Zur Einführung derCinyeitszeit.
Der Staalsanzeiger enthält eine amtliche Bekanntmachung, wonach auf den württ. Staats- und Privat-Eisenbahncn mit dem 1. April 1892 an Stelle der Stuttgarter Zeit die mitteleuropäische Zeit zur Einführung kommt.
Von diesem Tage an zeigen sämtliche Stationsuhrcn diese letztere Zeit, welche der Stuttgarter Zeit um 23 Minuten Voraus ist. Der aus den 1. April erscheinende neue Aushang-Fahrplan, sowie der gleichfalls neu zur Ausgabe kommende amtliche Taschen- fahrplan geben die Abgangs- und Ankunftszeiten der »ürttemb. Eisenbahnen und derjenigen Bahnen, welche die neue Zeitrechnung ebenfalls anwcnden, in mitteleuropäischer Zeit an, enthalten aber sonst keine Aenderung gegenüber dem bis zum 31. März giltigcn Fahrplan.
Der 1. April als Beginn der neuen Zeitrechnung an Stelle des 1. Mai, an welchem Tag der Sommrrfahrplan ins Leben tritt, ist gewählt worden, weil es aus dienstlichen Gründen nicht geraten schien, die Aenderung gleichzeitig mit einem Fahrplanwechsel vorzunehmen.
Der Uebergang zur neuen Zeitrechnung im Eisenbahnwesen erfolgt mit dem l. April wie in Württemberg so auch in Bayern, einschließlich der Pfalz, in Baden und in Elsaß-Lothringen. Die österreichisch-ungarischen Bahnen sind bereits am 1. Oktober 1891 mit Einführung der mitteleuropäischen Zeit vorgegangen.
In dem vorbezeichneten Gebiet, in welchem bisher verschiedene Zeilen gegolten haben, nämlich in Ungarn und Galizien die Bueapestcr, in Oesterreich die Prager, in Bayern rechts des Rheins die Münchener, in Württemberg die Stuttgarter, m Baden die Karlsruher, in der bayerischen Pfalz die Ludwigshafcner Zeit und in Eisaß-Lothringen die Ortszeit, wirb nunmehr IM inneren wie im äußeren Dienst der Bahnen nach ein und derselben Zeit gerechnet; die Uhidisfereuzen Verschwinden.
Welche Erleichterung für den Dienst der Bahnbeamten und ganz besonders für das reisende Publikum hiedurch geschaffen wirb, ist einleuchtend.
Die mitteleuropäische Zeit (abgekürzt M. E. Z.) ist die Z-it des 15. Meridians östlich von Greenwich. Die Anwendung dieser Zeit gründet sich auf einen im Jahr 1890 gefaßten, auf die Beseitigung vervielfachen Uhrdlffercnzen abzielenden Beschluß, der Generalversammlung des Vereins deutscher Eiscnbahnverwaltungen, welchem außer sämtliche» deutschen auch die österreichischungarischen, rumänischen, polnischen, niederländischen, sowie ein Teil der belgischen Bahnen angehören. Nach diesem Beschluß ist im Gebiete des Vereins — zunächst mit Beschränkung auf den innern Dienst — Zonenzeit einzuführen.
Während nun in Preußen, Sachsen und den übrigen norddeutschen Staaten, sowie im Großherzoglhum Hessen, die mitteleuropäische Zeit nur im inneren Dienst der Eisenbahn- Verwaltungen, d. h. in den zum Dienstgebrauch der Bahnbeamten bestimmten Fahrplänen — an Stelle der früher angeordne- len Berliner Zeit — Zur Anwendung kommt, die Fahrpläne für das Publikum dagegen
die Abgangs- und Ankunftszeiten nach wie vor in der Ortszeit der betreffenden Station angeben, konnte ein gleiche- Vorgehen in Bayern, Württemberg, Baden und der Pfalz nicht stattfinden, weil in diesen Ländern von jeher die Fahrpläne für das Publikum und die Dienstfahrplänc die Zeiten gleichmäßig nach der mittleren Sonnenzeit der Stadt, in welcher die Zentralverwaltnng der Bahn ihren Sitz hat, angeben auch im gesamten bürgerlichen Leben nicht nach der Zeit des betreff- enden OrteS, sondern nach der Bahnzeit gerechnet wird.
Für die bezeichneten Länder ergab sich die Notwendigkeit zur Vermeidung von vielerlei Unzuträglichkeiten die Zonenzeit nicht für den inneren Dienstbctrieb allein, sondern auch für den Verkehr mit dem Publikum einzu- führen. Die Reichseisenbahnen in Elsaß- Lothringen, welche seither das System der norddeutschen Buhnen hatten, haben dem Vorgehen ihrer süddeutschen Nachbarbahnen sich angeschlessen.
Das Slundenzoncnsysiem hat zur Voraussetzung, daß auf der ganzen Erde blos 24 verschiedene Zeilen bestehen sollen, die unter sich nur um ganzeStunden abweichen, während Minuten und Sekunden in demselben Augenblick auf dem ganzen Erdball die gleichen sind. Die Erde wirk- zu diesem Zweck in 24 Zonen geteilt von je 15 Grad Lägenausdehnung (1 Grad gleich 4 Zeitminuten.)
Als Ausgangspunkt ist der Meridian von Greenwich angenommen. Innerhalb jeder so gebildeten Stundenzone soll die Zeit des Mittelmendians derselben als Normalzeit für die ganze Zone gelten, wobei jedoch die Grenzen der Zonen aus Gründen der Zweckmäßigkeit »ich! scharf nach den thevrelischen Meridiane», souren, nach Ländergreuzen zu ziehen sind. Nach dieser Einleitung hätten in Europa die Staaten: England, Frankreich, Belgien, die Niederlande, Spanien und Poriugal Greenwichcrzeit ; Deutschland, Oesterreich-Ungarn, Dänemark, Schweben, Norwegen, die Schweiz, Jialien, Serbien und Montenegro die Zeit des um eine Stunde östlich von Greenwich gelegenen 15. Meridians oder die mitteleuropäische Zeit; endlich Rußland, Rumänien, Bulgarien, die Türkei und Griechenland die Zeit des um zwei Stunden östlichen von Greenwich gelegenen (30.) Meridians oder osteuropäische Zeit.
Dieses Zonensystem ist jin Nordamerika sowie in England, Schweden, Rumänien und Bulgarien in Geltung und wird außer bei den eingangs erwähnten Bahnen, bei den Bahnen in Belgien und in den Niederlanden demnächst cingesührt.
Die Schweiz hat die Berner Znt, Frankreich die Pariser Zeit und Italien die Römische Zeit beibehalten.
Die Berner Zeit ist um 30, die Pariser um 50, die römische um 10 Minuten hinter der mitteleuropäischen Zeit zurück.
Nicht um Gold.
Eine Geschichte aus unser» Tagen von
Coustance Baronesse von Gaudy.
(Nachdruck verboten.)
4.
ES war Abend, dir letzten Sonnenstrahlen vergoldeten Schloß Tanneck und warfen einen
wunderlichen Glanz auf daS prächtige alte Gemäuer. In den Schloßhof bog soeben ein leichter Einspänner ein. Jutta, einfach, aber doch geschmackvoll und wie eine vornehme Dame vom Scheitel bis zur Sohle gekleidet, ruhte leicht in den Kissen des Wagens, ihre Blicke schweiften bewundernd vom hohen, burgartigen Dach deS Schlosses bis herab auf das stolze Steinwappcn über dem Portal.
„Dies ist also Schloß Tanneck," flüsterte sie mit stiller Befriedigung. „Gott segne meinen Eingang und helfe mir hier das Rechte thun I"
Prüfenden Auges blickte sie sich dabei nach einem dienstbaren Geist um, der ihr be'in Absteigen auS dem Wagen behilflich fein könne, aber Niemand ließ sich sehe», um der ankommenden jungen Dame diesen Dienst der Höflichkeit zu erweisen. Den Luxus eines Kammerdieners konnte sich der Schloßherr schon lauge nicht mehr gestatten, gewöhnlich kulschierlc er auch selbst bei seinen Ausfahrten und so war heute nur der soge- nannnte zweite Kutscher, ohne Livree, an die Bahn geschickt.
Als Niemand sich der ungeduldig werdendes Jutta zeigte, sprang sie entschlossen vom Wagen und bedeutete dem Rosselenker, den mächtigen Reisekorb abzuheben und einstweilen vor das geöff»e:e Portal zu setzen. In dem Augenblick lugte ein hübsches kleines dunkcllockes Mädchen im verwafchnen Kleidchen neugierig um die Ecke.
Jutte näherte sich ihr freundlich und faßte schnell nach den sonnverbrannten Patschhändchen der Kleinen, die sich sonderbar genug in Juttas feinen Hellen Reischaud- schuhen ausnahmen.
„Bist Du die Lehrerin, die Tante Va- lcöka für mich verschrieben?" fragte Edith, Denn diefe war das kleine Mädchen, mit be- kiommenem Seitenblick JutlaS ungewohnte elegante Erscheinung musternd.
„Ja, die bin ich," lautete die Antwort eigentümlich weicher, wohlklingender Stimme, „und ich denke, wir werden uns beide bald recht lieb haben, nicht wahr?" Bei diesen Worten beugte sich Jutta herab, um die großen, sorgenden Ktnderaugcn freundlich z« küssen.
„Da kommt Papa I rief jetzt Edith und scheu huschle sie dem schlanken Mann entgegen, der rasch, elastischen Schrittes sich jetzt der Gruppe näherte.
Wenn auch in Horst von Senden der erste Anblick der feinen, modern gekleideten jungen Dame einige Ucberaschung hervorief, fo faßte er sich doch mit weltmännischer Gewandtheit sofort, verbeugte sich höflich vor der Neuangekommenen und sagte einfach, nicht unfreundlich:
„Mein Name ist von Senden. Sie sind Fräulein Gerhard, wie ich vermute?" Und prüfend überflog sein stolzes, scharfes Auge nochmals die ganze Erscheinung Juttas, die in ihrem tadellosen Auftreten jedem Salon Ehre gemacht hätte.
Jutta verneigte sich anmutig »ud sagte mit bittender Stimme: „Sie geben wohl Befehl, Herr von Senden, daß Jemand mir mein Zimmer anweist und den Reistkerb dort dahin befördert?"
(Fortsetzung folgt.)
Druck und Verlag von Bernhard Hosmann in Wildbad. (Verantwortlicher Redakteur Brrnh. Hofmann.)