Nr. 5
Amts- und Anzeigeblatt für den OberamtsbezirL Calw.
98, Jahrgang.
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Montag, den 8. Januar 1923.
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Neueste Nachrichten.
Hebe« den Zusammenbruch der Pariser Konferenz werde« in der öffentlichen Meinung aller beteiligten Staate« natürlich ausführliche Besprechungen angestellt. In der französischen Presse wird erklärt, daß jetzt Frankreich allein Vorgehen werde, daß es aber so handeln werde, wie wenn es im Einverständnis mit allen Alliier- ten handeln würde. Die englische Presse wendet sich zwar gegen die französische Eewaltmaßnahmen, stellt aber zugleich fest, dah das gesonderte Borgehen Frankreichs die Freundschaft zwischen beiden Staaten nicht beeinflusse« werde. Wenn Bonar Law Herr« Poincare Erfolg (!) z« seinem Unternehmen wünscht, dann genügt das für die Beurteilung der Haltung Englands. Dieselbe Haltung nimmt auch Amerika ein, man zieht sich vor der Verantwortung zurück, macht eine moralische Gebärde, und überlässt Deutschland seinem Schicksal. Unsere stets vertretene Auffassung, daß weder England «och Amerika, wenn sie nicht durch eine Aenderung der außenpolitischen Konstellation in ihrem eigenen Jntresse dazu gezwungen werde«, Frankreich an seiner Zertrümmerungspolitik hindern werden, denn das Ziel der angelsächsischen Kriegs- Politik war doch die Vernichtung Deutschlands. Inte, ressant wird die nächste Sitzung der Reparationskommission sein, die darüber entscheiden soll» ob sie di« bisherige« «Verfehlungen d. h. die Einstellung der Barzahlungen und Sachleistungen als böswillige Verfehlungen hinzu- stellen de« Mut hat, nachdem sonwhl von neutralen Sachverständigen wie von dem englischen Mitglied der Rcparattonskommisfion eine Zahlungsunfähigkeit Deutschlands festgestellt worden ist.
Der Abbruch der Pariser Konferenz hat sofort auch auf die Verhandlungen in Lausanne eingewirkt. Die Türken wissen wohl» daß wenn man den Franzosen freie Hand gegenüber Deutschland läßt, die Engländer die Unterstützung Frankreichs im Orient erwarte«, und deshalb halten sie auch, wie der Präsident der Nationalversammlung in Angora erklärte, a« allen Forderungen fest, di« geeignet find, die türkische Souveränität im eigenen Lande wieder herzustellen.
Jas ReMMonMMem.
Rach Oer Pariser Konferenz.
Das französische Aktionsprogramm.
Pari», 6. Jan. Der „Newyork Herold" gibt von dem Programm, das die französische Regierung im Anschluß an die erwartete Feststellung der deutschen Verfehlung in der Kohlenlieferungsfrage durchzuführen gedenkt, eine Darstellung, in der es heißt: Nachdem die Reparationskommisston der französischen Regierung ihren mit Stimmenmehrheit oder einstimmig gefaßten Beschluß über die Verfehlung Deutschlands mitgeteilt haben werde, werde das französische Kabinett sofort zusammentreten, die Absichten Frankreichs formell notifizieren und gleichzeitig seine Alliierten zur Mitwirkung auffordern. Die Notifikation werde an sämtliche Alliierten einschließlich Englands gehen, eine Abschrift wahrscheinlich auch an die Vereinigten Staaten und daneben werde Deutschland mitgeteilt werden, daß Frankreich und weniKens auch Belgien, — hinsichtlich Italiens bestünden «och einige Zweifel —, zur Beschlagnahme der Forsten im Rheinland und zur Besteuerung der Kohl« schreiten und in jedes Zollamt im Ruhrgebiet und an den Grenzen des Rheinlands französische Beamte zur Einziehung der Aprozentigen Ausfuhrabgabe einsetzen würden. Deutschland werde aufgefordert werden, diese Maßnahmen zu unterstützen und von seiner Haltung werde der Umfang der militärischen Vorsichtsmaßregeln abhän- gen, die Frankreich bei der Durchführung dieses Planes treffen werde. An einem bestimmten Tage, der, wie man annehme, zunächst für Mitte der nächsten Woche angesetzt sei, würden sich mehrere tausend französische Beamte einschließlich eines Stabs von Ingenieuren auf die für sie bestimmten Posten in den Forstverwaltungen, Bergwerksdirektionen und Zollämtern begeben. Sie würden von französischen Truppenabteilungen begleitet sein, die für ihren Schutz zu sorgen und Streiks und Unruhen zuvorzukommen hätten. Di« hierfür erforderliche Truppenzahl werde nichtamtlich auf 7500 Mann geschätzt. Die Truppen würden aus dem Düsseldorfer Dreieck herausgezogen werden, wo die Be- HjjkMng Hranzoje^Knger« Zeit keine Dörgen gemacht
habe. Im Rheinland und entlang der französischen Grenze seien indessen insgesamt 280 000 Mann verfügbar, falls die vorgesehenen Maßnahmen auf ernste Schwierigkeiten stoßen sollten. Zum Beweis ihrer Solidarität mit den Franzosen hätten die Belgier hinsichtlich dieses Vorgehens eine kleine Vertretung im Hauptquartier für jede Truppenbewegung zugesagt, aber auch die belgischen Divisionen in Aachen sollten verstärkt werden, um ge- gegebenenfalls als Reserve zu dienen. Sollte die Reparationskommission am 15. Januar, wenn diese Maßnahmen im Gange wären, beschließen, Deutschland auf Grund des von Poincarö ausgestellten Systems produktiver Garantien, gegen die England Einwendungen gemacht habe, ein Moratorium zu gewähren, dann würden die oben genannten französischen Maßnahmen neben dem Moratorium einhergehen. Für den Augenblick jedoch betrachte man das Moratorium und die Pfandnahme als unabhängig voneinander.
PoincarL bereitet die Sanktionen vor.
Paris» 8. Jan. Ministerpräsident Poincarö verhandelte gestern mit dem aus Lausanne eingetroffenen französischen Delegierten Barröre, ferner mit dem Minister für öffentliche Arbeiten, Le Trocquer. — Nach dem „Temps" handelt es sich bei der zweiten Besprechung um die Prüfung technischer Fragen bei der Ausführung von gegen Deutschland zu ergreifenden Sanktionen. (!j
Paris, 7. Jan. Der „Matin" teilt mit: Gestern Nachmittag ist unter dem Vorsitz Millerands eine wichtige Beratung abgehalten worden, an der Poincarö, Kriegsminister Maginot, der Minister für öffentliche Arbeiten, Le Trocques, und Marschall Foch teUnahmen. Die Sitzung, die Über drei Stunden dauerte, hat die Durchführung der am Vormittag im Ministerrat beschlossenen Maßnahmen zum Gegenstand gehabt.
Frankreich giebt oorlSusig keine Erklärungen über seine Absichten.
Paris» 7. Jan. Der „Temps" glaubt zu wissen, daß alle Meldungen über die Absichten Frankreichs gegenüber Deutschland, die veröffentlicht wurden, reine Mutmaßungen darstellen. Die französische Regierung habe den Alliierten ihre Absichten mitgeteilt, aber es sei nicht angängig, Auskünfte oder Dementierungen zu bringen. Sie werde sich sicherlich solange als nötig die Freiheit Vorbehalten, ihr Programm festzusetzen und ihre Stunde zu wählen.
Belgische Vorbereitungen für die Besetzung des Rnhrgebiets.
Paris, 7. Jan. Der Brüsseler Korrespondent des «Petit Parifien" glaubt zu wissen, daß Belgien an der Besetzung Essens teilnehmen werde, falls diese nach der Feststellung der deutschen Verfehlung als erste Maßnahme in Betracht komme. Auch der Berichterstatter des „Oeuvre" meldet, dah die Besetzung Essens durch französische und belgische Truppen erfolgen werde.
Paris, 7. Jan. Das „Journal" glaubt behaupten zu können, daß die belgische Regierung für alle Fälle Vorkehrungen für die Einberufung einer Jahresklasse der Miliz treffe. Schon vor drei Monaten habe die belgische Regierung bei jungen Ingenieuren angefragt, ob sie bereit seien, die Leitung der Fabriken im Ruhrgebiet zu übernehmen. Die Antwort habe bejahend gelautet.
Reparationskommisston «. französische Regierung.
Paris» 7. Jan. „Ere Nouvelle" teilt mit, daß, während die Reparationskommission über die Anhörung eines deutschen Vertreters in der Frage der Kohlenlieferungrn verhandelte, die Minister im Elyste eine Sitzung abgehalten haben. Gut unterrichtete Leute seien der Ansicht» daß jetzt der Augenblick der unwiderruflichen Entscheidung gekommen sei. Der allgemeine Eindruck sei, daß man jetzt auf den Gedanken der technischen Besetzung verzichtet habe. — An anderer Stelle schreibt das Blatt, gewissen Informationen zufolge solle der Generalstab nicht für eine Teiloperation sein. Die hitzigsten in dieser Angelegenheit feien die Zivilpersönlichkeiten. Das vor einigen Tagen verkündete System der technischen Besetzung könne wegen materieller Schwierigkeiten als beendet gelten. Gleichzeitig wünsche die Reparationskommission ihre Unabhängigkeit gegenüber dem Quai d'Orsay zu bekunden und ihre Absicht darzutun, gerecht und korrekt zu verfahren. Man dürfe aus ihrem Beschluß ableiten, daß auch in der Angelegenheit des Moratoriums und in der Frage der vom Reichskanzler Cuno auf Grund seiner ersten Verhandlungen mit den deutschen Industriellen vorüeschlagenen Pfänd er V ertreter der deut
schen Regierung gehört würden. Das Blatt hält es für möglich, daß der Unabhängigkeitssinn der Reparationskommisston ebenso günstige wie unerwartete Ergebnisse zeitigen wird. — Ueber den Verlauf des gestrigen Ministerrats schreibt das Blatt: Nach längeren Erörterungen, in deren Verlauf die Absicht eines sofortigen Vorgehens geäußert wurde, stellte sich der Ministerrat auf Vorschlag Poincarä auf den Standpunkt, daß die Regierung, bevor sie Zwangsmaßnahmen durchführe, abwarten soll, bis die Neparationskommisfion die wiederholten Verfehlungen festgestellt hat. — Das Blatt schreibt: Wenn dieses Verfahren in französischem Sinne seinen Abschluß gefunden hat, wird dann der Plan der Zwangsmaßnahmen durchgeführt werden? Am Dienstag soll ein neuer Ministerrat abgehalten werden, der sich wahrscheinlich zu dieser Angelegenheit nochmals wird zu äußern haben.
Die englische Anffafsung.
Paris, 7. Jan. Der „Temps" meldet, daß in der gestern früh stattgefundenen Sitzung der Reparationskommisflon Sir John Bradbury eine kurze Ansprache gehalten habe, in der er die Beobachtung des Vertrags und die Aufrechtrrhaltung der Rechte und Vollmachten der Kommission empfohlen habe. Der diplomatische Berichterstatter der Havas-Agentur erführt über die gestrigen EMärungen Bradburys in der Reparationskommission, die nach seiner Ansicht einen neuen Beweis für die entgegenkommenden Absichten Englands bieten, Bradbury habe zunächst festgestellt, daß er am Dienstag von London aus die Vertagung der Verhandlungen über die Verfehlung Deutschlands Lei den Kohlenlieferungen, die ans den 3. Januar angefetzt gewesen seien, verlangt habe, bis die verbündeten Regierung die Verhandlungen über die Reparationsfrage insgesamt beendet hätten. Dabei habe ihn die Absicht geleitet, die Auffassung der Regierungen nicht vorzngreifen. Heute, nachdem die Pariser Konferenz ergebnislos auseinander gegangen sei, sei die englische Delegation bereit, an allen Verhandlungen teilzunehmen. Brad- bury wies im Anschluß hieran darauf hin, daß er seit Mitte 1922 mehrmals aus persönlichen Gründen seinen Rücktritt angeboren habe, daß er jedoch auf Ersuchen des damaligen Kabinetts im Amte geblieben sei. Er legte ferner Wert auf die Bemerkung, daß die englische Delegation, wenn sie entgegen gewissen Gerüchten weiter in der Reparationskommisston bleibe, nichtsdestoweniger von den Folgen derjenigen Beschlüsse abzu- rücken gedenke, denen sie nicht beitreten werde, und daß sie in dieser Beziehung keinerlei Verantwortung ju übernehmen wünsche. Diese Aufafssung ist übrigens, fügt der Berichterstatter hinzu, streng vertragsgemäß aus Grund des K 21 Anhang II, wonach keine der a. und a. Regierungen eine Verantwortung hinsichtlich einer anderen Regierung übernimmt. — Schließlich sprach Bradbury den Wunsch aus, es möchten die Beziehungen zwischen England und Frankreich sich bald wieder so gestalten, daß ein umfassendes Zusammenwirken möglich sei. — Barthau dankte Bradbury mit den Worten: Zwei Wanderer, die am Rande eines Waldes ankoommen, können je nach ihrem Geschmack der eine ihn umgehen, der andere ihn durchqueren. Da. rum komme« sie beim Ausgang ans dem Wald« doch wieder zusammen. So wird es auch mit England und Frankreich sein.
Eine Bemerkung
des englischen Reparationsvertreters.
Paris, 7. Jan. Die „Chicago Tribüne" schreibt: In Paris macht eine Bemerkung Aufsehen, die Sir John Bradbury gemacht hat, als er gegen die Feststellung der deutschen Verfehlung in der Frage der deutschen Holzlieferungen sprach. Er bemerkte, daß, feit das Holzpferd von Troja gebaut worden sei, Holz niemals zu einem abscheulicheren Zweck verwandt worden sei. Er erklärte den Vorschlag, die vorsätzliche Verfehlung Deutschlands festzustellen, für unbegründet, da die Kommission sich bereits früher damit einverstanden erklärt habe, daß die Angelegenheit geschäftsmäßig behandelt werde. — Die Bemerkung Bradburys wurde in Pariser amtlichen Kreisen allgemein bekannt. Die Freundschaft zwischen England und Frankreich bleibt bestehen.
Paris, 6. Jan. Zur Lage schreibt das „Echo de Paris": Bonar Law und Poincarö hatten geistern mittag am Nordbahnhof eine kurze Unterredung. Sie ist nicht unnütz gewesen, weil sie chnm Gelegenheit gegeben hat, dir schon am Vorabend aus- getauschten Versicherungen zu erneuern. Die Zusammenarbeit der bewen Länder ist auf dem Gebiete der deutschen Angelegenheiten Unterbrochen: anderwärts besteht sie überall fort. Die beiden RegieruWschefs haben ihr«» Willen knndgegeben, in