Hellmuth ßjraf von Moltke

Berlin, den 25. April 1891.

lieber die Bestattungsfeierlichkeit Moltke's erwartet die Familie die Befehle des Kaisers, von dem noch nachts ein sehr herzliches Bei­leidstelegramm eingelausen war. Die Fa­milie gedenkt die vorgeschlagene Aufbahrung in demselben Saale voiznnehwen, wo die Jubilänmsdeputationen inmitten der Fahnen empfangen wurden.

Der Kaiser depeschierte an Moltke'S Fa­milie :Ich habe eine Armee verloren." Die Kaiserin war am Samstag vormittags 9',4 Uhr im Generalstabsgebäude, legte einen prachtvollen Kranz von Rosen auf das To­tenbett MoltkeS nieder und verweilte eine Viertelstunde bei der Familie. Gleichzeitig erschien der Erbprinz von Meiningen. Von allen Seiten treffen prachtvolle Blumcnspen- den ei», lieber die letzten Augenblicke Moltke'S wird berichtet, daß der Feldmarschall sich nach dem Abendess-n auf dem Klavier Vor­spielen ließ nnd an einer Whistpartie teil­nahm, während welcher er wegen Unwohl­sein das Zimmer verließ. Die Verwandten, durch sein längeres Ausbleiben beunruhigt, ginge» ihm nach und fanden de» Feldmar­schall sehr schwach sic führten ihn ins Schlaf­zimmer, wo er bald verschied.

DerRrichSonzeiger" veröffentlicht einen tiefempfundenen Nachruf an Moltke, der nach dem Hinscheiden der Kaiser Wilhelm und Friedrich wie ein lebendiges Denkmal der großen Zeit des nationalen Aufschwungs in der Gegenwart hineinragte.

Im Reichstag verkündet Präsident v. Le- vetzow dem Hause daS schmerzliche Ereignis des Todes von Moltke mit folgenden Wor­ten :Gott hat einem Leben ein Ende ge­macht, das reich an Ehre», Ruhm und Er­folgen, aber auch an Verehrung, Vertrauen und Liebe war, wie cs selten einem Sterb­lichen verliehen ist." Redner weist hierauf auf Moltke's Pünktlichkeit und Gewissen­haftigkeit als Parlamentarier und auf sein Amt als Alterspräsident hin.Nie lauschte das Haus gespannter, als wenn Graf Moltke redete, noch am 16. März sprach der Ein- undnennzigjährige mit auffallender Jugend- frische. Ich kann hier nicht seine Verdienste rühmen, sein Andenken wird ewig sein. Nie­mals zierte einen Helden solche Bescheiden­heit wie ihn; unsere Nachkommen werden stolz auf ihn sein. D r Marschall war aber auch ein Vorbild jeeer Minschlichen und bürgerlichen Tugend." Hierauf hebt der Präsident die Sitzung auf.

Moltke hatte die Absicht, sich in der nächsten Zeit nach einem Kurorte zu bege­ben. Bis in die letzten Tage hat Moltke die wunderbarste GeisteSfrische bewiesen. Er beschäftigte sich mit sehr schwierigen militäri­schen Frage», namentlich mit der Befestig­ung Helgolands und des Nordseekanals.

Die Leiche Moltkes soll in Kreisau bei- gesetzt werden. Am Dienstag, den 28. April, vormittags, findet eine Feier M Sterbehause statt, darauf erfolgt die Ueberführung der Leiche auf einen Bahnhof unter militärischen Ehrenbezeugungen.

Die königlichen Theater in Berlin blei­ben heute abend auf Anordnung dcS Kaisers geschlossen.

Rundschau.

Se. Maj. der König haben auf die Anzeige vom Ableben des Gcneralseldmar-

schalls Grafen v- Moltke sofort Sr. Maj. dem Kaiser die tiefste Teilnahme ausge­sprochen.

Stuttgart, 27. April. Graf Moltke -s. Heute vormittag hat sich im Auftrag S. M. des Königs Oberstlieutenant Flügeladjutant Freiherr v. Reischach »ach Berlin begeben, um den daselbst morgen vormittag 10 Uhr staltsindenden Trauerfeicrlichkeiten für den Gencralfeldmarschall Grafen v. Moltke bci- zuwohnen. Aus dem gleichen Anlaß ist heute nacht der kommandierende General v. Wölckern mit dem Generalstabschef Obcrst- lieutenant v. Gilgenheimb dorthin abgereist. Generallieutenant v. Wölkern wird einen Lorbeerkranz am Sarge des General feldmar- schalls und Präsidenten der Landesverteidig- ungskommission niederlegen. Auch die Stadt Stuttgart hat ihren so unerwartet dahinge­schiedenen Ehrenbürger in sinniger Weise ge­ehrt; die bürgerliche» Kollegien, vertreten durch den Oberbürgermeister Dr. v. Hack und Bürgcrausschußmitglied Kaufmann Adolf Stübler (in Vertretung des von hier ab­wesenden Obmanns), legten am Samstag gegen Abend einen prachtvollen umflorten Lorbeerkranz am Fuße des Denkmals auf der Planie nieder. Weitere mit weißen Blumen geschmückte Kränze, welche sich zu beiden Seiten des Denkmals befinden, be­zeigen die Verehrung, die dem greisen Feld- marschall in weiteren Kreisen unserer Stadt gezollt wurde.

Eingegangener Nachricht zufolge ist am Freitag nachts S. Kais. Hoh. Groß­fürst Nikolajewitsch von Rußland, Bruder Ihrer Majestät der Königin von Württem­berg, nach längerem, schwerem Leiden zu Alupka in der Krim gestorben. Durch die- sen Todesfall ist die Königliche Familie, ins­besondere Ihre Majestäten aufs neue in tiefe Trauer versetzt worden.

Tübingen, 25. April. Ein Buchbinder A. O. ans Reutlingen übernachtete gestern im Binderschen Gasthause nahe bei der Eisenbahn. Als das Zimmer heute morgen verschlossen blieb, erbrach man dasselbe und fand den Gast erschossen auf dem Sofa sitzend. Derselbe scheint die That in einem Anfall von Melancholie vollbracht zu haben. Nach vielen Proz.ssen war ihm gestern der Dachstock, den er ohne bauamtljchc Erlaub­nis aufrichten ließ, im Exekutionsweg nieder­gerissen worden.

Reutlingen, 25. April. Gestern mittag ereignete sich auf der Ulrich Gminderschen Fabrik zwischen hier und Betzingen ein be­dauerliches Unglück. Daselbst wurde der Tachstuhl an einem Färbercigebäude abge­nommen. Ein 20jähriger hiesiger Weingärtner war auch beim Abräumen beschäftigt. Er hatte das Unglück, auf den mit Steinplatten bedeckten Boden hcrabzufallen, wodurch er innerlich lebensgefährlich verletzt wurde. Trotz schneller ärztlicher Hilfe und sorgfältiger Ver­bringung in das Haus seiner Eltern starb er abends daselbst.

Rottenbnrg, 26. April. Heute Sonntag nachmittag 8 Uhr ertönten die Feuersignale. Fast die ganze Bevölkerung strömte auf den Brandplatz an der Staig, woselbst das Küfer Garbsche Haus in vollen Flammen stand. Der Dachstuhl und der Jnnenbau brannten vollständig ab, so daß das Gebäude ruiniert ist. Die nahe am Brandplatz befindliche Landesgcfäiignisanstalt leistete mit ihrer Was­serleistung sogleich die ersprießlichsten Dienste;

die Feuerwehr war auch gleich zur Stelle.

Der Besitzer, welcher gering versichert ist, mußte vom Schlaf geweckt werden; seine Frau befand sich in der Kirche. Wie man vernimmt, sollen Kinder durch ihr Spielen den Brand verursacht haben. Die bezüglich des vorigen Brandes Inhaftierten wurden wieder auf freien Fuß gesetzt.

Vom Brenzthal, 25. April. Ein lediges,

40 Jahre altes Frauenzimmer von Bolheim, das an epileptischen Anfällen litt, wollte mit der Gießkanne Wasser aus der Brenz schöpfen, als es gerade von einem Anfall überrascht wurde, ins Wasser fiel und elendiglich er­trank. Vom Schlage gerührt wurden in Heuchlingen ein 52 Jahre alter Mann im Steinbruch, als er eben seine Pfeifst in Brand stecken wollte, und in Gerstettcn ein 24 Jahre alter junger Mann, der nächstens Hochzeit machen wollte.

Merklingen, 24. April. Mittwdch abend 8 Uhr verunglückte durch Scheuen der Pferde zwischen Darmsheim und Döffingen der Knecht des KunstmühlebcsttzerS Widmann hier, der schon 25 Jahre bei letzterem bc- dienstet war und unter dem Namender Mühle-Michel" landauf landab bekannt ist.

Der beladene Wagen mit ca. 60 Zentner ging ihm über einen Fuß und zermalmte denselben derart, daß eine Amputation not­wendig geworden ist. Der Verunglückte ist verheiratet nnd hat 3 Kinder.

UlM, 24. April. Heute vormittag find aus dem hiesigen Garnisonlazaret zwei Sol­daten, die daselbst als Arrestanten untcrge- bracht waren, entwichen. Dieselben ließen sich an zusammengebundenen Leintüchern am Gebäude herunter und gewannen auf diese Weise da« Weite. Einer der Ausreißer, ein Grenadier, Xaver Rettenmaier, der wegen einer Schußwunde am rechten Fuß nicht gut gehen konnte, wurde heute abend um 7 Uhr von einer durch einen Landjäger geführten Militärpatrouille im Schwedenwäldchen wie­der aufgegriffen. Auch der andere dürfte nicht allzuweit kommen.

Pforzheim, 25. April. Rathausabbruch.

Bei der heutigen Versteigerung des Rat­hauses nebst Nebengebäude auf den Abbruch ist nur ein Gebot von 100 Mark gemacht worden.

Karlsruhe, 24. April. Die Kaiserreise zur Anerhahnjagd findet nicht statt.

Im Bundesrat ist ein neuer Gesetz­entwurf wegen Bekämpfung de- Mißbrauchs geistiger Getränke in Vorbereitung. Derselbe - wird auch eine Aenderung der Bestimmungen über das KonzessionSweseu sür Schankge­werbe enthalten. I» dieser Tagung wird der Gesetzentwurf übrigens dem Reichstage nicht mehr zngehen, es sei denn, daß nur Vertagung" bis zum Herbste eintritt.

Eine gräßliche That geschah dieser Tage bei Beuchen (Oberschlcsien.) Während deS Spielens eines Knaben und Mädchen " im Alter von 5 und 7 Jahren, ergriff der Knabe eine Axt und spaltete seinem Schwe­sterchen den Kopf. Trotzdem der Arzt so­fort geholt worden war, verschied das Kind. - Ein jüdischer Advokat in Petersburg hat derTimes" zufolge nach Wien ge­schrieben, daß die meisten in Petersburg wohnenden Juden Befehl erhalten hätten, bis zum 3. Mai die Stadt zu verlassen; sie dürften sich in den östlichen und südlichen Provinzen niederlassen, allein für viele sei die Ausweisung gleichbcdeulcnd mir Ruin.