszuführen, fehlt der Raum.
Aber auch der erstere Fall genügt, um den Versailler Vertrag rechtlich aus den Fugen zu heben. Und das ist durch den Prozeß Fechen- bach geschehen. Dabei berufen wir uns auf keinen Geringeren als Po in care. Der schrieb am 27. Dez. 1920 im „Temps":
„Was in den Augen der ganzen Menschheit die französische Forderung rechtfertigt, das ist nicht der Ausgang der Feindseligkeiten, sondern allein der Ausgangspunkt des Kriegs ... Wenn tatsächlich nicht die Mittelmächte es sind, die den Krieg hervorge- rusen haben, warum sollten sie dazu verurteilt sein, dessen Schulden zu bezahlen? Eine geteilte Verantwortlichkeit, schließt sie nicht immer mit Fug und Recht die Teilung der Kosten in sich? Man teile also die Kosten, wenn Deutschland Entschuldigungen hat!" V?. 14.
Der Meistersälscher
Spion Anspach und die Enkenle
AuS Berlin wird uns geschrieben:
Der Treppenwitz der Weltgeschichte treibt wunderliche Blüten. Seit Zahr und Tag wird die deutsche Regierung von Enkenkenoten bombardiert, in denen ihr Verfehlungen gegen den Versailler Vertrag, Mobilmachungsgelüste, Verheimlichungen militärischer oder wirtschaftlicher Art vorgeworfen werden. Seit Zahr und Tag bemühen sich unsere Remter, den Unsinn dieser Anschuldigungen nachzuweisen. Und jetzt erst stellt sich heraus, daß das Anklagematerial der Verbündeten zum allergrößten Teil auf den Fälschungen eines einzigen Spionage-Hochstaplers beruht. Dieser Fälscher heißt Erich Anspach. Er ist der jüngste Sohn eines wegen Trunksucht und sittlicher Verfehlungen aus dem Amt entlassenen westfälischen Pfarrers. Also vielleicht schon von Haus aus seelisch belastet. Mit 12 Zähren brennt der Zunge nach Brasilien durch, kehrt zurück, besuch! das Gymnasium bis zum Einjährigen, macht den Krieg mit, wird verwundet, und entdeckt in der Muße des Lazaretts eine gewisse schriftstellerische Begabung von sein gefährlicher Sorte: Er übt sich im Fälschen von Pfandscheinen, Abilurientenzeugnissen, E? Matrikeln und Doktor - titeln. Er selbst wird Dr mxis gar, angeblich von einer bol
schewistischen Universität durch Vermittlung des Berliner Sowjelvertreters Viktor Ko pp peinlichen Angedenkens.
Der kaum zwanzigjährige Anspach hatte mündlich auch eine politische Laufbahn begonnen: Beteiligung an der Revolution, Eintritt in eine kommunistische Organisation, Verhaftung wegen Landesverrats, Zrrenanstalt, dann ein Redaktionsstuhl in der unabhängigen .Freiheit', endlich, wie das unsere wogende Zeit nun einmal soweit mit sich bringt, Verbindung mit Behörden, wobei man sich den Anschein geben kann, etwas zu sein. Dr. jur. Erich Anspach nannte sich jetzt Ministerial-Asseffor und verlegte sich aufs Fälschen von Spionagen-Derichken. Zn der Finnischen Gesandtschaft, wo sein Schwager angestellk ist und wohnt, fand er ein stilles Asyl, wo er ungestört mit Gummistempeln und erfundenen Ämtsbriefbogen hantieren konnte. Niemand will dort eine Anhnung gehabt haben von der politischen Viftfabrik, die der junge Anspach betrieb.
Er erfand nun zahllose Berichte und Geheimschreibe« von allen möglichen Mimsterien, Militärbehörden und Amksstellen, die er durch Bestechung oder Entwendung erhalten haben wollte, und aus denen allerhand trübe Machenschaften der angeblichen deutschen Rachepolittk und Widerspenstigkeit hervorgingen. ES verrät bei aller geistigen und moralischen Verkommenheit auch ein gewisses Talent, wenn er ganze Kabinettssitzungen der-deutschen Reichsregre- rung mit langen Reden Eberts, Wirths und Rathenaus ersann und seinen Abnehmern, den Ententekommissionen und dem polnischen Konsulat in Berlin, lieferte. Kein Wort von diesenP Han tasten war wahr. Anspach übertrieb und log auch nicht wegen des klingenden Judaslohns, sondern aus Abenteuersucht und in einem förmlichen Rausch von Größenwahn. Verriet er sich doch schließlich selbst bei einer Zecherei in einem Weinrestaurant ..als Lenker der Geschicke des Deutschen Reichs'. Das Krankhafte guckte ihm aus allen Knopfiöchern.
Sollten die Abnehmer seiner eigentümlichen Geheimberichte nichts gemerkt haben? Diqse Frage führt auf einen sehr ernsten Punkt unserer politischen Aäuber- geschichte. Die Berichte des Herrn Minijkerial-AffessorS Dr. Anspach waren nämlich so ungeheuerlich in ihren Erfindungen, so lächerlich in ihren Behauptungen, so leicht auf ihre Unechtheit nachzuprüfen, daß der Verdacht berechtigt ist: Die Abnehmer wußten um die Fälschung! Sie wollten nicht nachprüsen. Sie waren nicht guten Glaubens, als sie ihre Drangsalierungen Deutschlands auf dieser Agenkenarbeit aufbauten. Die Fälschungen deS bayerischen Aevolutionsdikkakors Eisner haben zum Schuldbekenntnis Deutschlands im Versailler Vertrage geführt. Die Fälschungen dieses Hochstaplers Anspach haben ein übriges getan. Sie haben mikgeholfen, die politische Lage Deutschlands künstlich zu verschlechtern. Zn beiden Fällen waren die tollen Verleumdungen den Siegern, was man sagt, ein gefundenes Fressen. Sie haben nicht Len Finger gerührt, die Fälschungen aufzudecken.
An der deutschen Diplomatie liegt es nun, die Eittsar- vung durchzuführem Kürzlich im Münchener Fechenvach- prozeß haben die politischen Behörden mit ihrer Zurückhaltung und ihren Aussageverboten kein Meisterstück geliefert. Zm Prozeß gegen den Abenteurer Anspach muß aber endlich etwas Aufklärendes geschehen, sonst bleibt die Lüge Siegerin und die Sieger lügen weiter.
Die Verteilung des Erdöls
Zwischen der englisch-holländischen Erdölgesellfchaft und der amerikanischen Standard-Oel-Gesellschaft ist ein Abkommen getroffen worden, daß die Erdölfelder des Kaukasusgebiets und in Mesopotamien zwischen den beiden Gesell- schäften je hälftig geteilt werden. Zusammen mit ihrem sonstigen Besitz in den Vereinigten Staaten, Mexiko, Persien und Rumänien besitzen diese Gesellschaften nun den weitaus größten Teil aller Quellen der Erde und beherrschen damit den Weltmarkt vollständig. Die amerikanische Gesellschaft teilt weiter mit, daß sie sofort nach dem Ausbruch des Kriegs mit der Nobel-Gesellschaft Verhandlungen über den Ankauf von deren Erdölquellen in Rußland mit dem Erfolg angeknüpft habe, daß bis 1920 die Hälft« dieser Anlagen in gemeinsamen Besitz überführt worden sei.
Diese Angaben sind außerordentlich interessant, denn sie lüften ein wenig den Schleier von dem Rätsel des Weltkriegs. Die Vereinigten Staaten und die Kreatur der Hochfinanz, Wilson, sind am Verlauf des Kriegs zwecks „Lö- sung der Erdölfrage" interessiert gewesen, und sehr wahrscheinlich hat auch bei dem englischen Bestreben, den deutschen Handelswettbewerb zu vernichten, die Sicherung des reichen Erdölgebiets in Mesopotamien, also auf türkischem Boden, eine viel größere Rolle gespielt, als man bisher gemeiniglich gewußt hat. Die Hochfinanz Englands glailb.e die beabsichtigte Inbesitznahme dieser Erdölquellen, auf die sie neben denjenigen in Persien längst ein Auge geworfen hatte, durch die deutsche Bagdadbahn bedroht, und vielleicht wäre bei den freundschaftlichen Beziehungen zwischen dem Deutschen Reich und der Türkei die Ausbeutung dieser unermeßlichen Boden-