Nr. 51

Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.

98. Jahrgang.

Erscheinungsweise: Smal wöchentl. Anzeigenpreis: Die Zeile 120 M., Familienanzeigen 75 Mt., Reklamen SSO Mk. Auf Sammelanzeigen kommt ein Zuschlag von 100 Fernspr. S.

Freitag, den 2. März 1923.

Be,iig«pre>»: In dir Stadt mit rri,«ilohn SUX> Mk. monatlich. Posti>r,uzrPrki» 2I<X> Mk. ohne BestkLseld. Schluß d«r Allzeizenaunahin« 8 Uhr donnittags.

Neueste Nachrichten.

Die Rheinlandtommission, in der also auch England vertreten ist, hat neue ungeheuerliche Strafen gegen die deutschen Be­amten im Falle der Weigerung, Befehle der Besatzungsbehör­den auszufüyrcn, angedroht, die an die Zeiten der furchtbarsten Barbarei erinnern. Auch sollen jetzt die von den Franzose« an- gesetzten Kohlensteuern zwangsweise eingezogen werden.

In Paris soll jetzt durch französisch-belgische Verhandlungen eine Entscheidung über die Einführung einer neuen Wührung im Rheinland und die vollständige Inbesitznahme der Eisenbahnen der besetzten Gebiete herbeigeführt werden.

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Die Gewalttaten gegen dir Bevölkerung nnd Raubübersiille auf staatliches und privates Eigentum werde» von den Franzosen dauernd erweitert.

Der deutsche Botschafter in London war beim König zum Früh­stück eingeladcn.

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Die Verhandlungen der Entente mit Amerika über die amerika­nischen Desetzungskosten haben begonnen. Sie werden wohl das Ergebnis haben, daß wir sie ebenfalls bezahlen müssen.

EmjelrGM

»»d der skmzSWe Einbruch ii>5 Rnhrgebiet.

Helsingforser Brief.

ABC. In der bolschewistisch«.» Presse wird nach wie vor dein Einfall der-Franzosen ins Ruhrgebiet viel Raum gewidmet. Aus Moskau und Petersburg sowie aus zahlreichen Provinz­stödten liegen ständig Nachrichten über Protestversammlungen der Arbeiter, der städtischen Sowjets und sogar der Rotarmisten gegen den völkerrechtswidrigen Einbruch der Franzosen und die von ihnen begangenen Bestialitäten vor. Alle diese Protcstver- sammlungcn enden mit den üblichen, offenbar vom Zentralkomi­tee der Kommunistischen Partei Rußlands vorgeschriebenen Lo­sungsworten, die darauf hinauslausen, daß nur Sowjetrußland, derArbeiter- und Dauern-Staat", in der Lage sei, die Welt vor einem neuen Gemetzel zu bewahren und daß alles Heil von der Zugehörigkeit zur Kommunistischen Partei abhänge! In Sara­tow fand kürzlich eine feierliche Versammlung der städtischen Sowjets statt, die sich mit den Schandtaten der Franzosen im Nuhrgebiet befaßte. Auch zahlreiche Arbeiter und Vertreter der in Saratow in Garnison liegenden Roten Regimenter nahmen an dieser Sitzung teil. Die Versammelten nahmen eine Pro­testresolution gegen die Besetzung des Ruhrgebiets an und er­klärten sich bereit, jegliches Opferzur Befreiung des Prole­tariats Europas" zu birngen! Nach der Versammlung fand eine Drmcmstmtion statt, die mit Hochrufen auf Sowjetrußland und Schmährufen auf dieImperialisten und Kapitalisten" abschloß. Aehnlichs Vcrsamlungen haben, wie bemerkt, auch in vielen an-' deren Städten stattgefunden, so in Pleskau, Zarizyn, Wologda usw. In den zur Annahme gelangten Resolutionen wurdendie Würger der Arbeiterklasse" verflucht, als deren Avantgarde der französische Imperialismus bezeichnet wurde. Auch der allbe­kannte Radek hat neuerdings in Moskau zu dem Ruhrkonflikt Stellung genommen. Er erklärte, daß, wenn Deutschland in die­sem Konflikt Sieger bleiben werde, das Versailler Friedens- diltat vollkommen aufgehoben und eine Stärkung Deutschlands erreicht werden werde. Ein Sieg Frankreichs dagegen werde zu der Schaffung eines gewaltigen Eisen- und Kohlensyndikats füh­ren, das von Frankreich beherrscht werden werde. Radek sprach sich auch für die Notwendigkeit einer Verstärkung der Roten Armee aus, da im Falle eines Krieges zwischen Frankreich und Deutschland Polen genötigt sein werde, an diesem Krieg teilzu- nchmen und aller Wahrscheinlichkeit nach versuchen werde, Sow- jetruß'and zu überfallen, um sich die erforderliche Rückendeckung zu verschaffen.

Ueberhaupt scheint es Tatsache zu sein, daß man in führenden Kreisen Sowjetrußlands sicher mit dem baldigen Aus­bruch neuer Kriege rechnet. Das offizielle wirtschaftliche Organ des Sowjets für Arbeit und LandesverteidigungEko- nomitscheskaja Shisn" hat in letzter Zeit sehr interessante und ungemein sachlich geschriebene Aufsätze über die wirtschaftlichen Folgen der Ruhrbcsetzung veröffentlicht. Kürzlich gab das ge­kannte Blatt ausführlich einen Vortrag wieder, den M. Paw- -lowitsch im MoskauerGeschäftsklub" über die Ruhrbesetzung gehalten hatte. Pawlowitsch betonte in seinem Bortrage u. a., dah Essen und nicht Berlin, Krupp und nicht Hinden- ioiirg oder Mackensen, Lüttich, Namur, Warschau, Brest-Litowsk

und Kowno zur Kapitulation gebracht hätten. Auch Pawlowitsch ist davon überzeugt, daß es zum Kriege kommen werde, wenn sich auch eben der genaue Termin des Kriegsausbruches nicht Voraus­sagen laste. Die gegenwärtige Weltlage ist nach seiner Ansicht genau dieselbe, wie vor Ausbruch des Weltkrieges im Jahre 1814, und wie jener Krieg, so werde auch der kommende um Stahl und Kohle geführt werden. Es sei klar, daß Eng­land sich auf die Dauer niemals mit einer französischen Besetzung des Ruhrgebietes aussöhnen werde. Erwähnt werden muß endlich, daß die bolschewistischen Blätter die Nachrichten aus dem Ruhrgebiet als militärische Nachrichten vom Kriegsschauplatz veröffentlichen. Offenbar haben nach bolschewistischer Anschau­ung die kriegerischen Ereignisse bereits begonnen. So unrecht dürften die Bolschewisten mit dieser Darstellung nicht haben!

Sie sraszWe GemliMM.

Die planirrüßige Fortsetzung der Gewalttaten.

Koblenz, 1. März. Heut« morgen 11 Uhr haben die Franzosen den Bahnhof Ehrenbreitstein besetzt. Die Eisenbahner haben den Bahnhof verlassen. Der Betrieb ist stillgelegt. Die Dahnhofskaste wurde unter Hinzuziehung von farbigen Truppen beschlagnahmt. Diese Beschlagnahme erfolgte, nach ÄtVosfischen Zeitung", in dem Augenblick, als gerade die Auszahlung von Ruhegehältern an pensionierte Eisenbahnbeamte oder Witwen begonnen hatte. Die meisten von ihnen mutzten,-ohne einen Pfennig erhalten zu haben, wieder nach Hause gehen.

Bochum, 1. März. In der vergangenen Nacht wurden in Esten drei Polizeiwachen und die Hüttemvache von den Franzosen auf­

gehoben.

Bochum, 1. März. Der Bahnhof Oberhausen-West, der seit dem 23. Januar von den Franzosen besetzt war, ist nunmehr wie­der geräumt worden. Die Franzosen haben in den Anlagen furchtbar gehaust. Sämtliche Stellwerke sind zertrümmert. Die Hebel der Weichen usw. sind mit schweren Hämmern abgeschlagen worden. Das ganze Mobiliar, die Telephon«, Bilder usw. sind zerstört. Keine Scheibe ist mehr ganz. Bon den Verwüstungen sind bereits photographische Aufnahmen gemacht worden, die dem Ausland ein Bild von dem Treiben der Franzosen geben sollen.

Kirberg im Hunsrück. 28. Febr. Bei hier erfolgten Verhaftungen war ein junger Mann im Ort nicht aufzu­finden. An seiner Stelle wurde der Vater verhaftet und als dieser sich der Verhaftung widersetzte, wurde der alte Mann auf dem Transport ins Gefängnis von einem französischen Offizier fortgesetzt mit einer Reitpeitsche geschlagen. Aus Castellaun im Hunsrück wird gemeldet, datz auch dort vor einigen Tagen Verhaftungen vorgenommen wurden. Einige vorgemerkte junge Leute waren geflüchtet und ihren Vätern wurde eröffnet, datz sie selbst verhaftet und aus­gewiesen würden, wenn sie nicht den Aufenthalt der Flücht­linge angeben oder diese zur Stelle schaffen würden. Kohlenraub aus dem Mainzer Gaswerk.

Mainz, 1. März. Die Vesatzungsorgane haben beim Gaswerk, das wegen Kohlenmangels ohnehin nur mit Einschränkungen arbeitet, und nur noch für wenige Tage Kohlenvorrat hat, meh­rere hundert Tonnen Koks beschlagnahmt.

FranzösischeHeldentaten".

Oberstein, 1. März. FranzösischeHeldentaten" werden hier von Tag zu Tag begangen. Am Sonntag abend vergriffen sich mehrere Angehörige der Desatzungstruppen in unsittlicher Weise an einer hiesigen Frau. Der Mann, der Mitglied eines Athleten­klubs ist, verprügelte die Franzosen ganz gehörig, sodaß diese mit verbundenen Gesichtern und blauen Flecken abzogen. Bald darauf erschien eine ganze Kampagnie Franzosen, die das Haus umstellten. Sie versuchten, den Athleten zu ergreifen. Dieser hatte aber inzwischen das Weite gesucht. Der Oberkellner des Hotels zurPost" ist von den Franzosen ausgewiesen worden, weil er auf die Worte eines französischen Offiziers:Die Deut­schen sind alle Schweine!" erwidert hatte:Sie aber das größte!" Auch der Besitzer des Hotels soll ausgewiesen werden.

Köln, 2. März. DieKölnische Zeitung" meldet: Ter Oberbürgermeister von Gladbeck, Dr. Iory, ist gestern morgen aus dem Bett heraus verhaftet worden. Er wurde dann in einem Lastauto fortgefahren. Als der verhaftende Offizier seine Pistole zog, erschollen aus der Menge, die sich vor dem Hause angesammelt hatte, Pfuirufe. Verschied ne Leute stimmten das Deutschlandlied an. Als der Oberbür­germeister am Auto angekommen war, winkte er der Men­schenmenge mit dem Hut zu, worauf das Volk mit Hurra« und Hochrufen erwiderte. Inzwischen war die belgische

Wache alarmiert worden, die dann mit aufgepflanztrm Bajonett gegen die Menge vorging. Es entstand eibe­dränge, bei dem viele Schulkinder zu Boden fielen.

Beratungen iiber eine neue Geldwützrrmg und die Inbesitznahme der Eisenbahn in den besetzten Gebieten.

Paris, 1. März. Wie dasJournä Industrielle" mittcilt, kommen heute wieder die belgischen Sachverständigen Janssen, Direktor der Belgischen Nationalbank, und van Zeeland, der ebenfalls der Belgischen Nationalbank angehört, in Paris an, um mit dem Vertreter des französischen Finanzministeriums, Parmentier, und anderen französischen Finanzsachverständigen über die Währungsfrage in den besetzten Gebieten zu verhandeln.

London, 1. März. DieTimes" berichten, datz die Verein­barungen betreffend die llebernahme der Rhein- und Ruhreisen- bahn durch Frankreich und Belgien fast vollendet feien. Die Ver­handlungen über die Benutzung der Eisenbahnen in der britischen Zone am Rhein würden fortgesetzt. Die Entscheidung werde heute oder morgen erwartet.

Neue unerhörte Ctrafverordnungen der Rheinlandskommission.

Berlin, 1. März. Die Interalliierte Rheinlandskommission hat eine neue Verordnung Nr. 470 «lasten, die in drakonischen Strafen und Grausamkeit alles bisher von ihr auf diesem Gebiet Geleistete in den Schatten stellt. Sie bezweckt, die deutschen Eisenbahner unter alle« Umständen zu Dienstleistungen für das französische Militär zu zwingen, ll. a. wird jeder, der durch eine freiwillige Handlung oder Enthaltung den Eisenbahntransport gefährdet, wenn dadurch ein tödlicher Unfall verursacht wird oder hätte verursacht werden können, mit dem Tode bestraft. Wenn die Handlungen nicht geeignet waren, einen tödlichen Unfall zu verursachen, wenn sie aber zur Folge hatten oder zur Folge hät­ten haben können, den Eisenbahnverkehr in schwerer Weise oder für lange Zeit zu unterbrechen, wird lebenslängliches Zuchthaus oder eine Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe nicht unter 10 Jahren eintreten. Fahrlässige Gefährdung von Eisenbahntransporten soll mit Gefängnis bis fünf Jahren und Geldstrafe bis 5 Millionen oder mit einer dieser Strafen geahndet werden. Jeder Chef eines Dtenftzweiges, innerhalb besten irgendwelche Alte der Transportgefährdung vorgenommen worden sind, soll dieselbe Strafe erhalten wie der Täter selbst, wenn er nicht alles getan hat, was in feiner Macht stand, um die Akte zu verhindern. An­scheinend behält sich Frankreich das Recht vor, die unsterbliche Erfindung der französischen Revolution, die Guillotine, im Rhein­land nur in den Fällen anzuwenden, die ihr einer besonderen Milde würdig erscheinen. In den anderen Fällen wird die Be­förderung vom Leben zum Tode bei den Delinquenten durch mittelalterliche Exekutionsarten vollzogen.

Zwangsmaßnahmen zrrr Erhebung derKohlensteuer" aus der Nuhrkohle.

Paris, 1. Mörz. Die Morgenblätter melden aus Düsseldorf, daß General Degoutt« eine Verordnung erlasten hat, durch di« die Erhebung der Kohlensteuer aus der Ruhrkohle stchergestellt wer­den soll. Die Verordnung sieht vor, daß die Bergwerksbesttzer, die nicht die in den deutschen Gesetzen vorgeschriebenen Deklara­tionen machen wollen, von Amts wegen von der interalliierten Bergwerkskontorllkommission nach den zur Zeit geltenden Sätzen eingeschätzt werden. Um den Eingang der Stenern zu sichern, werden Strafmaßnahmen angeordnet, und zwar in folgender Staffelung: 1. Beschlagnahme, 2. Freiheitsstrafen, 3. Lösung der Ausnahmebewilligung für den Versand nach Deutschland und der Ausfuhrgenehmigungen für das Ausland.

Der französische Druck auf die Eifenbahnbeamten.

Elberfeld, 2. März, lleber die Verkehrslage wird gemeldet: Der Druck der Vesatzungsbehörden auf die Eisenbahnbedtensteten durch Ausweisungen, Vertreibungen aus ihren Wohnungen und Verurteilungen wird weiter ausgeiibt. Der Befehl zum Räumen der Wohnungen erstreckt sich nicht nur auf Eisenbahnbediensteten- und Amtswohnungen, sondern greift auch immer mehr auf die Eisenbahnbauvereinswohnungen über, obwohl dieser Verein eine rein private Genossenschaft darstellt. Der Bahnhof Bochum war um 7 Uhr abends noch besetzt. Di« Franzofen haben jeden Zug­verkehr verboten und die Stations- und Eüterkaste beschlag­nahmt. Der Bahnhof Bochum soll deshalb besetzt worden i-in. weil zwei von der Menge verfolgte französische Spitzel ' ln den Bahnhof geflüchtet hatten, sich ab« dort vor der N.' r Derfolger nicht schützen konnten. Bei der Besetzung hab^,i i Franzosen die Eisenbahnbediensteten förmlich aus dem Bahn HInausgeprugelt. Mehrer« Beamte sind verhaftet worden D,: Besetzung der Stadt Bochum joll angeblich vier Tao« dsULn,-