Rundschau.
Fellbach, 5. Januar. Gestern wurde der seil 5 Jahren hier wohnende Dr. Hans Boßhart, ein Schweizer von Geburt, begraben, der erst 31 Jahre att, ein bewegtes Leben hinter sich hatte. Als junger Assistenzarzt einer Schiffsexpedition umsegelte er zweimal die Erde und hielt sich längere Zeit in Australien auf. Trotzdem er frühzeitig erblindete, ruhte fein lebhafter Geist nicht. Er widmete sich der litterarischen Tbätigkcit und gab z. B. Hauffs „Luhtenstcin" in gebundener Rede heraus. Im Violin- und Klavierspiel leistete er trotz seiner Blindheit Vortreffliches, wie auch unter seiner geschickten Hand mehrere physikalische Gegenstände, kleine Dampfmaschinen, elektrische Leitungen rc. entstanden.
Lndwigsburg, 8. Jan. Heute morgen halb 7 Uhr ereignete sich hier ein Eisenbahnunfall, der von weittragenden Folgen hätte begleitet sein können, wie ein Wunder aber ohne Verlust für Menschenleben vor sich gegangen ist. Der von Stuttgart eingetroffene Oricntexpreßzug entgleiste infolge eines Zungenbruchs der Weiche noch innerhalb des Bahnhofareals. Bis er zum Stehen gebracht werden konnte, waren 2 mit Passagieren dichtbesetzte Wagen auf das Einfahrtgeleise des zu gleicher Zeit fälligen Beihinger Zuges hinübergeschobcn worden, und dieser fuhr nun auf diese Wagen auf. Der Führer scheint die Gefahr noch rechtzeitig bemerkt zu haben, denn außer einem tüchtigen Anprall, der die Lokomotive ebenfalls zum Entgleisen brachte, geschah weiter nichts. Verletzungen sind nicht jvorgekommen. Auch konnte der Orientexpreßzug nach kurzer Zeit seine Fahrt sortsetzen. Drei Geleise sind unfahrbar geworden, wodurch der Verkehr empfindlich gehemmt ist.
Heilbronn, 5. Jan. Zie Ziehung der dritten Serie der hiesigen St. Kilianskirche wurde mit höherer Genehmigung auf 4 März 1891 verschoben. — Bei einer borgenommenen Haussuchung eines des Wilderns verdächtigen Burschen wurden u. a. ein vollständiger DiebShandwerkzcug gefunden, als Schlüssel, Bohrer, Dietriche, Brecheisen u. s. w.
Besigheim, 7. Jan. Die Wahl deS Ockonomen Es sich von Bietigheim IN den Landtag wird angefochten. Dem ständischen Ausschuß ist der Protest bereits zugegangen. Es sollen bei der Wahl zahlreiche Fälle von Getränk- u. s. w. Spenden, sowie allerlei Versprechungen zur Erlangung von Stimmen vorgekommen sein.
Hall, 5. Jan. Einige Tage vor Weihnachten ist das 7jährige Söhnlein des Vorstandes des hiesigen Landesgesängnisses beim Schlittschuhlaufen in den Kocher gefallen, konnte aber sogleich wieder herausgezogen werden und hatte scheinbar keinen weiteren Schaden genommen. Vor einigen Tagen aber erkrankte es an Erkälmngserfcheinungen und starb gestern nachmittag.
Tübingen, 5. Jan, In einem Neubau in der Kelternstraße waren die Wasserablaßröhren, die Wasserleitung u. s. w. eingefroren. Der Hausverwalter wollte dem Uebelstande dadurch abhelseu, daß er einen Kohlenofen in einen kleinen Raum stellte und denselben bei verschlossenem Fenster durch den Lehrbuben mit Steinkohlen Heizen ließ. Bald hörte eine Bewohnerin des Hauses das Tlöhnm eines Menschen und entdeckte bald
darauf, daß der Lehrbube infolge der Gas- auSströmung bewußtlos neben dem brennenden Ofen in Todesgefahr lag. Sie sorgte für raschen Luftzutritt und für ärztliche Hilfe, wodurch der Junge vom nahen Erstickungstod? noch gerettet werden konnte.
Ehingen, 6. Jan. Am dritten Weih- nachisfeiertagc fand mau am Geländer der Donaubrücke bei Herbertshofen die Uniform eines Soldaten des 6. Infanterieregiments nebst Kopfbedeckung und Säbel aufgehängt. Die Uniform gehörte dem Soldaten Menne >on hier, welcher über oie Weichnachtsfeier- tage einen 8tägigca Urlaub erhielt und denselben dazu benützte, um in Zivilkleidern das Weite über d u Ozean zu suchen. Der Entflohene hatte bereits 2 Jahre gedient.
Geislingen, 6. Januar. Gestern früh würben auf der Straße von Uebcrkingen nach Altenstadt Hilferufe vernommen. Nach längerem Suchen wurde Israel Heimerdinger aufgefunden, welcher in der Nacht den Weg auf der Oberböhringer Steige verfehlte und über Felsen hcrabstürzte, wobei er den jFuß gebrochen hatte. In diesem Zustande mußte er bis in die Frühe liegen bleiben. Zum Glücke war es in dieser Nacht nicht so kalt, sonst wäre er erfroren. Der Verunglückte wurde ins hiesige Krankenhaus verbracht.
Ravensburg , 4. Januar. Privatier Ratz, welcher in der Frühe des Neujahrsfestes vor seiner Wohnung einen Handwerks- burschen mit einem sogen. Totschläger derart auf den Kopf schlug, daß er noch an demselben Tage starb, ist in Haft genommen worden. Weiteres wird erst die Gerichtsverhandlung an dm Tag bringen.
— Der Hagelschaden in Württemberg im ablaufenden Jahre beträgt rund (drei Millionen, die armen Beschädigten werden von der Zentralleitung rund eine Million erhalten, 80 000 ^ sind eingegangen durch freiwillige Beträge.
— Mit dem 1. Februar kommt ein neuer Tarif für Personen, Reisegepäck und Hunde im Verkehr zwischen bayerischen und württemdergischen Bahnstationen unter Aufhebung kes TarifcS vom 1. März 1882 nebst Nachträgen zur Einführung.
— Aus Berlin: Der „Post" zufolge wird das Kapitel ocs Schwarzen Adlerordens am 17. Januar, das Ordensfest am 18. Januar und die Taufe des neugeborenen Prinzen am 25. Januar statlsindcn.
Berlin. Die „wilden Privatkliniken", in denen man nach Kochs Methode behandelt, führen jetzt, laut der „N. A. Z.", in medizinischen Kreisen den Spitznamen „Spritzenhäuser."
— Dem Kaufmann Sichel in Berlin, Zimmerstraße 62, haben zwei Dienstmädchen in der N^ujahrsnacht aus dem Schreibsckre- tär eine Kastele mit 5200 gestohlen und sind mit dem Eeldc durchgegangcn. Die leere Kostete fand man in einem Keller des Hinterhauses; von den Flüchtigen hat man noch keine Spur.
— Die beider Dienstmädchen, die dem Kaufmann Sichel in Berlin in der Sylvesternacht eine Kassette mit 5200 ^ gestohlen und damit die Flucht ergriffen haben, sind in Hamburg aufgehalten und verhaftet worden. Ein großer Teil des gestohlenen Geldes fand sich bei ihnen vor.
— Ein Angehöriger des höchsten bayerischen Adel« soll sich, wie dem Londoner Standard aus Nizza geschrieben wird, dort
im Hotel Mcntone mit Morphium vergiftet haben. Er hatte enorme Spielverluste in Monte Carlo erli.ten.
— Ein anscheinend den höchsten Ständen angehöriger Fremder wurde in San Remo erschossen vorgefunden. Bei der Leiche fand sich ein Zettel, der die Worte «ntbielt: „800,000 Rubel verloren, mein Name bleibe verschollen."
— Der Eisgang des Rheins hat sich, wie nian den M. N. N. '.neiget, zwischen Unkel und Remagen gestellt, was seit 1843 »iebt mehr vorgekommen ist.
— Rudolf Löwenstein, d,w bekannte Dichter und Begründer des „Kladderadatsch", ist in Berlin gestorben.
— (Eine stumme Familie.) Das „Echo de l'Oise" erzählt, daß sieg in her Nähe von Beauvais auf der Mühle Fretry eine Familie, aus Mann Weib nud Tochter bestehend, befindet, Welche niemals zu einander ein Wort sprechen. Das merkwürdige Ueber- einkommcn, sich des Gebrauchs der Sprache gänzlich zu cinhalten, ent.tand durch die Prophezeiung eines Dorfgauklers, welcher ihnen verhieß, daß wenn sie sich stumm verhielten, sie dereinst einen großen Schatz finden würden. Anfangs ging alles gut, besonders beobachtet' der Mann streng sein Gelübde, aber den Frauen ward eS nur zu bald ein Ding der Unmöglichkeit, zu schweigen. Sie suchten den Dorfpropheten von neuem auf und ihm das Schreckliche ihrer Lage verstellend, baten sie ihn um Ermäßigungen, so daß er ihnen endlich erlaubte, außerhalb der Grenzen des DepaneMnts sprechen zu dürfen. Sie wandern jetzt jeden Dienstag nach Tournay, dem nächstgelegenen Orte des benachbarten Departements und sprechen sich satt für acht Tage.
— Dem „N. W. T." wird gemeldet, auf der Pforte herrsche große Bestürzung, weil man, gelegentlich der Llltzki-Affaire die Entdeckung gemacht, daß zahlreiche hohe türkische Funktionäre in russischem Solde stehen und über 500 Spione in allerlei Verkleidungen in der Türkei für Rußland thätig sein sollen. Es sollen ferner 160 Ingenieure mit dem Studium des Bosporus und seiner Fortifikatiou beschäftigt sein. Kjurd-Pascha soll mit Verbannung bestraft werden, weil er angeblich Lutzki für 200 türkische Pfund verkauft hat. Der in Konstantinopel lebende Fürst Nakeschidze, gegen welchen Rußland ebenfalls Anschläge vorbereitete, wird türkischerseitS sorgfältig überwacht. Die Intervention der FreundeLutz- kis kam zu spät, weil die Russen denselben bereits wegtransprrtiert hatten. Die Stellung des türkischen Polizeiministers soll erschüttert sein.
— Vor einigen Tagen wollten sich 15 Bergleute der Pinoie BcrgwerkSgesellschaft ihren wöchentlichen Dynamitvorrat aus dem 7 Meilen von Mapita in der mexikanischen Provinz Durango gelegenen Magazin holen. Einer der Arbeiter schlug u rvorsichtigerweise auf eine schadhafte Lunte, um dasZünthüt- chen herunterzubringen. Das letztere entzündete sich und trachte das ganze Magazin zur Explosion. 12 von den 15 Arbeitern wurd-n in Atome zerrissen, die übrigen 3 leben noch, aber sind so grauenhaft verstümmelt, daß wenig Hoffnung auf ihre Genesung besteht.
— Am Sonntag nachmittag stieß der von Krcuz kommende Personenzug bei dc>?