Rundschau.
Stuttgart, 30. Nov. S. K. H. Herzog Albrccht ist nach Notifizierung der Thronbesteigung S. M. des Königs Wilhelm an den Höfen von Berlin, Wien und St. Petersburg (bezw. Livadia) gestern fiüh mil dem Orient! xpr>ßzuz wieder hierher zurückgekehrt.
— Aus Stuttgart: Es verlautet, das Königspaar werde Mitte Januar Nm Berliner Hofe euren Besuch machen.
— Von einer Anzahl in Chicago lebender Deutscher ist an den Liederkranz in Stuttgart die Einladung ergangen, 1893 zur Weltausstellung herüber;,ikommen, um sich dort kören zu lassen. Es ist bereits ein großer Fonts (un"i spiichl von 20 000 Dollars) gezeichnet worden, baö den Sängern freie Hin- und Rückfahrt und freier Aufenthalt in Chicago gewährt w-rden kann. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß dieses verlockende Anerbieten die Stuttgarter Liederkränzler Veranlassen wird, sich auch jenseits des Ozeans nette Lorbeeren zu pflücken.
Gerlingen, 30. Nov. Heute verlassen gleichzeitig nicht weniger als 16 Angehörige unserer Gemeinde ihre Heimat, um »ach Amerika anszuwandern und dort ihr Glück zu versuche». Unter diesen befindet sich auch eine Witlwe mit 6 noch schulpflichtigen Kindern. Alle diese Auswanderer ziehe» zusammen in de» Staat Westvirginia und dort in die Stadt Whecling; daselbst haben sich bereits schon früher 60 Gerlinger Bürger angesicdelt, welche dort unter erträglichen Verhältnissen ihr Dasein fristen.
Ulm, 30. Nov.mbcr. Der Besitz r des Schwarzen Adlers hier, Höhl, hat sei» Gasthaus um 60,000 -/A an Herrn Unkauf zum Goldenen Hirsch in Hellbronn verkauft. Letzterer übernimmt das Anwesen am 15. Dez.
— Ein Vergistungsfall erregt i» Rödelheim großes Aufsehen. Der 48 Jahre alte Drucker Johann Krafft, welcher in der dortigen Papierhandlung von Wilhelm Büttel beschäftigt war, Halle, da er a» Magenbc- schwerden litt, die Gewohnheit, allabendlich vor dem Schlafengehen eine Dosis „Bnllrich'- schcs Salz" zu sich zu nehme». Nach dem er dies auch am Montag abend gethan hatte, wurde er plötzlich von Krämpfen befallen, welche nack kurzer Z it den Tod deS allgemein beliebten ManncS herbeiführten. Der herbeigerufene Arzt untersuchte auf Verlangen das Salz, welches aus einer dortigen Mate- rialwarcnhandlung stammle und stellte fest, daß demselben ein bedeutendes Quantum Sttychnin beigcmischt war, welches unbedingt den Tod des Mannes herbeiführen mußte. Der Verstorbene, welcher bereits 17 Jahre im Büitel'schen Geschäfte thätig war und als gewissenhafter Arbeiter galt, hinterläßt eine Witwe und drei Kinder. Die Untersuchung wurde sofort eingeleitet.
— Von einem Dienstmädchen wurden auf dem Paradeplatze in Mannheim zehn Tausendmarkscheine und ein Fünfmarkschein arifgefunden. Das Mädchen lieferte ihren Fund sofort auf der Polizei ab. Der Verlierer hat sich bis jetzt noch nicht gemeldet.
— Ein Fräulein Christine Schulze aus Oldenburg, die kürzlich hier starb, hat der Stadt zur Verwendung für wohlthätige Zwecke ein Vermächtnis von 300 000 ^ hinter- lasseii.
— München. Der hier wohnhaft gewesene Komisionär und Stellenvermittler
EmilHaensclmann von Stuttgart (vorher VerlagSbucdbändler daselbst) hat in jüngster Zeit eine große vö» Stellensuchenden bei sich selbst als Ausgehcr, Burraudiener, Schreib- g°hilfen u. dgl., je gegen Hinterlegung einer Kaution engagiert und ist mit seiner Frau flüchtig gegangen. Bis jetzt sind 75 geschädigte Personen bekannt geworden, welche Kautionen im Gesamtbetrag von über 18 000 Mark erlegt haben.
— I» Krefeld ist am 26. November morgens gegen 6 Uhr ein starkes Erdbeben wahrgenommen worden. Es war eine kurze wellenförmige, von West nach Ost gehende Bewegung. In einem Hanse war die Erschütterung so groß, daß eine schwere Uhr von der Wand hei absiel ; in einem andere» Hause wurde die Zimmerdecke in ihrer ganzen Länge zeirissen. Das Erdbeben dauerte 2—3 Sekunden.
— In der Blechwarcnfabrik von Pfauschmidt und Wenz in AscherSleben hat dieser Tage der Lackiermeister Bachmann zunächst den Prokuristen des Geschäftes, Nestel, und dann sich selbst erschossen. B. hinterläßt eine Frau und 8 Kinder. Der gelötete Nestel, ei» geborener Württembergcr, ist ebenfalls verheiratet und hinterläßt Frau und ein Kind.
— Im Orte Wcserting (Niedkrbayern) vermutete der Bauer Klessinger zur Nachtzeit Diebe ini Schweinestall und begab sich deeh. mit seinem S. dorthin, um nachzusehen. Vater und Sohn gingen in entgegengesetzter Richtung; letzterer hält den Vater für den Dieb, giebt einen Schuß ab und trifft de» Vater so unglücklich an der Stirne, daß der Mann tot niekerstürzte.
Berlin, 28. Not'. In der Fortsetzung der General-Debatte über den Etat erklärt Buhl: Die autoritativen Ausführungen des Reichskanzlers über den Frieden und die Stärke der Armee würden hoffentlich die weiten Kreise beruhigen; er glaube auch den Reichskanzler so verstanden zu haben, daß die Regierung der Einführung einer zweijährigen Dienstzeit nähertreten wolle. Ein wesentlicher Grund der Beunruhigung bestehe in dem Rücktritt Bismarcks, in welchem er den Gründer und Hort des Reiches erblickte. Das Volk werde ihm dankbarer sein, als die Freisinnigen, die ihn jetzt angreifcn. Zu einem schwächlichen Pessimismus aber sei kein Grund. Bedauerlich sei das Anwachsen der Schulden. Die Aufgabe unserer Partei ist, zu bewilligen, was zur Stärkung der Wehrhaftigkeit beiträgt. Manche Positionen im Mililäretat müssen auf ihre Notwendigkeit geprüft, insbesondere auch der Bau neuer Schiffe beschränkt werden.
— Im Foyer des Reickstages wurde am Mittwoch eine Aeußerung des Fürsten Bismarck kolportiert, wonach er geäußert haben soll: Zur Beratung des deutsch-österreichischen Handelsvertrages komme er nach Berlin, und wenn er sich himragen lassen müsse l
— Die Zahl der Jnflucnzakronken in Berlin beträgt 40 000. In letzter Woche ereigneten sich 30 Todesfälle der Influenza- kranke».
— Unschuldig verdächtigt. Ei» in der Oranicnstraße in Berlin wohnender Herr F. hatte einen Geldbrief erhalten und ebendem geöffneten Couvert den Inhalt entnommen, als er von seinem Sekretär eilig hinwrgge- rufen wurde. Nach wenigen Minuten kehrte er zurück. Alö er die Summe nunmehr auf
ihre Richtigkeit prüfte, bemerkte er, daß von derselben 100 ^ fehlten. Sofort lenkte sich sein Verdacht auf daö Dienstmädchen, welche- in einem Nebenzimmer beschäftigt war. F. sagte ihm auf dem Kopf zu, raß es den fehlenden Hundertmarkschein sich angeeignet haben müsse und ließ sich von dieser Meinung weder durch die Beten, rungen noch durch die Thlänen des Mädchens abbringen. JmGe- genteil erklärte er, daß sie so Verstockt wäre, weide er sie der Polizei denunzieren. Kaum hatte F. diese Drohung ausgesprochen, alS das Mädchen nach der Küche stürmte, dort eine Flasche mit Oleum ergriff und, noch ehe jemand sie daran zu hindern vermochte, daraus einige energische Züge that. Die Unglückliche vnfiel in Dämpfe, doch gelang es der schnell zur Seite geschafften ärztlichen Hilfe, sie der größten Gefahr zu entreißen und ihren Transport nach dem Krankenhause zu ermöglichen. Die Bestürzung der F.'S war keine geringe, pm so mehr, als ein Eilbrief kurz darauf den fehlenden Hundertmarkschein, den der Absender beim Einzählen und versiegeln des Briefe- vergessen halte, brachte.
Wien, 30. Nov. Die Unterzeichnung der mit Deutschland, Italien und der Schweiz abgeschlossenen Handelsverträge wird ans Deutschlands Antrag hier i» Wien erfolgen. Die Einbringung der Handelsverträge in die Parlamente ist auf den 7. Dezember fest- gesetzt.
Wien, 29. Nov. Die Gemahlin des Erzherzogs Heinrich, Freifrau v. Waideck, ist heute Nachmittag einer Lungen-Eittzündung erlegen. DaS Befinden d.s Erzherzogs ist ebenfalls sehr ernst.
— Ein schrecklicher Vorfall ereignete sich am 23. November in der Rue S. Dominique zu Paris. Dort wohnt ein Engländer Namens Trump mil Frau und vier Kindern. Er begab sich des Morgens in sein Geschäft, nachdem er seine» Soh» in die Schule gebracht hatte. Die Frau ging bald darauf au«, um Einkäufe zu besorgen. Damit es den kleinen Kindern, drei Mädchen, recht warm würde, füllte sie den Zimmersfen ganz mit Steinkohlen an. Der Ofen wurde schnell glühend, wodurch ein nebenstehender Korb mit Holzkohlen in Brand geriet. Die Nachbarn, durch einen beißenden Rauch aufmerksam gemacht, drangen in die Wohnung. Zwei Mädchen lagen tot an der Thür und das jüngste war in der Wiege erstickt. Belebungsversuche waren vergeblich. Inzwischen kam die Mutter herbei, die beim Anblick ihrer lode» Kinder bewußtlos zusammeubrach.
— (Hungersnot aus einem Dampfer.) Der „Precurscur" meldet: Der Dampfer „Scammel", welcher von Antwerpen nach New-Iork fuhr, wurde in Folge Wirbelwindes 48 Tage lang auf de» Wellen hcr- umgeworfcn. An Bord des Dampfers brach Hungersnot aus. Vier Matrosen und mehrere Passagiere sind umgckommen.
Vermischtes.
(Nicht abergläubisch.) „Wir werden dreizehn bei Tische sein," sagt die Hausfrau zu einem der geladenen Gäste, „erschreckt Sic das nicht?" — Das hängt davon ab, wie weit Ihre Mahlzeit reicht.
(Bei der Musterung.) Arzt: „Haben Si« sonst einen Fehler?" — Rekrut: „Eine schwalbe Brust Hab' ich." —Major: ,O, die wird durch den Wafscnrock verdeckt."