Rundschau.
Stuttgart, 8. Jan. Der Landlag wurde heute mittags eröffnet. Die Abgeordnetenkammer beginnt schon morgen mit der Beratung der Verwaitungsreform. Gegen die Wahl Essichs von Bietigheim sind Beschwerden wegen angeblicher Bestechung durch Bier- spcnden u- s. w. cingelaufen. Die Kommission stellt jedoch den Antrag, Essig für vorläufig legimitiert zu erklären und die Wahlanfichtungsschrift an die Kommission zu verweisen. Dieser Antrag wird angenommen.
Stuttgart, 9. Jan. Der Reisemarschal! Sr. M. deS Königs Freiherr v. Brüsstlle und der dieustthucnde Kammerhcrr I. M. der Königin Graf v. Beroldingen haben sich nach Waldenburg begeben, um im Namen Ihrer Majestäten der heule daselbst stalt- fiadenden Beisetzung der Fürstin-Mutter von Hohenlohe Waldenburg anzuwohnen.
— S. M. der König haben heute den von Berlin zurückgekehrten Generallieutenont von Wölckern empfangen.
— Vergangener Nacht ist nach längerem Leiden Kommerzienrat Friedrich Sick, Direktor der Württembergischen Notenbank, im 76. Lebensjahre gestorben. Als zu Beginn des JahreS' 1871 sich ein provisorisches Konnte zur Errichtung dieses Bankinstitutes bildete, hatte der Dahingeschiedene schon damals seine ganze Kraft dem Unternehmen gewidmet. Zu Ende desselben Jahres erhielt die Notenbank, als daS jüngste derartige Institut in ganz Deutschland, die Genehmigung zur Ausgabe von Bankscheinen, und von diesem Zeitpunkte ab gehörte der Verstorbene der Direktion an, wobei er sich stets als außerordentlich tüchtiges Mitglied bewährte. Im Jahre 1886 schied er krankheitshalber aus der Direktion aus und wurde alsdann in den Aufsichtsrat gewählt. Wiederholte Schlaganfälle schwächten seine Kräfte, so daß der Tod ihm eine willkommene Erlösung sein mußte.
Heilbronn, 8. Jan. Die Heilbr. Ztg. schreibt: Das Strafverfahren gegen den Oberbürgermeister Paul Hegelmaier wegen Verdachts von Vergehen und Verbrechen im Sinne der §§ 164 (falsche Anschuldigung) und 154 (Meineids), begangen im Prozeß Nr. 48 gegen Dr. Lipp, ist von neuem ausgenommen worden. Gegen ebendenselben schwebt das Vorverfahren wegen falscher Beurkundung im Amte.
Friedrichshafen, 8. Jan. Die langan- dauernte Kälte scheint nunmehr wie im Jahre 1880 für die Bodenseeschiffahrt bedrohlich zu werden. Die Bregenzer Bucht zwischen Lochau und Mehrerau ist durch den herrschenden Ostwind voll mit Eisschollen ungefüllt. Gestern und heute waren die Boote Karoline und Habsburg mit Eisbrcchcn vor dem Bregenzer Hafen beschäftigt. Das kleine Boot Karolin mußte heute seine Tätigkeit einstellen, da es im Eis stecken blieb. Auf der Fahrt zwischen Lindau und Br;genz begegneten den Schiften Eisschollen in der Stärke von 5—7 om. Nach Ansicht der Schiffsleute bedarf eS nur noch einiger weiteren kalten Nächte, und die Schiffahrt von hier nach Bregenz muß völlig eingestellt werden. Der Bregenzer Hasen selbst ist vermöge seiner günstigen Lage der Hafeneinfahrt noch eisfrei.
— Wie aus Konstanz gemeldet wird, ist aus schweizerischem Gebiet «ine Mit««
von dort Namen» Schlotterbcck ermordkt auf- gefiliiden worden. Man vermutet einen Raubmord.
— Der Postbote inLadcnbllrg, auf den im verflossenen Jahre angeblich ein Raubanfall ausgeführt wurde, ist unter dem Verdachte, daß er die ganze Sache erdichtete, ins Gefängnis in Mannheim eingelicfert worden.
— Der verheiratete 64 Jahre alte Landwirt Johann Jakob Sutter von Wolfen- weiler geriet auf der Station Ebringen unter den Zug und wurde getötet.
— Rappoltsweiltr, 7. Jan. Der Kölner Schnellzug Nr. 2 pflegt den Postbcmel für unsere Stadt und die Umgegend bei seinem Vorübeiflug hier rasch auSzuwerfcn. Am 31. v. Mts Morgens war jedoch der Beutel so ungefüllt, daß dos HiuauSschleudern mißlang und de; schwere Sack unter die Räder kam, welc-e einen Teil des Inhalts völlig zermalmten, den andern auf einer Strecke von 100 Meter zerstreuten, so daß nur Weniges erhalten blieb. Wem also im Rheinland ein Glückwunsch oder Brief aus unserer Gegend des Elsasses unbeantwortet bleibt, der weiß nun den Grund.
— Aus Köln, 8. Jan. meldet man den M. N. N.: Infolge von fußhohen Rhein- Eisstauungen bilden sich an verschiedenen Uferstcllcn hohe Stauwasser, welche die Uferbewohner bedrohen, so bei Bacharach, wo die größte Gefahr derzeit wieder beseitigt ist, ferner bei Lorch und bei Nicderrheinbach, wo die Wohnungen am Rhein geräumt wurden. DaS Rheineis steht von der Loreley bis Caub mit fußhohen Schollen bedeckt, ferner von der Pfalz stromaufwärts. Ein allgemeiner Eisgang dürfte um so größere Gefahren bringen, je länger die Kälte andaucrt.
München, 6 . Jan. Ein wahrhaft fürstliches Geschenk, 600,000 hat der ehemalige Zimmermeister Ehren gut der Stadt München vermacht.
Berlin, 7. Jan. Generalpostmeistcr Dr. v. Stephan erhielt zu seinem heutigen 60. Geburtstage zahlreiche Zeichen der Verehrung; vom Kaiser erhielt er ein photographisches Bildnis, unter welches der Kaiser mit NamenS- unterschrift geschrieben hat: „Die Welt am Ende des 19. Jahrhunderts steht unter dem Zeichen des Verkehrs; er durchbricht die Schranken, welche die Völker trennen, und knüpft zwischen den Nationen neue Beziehungen an."
— In Metz brach in den Kellerräumen der Kaiser Wilhelm-Kasernc Feuer aus, welches größere Ausdehnung anzunehmen drohte, durch energisches Einschreiten des Militärs und der städtischen Feuerwehr aber bald gelöscht wurde. Der entstandene Schaden ist nicht erheblich.
— J>n Harze herrschen starke Schnee- stürme. Der Verkehr ist unterbrochen oder gestört, die Posten werden mit Schlitten befördert. Auf der Harzbahn Blankenburg- Tanne ist der Betrieb eingestellt, die Bahnstrecke Halberstadt Blankenburg aber wieder fahrbar. In Braunschwcig hat der Schnec- fall ausgehört und es herrscht starker Frost.
Edinburgh, 6. Jan. 1200 Bahnarbeiter griffen den Zugführer des Schnellzuges Edinburgh-Perth an und bewarfen das Dienstpersonal und die Reisenden mit Steine». Gendarmerie zersprengte die Meuterer und verhaftete über 100. 30 Lohnarbeiter wurden durch Säbelhiebe verwundet.
— Grnua, 8. Jan. Gestern ist hier
ein Magazin mit 2000 Ballen Baumwolle abgebrandt. Der Schaden beträgt eine halbe Million, das Feuer wurde gelegt
(Das Martyrium einer Dienstmädchens.) Das traurige Geschick u.es jungen Dienstmädchens wird von dem Sorauer Wochenblatt in Folgendem geschildert: Die 19jährige Mina Brunzel a rS Albrechtsdorf hatte sich im Dienste tes Schankwirts Teichmann in Ruppendorf t ie Füße erfroren, was anfänglich wohl nicht gehörig beachtet worden sein mag. DaS liebet wurde io groß , daß . das Mädchen arbeitsunfähig wurde. Das Bett, in welchem sie lag, war nicht etwa in einer Kammer oder einem Verschlage, sondern auf dem freien Boden an der Treppe ausgestellt. Hier hat sie 8 Tage zugebracht, ohne daß Jemand in gebührender Weise um sie gekümmert, geschweige denn ärztliche Hilfe herbeigeholt hätte. Endlich hatte sie Gelegenheit, von ihrem Zustande ihrer in SeiferSdorf wohnenden Mutter Kenntnis zu geben, die sich sofort aufmachte und ihre Tochter mitnahm, um sie in Behandlung deS Herrn Dr. Glaser zu geben. Derselbe stellte in einem speziellen Atteste das Erfrorcnseiii beider Füße fest und befürwortete zur weiteren Behandlung die Aufnahme der Kranken in daS Krankenhaus. Die sorgfältige Behandlung, welche hier der Kranken zu Teil geworden ist, vermochte das Schlimmste leider nicht abzuwenden: am ersten WeihnachlSfeiertage schritten die Aerzte zur Amputation; der rechte Fuß ist bis zur Hälfte der Wade, der linke Fuß in seinem vorderen Teile bis zur Ferse, welche stehen geblieben ist, abgenommen worden.
— Der Schnellzug Hamburg-Bremen überfuhr in der letzten Nacht bei der Station Buchhvlz zwei Schachtarbeiter.
Paris, 8. Jan. Eine deutschfeindliche Demonstration gab es in Toulouse. Laut „Soleil" eröffnet? ein Bayer, Namens Lind, deutscher Reserveoffizier, im Dezember in Toulouse einen großen Spezerciladen, nahm um seine deutsche Herkunft zu verheimlichen, französische Gehilfen, später aber einen Straßburger, mit dem die französischen Gehilfen nicht am Tische essen wollten und deshalb das Haus verließen. Heute zogen letztere mit einer großen Menschenmenge vor Linds Haus, sangen die Marseillaise >n tz schrien; „Speit auf die Deutschen I Nicver mit den Preußen!" Die Polizei trieb die Menge mühsam auseinander.
— Nach eine;: Mitteilung des Auswärtigen Amtes ist d e Republik der Vereinigten Staaten von Brasilien vom deutschen Kaiser aa-rkannt worden.
Eckensteher (zu einem „StandeSge- >,offen"): „Höres, Ede, morjen is meiner Ollen ihr Jeburtütag, un da möcht ick jihr 'ne ganz besondere Ueberraschung bereit«», weeßt du vielleicht eene?" -- Ede: „Häng dir uff!"
— (Gegenseitige Beaufsichtigung.) Schreiber (zum Fenster hinauöschaucnd): „Jetzt seh ich dem Maurer da drüben schon drei Stunden z», aber auch keinen Stein hat der Kerl bisher aug.faßt. Jetzt möcht' ich nur wissen, wofür solche Leute alle Sonnabend ihr Geld einstreichen." — Maurer: »Jetzt guckt der Schreiberknechi scho' drei g'schlagene Stund zu mir 'rüber und hat in dcra ganze Zeit noch koi Feder a'g'rccht. Jetzt möcht i nur wissa, für was so Tag- died' ihr' B'sotdunA kj'nemmet."