(Enztalbote)

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Num r er 112

Fernruf 179

Wildbad, Montag, den 15. Mai 1922

Fernruf 179

57. Jahrgang

Tagesspiegel

Reichssinanzminisier Hermes ist nach Paris abgsrcisi.

Der österreichische Ainanzmknister wurde ermächtigt, zur Deckung des Staaksfehlbelrags 120 Milliarden Kronen durch krediioperationen" zu beschaffen.

Die französisches Abordnung in Genua wird sich an der Beantwortung der letzten Note der Lowjetvertreter nicht be­teiligen.

Das griechische Kabinett Gunaris ist zurückgetreten.

Meder ein Stück der Wahrheit naher

Am 11. Mai ist vor einem Schöffengericht in Mün­chen ein Urteil gefällt worden,- dessen ungeheure Be­deutung jetzt, wo alle Welt nach Genua schaut, nicht vollgülig erfaßt wird. Wir meinen den Prozeß F e ch e n b a ch.

Freigesprochen wurden die Schriftleiter Coß- m ann_. (Süddeutsche Monats';:fte"), Emanuel Müller (Münchener Neueste Nachrichten") und Oskar Huber (Bayrischer Kurier"), während der Privatkläger Fschenbach die Kosten des Verfahrens gegen diese drei freigesprochenen Angeklagten zu tra­gen hat. Nur Dr. Adelmaier (Das bayrische Va­terland") wurde zu einer Geldbuße von'500 -R ver­urteilt, weil das Gericht bei ihmdie Absicht einer Be-

Mubts.

Und -nun, um was yänoelte es sich? Fechenoach war seinerzeit Sekretär des bayrischen Ministerpräsidenten K u r t Eisner, der am 18. Novmeber 1918, also 10 Tage nach Ausbruch der bayrischen Revolution, den wichtigen angeblichen Lerchenfeld'schen, in Wahrheit Schön'schen Gesandtschaftsbericht vom 18. Juli 1914 ohne Wissen und Wollen der Berliner Volksbeauf­tragten veröffentlicht hatte, und zwar derartig ver­stümmelt, daß gerade die Hauptstellen unterdrückt wur­den. Diese betrafen die dringende Mahnung der Ber­liner Reichsregierung von 1914, daß Wien den Streit­fall wegen des Mordes von Serajewo aus Serbien be­schränken und jede Mobilmachung unterlas­sen solle. Durch die absichtliche Weglassung dieser wichtigsten Stelle hat Eisner den Sinn der Berliner An­weisung ins Gegenteil verkehrt. Der so gefälschte Be­richt wurde sofort von der feindl. Presse gegen Deutsch­land ausgeschlachtet. Die Reichsregierung protestierte gegen die Fälschung. Der Reichskanzler a. D. Beth- mann-Hollweg ebenfalls. Hast alles nichts. Die in Paris eingesetzteKommission für die Feststellung der Verantwortlichkeit der Urheber des Krieges und dis auszunehmende Sühne" verwendete ihn in ihrem Bericht vom 29. März 1919. Daraus wurde der Schuldspruch des Ultimatums vom 16. Juli 1919 hergestellt. Und dieser Spruch fand seinen Aus­druck im Artikel 231, dem Angelpunkt des gan­zen Versailler Vertrags.

Kleine Ursachen große Wirkungen. Wiederholt kämpften dieSüddeutschen Monatshefte" und die Münchener Neuesten Nachrichten" gegen diese Fäl­schung an. Letzten Sommer veröffentlichten diese und andere Blätter nicht nur das unverkürzte Schön'sche Aktenstück, sondern noch weitere, bis dahin unveröffent­lichte Dokumente. Namentlich war es Dr. Dirr, bayerischer Archivdirektor und Landtagsabgeordneter, der schonungslos diese Fälschungen Eisners enthüllte. Ganz besonders belastend ist ein Telegramm, das der Deutschamerikaner D. Herron am 17. Nov. 1919 an Joffe und Eisner gerichtet hat und in welchem es heißt:

Vor allem rate ich Ihnen dringend, möglichst viele deutsche Skaten zu überzeugen, Ihrer Führung zu folgen. Zweitens die ersten Schritte zu einem vollen und offenen Bekenntnis der Schuld und Untaten der deutschen Re­gierung am Anfang des Kriegs und an den Grausamkeiten der Kriegsführung zu unterneh­men. Die moralische Wirkung einer Elchen Hand­lung wäre gewaltig und entscheidend.

Leider Gottes gab es auch andere derartige Dunkel­männer, die Eisner in seinem lande-verräterischen Vor- haben bestärkten. So der damalige bayrische «Finanz- minister" Iaffe, weiterhin der bekannte Sozmüstsn- Wrer Karl Kants kn. der die Knegsdokumente

herausgab und allerdings später'gegenteiliger Meinung wurde; dann Dr. Mäckle, Eisners Geschäftsführerin Berlin, und nicht zu vergessen: Bayerns Gesandter in der Schweiz, Professor Friedrich Wilhelm Förster. Von Maximilian Harden, dem Herausgeber derZukunft", ganz zu schweigen.

Kurt Eisner war diesen schlimmen Einflüsterungen um so zugänglicher, als es ihm auf solche Weise ge­lingen konnte, Bayern vom Reich los zu trennen. Und wenn es nicht so weit kam, so verdankt man das, was hier zu ihrer Ehre gesagt sein muß, dem männlichen Widerstand der damaligen sozialistischen Reichsregie- runa, die an der geschlossenen Reichseinheit zähe ft schielt.

Was nun den Prozeß selbst betrift, so hatte Fe­iste n b a ch einen sehr schweren Stand. Alles, was er zu seiner Rechtfertigung vorbrachte: einen angeblichen Brief an Eisner, der beweisen sollte, daß die deutsche ' Reichsregierung chen Inhalt des österreichischen Ulti­matums an Serbien lange zuvor genau gekannt habe, das Vorbringen, als sei Eisner der Tragweite seiner Bearbeitung" nicht bewußt gewesen, der Hinweis aus Bismarck, der 1870 die Emser Depeschegekürzt" hätte, ohne daß dies ihm als landesverräterische Fälschung angerechnet worden sei alles dies war so schwach, daß die Verteidigung, und besonders die beiden Sach­verständigen, Professor Caro- Halle und Dr. Fried- rich Thimme, ein leichtes Spiel-hatten. Ja, Fe- chenbach wurde so sehr in die Enge getrieben, daß er sich zu dem Bekenntnis verstehen mußte:

Ich bin überzeugt, daß, wenn Eisner die deut­schen Akten noch erlebt hätte, die nach seinem Tode veröffentlicht wurden, er seine Auffassung über die Alleinschuld Deutschlands am Kriege höchstwahr­scheinlich geändert.hätte, und ich für meine Person erkläre, daß ich die Auffassung von unserer Allein­schuld am Kriege nicht mehr habe."

Wir gehen noch einen Schritt weiter. Es handelt sich nicht bloß um die Frage derAlleinschuld" sie existiert überhaupt für keinen Deutschen, es han­delt sich um dieSchul d" überhaupt, um die Schuld im rechtlichen und moralischen Sinne. Auch die müssen wir ablehnen. Das hier auszuführen, fehlt der Raum.

Aber auch der erstere Fall genügt, um den Ver­sailler Vertrag rechtlich aus den Fugen zu heben. Und das ist durch den Prozeß Fechen- bach geschehen. Dabei berufen wir uns auf keinen Ge­ringeren als Po in care. Der schrieb am 27. Dez. 1920 imTemps":

Was in den Augen der ganzen Menschheit die französische Forderung rechtfertigt, das ist nicht der Ausgang der Feindseligkeiten, sondern allein der Ausgangspunkt des Kriegs ... Wenn tatsächlich nicht die Mittelmächte es sind, die den Krieg hervorge- rusen haben, warum sollten sie dazu ver­urteilt sein, dessen Schulden zu bezah­len? Eine geteilte Verantwortlichkeit, schließt sie nicht immer mit Fug und Recht die Teilung der Kosten in sich? Man teile also die Kosten, wenn Deutschland Entschuldigungen hat!" V?. 14.

Der Meistersälscher

Spion Anspach und die Enkenle

AuS Berlin wird uns geschrieben:

Der Treppenwitz der Weltgeschichte treibt wunderliche Blüten. Seit Zahr und Tag wird die deutsche Regierung von Enkenkenoten bombardiert, in denen ihr Verfehlungen gegen den Versailler Vertrag, Mobilmachungsgelüste, Ver­heimlichungen militärischer oder wirtschaftlicher Art vor­geworfen werden. Seit Zahr und Tag bemühen sich unsere Remter, den Unsinn dieser Anschuldigungen nachzuwei­sen. Und jetzt erst stellt sich heraus, daß das Anklagemate­rial der Verbündeten zum allergrößten Teil auf den Fäl­schungen eines einzigen Spionage-Hochstaplers beruht. Dieser Fälscher heißt Erich Anspach. Er ist der jüngste Sohn eines wegen Trunksucht und sittlicher Ver­fehlungen aus dem Amt entlassenen westfälischen Pfarrers. Also vielleicht schon von Haus aus seelisch belastet. Mit 12 Zähren brennt der Zunge nach Brasilien durch, kehrt zu­rück, besuch! das Gymnasium bis zum Einjährigen, macht den Krieg mit, wird verwundet, und entdeckt in der Muße des Lazaretts eine gewisse schriftstellerische Begabung von sein gefährlicher Sorte: Er übt sich im Fälschen von Pfand­scheinen, Abilurientenzeugnissen, E? Matrikeln und Doktor - titeln. Er selbst wird Dr mxis gar, angeblich von einer bol­

schewistischen Universität durch Vermittlung des Berliner Sowjelvertreters Viktor Ko pp peinlichen Angedenkens.

Der kaum zwanzigjährige Anspach hatte mündlich auch eine politische Laufbahn begonnen: Beteiligung an der Re­volution, Eintritt in eine kommunistische Organisation, Ver­haftung wegen Landesverrats, Zrrenanstalt, dann ein Re­daktionsstuhl in der unabhängigen .Freiheit', endlich, wie das unsere wogende Zeit nun einmal soweit mit sich bringt, Verbindung mit Behörden, wobei man sich den Anschein geben kann, etwas zu sein. Dr. jur. Erich Anspach nannte sich jetzt Ministerial-Asseffor und verlegte sich aufs Fäl­schen von Spionagen-Derichken. Zn der Finnischen Gesandt­schaft, wo sein Schwager angestellk ist und wohnt, fand er ein stilles Asyl, wo er ungestört mit Gummistempeln und erfundenen Ämtsbriefbogen hantieren konnte. Niemand will dort eine Anhnung gehabt haben von der politischen Viftfabrik, die der junge Anspach betrieb.

Er erfand nun zahllose Berichte und Geheimschreibe« von allen möglichen Mimsterien, Militärbehörden und Amksstellen, die er durch Bestechung oder Entwendung er­halten haben wollte, und aus denen allerhand trübe Ma­chenschaften der angeblichen deutschen Rachepolittk und Widerspenstigkeit hervorgingen. ES verrät bei aller geistigen und moralischen Verkommenheit auch ein gewisses Talent, wenn er ganze Kabinettssitzungen der-deutschen Reichsregre- rung mit langen Reden Eberts, Wirths und Rathenaus ersann und seinen Abnehmern, den Ententekommissionen und dem polnischen Konsulat in Berlin, lieferte. Kein Wort von diesenP Han tasten war wahr. Ans­pach übertrieb und log auch nicht wegen des klingenden Judaslohns, sondern aus Abenteuersucht und in einem förmlichen Rausch von Größenwahn. Verriet er sich doch schließlich selbst bei einer Zecherei in einem Weinrestaurant ..als Lenker der Geschicke des Deutschen Reichs'. Das Krankhafte guckte ihm aus allen Knopfiöchern.

Sollten die Abnehmer seiner eigentümlichen Geheim­berichte nichts gemerkt haben? Diqse Frage führt auf einen sehr ernsten Punkt unserer politischen Aäuber- geschichte. Die Berichte des Herrn Minijkerial-AffessorS Dr. Anspach waren nämlich so ungeheuerlich in ihren Er­findungen, so lächerlich in ihren Behauptungen, so leicht auf ihre Unechtheit nachzuprüfen, daß der Verdacht berech­tigt ist: Die Abnehmer wußten um die Fäl­schung! Sie wollten nicht nachprüsen. Sie waren nicht guten Glaubens, als sie ihre Drangsalierungen Deutschlands auf dieser Agenkenarbeit aufbauten. Die Fälschungen deS bayerischen Aevolutionsdikkakors Eisner haben zum Schuldbekenntnis Deutschlands im Versailler Vertrage ge­führt. Die Fälschungen dieses Hochstaplers Anspach haben ein übriges getan. Sie haben mikgeholfen, die politische Lage Deutschlands künstlich zu verschlechtern. Zn beiden Fällen waren die tollen Verleumdungen den Siegern, was man sagt, ein gefundenes Fressen. Sie haben nicht Len Finger gerührt, die Fälschungen aufzudecken.

An der deutschen Diplomatie liegt es nun, die Eittsar- vung durchzuführem Kürzlich im Münchener Fechenvach- prozeß haben die politischen Behörden mit ihrer Zurück­haltung und ihren Aussageverboten kein Meisterstück ge­liefert. Zm Prozeß gegen den Abenteurer Anspach muß aber endlich etwas Aufklärendes geschehen, sonst bleibt die Lüge Siegerin und die Sieger lügen weiter.

Die Verteilung des Erdöls

Zwischen der englisch-holländischen Erdölgesellfchaft und der amerikanischen Standard-Oel-Gesellschaft ist ein Abkom­men getroffen worden, daß die Erdölfelder des Kaukasus­gebiets und in Mesopotamien zwischen den beiden Gesell- schäften je hälftig geteilt werden. Zusammen mit ihrem son­stigen Besitz in den Vereinigten Staaten, Mexiko, Persien und Rumänien besitzen diese Gesellschaften nun den weitaus größten Teil aller Quellen der Erde und beherrschen damit den Weltmarkt vollständig. Die amerikanische Gesellschaft teilt weiter mit, daß sie sofort nach dem Ausbruch des Kriegs mit der Nobel-Gesellschaft Verhandlungen über den Ankauf von deren Erdölquellen in Rußland mit dem Erfolg ange­knüpft habe, daß bis 1920 die Hälft« dieser Anlagen in ge­meinsamen Besitz überführt worden sei.

Diese Angaben sind außerordentlich interessant, denn sie lüften ein wenig den Schleier von dem Rätsel des Welt­kriegs. Die Vereinigten Staaten und die Kreatur der Hoch­finanz, Wilson, sind am Verlauf des Kriegs zwecks- sung der Erdölfrage" interessiert gewesen, und sehr wahr­scheinlich hat auch bei dem englischen Bestreben, den deutschen Handelswettbewerb zu vernichten, die Sicherung des reichen Erdölgebiets in Mesopotamien, also auf türkischem Boden, eine viel größere Rolle gespielt, als man bisher gemeiniglich gewußt hat. Die Hochfinanz Englands glailb.e die beab­sichtigte Inbesitznahme dieser Erdölquellen, auf die sie neben denjenigen in Persien längst ein Auge geworfen hatte, durch die deutsche Bagdadbahn bedroht, und vielleicht wäre bei den freundschaftlichen Beziehungen zwischen dem Deutschen Reich und der Türkei die Ausbeutung dieser unermeßlichen Boden-