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Druck der Buchdruckerei Wildbader Tagblatt; Verlag und Schristleitung: Th. Gack in Wildbad.

Nummer 32

Fernruf 179.

Wiläbsä, Mittwock. öen 9. februsr 19?l

Fernruf 179.

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Der -ritte Vismarckbanh.

ii.

Am 29. November 1887 sandte Prinz Wilhelm dem Kanzler den

Entwurf einer Proklamation an die deutschen Buudessürsten. der im Hinblick auf die Möglichkeit einer baldigen Thron­besteigung des jugendlichen Prinzen bei den preußischen Gesandtschaften an den deutschen Höfen versiegelt ausüe- lvahrt werden sollte. In dem Begleitschreiben äußerte der Prinz, er sehe die Bnndessürsten im Gegensatz zn der mehr' nnitari'chcn Auffassung seines Vaters nicht als Vasallen, sondern mehr als Kollegen an, deren Rat und Wunsche man nicht abmeifen dürfe, die 'aber der kaiser­lichen Politik folgen müßten. Tie Proklamation solle dazu dienen, daß, die Bnndessürsten dem neuen jungen Herrscher nicht gezwungen, sondern aus Neberzeugung folgten. Aus dem langen Schreiben, mit dem der Reichskanzler am 6. Januar 1886 beide Briefe des Prinzen beantwortete, folgen nachstel-end die wichtigsten Stellen:

Tie Anlage des Schreibens vom 29. November v. I. beehre ich mich Ew. Kgl. Hoheit lnerber untertänigst wie­der vorzulegen, und möchte ehrerbietig anheimgeben, sie ohne Aufschub zn verbrennen. Wenn ein Ent­wurf der Art vorzeitig bekannt wurde, so würden nicht nur Se. Majestät der Kaiser und Se. Königliche Hoheit der Kronprinz Peinlich davon berührt sein; das Geheim­nis ist heutzutage stets nnncher. Schon das einzige exi­stierende Exemplar, welches ich hier sorgfältig unter Ver­schluß gehalten habe, kann in Unrechte Hände fallen; wenn aber einige zwanzig Abschriften angefertigt und bei 7 Geiandtiehasten deponiert würden, so vervielfäl­tigen sich die Möglichkeiten böser Zufälle und unvorsich­tiger Menschen. Auch wenn schließlich von den Doku­menten der beabsichtigte Gebrauch gemacht würde, so würde die dann kund werdende Tatsache, daß sie vor dem Ableben regierender Herren redigiert und bereit ge­halten wären, keinen guten Eindruck machen."

Ich habe mich herzlich gefreut, daß Ew. Kgl. Hoheit, im Gegensatz zu den schärferen Aufjassungen Ihres Va­ters, die politische Bedeutung erkennen, welche in dem freiwi lligen Mitwirken der verbündeten Fürsten zu den Reschszwecken liegt. . . ."

Ich komme ans den Inhalt des gnädigen Schreibens vom 2l. v. M. und beginne am liebsten mit dem Schlüsse desselben und dem Ausdruck des Bewußtseins, daß Frie­drich der Große Ew. König!. Hoheit Ahnherr ist, und bitte Höchstdieselben, ihm nicht bloß als Feldherr, auch als Staatsmann zu folgen. Es lag nicht in der Art des großen Königs, sein Vertrauen auf Elemente wie das der inneren Mission zu setzen; die Zeiten sind heut frei­lich andere, aber die Erfolge, welche durch Reden und Vereine gewonnen werden, sind auch heut keine dauern­den Unterlagen monarchischer Stellungen ....

Das Rote. Kreuz und andere Vereine würden ohne Ihre Majestät die Kaiserin so viele Teilnahme nicht finden; das Verlangen, zum Hof in Beziehung zu stehen, kommt der Nächstenliebe zu Hilfe. Das ist auch erfreu­lich und schadet der Kaiserin nicht. Anders ist es mit Thronerben. Unter den Namen, die Ew. Königliche Hoheit nennen, ist keiner ganz ohne Politischen Beigeschmack. Und der Bereitwilligkeit, den Wünschen des hohen Protektors zu dienen, liegt die Hoffnung zu Grunde, sich oder der Fraktion, der man angehört, den Beistand des künftigen Königs zu nennen. Ew. werden nach der Thronbesteigung die Männer und die Parteien mit Vorsicht und wechselnd nach Höchsteigenem Ermessen benutzen müssen, ohne die Möglichkeit, äußerlich einer unserer Fraktionen sich hinzugebeu. Es gibt Zeiten des Liberalismus und Zeiten der Reaktion, auch der Gewaltherrschaft. Um darin die nötige freie Hand zu behalten, muß verhütet werden, daß Ew. schon als Thronfolger von der öffentlichen Meinung zu einer Par­teirichtung gerechnet werden. ...

Schon in dem NamenMission" liegt ein Prognosti- kon dafür, daß die Geistlichkeit dem Unternehmeil die Signatur geben wird, selbst dann, wenn das arbeitende Mitglied des Komitees nicht ein General-Superintendent sein würde. Ich habe nichts gegen Stöcker; er hat für wich nur den einen Fehler als Politiker, daß er Prie­ster ist, und als Priester, daß er Politik treibt."

Am 14. Januaar 1888 antwortete Prinz Wilhelm mit einem Briefe, der nochmals betonte, wie großen Wert er darauf lege, auch den leisesten Schatten einer Meinungsverschiedenheit mit dem Kanzler zu zerstreuen, sachlich aber an der ursprünglichen Auffassung des Prin­zen hinsichtlich der Politik Stöckers fest hielt, immer­hin ankündigte, der Prinz werde den Hosprcdiger be­stimmen, sich von der offiziellen Leitung der Stadtmis- sion zurückzuziehen, um jeder politischen Mißdeutung dieser Missionsarbeit den Boden zu entziehen. Wer dann noch ungerechtfertigte Mißdeutungen wage, der werde es zu büßen habe, wenn der Prinz zur Regierung f gelangt sei. In diesem Schreiben sah Bismarck den ersten Keim der inneren Entfremdung des Prinzen ihm gegenüber, sowie den ersten Anklang der selbstherrlichen Auffassungen, die in den ersten Regie­rungsjahren Kaiser Wilhelms II. wiederholt zum Ans- i druck kamen. f

Kaiser Wilhelm II.

In einem weiteren Kapitel des dritten Bands gibt Füpft Bismarck eine Charakteristik des Kaisers, in der er im einzelnen ausführt, daß Kaiser Wilhelm II. die Eigenschaften seiner Vorfahren in einer gewissen Mannigfaltigkeit ererbt habe; hinsichtlich der Neigung oes Kaisers zu Randbemerkungen in srideriziani- chem Stil bemerkt Bismarck dabei, sie sei während seiner Amtszeit so lebhaft gewesen, daß daraus dienstliche Un- öeanemlichkcit entstand, weil der drastische Inhalt und Ausdruck zu strenger Geheimhaltung der betreffenden Aktenstücke nötigte. Znsammenfassend schreibt Fürst Bis« ' marck:

Wenn ich mir ein Bild des jetzigen Kaisers nach Ab- ick laß meiner Beziehungen zu seinem Dienste zu machen suche, so finde ich in ihm Eigenschaften seiner Vorfah­ren in einer Weise verkörpert, die für meine Anhänglich- ' keit eine starke Anziehungskraft haben würden, wenn sie ' durch das Prinzip einer Gegenseitigkeit zwischen Mo- narch und Untertanen, zwischen Herrn und Diener belebt gewesen wären. . . . Kaiser Wilhelm II. gegenüber habe ich mich des Eindrucks einseitiger Liebe nicht erwehren können: das Gefühl, welches die festeste Grundlage der Versackung des preußischen Heeres ist, das Gefühl, daß der Soldat den Offizier, aber auch der OOsfizier den Soldaten niemals im Stiche läßt, ein Gefühl, welchem Wilhelm I. seinen Dienern gegenüber bis zur Uebertrci- lnmg nachlebte, ist in der Auffassung des sungen Herrn bisher nicht in dem Maße erkennbar; der Anspruch auf unbedingte .Hingebung, aus Vertrauen und unerschütter­liche Treue ist in ihm gesteigert, eine Neigung, dafür seinen its Vertrauen und Sicherheit zu gewähren, hat sich bisher nicht bestätigt."

Des weiteren beschäftigt der Altreichskanzler sich mit der Neigung des Kairrs, bisherige Gegner durch Ent­gegenkommen zn versöhnen. Hinsichtlich der So­zialdemokratie meint Bismarck, der Kaiser werde mit seiner ch Wichen, aber in den Dingen der Welt nicht immer erselgr iPen Auffassung Schiffbruch leiden. Eine ähnliche Politik des Entgegenkommens, um nicht zn sagen. Nnchlauscns. habe Kaiser Wilhelm II. gegenüber dein Zentrum und den Polen, aber auch gegenüber dem Ausland getrieben. Fürst Bismarck spricht von den vergeblichen Versuchen des Kaisers, die Liebe der Franzosen zn gewinnen, und behandelt dann anssübrlich die Versuche, durch persönliche Liebenswürdig­keit und häufigere Besuche die feste Freundschaft des Zaren zn erwerben. Ter Kaiser, der bis dahin gegen England und gegen die Königin Viktoria Abneigung empfand und darum auch von einer Verbindung seiner Schwester mit dem Battenberg er nichts hatte wissen wol­len, umwarb Rußland um so lebhafter, nahm aber von seinem ersten Beuche in Veterhof bereits eine ernste Verstimmung wi' nach Hanse. Diese Verstimmung äußerte sich n. a. in einer Anweisung an Herbert Bis­marck, die Presse gegen di' neue russische Anleihe inobil zu machen; der Kaiser bestand daraus selbst noch dann, als Staatssekretär Herbert Bismarck ihm ans­einandergesetzt hatte, daß die Auffassung, die man von militärischer'Seite dem Kaiser über diese Anleihe bei­gebracht hatte, tatsächlich irrtümlich war. Auf der anderen Seite wollte der Kaiser von seiner Hoffnung, Alexander III. durch persönliche Liebenswürdigkeit zn ge . innen, nipt lassen. ;

Neues vom Tage.

Tie Stellung der Reichsregierung.

Berlin, 8. Febr. Das Reichskabinett hat in seiner g . igen Sitzung über die Antwort ans die Einladung zur Londoner Konferenz am 1. März. beraten, lieber die auf der Konferenz einzunebmeude Haltung wurde nach demLokalanzeiger" noch kein Beschluß gefaßt, da zunächst die Stellungnahme der bayerischen Regie­rung abgewartet werden soll. ^

Ezernin GesanSter in Berlin?

Berlin, 8. Febr. DasB. T." meldet ans Wien, der Gesandtschastspvsten in Berlin sei dem früheren Mi­nister Gras Czernin angeboten worden. Czernin habe sich aber Bedenkzeil erdewn. Das wäre gerade der richtige.

Kein Kshlenaustausch.

Berlin, 8. Febr. Tie Verhandlungen über die Lie­ferung von Saarkohlen an Süddeütschlaud sind abge­brochen worden, da die Reichsregierung auf die franzö­sische Forderung, für die gelieferten Saackohlen höher­wertige Ruhrkoylen abzugeben, nicht'eingeheu konnte.

M glaubliche Schiebung.

Berlin, 8. Febr. Der Verwalter des Feruglaslag.rs der Reichstreuhandgesellschaft in Spandau versuchte mit Hilfe einer Schieberbaude wertvolle opfifche Instrumente des früheren Heers an Händler ans Po­len zu verkaufen. Bei einem Güterbeförderer in Berlin wurden acht große Kisten beschlagnahmt, in denen 300 Rundblickfernrohre, 200 Artillerievisiere und 12 Scheren­fernrohre verpackt waren. Auch weiteres gestohlenes Hceresgut wurde vorgefunden. 13 Schmuggler sind ver­haftet, der Ankäufer aus Polen entzog sich der Festnahme durch Flucht. ;

*

Enttäuschungen.

Paris, 8. Febr. Ter deutsche Vorschlag, die Kohlen- liejerung an den Verband vom 1. Februar an von 2 auf 1,8 Millionen Tonnen monatlick) herabznsetzen, ist von der Wiedcrherstellungskommiision lautTcmps" mit allen gegen eine Stimme verworfen worden.

Wie derMatin" meldet, haben 13 französische Ge­werkschaften es abgelehnt, zu dem Ausruf der deutschen Sozialisten an die Arbeiter der Verbandsländer wegen des Anschlags der Pariser Konferenz gegen das Prole­tariat (Ausfuhrsteuer, Aufhebung der 5 Mackgolopräime nsw.) Stellung zu nehmen.

Paris, 8. Febr. Der Abgeordnete Jean Hennsso wendet sich imOeuvre" gegen die Ausjuhrsteuer auf deutsche Waren. Er empfiehlt dagegen, das Kriegsge- bict durch deutsche Arbeiter uud m.t deutschem Material ivi der instand setzen zu lassen.

Die Einladung nach London bedingungstveiss angenommen. (

Berlin, 8. Febr. Das Auswärtige Amt hat de» französischen Botschaft mitgeteilt, daß die Reichsregis- rung die Einladung für die Londoner Konferenz unte» der ausdrücklichen Voraussetzung annehme, daß auch die deutschen Gegenvorschläge zur Beratung gestellt wer­den.

Streik.

Berlin, 8. Febr. In der Herrenschneiderei sind ge­stern 32 000 Arbeiter und Arbeiterinnen in den Aus­stand getreten. Die Maßschneiderei wird davon nicht betroffen.

(In Stuttgart kommen 3400 Arbeiter in Be­tracht.)

Den streikenden Buchdruckern im Saargebiet har den sich die Buchbinder und Hilfsarbeiter angeschlossen. Auch dieVolksstimme" in Saarbrücken hat das Erschei­nen eingestellt. >'1

Der Fasching in der Pfalz.

Landau, 8. Febr. Das französische Ueberwachungs- amt hat das Faschingsverbot der bayerischen Regierung . für die ganze Pfalz für ungültig erklärt.

Gold und Rohstoffe, nicht Waren.

London, 8. Febr. In einer in Sheffield gehalte­nen Rede erklärte Lord Robert Cecil, man werde Deutschland nicht gestatten, mit Waren die Entschädigung zu leisten. Wenn Deutschland in Fertigwaren bezahle und dadurch Arbeitslosigkeit in England erzeugt würde.