Jasmin.

Erzählung aus der Zeit der großen franzö­sischen Revolution von C. Warnemann.

Nachdruck verioten.

8 .

Und Du Erzlump wirst mir bald Nach­folgen. Die wahre Freiheit, die wahre Ge­rechtigkeit muß wieder in Frankreich erwachen I"

Stopft ihm einen Knebel in das gott­lose Maul! schrie Couthon wüthend.

Es geschah, und hielt cs der ViertelS- Commissar auch für angczeigt, seinen Pa­triotismus in das hellste Licht zu setzen, in­dem er sich breit vor Jasmin hinpflanztc und demselben scheltend zurief:

Schäme Dich, Bürger Jasmin, daß Du mein Haus so befleckst, indem Du eS zur Nisthöhle der Verschwörung machtest! Ver­flucht seist Du, Verräter am Vaterland I"

Jasmin lächelte fein, riß mit einer ge­schickten Bewegung den Knebel aus dem Munde und sagte:

Im alten Rom haben sie einst manchen braven Mann gefoltert, gespießt u. verbrannt, der für echte Freiheit und cdele Humanität gegenüber dem blinden, blutigen Heidenihum eintrat. Nun so mögen auch mich die Ty­rannen für die Freiheit und Gerechtigkeit, die bald siegen wird, opfern I"

Couthon lachte roh auf. Ein Wink von ihm genügte, um Jasmin in einen Wagen und durch diesen zur Conciergerie zu bringen. »

Als die Frauen mit den Kindern zurück- kehrtcn, hütete sich Cousin wohl, das Vor- gefallene zu erzählen.

Wie fühle ich mich durch diesen Spa­ziergang in der Frühlingsluft gekräsligt I" rief Blanche ans.Auch den Kindern kommt die herrliche Luft sichtlich I"

Du kannst immer gehen und Deine Spaziergänge machen, Muhme!" entgegnete Frau Jeannette. In das Ohr flüsterte sie der Gräfin aber:Niemand vermutet unter diesen Bürgerkleidern die Gräfin de Pou- tange, besonders seit ich Ihnen die Locken abgeschorcn; sie waren Ihre größte Ver­räter !"

Ach ja!" seufzte die Angercdete.

Jetzt stellte sich Cousin pathetisch vor die Frauen und sagte:

Ich will Geld, um in's Wirtshaus zu gehen. Gebt mir also Geld I"

Damit Du Dich betrinkst!" wandte Frau Jeannetle ein.

Hoho I" rief Cousin trotzig.

Du bekommst heute nichts I" erklärte Frau Jeannette.

Ich bekomme wirklich nichts? frug der Pvlizei-Commissar und blinzelte dabei sehr verdächtig mit seinen stechenden Augen.

Dabei trat der Schändliche vor Blanche hin und flüsterte:

Dann arretiere ich dieMuhme" I Denkst Du, ich weiß nicht, wer sie ist?"

Frau Jeannette erschrak, und Blanche wankte. Das hatte sie nicht erwartet. Aber die resolute Frau Jeannette wußte sich zu fassen und entgegnete:

Gut I Wer ist sic denn anders als Bl. Cadou aus Evrenx« Schreie Deine Ver­mutungen nur aus und ich schwöre Dir, wir versinken wieder in die alte Armut und das schrecklichste Elend, denn die Muhme geht

dann einfach samt ihrem Gelde fort. Sie hinterläßt unS nichts; nur aus ihrem Leben, aus ihrem Dasein ziehen wir Nutzen I"

So?" meinte Cousin gedehnt.Nun, ich kann auch schweigen!" grinste er dann. Aber Geld will ich doch, weil ich eS brauche l"

Hier hast Du Geld I" sagte jetzt Frau Cousin und steckte ihrem sauberen Gatten einige Silbcrmünzen zu.

Cousin steckte das Geld lachend ein, küßte Frau Jeannette die Hand und wollte Blanche umarmen, diese aber stieß ihn unsanft und verächtlich zurück. Cousin erschrack einen Augenblick, dann aber sagte er höhnisch:

Frau Gräfin, Ihr Diener I Aber be­handeln Sic mich künftig ja artiger, wenn Sie Ihren schönen Kopf behalten wollen!"

Damit ging der saubere Patron trium­phierend von dannen.

Die Frauen sahen sich voll Erstaunen und Schrecken zugleich an.

Er hat also gelauscht!" flüsterte die Hausfrau zuerst.

Freilich I" meinte die Gräfin mit beb­enden Lippen.

Sie sind nicht mehr sicher hier, Frau Gräfin! Wenn Cousin betrunken ist, plap­pert er wie ein Papagei alles vom Herzen herunter, was er weiß!" erwiderte Frau Jeannette dann.

Ja, das sehe ich ein. Aber waS soll ich denn beginnen?" rief traurig die schöne Gräfin.

Halt, ich habe eS! JaSmin soll sie zu meinem Bruder auf's Land geleiten! Dort sind sic sicher! JaSmin, Jasmin I"

Oben blieb es aber still, weshalb Blanche die Treppe Hinaufstieg, um nach dem jungen Manne zu rufen.

Monsieur Jasmin!" erklang eS aus ihrem schönen Munde.

Keine Antwort erscholl.

Die Gräfin klopfte an JaSminS Zimmer und öffnete die Zimmerthür. Bei dem Ein­tritt in daS Stübchen erschrack sie heftig, denn hier mußte soeben eine Haussuchung stattgehabt haben. Dicht vor dem Thür­riegel lag neben allerlei Papier ein Weiße- Blatt. Sic hob eS auf und errötete beim Lesen. Sie vergaß Zeit und Ort, die Ge­fahr und den tückischen Cousin, warf sich auf das Kanapee und las entzückt das Ge­dicht von Jasmin:

An die Geliebte.

Ach, durch Dich, geliebtes Leben!" u. s. w.

Jede einzelne Strophe deS Gedichts rcci- tierte sie mit Heller Stimme, bis zum Schluß : O Geliebte, laß mich's sagen,

Meine Liebe Dir gestehen!"

Ein Thränenstrom entfloß ihren schönen Augen und leise flüsterte ihre bleiche Lippen:

Ach ja, Jasmin, Liebe ist ein göttliches Gefühl I Und ich, ich liebe Dich ja un­aussprechlich !"

Wie Schuppen war es ihr plötzlich von den Augen gefallen. Voll Entzücken starrte sic noch immer auf die Schrift, als Frau Jeannette von unten rief:

Muhme, Muhme, Kommen Sie doch herunter I"

Von einer Nachbarin hatte sic soeben JaSminS Verhaftung erfahren. Als sie die schreckliche Nachricht Blanche mitteiltc, er­schrak diese auf den Tod und erklärte dann :

Wir müssen ihn retten, Jeannette!"

Aber wie, Frau Gräfin?" frug Jean­nette.

Durch Deinen Mann I Er muß mir eine Einlaßkarte zur Conciergerie (die Con- ciergerie war das Gefängnis für politische Gefangene) verschaffen.

Und wenn der Rettungsversuch mißlingt?"

Frau Jeannette blickte die Gräfin fragend an. Blanche errötete und schlug die Augen nieder, wobei sie wie träumend sagte:

Und kann ich ihn nicht befreien, so will ich mit ihm sterben I"

Frau Gräfin!" schrie Jeannette bei die­sen ernsten Worten entsetzt auf.

Aber Blanche entgegnete:

Ja, Jeannette, wisse, daß mir sein Le­ben teuer ist l Aber die Edelsten müssen in diesem unglücklichen Lande sterben; wie eine Krankheit ist es über Frankreich gekommen, wie ein großes Sterbensweh! Und auch ich, Jeannette, fühle mich innerlich so krank, so wund I"

Frau Gräfin sind verliebt!" lächelte Jeannette zu diesen Worten.Das ist alles!"

Ja," gestand da Blanche offen,ich liebe JaSmin unsäglich I Mein verstorbener Gemahl, der Graf von Poutange, war ein Greis! Ich achtete ihn, aber die Liebe kannte ich bis heute nicht! Erst in diesem Augen­blicke wird mir klar, was längst dunkel in meinem Herzen schlummerte! Auf nun, um ihn zu retten!"

Wenn sie aber dabei zu Grunde gehen?" mahnte Frau Jeannette nochmals.

Die Gräfin wies nach oben und sagte:

Dort sehen wir uns dann wieder I Ver­liere diesen schönen Glauben nie, Jeannette, er macht dem Menschen daS Sterben leicht!"

Jeannette sah sie bewundernd an, Blanche aber zog eine Schreibtafel hervor u. schrieb nur wenige Worte darauf, dann übergab sie das herausgerissene Blatt an die Hausfrau und sagte:

Sollte mir etwas Menschliches passieren, Jeannette, so trage dieses Blatt in die Mont- gomery Straße Nr. 347 zu Monsieur Mont- reuil, er wird Dir tausend Louisd'or aus­händigen, so daß Du auch ohne mich sorgen­los leben kannst!"

Da fiel Jeannette der einstigen Gebieterin zu Füßen und schluchzte, deren Hand mit Küssen bedeckend:

O nie, niemals möge Ihnen etwas Schreckliches zustvßen, Frau Gräfin! Aber ans zum Handeln, zur Befreiung Jasmins!"

Jeannette sprang empor und suchte tu der Kommode ihres Mannes Schreibsachen. Bald fand sie darunter auch eine Erlaubnis­karte zum Besuch des Gefängnisses. Nur der Name deS ViertelScommissars fehlte noch auf der Karte.

Wir müssen warten, bis mein Mann vom Wirishause heimkommt!" meinte Jean- nette.Wahrlich, da ist er schon I"

In der That wankte Cousin, vollständig berauscht in's HauS und begann rührselig und demütig wegen Jasmins Verhaftung sich zu entschuldigen.

Jeannette, ich konnte nichts dazu, nichts dagegen machen I" rief Cousin mit weiner­licher Stimm.Bürger Couthon, der den armen Jasmin haßt, war mit drei Schergen hier. Sie haben Papiere gefunden, die Jas­min stark compromiticren sollen I"

(Fortsetzung folgt.)

rnhard Hofman» in Wildbad.

Verantwortlicher Redaktmr: Bernhard H »s« ann.) Druck und Verlag von V e