Rundschau.

Stuttgart, 14. Sept. Solange das, be­kanntlich vom König Wilhelm I. mit dem Jahr 1841 eingerichtete Cannstalter Volks­fest besteht, ist dasselbe im Ganzen, einschließ­lich Heuer, dreimal ausgefallen: Das eiste- mal 1854 wegen Ueberschmcmmung des WasenS, dann 1873 wegen der in München herrschenden Cholera und jetzt ebenfalls «egen der Choleragefahr. Das glänzendste aller Volksfeste war wohl dasjenige vsn 1857, bei welchem der Kaiser Napoleon III. und Alexander II von Rußland mit König Wil­helm zu Pferde erschienen waren.

Stuttgart, 11. Sept. Gestern abend halb 7 Uhr erschoß sich im HauSgang seiner Wohnung in der Rosenstraße ein Mann auf seinem Koffer. Derselbe, früher ein armer Taglöhner, erbte vor ca. 5 Jahren von Verwandten seiner Frau 80 000 Frks. Seine Frau ist inzwischen gestorben und der Mann konnte seinen Reichtum nicht ertragen. Er äußerte oft, entweder beirate er wieder oder erschieße er sich. Zu diesem Bericht wird folgendes nachträglich bekannt: Der Schneider und spätere Privatier Jakob Bessert lebte bis vor einigen Jahren in derart ärm­lichen Verhältnissen, daß er nebst Familie im Armenhaus Unterkunft fand. Da erbte seine Frau vsn Verwandten aus Rußland zweimal, zusammen über 100 000 Mark. Bossert baute sich am Herdweg bei der Dog- genbnrg eine prächtige Villa. Als die Frau starb, Halle diese im Testament das Ver­mögen den Kindern vermacht und dem Gatten nur ein Jahresgeld ausgesetzt. Dieses ärgerte Bossert derart, daß er sich erschoß.

Winnenden, 17. Sept. Die leidige Ge­wohnheit, kleine Kinder unbeaufsichtigt auf der Straße herumlaufen zu lassen, hat den Tod eines kleinen Mädchens herbeigeführt. Das 1'/-jährige Enkelkind des Weingärtners R. lief am Donnerstag einem wshl etwas zu rasch durch die Stadt fahrenden Fuhr­werk gerade unter die Räder und wurde so schwer verletzt, daß eS gestern abend gestor­ben ist. Inwieweit den Fuhrmann eine Schuld trifft, wird die eingeleitetc Untersuch­ung ergeben.

Heilbronn, 19. Sept. Vergangene Nacht wurde in der unteren Ncckarstraße ein junger Mann erschossen aufgefundcu. Da keine Waffe bei ihm vorgefunden wurde, fs ist es zweifelhaft, ob Selbstmord oder nicht viel­mehr ein Verbrechen vorliegt. Untersuchung ist cingeleitet. Bei einer gestrigen Herbst­feier wurde ein junger Mann in den Arm geschossen. Der Thäter ist unbekannt.

Heilbronn, 16. Sept. Eine Anzahl hiesiger Ladenbesitzer stellte bei dem Gemein­derat den Antrag, bezüglich der Sonntags­ruhe eine Aenderung eintrcten zu lassen, und zwar wünschen dieselben die Gestattung des Verkaufs von 11- 4 Uhr, statt bisher 89 und 113 Uhr. Dieselben würden auf die Stunde vormittags verzichten, falls ihnen der Verkauf bis 4 Uhr gestattet würde. Der Gemeinderat will das Gesuch dem Ober­amt befürwortend übergeben und zugleich die Bitte stellen, darauf hinzuwirken, daß bezüg­lich der Verkaufszeit eine Gleichheit unter den anderen Städten des Bezirks eingeführt werde.

Pfullingen, 16. Sept. In das auf der Haltestelle der Papierfabriken vorläufig er­stellte Stationsgebäude wurde laut KrSztg. in der Nacht vom Dienstag auf Mittwoch

durch das zuvor zertrümmerte Fenster ein« gestiegen und die Kasse erbrochen. Der Dieb hoffte wohl Geld zu finden, sah sich aber jedenfalls sehr enttäuscht, denn der mit dem Billetverkauf betraute Bahnbedienstete hatte wie auch sonst vorsichtigerweise den Geldb - trag abends mit nach Hause genommen- Da­gegen fiel dem Einbrecher die in der Hütte befindliche Uhr zur Beute. Die Billetkasse nebst den vorhandenen Billeten wurde später in der Echatz aufgefundcn. Bis jetzt war man eifrig, leider aber erfolglos bemüht, de« Thäters habhaft zu werden. Möge man sich dies zur Warnung dienen lassen und in Bälde, noch vor einbrechendcr kalter Jahres­zeit, an dieser Haltestelle, die nicht unbe­deutenden Verkehr aufweist, ein solide« Dienst­gebäude errichten.

Neuenbürg, 18. Sept. Die auf Birken­felder Markung gelegene Enzbrücke, die in den nächsten Tagen repariert werden sollte, brach gestern nachmittag unter einem Holz- fuhrwerk zusammen. Wunderbarerweise kam der Fuhrmann mit den Pferden unverletzt davon. Nur der Wagen wurde etwas er­leichtert, indem ein Teil de« Holze« von der Enz fortgcschwcmmt wurde.

Ebingen, 17. Sept. In Jungingen im Killerthal gingen zwei junge Leute auf die Jagd; aber schon 1Stunden darauf ver­breitete sich die Kunde im Ort, daß der eine den andern erschossen habe, und so war es auch tatsächlich. Unerfahrenheit oder Un­vorsichtigkeit scheint da« Unglück herbeigeführt zu haben. Der unglückliche Schütze wurde Verhaftet.

Schnaitheim, 17. Sept. Gestern nach­mittag geschah hier ein gräßliches Unglück. Der Knecht des Hirschwirts wurde mit einem Pferd nach dem Bierkellcr geschickt; ersetzte sich auf dasselbe und war beinahe an seinem Ziele angelangt, als da« Tier plötzlich scheute und in rasendem Galopp wieder dem Dorfe zueilte. Der Knecht stürzte herab, blieb mit einem Fuße hängen und wurde den ganzen Rückweg geschleift, da niemand das rasende Tier aufhalten konnte. Als dasselbe in seinem Stalle anlsngte, war der Körper de« Knechte« auf- jammervollste zugerichtet; alle Glieder waren gebrochen, der Kopf bis zur Unkenntlichkeit zerschunden, da- Fleisch hing in Fetzen herab. Wenige Minuten darauf hauchte der Bedauernswerte, der in nächster Zeit Hochzeit machen wollte, unter gräßlichen Schmerzen seinen Geist au«.

Schramberg, 17. Sept. Nach hieher ge­langter Nachricht wird, wie der Schw. B. mitteilt, die Eröffnung unserer Bahn am 8. Oktober stattfinden. Ministerpräsident Dr. Frhr. v. Mitlnacht wird an der Eröffnungs­feier teilnehmem.

Geislingen, 15. Sept. Gestern abend vergnügte sich ein junger Mann hier mit Schießen aus einem Zimmcrstutzen. Dabei prallte die Kugel an einem Stein ab u. traf einen auf der Straße spielenden vierjährigen Knaben in den Kopf. Da« Kind ist seither bewußtlos und e« wird für sein Leben be­fürchtet.

UlM, 13. Sept. Zu einem hiesigen Metzger kam heute ein Fremder, und kaufte sich Wurst, die er mit einer 100 Mark-Rolle in Zweimarkstücken bezahlte. Er hat dabei, man möge ihm statt des Silber« Gold oder Papiergeld deS leichteren Aufbewahrens halber geben. Der Metzger gab auf die Rolle, die mit dem Siegel de« hiesigen Postamt« ver­

sehen war, heraus, entdeckte aber zu seinem nicht geringen Schrecken, daß die Rolle Blei- stücke in der Größe von Zweimarkstücken enthielt.

UlM, 16. Sept. Vor mehreren Wochen beleidigte eine Anzahl junger Leute nach Mit­ternacht den Posten auf der K. Hauptwache, indem si>, im Gänsemarsch auf ihn zumar­schierend und dann einen Kreis um ihn bil­dend, ihn aufförderten, gegen Bezahlung von 2030 vor ihnen präsentieren. Als

der Posten sich dieses verbat, gebrauchte einer der Exzedenten den AusdruckKerl" , waS zur Folge hatte, daß die Schildwache einige der Leute festnahm, die auf die Polizeiwache zur Feststellung ihrer Persönlichkeit verbracht und dort dann vorläufig entlassen wurden. Wie man hört, dürfte die Sache für die Beteiligten ein unangenehmes Nachspiel ha­ben, indem die hiesige oberste Militärbehörde Strafantrag wegen Beleidigung gestellt hat und gerichtliche Untersuchung eingeleitct ist. Einer der jungen Leute ist bald nach dem Vorfall nach Amerika abgereist.

Im Gefängnisse in Dortmund harrt noch eine 16jährige Mörderin der Aburteil­ung ; sie hat da« ihr zur Wartung über­gebene Kind, weil es ihr zu schwer war, in einen Brunnen geworfen, in dem das arme Wesen umgckommen ist. Jetzt ist eine fünf­zehnjährige Person wegen doppelten Mord­versuchs in Haft genommen worden. Das Mädchen konnte sich mit der Köchin der Herrschaft, bei der cs diente, nicht vertragen und faßte den Plan, sie zu vergiften, zu welchem Zweck sie ihr Karbol in den Kaffee goß. Die Köchin merkte die Sache und trank den Kaffee nicht. Am folgenden Tage setzte das Mädchen das Bett der Köchin in Brand, um sie zu töten. Die Köchin er­wachte zum Glück frühzeitig, infolge dessen das beabsichtigte Verbrechen vereitelt wurde.

Bei dem nach Wim verkehrenden Pontafclcr Schnellzuge entgleiste in der Nacht vom 15. auf 16. ds. in der Strecke Kal- wang-Wald infolge eines Kesseldefektes die Vorspannmaschine, wodurch auch die Zug­maschine und die beide» folgenden Wagen entgleisten. Zwei Bahnbedienstctc wurden ge­tötet, einer verletzt. Da« übrige Zugperso­nal und die Reisenden blieben unverletzt. Die verlegte Bahnstrecke wird voraussichtlich am 17. ds. wieder frei, so daß bi« dahin die Passagiere umstcigcn müssen. Die Er­hebung ist eingeleitet.

Attentat gegen einen Lehrer. Wie au« Lemberg berichtet wird, erschoß am dor­tigen Gymnasium der Schüler Johann Sch. den Lehrer Felix Glowacki und machte so­dann mit einem zweiten Revolvcrschusse seinem eigenen Leben ein Ende. Schwed war ein Baucrtsohn und fleißiger Schüler der sieben­ten Gymnasialklasse, der sich durch Erteilen von Unterrichtsstunden kümmerlich fortbrachle. Lehrer Glowacki, ein Mann von 38 Jahren, soll ihm öffentlich in verletzender Form seine Abstammung vorgehalten und ihnBauern­lümmel" tituliert haben. Al« nun am 15. d«. MtS. Glowacki die Klasse verließ und in den Korridor trat, streckte ihn in dem Momente, da er den Hut «ufsctzte, die Kugel Schwed'« nieder. Derselbe hatte den Lehrer hinterrücks überfallen und beging sodann den Selbstmord. Die im Korridor versammelte Schülerschaar war starr vor Entsetzen und kannte sich den Zusammenhang des Vor­falles Anfang« gar nicht erklären.