Rundschau.
Stuttgart, 17. Aua- Die Kaiserparadk wird, wie nunmehr feststebt, am 20. Sept. zwischen Pflugfelden und Stammheim abgc- hatten. Kaiser Wilhelm, der seil der Beisetzung König Karls nicht mehr in der schwäl'isänm Hauptstatt war, wird während der Kaiiermanöeer im hiesigen Residenzschlosse wohnen.
Stuttgart, 19. Aug. Der Präsident des VerwaltungsgerichtShofcS von Mohl ist heute, 88 Jahre alt gestorben.
— Das in Stuttgart von einer jungen Dame aus Mnnäien verlorene Paket, worin sich ihr ganzes Heiratsgut in Obligationen und Tausendmarkscheinen im Gesamtbetrag von 70 000,/A befandest zur großen Freude der jungen Braut und — des Bräutigam« anfgefunden worden. Sie hatte e» gar nicht verloren, sondern das Paket befand sich in einem Koffer eingepackl.
— (Stuttgarter Heiratsgelegenheiten)
In keiner andern Stadt dürfte wohl die Zahl der Witwen eine so bedeutende sein, als in Stuttgart. Während cS dort nur 1390 vetüvitwete Männer giebt, beträgt die Zahl der verwitweten Frauenzimmer 6160. Die Aussichten zu ihrer Wiedcrvcrheiratung scheinen den Witwen keine günstigen zu sein; im vergangenen Jahre war die Nachfrage so gering, daß nur 94 Witwen sich aufs neue verehelichen konnten. In den Kreistn der Witwer scheint dagegen das Bestreben, Hye- nenS Fackel aufs neue zu entzünden, ziemlich kräftig zu sein, denn 175 Witwer erneuerten ihre Bekanntschaft mit dem Standesbeamten. Die Zahl der ledigen männlichen Personen in Stuttgart beträgt 43 500, die der weiblichen ledigen Personen 45 500.
' Cannstatt, 16. Aug. Beim Verkauf des Gemeindeobstes wurden Heuer 10 000 Mark erzielt, eine Summe, wie sie noch sollten erreicht wurde. Das Simri kostet durchschnittlich 1 98
Cannstatt, 18. Aug. Unsere Bäcker haben heute einen allgemeinen Brotabschlag ein- lreten lassen, der je 2 per Kilo beim weißen und Halbweißen und 3 per l'/a Kilo beim schwarzen Bros beträgt. Der letzte Abschlag fand im Mai d. I. statt.
Tübingen-, 18. Aug. B'im Gefechtsschießen wurden gestern mehrere Soldaten der hiesigen Garnison von Unwohlsein befallen. Wie man hört, sollen zwei derselben gestorben sein. Doch bleibt eine Bestätigung dieser Nachricht abzuwarten.
Nottweil, 18. Aug. Gestern abend ist das Armenhaus und der an dasselbe angebaute Farrenstall in Feckenhausen, hiesigen ObcramtS, abgebrannt; Kinder eines Insassen des Armenhauses wollten ein Wespennest anSränchern und verursachten auf diese Weise den Brand.
Ehingen, 18. Aug. Heute mittag stürzte auf dem Felde der 22jährige Sohn deS Bauern Jos. Leicht neben seinen Eltern vom Hitzschlag getrosten zu Boden und war sofort tot. — Das Scharlachfieber hat Heuer unter der Kinderwelt schon verschiedene Opfer gefordert. In Erbach mußten wegen dieser tückische» Krankheit die Schulen geschlossen werden.
— Die Beerdigung der sieben in Neisse ertrunkenen Soldaten fand auf dem dortigen Garnisonfriedhofe vom Garnisonlazaret anstatt. Eine unübersehbare, teilnahmS»ollc Menschenmenge war längs des ganzen Wege-,
den der Leichenzug nehmen mußte, zusam- mengeströmt. Dem Lcicbenzuge, dessen Vorbeimarsch über eine Viertelstunde dauern mochte, schritten zwei Sergeanten voran, ihnen folgte das Kreuz, dann kamen die beiden Musikkorps Kes Infanterie-Regiments von „Winterfell»" Nr. 23 und des Infanterie-Regiments Nr. 63, welche abwechselnd Choräle bliesen. Es folgten zwei Offiziere, hinter denen die kaih. und evang. Militär- geistlichen einherschritten; an diese schlossen sich an, von je acht Soldaten der betreffenden Kompagnien getragen, die mit Kränzen dollständig bedeckten Särge. Unmittelbar hinter dem Zuge der Särge gingen die Obersten der beiden Regimenter. Der Generalität folgte das ganze in N<isse anwesende Of- fizierkorp«, weiterhin vier Kompagnien des Infanterie-Regiments Nr. 23, 2 Kompagnien deS Jnfanteric-RegimeuiS Nr. 63, eine Batterie Feldartillerie zu Pferde und Ordonanzen. Vom Betreten de- Friedhofes waren, soweit sie nicht Leidtragende waren, Zivilpersonen ausgeschlossen. Erschütternde Szenen spielten am Rande deS Grabes ab. Ein blindes Mütterchen rief mit vcrzweif- lungSvollem Schluchzen : „Wo ist mein Sohn, mein lieber Sohn?" Ein leidtragender Pater wollte sich in das offene Grab Hinabstürzen, er mußte mit Gewalt zurückgehalten werden und brach dann im Uebermaß des Schmerzes zusammen. Kein Auge blieb thränenleer.
Walldürn, 12. Aug. Ein heiter-trauriges Stücklein hat sich hier abgespielt. Ein Pärchen, er Dienstknccht, sie Magd, sollten um 4 Uhr standesamtlich getraut werden, nachdem die- schon zweimal verschoben worden. Der Zeiger der Uhr stand schon auf '/« 4 . ES stellt sich der Bräutigam der harrenden Braut nicht ein; diese wird mißtrauisch und begiebt sich deS Bräutigam« Dienststelle, auch hier ist er nicht. Nun geht zu allem Unglück um genannte Zeit auch ein Eisenbahnzug ab, der, wie sich's bei der Suche um den Theuren herauSstelltc, ihn entführt hatte. Die Braut in ihrem Schmerz fliegt mehr als sie geht der Gendarmerie zu, die mithclfen soll, das Kleinod zu suchen. Diese jedoch ist bislang noch nicht zur Auffindung durchgebrannter Bräutigame autorisiert und so blieb das Bräutchen allein mit ihrem Schmerz. Böse Leute sagen, eS sei weniger schade um den Bräutigam, als um die dielen und guten „Blatz", der unverzehrt geblieben.
— Ein blutiges Eifersuchtsdrama spielte sich dieser Tage >n Bagnoli (Italien) ab. Im Jahre 1878 hatten sich zwei junge Leute aus Bagnoli in dasselbe Mädchen, eine sehr schöne lombardische Bäuerin, verliebt. Die Schöne fand an den Huldigungen der beiden galanten Ritter Gefallen und unterließ eS, sich für einen der beiden zu entscheiden, bis sie endlich von dem beherzteren Seladon, einem gewissen Russo, entführt und geheiratet wurde. Das verdroß den geschlagenen Nebenbuhler so sehr, daß er auf den glücklichen Bräutigam am Hochzeitstage drei Re- volverschüste abgab, die jedoch sämtlich fehl- gingen. Nikastro — so hieß der liebenstolle Scharfschütze — wurde damals zu 14 Jahren Zuchthaus verurteilt. Vor einigen Tagen wurde er nun aus der Haft entlassen, und sein erster Weg führte nach Bagnoli, wo er sich ein Jagdgewehr verschaffte und seinen ehemaligen Rivalen, der unterde« Vater von sechs Kindern geworden ist, auf offener Straße
niederschoß. Diesmal traf er besser, denn Russo war auf der Stelle tot. Der Mörder ist entflohen.
Jnterlacken, 19. Aug. In Grindcwald ist bei starkem Föhn eine große Feuersbrunst auSgcbrochcn. Bis zum Abend wurden 80 Firste eingcäschert; größtenteils sind Hotels sowie der Bahnhof und das Telegraphenbureau verbrannt. Der Schaden ist außerordentlich. Alles Mobiliar und fast alles Gepäck der zahlreichen Fremden sowie fast alle Vorräte sind vernichtet. Hilfszüge sind von Jnterlacken abgegangen. Eine ähnliche Botschaft kommt aus dem oberen Simmeu- thal, tvo in St. Stephan bereits 30 Häuser abgebrannt und sogar Blankenburg u. Zweisimmen bedroht sind.
— Der Ort Reith bei Zirl (in Tirol im Innthal), der gegen 50 Häuser zählt, ist am Mittwoch abend bis auf zwei Häuser abgebrannt. Kirche und Schule sind mitverbrannt.
— In Roubaix sind die großen Tuchlager von Bossus Vater und Sohn nieder- gebrannt. Der Schaden beträgt 800,000 Franken.
Brüssel, 19. Aug. Gesterntst die Pulverfabrik Arendonek in die Luft geflogen; ein Menschenleben ist dabei nicht verloren gc- gsngen.
Paris, 19. Aug. Die übermäßige Hitze dauert fort. Neun Fälle von Hitzschlag werden gemeldet. Bei einem für den Markt Lavillette angclangten Vichlransporte wurden 100 Stück ^Rindvieh und 300 Schweine durch Hitzschlag getötet in einem Eisenhahnwagen aufgefunden. Die Werkstätte der Kanvnengießerei Bourges ist wegen der großen Hitze geschloffen.
.-. (Mißverstanden) Städter: „Wo wollen Sie denn mit dem Fenster hin?" — Bauer: „Nach der Stadt!" —Städter: „Ja weshalb denn? das Fenster ist ja gar nicht kaput." — Bauer: „Eben darum will ich es verkaufen. Ich Hab in der Zeitung gelesen, daß man beim Festzug für ein Fenster 30 Mark bezahlt."
(Eintönig.) Gestern kein Geld, heut' kein Geld I Herrgott, ist daü ein eintöniges Leben!
— „Der Kalender des Lehrer Hinkenden Boten" ist soeben im 93. Jahrgange erschienen, Eine im alten Hamburg spielende Weihnachtsgeschichte, eine vortreffliche Erzählung aus den Alpen, bilden mit einer Humoreske von Maximilian Schmidt, einer klassischen Novelle Hermann Heibergs, einer kulturhistorisch interessanten Geschichte von C- GereS aus den napolesnischen Kriegen den Stamm des vorliegenden Jahrgang«, der überhaupt nur wahrhaft gesunde und herzerfreuende Leseksst für die weitesten Kreise enthält. Die Weltbegebenhcitcn sind such diesmal mit echt volkstümlicher Schlagkraft geschrieben, und ihre Illustrationen gehören zum Teil zu den besten satirischen Darstellungen von Zeitereignissen, die man sehen kann. Die erweiterte Ausgabe, sowie der Große Volkskalender, der vornehmen littcra- rischen Ansprüchen genügt, bringen eine ganze Anzahl besserer ernster und humoristischer Erzählungen. Wir zweifeln nicht, daß alte und neue Leser des Hinkenden auch an dem vorliegenden Jahrgang ihre Freude haben werden.