Wicht UM Ootö.
Eine Geschichte aus unfern Togen von
Constanee Baronesse von Gaudy.
(Nachdruck verboten.)
2.
„Wohin so schnell, mein Töchterchen?" ertönte in diesem Augenblick die volle, j.klare Stimme des Kommerzienrate- Gerhard, eines stattlichen Mannes in den besten Zähren, der, einen Brief in der Hand haltend, sich ungesehen der Gruppe der Mädchen genähert hatte. „Hier ist ein Brief für Dich, Jutta, au« einem ganz fremden Ort. Korespon- dierst Du in die Gegend von Köln am Rhein hin?" Und die klugen Augen halb schelmisch halb freundlich auf seine älteste Tochter gerichtet, gab der Vater ihr das soeben fürste eingetroffene Schreiben.
„Lieber Vater, es ist der erste Brief von dort," erwiederte diese ihm offen und frei an- anschauend. „Noch weiß ich nicht wa- der Brief enthält. Gönne mir ein paar Minuten nur allein, und dann komme ich zu Dir auf's Kontor, um Dir Alle« zu erklären."
„Was daü für Heimlichkeiten sind !" ließ sich jetzt eine ärgerliche Stimme vom Hintergründe de- Salons vernehmen, wo auf bequemer Chaiselongue die sehr korpulente Frau Kommerzienrat soeben von ihrem langen Mittagsschlaf erwacht war. „Immer hatte Jutta etwa« Besonders I Und mich , ihre Mutter, fragt sic fast nie mehr um Rat I Freilich Rosa und Emmy sind nicht anders als Jutta, wenn auch au-anderen Gründen. Ich scheine für Euch alle im Hause nur eine Null zu sein I" — Und zornig fächelte sich die jetzt sehr erhitzt auSschende Dame mit dem eleganten Battisttaschentuche Kühlung zu.
„Laßt mich dann aber auch weiter im Frieden, wenn Ihr mit Euren eigenen Plänen üdele Erfahrungen macht," zürnte die Frau Kommerzienrat weiter. „Sagt dem Diemr, daß der Kaffee serviert wird," befahl sie dann, und seufzend ob der großen, seltenen Kraflanstrengung einer so langen, zusammenhängenden Rede sank die corpu- lcnte Dame wieder in die weichen Kissen zurück.
2 .
Am Abend gab et grenzenlose» Staunen und Kopsschütteln in der Familie Gerhard, als Jutta, nachdem sic sich mit ihrem klugen, wohlwollenden Vater verhältnismäßig rasch verständigt hatte, der Mutter und den Schwestern mat der ihr eigenen ruhigen Bestimmtheit erklärte, sie des oberflächliche Treiben« in ihrer Vaterstadt, der ununterbrochnen Jagd nach leeren Vergnügungen, bei denen immer nur Geld, und wieder Geld, de» Ton angab und aller Interessen ausfüllte, von Herzen müde. Und deshalb habe sie, in ihrem Verlangen einen vernünftigen Lebenszweck, eine nützliche Thätigkeit zu finden, ohne den Ihrigen bisher etwa- davon zu sagen, auf eine Anzeige geantwortet, in welcher am Rhein, auf dem Lande bei Köln für ein kleines siebenjährige« Mädchen eine Erzieherin gesucht wurde. Der Brief, den beim Kaffee der Kommerzienrat seiner Tochter eingehändigt hatte, war der Bescheid aus Schloß Tannrck auf Jutta« Anerbieten gewesen. Ein Fräulein von Senden, offenbar eine ältere Dame, engagierte darin Jutta
Gerhard, bei freier Station und für drei- hundeit Mark jährlich al« Erzieherin ihrer mutterlosen kleinen Nichte Edith.
„Dreihundert Mark jährlich!"— riefen Rosa und Emmy im Chor mit spöttischem Hohn, als da« erste starre Staunen über ihrer Schwester unerhörte« Vorhaben sich in Worten Lufi machte.
„Also deshalb hast Du Dich vor Jahren mit dem greulichen Examen abgearbeitet, wa« damals keine von uns bei Papa« Vermögens- Verhältnissen begriff, damit Du nun heute ganze dreihundert Mark im Jahr erntest und dafür Not und Plage hast, Aerger und Verantwortung von früh bis spät, mit einem fremden wahrscheinlich recht verwöhnten unartigen Kinde I Dreihundert Mark, Jutta I Für Stiefel und Handschnhe hast Du ja bisher mehr ausgegeben! — Und höher taxiert sich da- gelehrte Fräulein nicht?" —
Lachend, spöttisch schwirrten in dieser Weise der Schwestern höhnische Reden durch da« Zimmer, aber Jutta, die sich nicht wieder wie am Nachmittag zu zürnenden Worten wollte hinrcißen lassen, blieb ruhig und kühl.
„Du hast es mir erlaubt, lieber Vater, diese Stellung anzunehmen," erklärte sic nur fest „und also bleibt es dabei. Du hast mir sogar heute Nachmittag gesagt, daß wenn ich einmal gehe, eS nicht etwa eine Laune, ein kurzer Versuch nur auf ein paar Wochen sein darf, sondern daß ich mich der gestellten Aufgabe ganz widmen muß. Sei unbesorgt lieber Vater, ich weiß, wa« ich will, ich brauche Arbeit, ernstliche, wirkliche Arbeit, um diese« schale, fade Leben der oberflächlichen Vergnügungen mit einem Dasein befriedigender Pflichterfüllung zu vertauschen." Und darum laßt mich fort, fort an den Rhein! Mein Gehalt als Lehrerin können ja die Armen erhalten! Lacht darüber, Rosa und Emmy, so viel Ihr wollt I Ich mache mich frei!"
Und leuchtenden AugeS küßte Jutta dankbar ihre- guten Vaters Hand, dessen klarer Kopf gar wohl in seiner LieblingSIochter das eigenartige Streben erkannt hatte, da« mächtige Verlangen nach andern, höheren Gütern als der materielle Sinn der reichen Fabrikstadt und die vornehme Lcbewelt derselben ihren angeblich bevorzugten Bewohnern darbot.
3 .
Schloß Tanneck, wohin sich Jutta Gerhard zu begeben gedachte, um eine Stellung als Erzieherin anzutreten, war eine jener vielen Burgen am herrlichen Rheinstrom, die man nicht anschauen kann, wenn man unten auf den grünen Wogen mit dem Dampfschiff vorüberfahrt, ohne das etwas neidiiche Verlangen, hier auch eine Burg zu besitzen, und in dem Glauben, daß hier alles wunderschön sein müsse, und daß man e« auch so haben möchte!
„Freilich, wer auf Schloß Tanneck schärfer zngesehen hätte, als das eilige Dampfboot dem Touristen gestattet, dem hätten die Spuren de- Verfalls nicht entgehen können, der unverkennbar das alte Fendalschloß zu untergraben begonnen. Reichlichere Mittel al» dem alten Geschlecht Derer von Senden, den Herren von Tanneck, je zu Gebote gestanden, würden in kurzem die bröckelnden
Mauer», gesprungenen Fenster, ungepflegten Parkwege de« alten Schlosse« wieder zum Entzücken schön haben Herstellen können, aber Horst von Senden, der letzte seines Stammes, und jetzige Herr von Tanneck, war ein verarmter Edelmann.
Die Jahre, in welchen er, einer alten Familstntratition folgen, seinem königlichen Herrn als flotter Kavallerie-Osficicr gedient, hatten in seine ohnehin bedauerlich zusammengeschmolzenen Einkünfte, tiefe Bretschge geschlagen. Unkenntnis der Landwirtschaft, als er vor drei Jahren nach dem Tode seiner jungen, überau« verwöhnten Frau den Of- stcicrsdienst quitiert und sich zur Bewirtschaftung seines Gutes nach dem Erbe seiner Väter zurückgezogen, hatten ihn zu mancher falschen Neuerung greifen lassen. Dazu hatte vorher ein unredlicher Gutsverwaltcr, der für sich anstatt für seinen Herrn gcwirt- schaftct, daß Maß voll gemacht, — kurz das schöne, alte Feudalschloß Tanneck nebst dem dazu gehörigen Rittergut befand sich im tiefen Verfall.(Fortsetzung folgt.)
Die beiden Konkurrenten.
Ein zeitgemäße« Lied.
Mel.: „Ich halt' einen Kameraden".
Ich halt' einen Konkurrenten,
Einen ärgern findst du nit.
Ging ich im Preis herunter,
So that er'« auch, ganz munter,
Im gleichen Schritt und Tritt.
Die Bestellung kam geflogen:
Gilt sie mir oder gilt sie dir?
's gilt ihm! O welche« Grauen!
Ich könnt' in« Blaue schauen Und da« betrübt mich schier.
Da lief ich bei den Kunden Im ganzen Land herum,
Off'rier zu schundigcn Preisen — D'rauf ging er auch auf Reisen, Stahl mir da« Publikum.
Und als daS Jahr verflossen,
Da macht' ich die Bilanz.
Ach, was ich da gewahre!
ES stehen meine Haare Mir in der Höhe ganz!
Mein Konkurrent desgleichen,
Er macht sein Inventar.
Da muß er leider finden,
Daß er, trotz allem Schinden,
Auch auf dem Hunde war.
Die Herren Lief'ranten tobten Und auch die Tuchfabrik:
Sie fordern ohn' Gedulden Dann ein die alten Schulden Und zwar den Augenblick!
So gaben wir denn Beide Ein uns're Insolvenz.
Jetzt geh'n «fr Arbeit suchen,
Wir schimpfen und wir fluchen Und treiben Tempcrenz.
D'rum folg' mir Herr Kollege! Schaff doch zu billig nit.
Soust kommst du — das war' mißlich ! In den Kontur« gewißlich Und reißest un« noch mit.
Druck und Verlag von Bernhard Hvsmann in Wildbad, (Perantwortlicher Redakteur Bernh. H»smann.)