Die Reform des Hausierhandels.
Die modrrnc Gewerbcfreihrit hat neben ihren anerkannten zahlreichen Segnungen auch nicht wenige zweifellose Uebelständ^. und Anwüchse gezeigt, und hierher gehört auch die übermäßige Konkurrenz, welche dem kleinen Kaufmann und Gewerbetreibenden durch den Hausierhandel gemacht wird. Seil Jahren ertönen sich immer steigende Klagen des seßhaften kaufmännischen Geschäfts und Kleingewerbe- in Landorlen, wie in kleinen bi« mittleren Städten über die zunehmende geschäftliche Schädigung dieser Kreise durch den Kleinhandel und die sogenannten Detail- reisenden. In der Thal erscheint es an der Zeit, daß die Regierungen und gesetzgebenden Faktoren ihre Aufmerksamkeit ernstlich dem Umstande zuwenden, daß die genannten, für den Staat doch durchaus nicht unwichtigen BerufSklassen durch die Ausdehnung, welche der Hausierhandel gewonnen hat, und durch die rücksichtslose Art seiner Betreibung eine empfindliche Schädigung erleiden. E« gibt fast keinen einzigen einigermaßen leicht zu transporiierendcn Artikel mehr, der dem Publikum nicht auf dem Wege des Hausierhandels angeboteu würde, und die Detsilreisenden kommen von Jahr zu Jahr häufiger aus den größeren Städten auf die Landoue, um unter Aufwendung aller Mittel der Anpreisung sich, relp ihren Auftraggebern Kundschaft zu erwerben. Da mit der Dichtigkeit des Eisenbahnnetzes auch der Besuch der größeren Plätze durch die Käufer au« den kleineren Orten selbst zu- ittMmt, so vermehrt und verschärft sich hiermit nur der Wettbewerb, mit dem heutzutage der Kaufmann und Kleingewerbetreibende gerade der kleineren Städte und Landorte zu kämpfen haben. Nach wie vor gezwungen, der wenig treu gebliebenen Kundschaft in Auswahl und Beschaffenheit der Waren möglichst viel zu bieten, um diesen alten Kundenstamm nicht auch noch zu verlieren, vermögen sie nur in den seltensten Fällen einen angemessenen Umsatzmitentsprechendem Nutzen zu erzielen und die geschäftliche» Klagen der belreffrenden Kreise über die ihnen aus dem Haussierhandel erwachsende Konkurrenz erscheinen daher ganz begreiflich.
Diesem Zurückdrängen des kleinstädtischen selbstständigen Geschäfts steht indessen ein ausgleichender Nutzen, der sich hieraus für anndere BcvölkerungSklass:» ergeben könnte, wohl kaum gegenüber, denn der wandernde Händler kann unmöglich besonders preiS- würdig verkaufen, und die dem Käufer gebotene Bequemlichkeit wird häufig durch überflüssige Anschaflungen und manche andere Nachteile sür ihn wett gemacht. Aus alledem ergiebt sich, daß der Kleinkanfmann und Kleingkwerbktrcibende namentlich in Pro- vinzialfläbtchen und Landorten zweifellos ein gewisses Recht auf Schutz gegenüber der ihn bedrängende» Konkurrenz des Hausierhandels und der Detailrcisendcn hat. Freilich läßt sich aber nicht verkennen, daß einschneidende gesetzgeberische Maßregeln gegen die AuS- wüchfe des Hausierhandels auf große Schwierigkeiten stoßen würden, iS sind zum Teil dieselben Schwierigkeiten, welche sich schvn bei der seit Jahren schwebenden Frage der gesetzlichen Regelung der Abzahlgejchäfte gezeigt haben. Denn dort wie hier hat eS der Reformator mit gesetzlichen Einrichtungen zu thun, unter deren Schutze die betreffenden
Gewerbe stehen, und dort wie hier handelt cs sich teilweise wenigstens um Existenzinteressen, welche durch ein scharfe- Vorgeben gegen die Gewerbelreibenden au« den Kreisen des Hausierertums und der sogenannten Bazars bedroht werden würden. Aber auf der anderen Seite gilt e«, vielleicht noch wichtigere Existenzinteressen zu schützen, dieselben sind in den Reihen der kleinen Kaufleute und Gewerbetreibenden schon längst durch die Mißstände im Wesen der Abzahlungsgeschäfte gefärdert und sie werden dies nun mehr und mehr auch infolge der rückWts- tosen Konkurrenz de§ Hausierhandel«. Jedenfalls steht zu erwarten, daß die maßgebenden Fakloren, endlich der Frage, wie sieb den Auswüchsen deSselber gegenüber Abhilfe schaffen ließe, ebenfalls ernstlich und wohlwollend näher treten, da e« hier gilt, hochachtbare gewerbliche Kreise gegen die Uebergrifle seilens einer in ihren Mittein nicht mehr lauteren Konkurrenz zu schützen; daß schließlich eine gewisse Beschränkung dcS Hausierwesens auch dem kaufenden Publikum nach verschiedenen Richttlngsn hin zu Gute kommen würde, bedarf wohl keiner besonderen Darlegung.
WergißmeinnichL.
Novelle von H von Ziegler.
Nachdruck verboten.
3 .
Ein Zug von Enttäuschung flog um LucunS Lippen. Albrcchi von Lassow, Theklas Bruder, kam recht häufig zu der alten Gräfin, aber Lucie machte sich nichts aus diesen Besuchen; man sprach sehr gelehrt von Politik, Landwinschasl und Wetter, und all die Tinge, weiche das junge Mädchen interessierten, wurden nicht erwähnt. So saß sie meist schweigend dabei, da« blonde Köpfchen auf die Arbeit geneigt, ihren eignen oft ganz wunderlichen Gedanken nachhängend. Sie ahnte freilich nicht, daß es eben dies blonde Köpfchen war, welches Albrecht stets wieder nach Schloß Bergenhöhe irieb, daß ein einziger Blick ibrer blauen Augen ihm mehr galt als all' die klugen Gespräche mit der Gräfin.
Unmutig zupfte sie denn auch jetzt das graue Kleid zurecht, legte den Hut aus einen Tisch und streifte die Handschuh ab, ehe sie hineinging.
Herr von Lassow stand, schon im Ausbruch begriffen vor dem Fauteuil der alle» Gräfin und wandte sich hastig um, als die Thür aufging. Sein Gesicht erhellte sich zusehends, als er die junge Gräfin sah.
Lassow war eine mittelgroße, gedrungene Gestalt, sein von einem kurzen, dunkelblonden Vollbort umrahmtes, von Wi»d und Wetter gebräuntes Gesicht zeigte einen klugen, gui- mütigcn Ausbruck, und der Blick seiner grauen Augen war meist ein ernster; die ganze Erscheinung trug den unleugbaren Stempel des biederen Landedelmannes, aber man sah dabei Lassow auch deutlich an, daß er das, wa« ihm vielleicht an weltmännischer Klugheit und Gewaiidheit avging, reichlich durch Tugenden dcS Charakters und Herzens ersetzte.
„So sehe ich Sie doch noch, Fräulein Lucie!" jagte er, herzlich ihre Hand schüttelnd. „Das freut mich doppelt, denn nun kann ich meine Einladung zu ThektaS Geburtstag bei Ihnen selbst auSrichten."
LucienS Antlitz heiterte sich auf; wenn auch der Aufenthalt in Schwärzendorf nicbls Besondere« bot, so war es doch immerhin eine Abwechslung, und so ries Sie herzlich: „Ach ja, wenn es Großmama erlaubt, komme ich sehr gern zu Thekla« Geburtstag, und e« ist sehr freundlich von Ihnen, daß Sie an mich dachten."
„O, Fräulein Lucie, Theklas Geburtstag ohne Sie könnte ich mir gar nicht denken. Wir sind Ihnen von ganzem Herzen dankbar, wenn Sir un« beiden einsamen Geschwistern die Freude machen, zu kommen. Wir werden zu dem kleinen Feste etwa 8 Personen sein, denn ich habe gerade heute Nachricht bekommen, daß ein Bekannter aus der Residenz für einige Tage un« besuche» wird."
„Wer ist cS denn? Thekla sagte, es sei ein Ausländer."
„Ganz recht, er heißt Bellarino, er ist ein Italiener und ein berühmter Geigen- virtuoS, der mich in der Hauptstadt nickt nur durch seine Gunst, sondern auch durch sein glänzendes GesellschaslSIalent entzückte."
Bei diesen Worten schnellte die alte Gräfin empor wie vom Blitz getroffen, ihre Lippen waren fchneebleich.
„Wie nannten Sie den Fremden, Herr von Lassow?" frug sie in seltsamer Erregung, „um des Himmels Barmherzigkeit willen — ich muß es wissen."
„Bellarinoantwortete der Gefragte einigermaßen erstaunt und überrascht, „er war noch nie in dieser Gegend gnädige Gräfin, und kann etwa sechSundzwanzig Jahre alt sein."
„Vergeben Sie meine Erregung, lieber Freund," entgegnete die alte Dame seufzend; „jener Name weckt alte, längst begrabene Erinnerungen in mir auf. Doch Sic haben Recht I Ihr Bekannter hat nichts mit der Vergangenheit zu thun, an die ich bei dem Klange seines Namen« erinncrt werde. — Lucie, Du willst also die Einladung de« Herrn von Lassow annehmen?"
„O und wie gern," rief diese, in die Hände klatschend. Lucie hatte auf die letzten zwischen Lassow und der Gräfin gewechselten Worte fast gar nicht gehört, weit sie überlegte, weiches Kleid sid zu dem Geburlssrste Theklas «nlegen werde.
„Ist Ihr Gast schvn da?" srug Lucie dann.
Möglicherweise," lächelte Herr von Lassow, „denn er wollte heute bestimmt kommen und könnte während meiner Abwesenheit von Schwarzendorf dort eingetroffen sein."
„Bleibt der — Herr lange?" srug die alle Dame noch immer seltsam erregt.
„Ich weiß es nicht, Frau Gräfin. Er ist ein berühmter Geigenvirtuos, wie ich schon sagte, und da- Künstleivölktein hat ja doch nirgends lange Ruhe, obwohl ick es gern sähe, wenn er mir und meinen Gästen aus einige Tage die ländliche Einsamkeit mit seiner Kunst erheitern Helsen würbe."
„Ich werde morgen selbst kommen, unr Lucie abzuholen," entgegnete die Gräfin bestimmt, „dann kann ich Thekla noch selbst Glück wünschen.
„Aber, Großmama, welch' ein Wunder," lachte Lucie übermütig. „Du fährst doch sonst nie am Abend aus! Da ist wohl gar der italienische Geigenkünstler Schuld daran."
(Fortsetzung folgt.)
Druck und Verlag von Bernhard Hosmann in Wlldbad. (Verantwortlicher Redakteur Bernh. Hofmann.)