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Nr. 10

Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.

98. Jahrgang.

ErschrinrrngSwrtse: -mal »LchenU. Anzeigenpreis: Die Zeile SV Mk., Famillenanzeigen M.. Reklamen 150 Mt. Auf Hammeianzergen komnü rin Luschia- von 100^/» Fernspr. S.

^ Samstag, de« 13. Januar 1923.

I vrzugiprri«: In der 8t»dt «tt «80 Mk. m«o»t»ch. P°stbl,u,r»r«i» «A M.

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Kennzeichn^ de« lrsazWches Lorgetzcn; ai; Rechts- und Leeiragsdruch. - England tut nicht«!

ü-er Wortlaut der deutschen Antwort.

Berlin. 12. Jan. Die Reichsregierung übermittelte dem hie­sigen französischen Botschafter heute mittag 1 Uhr folgende Ant­wort auf die Notifikation der Nuhrbefetzung: Herr Botschafter! Auf die Mitteilung, die Ew. Exzellenz mir am 10. Januar münd­lich und schriftlich machten und die gleichzeitig der deutsche Bot­schafter in Paris von der franMfchen Regierung erhielt, beehre ich mich namens der deutschen Regierung folgendes zu erwidern: Die französische Regierung beschloh ebenso wie die belgische Re­gierung, eine Aktion gegen des Ruhrgebiet, die sie als Entsen­dung einer Kontrollkommission von Ingenieuren und Beamten bezeichnet. Die Kommission soll, von Truppen begleitet, die Tä­tigkeit des deutschen Kohlensyndikats überwachen, die genaue Durchführung der Programme der Reparationskommission sicher- steilen und alle für die Bezahlung der Reparationen notwendi­gen Maßnahmen treffen. Zu diesem Zweck soll sie mit diktato­rischer Befugnis ausgestattet sein. Cie soll volle Befehls» und Strafgewalt über das Personal der deutschen Verwaltung und die Vertreter von Industrie und Kandel in den besetzte» Gebie­ten erhalten. Cie soll befugt sein, von Verwaltungsstellen, Han­delskammern, Arbeitgeber- und Arbeitnehmcrverbänden, von Kaufleuten usw. jede Auskunft zu verlangen und die Büros, Bergwerke, Fabriken, Bahnhöfe und andere Anlagen zu durch­suchen. Nach den der deutschen Regierung von den örtlichen Stellen zugegangenen Meldungen begann inzwischen die Durch­führung dieser Aktion. Französisch-belgische Truppen zogen in be­deutender Stärke in voller kriegsmäßiger Ausrüstung in das Nuhrgebiet ein.

Die französische Regierung gründet ihre Aktion auf die Fest­stellung der Reparationskommission über den Stand der deutschen Holz- und Kohlrnlieferungen und beruft sich dabei auf die 88 17 und 18 der Anlage 2 zu Teil 8 des Friedensvertrags. Zugleich erklärt sie, dah sie augenblicklich nicht an eine militärische Ope­ration oder an eine Besetzung mit militärischem Charakter denke. Cie glaubt hinzufiigcn zu sollen, dah sie auf den guten Willen der deutschen Regierung zählen kann, die das größte Interesse habe, die Arbeiten der Kommission und die Unterbringung der Truppen zu erleichtern.

Die deutsche Negierung muß Len Schleier zerreiße«, den die französische Regierung mit dieser Darstellung über de» wahren Charakter ihres Vorgehens geworfen hat. Die deutsche Regie­rung erklärt, daß die Beschlüsse der Reparationskommission und die Vertragsbestimmungen keinerlei Rechtsgrundlage für eine Aktion ins Ruhrgebiet enthalten, daß diese Aktion vielmehr eine Verletzung des Völkerrechts und des Vertrags von Versailles dar­stellt. Nach den ausdrücklichen Feststellungen der Reparations- kommission in der Note vom 21. März würde die Verfehlung bei den Holz- und Kohlenlieferungen nichts anderes als die Forde­rung von Barzahlungen rechtfertigen, sodaß die Anordnung an­derweitiger Maßnahmen auf Grund der 88 17 und 18 in diesem Fall ausgeschlossen ist. Selbst bei rechtmäßiger Anwendung der §8 17 und 18 würden aber nur wirtschaftliche und finanzielle Maßnahmen oder nur solche Maßnahmen, die dem Wesen und der Bedeutung nach gleichzustellen sind, gegen Deutschland getrof­fen werden dürien. Das könnten nur Maßnahmen sein, welche die Alliierten in ihrem eigenen Hoheitsgebiet durchführen, da­gegen nicht Maßnahmen, die, wie der gegenwärtige Einbruch von Truppen und Beamten in das Ruhrgebiet, eine denkbar schwerste Verletzung der deutsche« Hoheitsrechte bedeuten. End­lich können etwa nach dem Vertrag zulässige Maßnahmen gegen Deutschland nur von den an den Reparationen beteiligten alli­ierten Mächten gemeinsam und nicht von einzelnen Mächten auf eigene Faust getroffen werden. Vergeblich versucht die franzö­sische Regierung die Schwere dieses Vertragsbruchs dadurch zu verhüllen, daß sie der Aktion eine friedliche Benennung gibt. Die Tatsache, daß die Armee in kriegsmäßiger Zusammensetzung und bewaffnet die Grenze des unbesetzten deutschen Gebiets über­schreitet, kennzeichnet das französische Vorgehen als militärisch« Aktion. Hieran wird nichts geändert durch die Erklärung, daß Frankreich keine militärische Aktion oder Besetzung mit militäri­schem Charakter beabsichtige, eine Erklärting, die übrigens nicht unbedingt, sondern nur für den gegenwärtigen Augenblick aus­gesprochen wird.

Die deutsche Regierung pellt fest» daß die französische Regie­rung als einzigen sachlichen Anlaß zu diesem Vertragsbruch die Tatsache heranzuziehen vermag, daß Deu!schland für das Jahr 1S22 mit verhältnismäßig geringen Mengen bei der Ablieferung -»»» Lolr «nd Kohle» im Rückstand geblieben ist. Nach de« ««»

gehe«ren Leistung««, die Deutschland in Erfüllung des Wasten- stillstandsabkommens und des Vertrags von Versailles unter äußerster Anspannung bis zur Erschöpfung seiner Leistungsfähig­keit vier Jahre bewirkte, genügen diese geringfügigen Rückstände der sranzösischrn Regierung, um mit starkem militärischem Aus­gebot in deutsches Gebiet einzudringe« und die Hand auf Leu wichtigsten Besitz deutscher Wirtschaft zu lege«. Die deutsche Re­gierung erhebt gegen die Gewalt, die hiermit einem wehrlosen Volk angetan wird, vor der ganzen Welt feierlich Protest. Sic kann sich gegen diese Gewalt nicht wehren, sie ist aber nicht ge­willt» sich dem Friedensbruch zu fügen oder gar, wie ihr ange- sonnen wird, bei der Durchführung der französische« Absichten mitzuwirken. Sie weist diese Zumutung zurück. Die Verantwor­tung für alle entstehenden Folgen fällt allein auf die Regierun­gen, die de« Einmarsch vollzöge«. Diese Folgen zeigen sich be­reits in einer weiteren Entwertung der Mark und in der sprung­haften Steigerung aller Preise in Detuschland. Die künftigen wirtschaftlichen und politischen Folgen sind unübersehbar. So­lange der vertragswidrige Zustand, geschaffen durch den gewalt» samen Eingriff in das Zentrum der deutsche« Wirtschaft, an­dauert und seine tatsächlichen Folgen nicht beseitigt sind, ist Deutschland nicht in der Lage, Leistungen an diejenigen Mächte zu bewirken, die jenen Zustand hcrbeisührten.

Indem ich Sie bitte. Vorstehendes Ihrer Regierung mitzu- teilen, benutze ich auch diesen Anlaß, um Ihnen die Versicherung meiner ausgezeichnetsien Hochachtung z» rcneuern.

Eine Note gleichen Wortlauts, nur mit dem Unterschied, daß statt französischbelgisch" gesetzt wurde, wurde dem belgischen Geschäftsträger in Berlin überreicht.

Die Regierungen der Einzelstaaten billigen das Verhalten der Reichsregierung.

Berlin, 13. Jan. In einer Versammlung der Staats» und Ministerpräsidenten der Länder gab gestern Reichskanzler Dr. Luno ein Bild der allgemeinen Lage und ging insbesondere auf die Reparationsfrage und die von der Reichsregic- rung in dieser Angelegenheit unternommenen Schritte, sowie aus die durch die rechtswidrige Besetzung des Ruhrgebiets geschaffene Situation ein. Der Reichsminister des Auswärtigen machte er­gänzende Mitteilungen. Bei der folgenden Aussprache billigte» die Vertreter der Länder einmütig das Verhalten der Reichs- rcgierung. Dabei gab der bayerische Ministerpräsident Dr. v. Knilling, eine Erklärung ab, in der es heißt: Die feste Hal­tung der Reichsregierung wird, wie in allen deutschen Ländern so auch in Bayern freudige Zustimmung und Unterstützung fin­den. Heute geht es um die Würde der Nation, um Deutschlands Zukunft, um Rettung und Freiheit. In dieser Stunde ernster Gefahr ist es für alle deutschen Stämme ein selbstverständliches Gebot, sich um die Reichsregierung zu scharen und ihr auf ihrem schweren Gange zur Seite zu stehen. Das bayerische Volk ist be­reit, im Kampf gegen die Schmach, die uns die französische Herrschsucht und Raubgier antun will, und in der Zurückweisung des unerhörten Zwanges, der unserem wehrlosen Lande auferlegt wird, mit der Reichsregierung bis zum Letzten durchzuhalten. In Bayern hofft man zuversichtlich, daß die Reichsregierung auch auf den stärksten Druck von außen in ihrem Entschluß nicht wan­ken wird, sondern fest bleibt. Heute darf es in allen deutschen Ländern nur eine Losung geben: Deutschlands Zukunft, sein Ge­deihen und die Reichseinheit über alles! Im weiteren Ver­laufe der Versammlung wurde die innerpolitische und wirtschaft­liche Lage besprochen, wobei der Reickswirisckasismlnister die von der Reicksregierung geplanten Maßnahmen gegen den Luxus und die Schlemmerei zur Kenntnis krackte. Die betreffenden Ge­setzentwürfe werden den gesetzgebenden Körperschaften mit großer Beschleunigung zugehen.

Ein Aufruf der Bergar-eilerverbstn-e-

Essen, 13. Jan. Die vier Dergarbeiterverbände wenden sich in einem Aufruf an die Bergarbeiter des Ruhrgebiets, in dem sie sich dem Protest anderer Organisationen gegen den französisch-belgischen Rechtsbruch anschließen und zur Ruhe und Besonnenheit mahnen, selbst angesichts der vor- auszusehsnden Not infolge der ravid wachsenden Teuerung. Der Aufruf betont, wie bisher, so würden auch weiterhin alle Vereinbarungen zwischen den Arbeitgeber- und Arbeit- nebmerorganisationen getroffen. Diese Vereinbarungen müßten in einer Zeit der Not mehr denn je Gesetz für jeden organisierten Arbeiter sein, für deren Durchführung er sich mit feiner ganzen Kraft einfetzen müssen

Neueste Nachrichten.

Di« deutsche Ncgieruug hat eine» scharfe«, aber würdigen Pr«» lest an Li« französische und belgische Regierung überreich«« lasse«, in dem sie die französische Berdrrhungspolitik, dir ihre«

. brutalen Borg-Heu den Schein eines Rechtsanspruchs gebe« will, gebührend kennzeichnet, und gegen den Rechts- und Brr» tragsbruck der beide« Regierung«« schärfste Verwahrung eiu- legt.

Bon englischer Seite wird halbamtlich erklärt, daß die englisch« Negierung leinerlei Schritte auf den deutschen Protest hin zu tun gedenkt, was zu erwarten war.

Dieselbe Haltung haben wir von Italien und Amerika zu ge­wärtigen; nur gibt man sich dort noch den Anschein, daß man von dort aus eventuell neueVerständiguugvvrrsuche" mache» will. Die Zurückziehung der amerikanischen Truppe« wird auf de» Einmarsch der Franzosen ins Nuhrgebiet zurückgesührt.

Wir sehen» d-ch von keiner Seit« unserer jetzigen und ehemalige« Gegner Aussicht auf Eingreifen zu unfern Gunsten besteht, wir find ganz auf uns selbst angewiesen, und deshalb ist wenig­stens die einzige freudige Tatsache feftzustellen, daß überall i« allen Parteien und Klasse« des Volkes der Wille zu geschlosse­ner Abwehr der französische« Gewaltpolitk sich kundgibt.

SV Prozent des Kohlengebrets besetzt.

Berlin, 13 . Jan. Nach einer Meldung drsVorwärts" aus Esten liegen bis jetzt 5V Prozent der rheinisch-westfäli­schen Steinkohlengruben in dem von den Franzosen und den Belgiern neu besetzten Gebiet.

Weiterer Truppenzuzng ins Nuhrgebiet.

Esten, 12. Jan. Im Laufe des Tages sind im neubesetz­ten Gebiet weitere Truppen eingetroffen. Ein Vordringen der Truppen über die gestern gemeldete Grenzlinie hat nicht stattgefunden.

Vorerst kein weiterer Vormarsch in Aussicht?

London, 13. Jan. General Degoutte erklärte gegenüber dem Düsseldorfer Berichterstatter derEvening News", es werde kein weiterer Vormarsch stattfinden, außer wenn Frankreich und seine Alliierten von Deutschland provoziert würden. Der übrige Teil des vom französischen Eeneral- stab vorbereiteten Plans werde nur durchgesührt werden, wenn die deutsche Regierung gewaltsame Befehle erteile, oder die deutsche Bevölkerung feindselige Akte begehe.

Die Auffassung Englands.

London, 12. Jan. DieTimes" berichten über die gestrig» Sitzung des britischen Kabinetts, die britische Politik bleibe un­verändert. Diese Politik habe sich gegen die französische Aktion stets ablehnend verhalten, jedoch nicht, aus Sympathie für die Deutschen, sondern, weil man der Ansicht sei, daß, vom geschäfts­mäßigen Standpunkt aus gesehen, der augenblickliche französische Plan unpraktisch und daß er in politischer Beziehung vielleicht gefährlich sei. Sollte Frankreich in der Lage sein, bares Geld und die übrigen Wiedergutmachungen, die es von Deutschland wolle, durch die Methoden zu erlangen, dies es jetzt anwende, so würde England ungesäumt seinen Irrtum eingestehen. Da dies die Ansicht Englands sei, so tue es sein Bestes, um dafür zu sor­gen, daß seine Absonderung von Frankreich zu leinerlei Rei­bungen führe, sek es im Rheinland oder sonstwo.

England nimmt keine Stellung zu dem deutschen Protest.

London, 13. Jan. Wie verlautet, ist von Seiten der brl- tischen Regierung keinerlei Stellungnahme zu dem vorge­stern von dem deutschen Botschafter im Foreign Office über­reichten Protest der deutschen Negierung gegen das fran­zösische Vordringen zu erwarten. Die Absicht der britischen Regierung, die Entwicklung abzuwarten, bevor sie eine neue Aenderung in ihrer Politik erwäge, bleibe unverändert bestehen.

London, 12. Jan. Dr Protest der deutschen Regierung gegen das französisch-belgische Vorgehen im Nuhrgebiet wurde gestern im Foreign Office vom deutschen Botschafter übergeben.

London, 12. Jan. (Reuter.s In der gestrigen Kabinetts- sitznng wurden keine Beschlüsse gefaßt, die eine nennens­wert Aenderung der britischen Politik angesichts des fran­zösischen Vormarsches mit sich bringen. Es besteht auch kein Anzeichen dafür, daß die Negierung beabsichtigt, die briti­schen Truppen aus dem Rheinland zurückzuziehen. Auch