Rundschau.
Stuttgart, 23. Nov. Durch das heute erfolgte Ableben Seiner Majestät deö Königs Wilhelm III der Niederlande ist die Königliche Familie, mit welcher der Verewigte durck doppelte Bande der Schwägerlckaft enge verbunden war, in tiefe Trauer versetzt worden.
— Hoftrauer. Wegen des Ablebens des Königs der Niederlande ist Hoftrauer auf 4 Wochen angeordmt worden.
— Seine Majestät der König hat zum dicnstaufsichtsführenden Amtsrichter bei dem Amtsgericht Nagold den Amtsrichter Siegel von Oberndorf, Hilfsrichter bei dem Landgericht Tübingen ernannt.
— Medizinalrat Dr. Rembold ist letzte Nacht von Berlin zurückgekehrt und hat eine Probe von dem neuen Kochschen Heilmittel milgebracht. Die Versuche damit haben heute Montag im Marienhospital begonnen.
Cannstatt, 24. Nov. Gestern nachmittag um 1 Uhr fuhr der Heizer einer Maschine während der Abwesenheit des Führers beim Rangieren gegen die Ncckarbrücke vom Haupigeleife auf ein Nebengeleife, wodurch der Kohlenwagen über die Rampe des Nebengeleises gedrückt wurde, und der Tender in die Böschung sich cinbohrte. Den ganzen Nachmittag mußte an der Freimachung deS Tenders gearbeitet werden.
Schorndorf, 24. Nov. Das Remsthal ist ganz überschwemmt. In mehreren Thalorten wurde» heute »acht die Sturmglocken angezogcn. Der Straßenverkehr der Rem« entlang ist unterbrochen. Da« Wasser ist im Steigen begriffen.
Gaildorf, 24. Nov. Der Kocher ist a is seinen Ufern getreten, die Wiesen sind überschwemmt, die Wassermassen haben viel Erde mit sich fortgerissen.
Backnang, 23. Nov. Infolge der anhaltenden Regengüsse ist heute nachmittag die Murr über die Ufer getreten. Ueberall sieht man gefchäftigte Hände, um gefährdete Waren in Sicherheit zu bringen.
— Zn Tübingen stürzte sich eine Dienst- magd vom Hirsauer Steg rücklings in den Neckar, wurde jedoch vvn einem vorübergehenden Soldaten lebend herausgezogen. Sie hatte 5 des ihr von ihrer Herrschaft an- verlrauten Geldes verloren und suchte in Verzweiflung hierüber den Tod.
Ulm, 24 Nov. Unter ungeheurem Zudrang hat bereits gestern in der Tuchhalle eine Vorverfammlui'g zum würtlcmbcrgischen Katholikentag staitgefunden, in welcher eine Reihe von Resolutionen über Bekämpfung der Sozialdemokratie, über katholische Presse, über Schule, Zulassung katholischer Orden u. s. w. zur Annahme gelangten. Der heutige Andrang war wiederum ein so großer, daß neben den beiden Hauptversammlungen in der Tuchhalle weitere in verschiedene» Sälen onberaumt werden mußten.
Cöln, 22. Nov. Der dirigirende Arzt der Heilanstalt Falkenstein im Taunus, Dr. Deüweiler, äußerte, wie die „Kölnische Zeitung" meldet, über die einzigartige spezifische Wirkung des Koch'schen Heilmittels könne in keiner Form ein Zweifel bestehe»; die gewaltige antitnberkulöse Kraft des Mittel« komme auch Lungenkranken je nach' ihrem Krankheilsstadium unbedingt zu Gute. DaS neue Mittel werde im Verein mit der bisherigen strengen Behandlung in der Anstalt die Zahl der auch schon bisher geheilten schweren Fälle bedeutend steigern; geschlossener
Anstalten für Lungenkranke werde man jetzt erst recht bedürfen, die Kur werde kürzer, billiger und erfolgreicher werden.
— Der Andrang von Lungenkranken zu der königlichen Universitätsklinik in Berlin ist außerordentlich groß. Von leitender Stelle wird mitgeteilt, daß nur solche tuberkulöse Personen behandelt werden, welche hinreichend kräftig sind, um an bestimmten Tagen behufs Einspritzung nach der Klinik kommen zu können. Auch von diesen kann nur eine beschränkte Zahl in Behandlung genommen werden, da nicht genug Aerzte vorhanden sind, um die nach der Einspritzung eintrctende Reaktion zu beobachten.
— Nach Mitteilung von unterrichteter Seite dürfte» etwa noch zwei Monate vergehen, bis das Koch'sche Heilmittel so weit vorrätig ist, um alle wissenschafftlichen StaatS- austalten und öffentlichen Krankenhäuser damit zu versorgen. Das „Berl. Tgbl." will wissen, Koch werde die Verfügung über das Heilmittel dem Kaiser überlassen.
Berlin, 23. Nov. Der Kaiser hat der Königin-Witwe von Holland telegraphisch sein Beileid ausgesprochen. Der Prinz Al- brecht, Pnnzregcnt von Braunschweig, wird den Kaiser bei der Beisetzung des König« vertreten.
— Zu Ehren von Dr. Karl Peters wird am 5. Dezember Abends 8 Uhr in der Philharmonie von einem Teil der Berliner Studentenschaft, dem Verein deutscher Studenten und der mit demselben befreundeten Korporationen, ein Kommers veranstaltet, bei welchem der Führer der deutschen Emin Pascha-Expedition einen Vortrag über das Unternehmen und den Verlauf desselben halten wird.
— Au< Füllfkirchen wird berichtet: Die Influenza breitet sich immer mehr au« und ist vielfältig von Typhu« gefolgt. In den Schulen fehlt die Hälfte der Zöglinge. Die Epidemie tritt viel heftiger auf als im vorigen Jahre.
Freitag abend kurz vor 10 Uhr fand man im Haupiportal de« Bahnhofs zu Frankfurt a. M. beim Oeffnen eines Abortes den Reisenden Karl Kübler aus Böckingen bei Heilbronn am Kleiderhaken erhängt. Kübler, ein Mann in den vierziger Jahren, hat die Thal wegen NahrungSsvrgrn au-geführt.
— In einer Kunstweinfabrik von NimeS wurden nicht weniger als 50,000 Liter Ameisensäure beschlagnahmt. Der Besitzer der Fabrik färbte seine Kunstweiue mit diestm Stoffe und schickte sie dann als „junge Weine" nach Paris I
— Aus Hessen: Ein Unglücksfall trug sich vor wenigen Tagen auf der Strecke Betzdorf-Siegen bei der Station Gladenbach zu. Ein junger Mann au« dem Dorfe Roßbach war in Siegen gewesen und hatte leichtsinniger Weise das Coupe, in welchem er sich befand, etwas verunreinigt, so daß ihm der Schaffner drohte, auf dem Bahnhofe Gladenbach ihn anzeigcn zu wollen. Dies war auf der vorhergehenden Station Haiger. Ehe jedoch der Zug in den Bahnhof Gladenbach einlief, sprang der leichtsinnige Mann auö dem noch in voller Fahrt befindlichen Zuge. Dabei wurde er so heftig auf den Bahnkörper geschleudert, daß er bewußtlos auf dem Nebengeleife liegen blieb. Nach kurzer Zeit kam eine Rangiermaschine, von welcher bei der herrschenden Dunkelheit der auf dem Geleise liegende Mann nicht rechtzeitig wahr
genommen werden konnte, daher und fuhr über ihn hinweg. Als wenige Minuten später einige Mitreisende den jungen Mann austuchen wollten, fanden sie nur noch den gräßlich verstümmelten Leichnam vor.
— Die Hexe. Aus dem Lübeckischen wird über einen Fall krassen Aberglaubens berichtet. Im Dorfe B. starb trotz aller aufopfernden Pflege ein kleines Mädchen. Die Mutter glaubte nicht an einen natürlichen Tod ihres Kindes und bald stand es bei ihr fest: das Kind war behext worden. Eine „weise Frau", deren eS leider in Lübeck viele giebt, stärkte die Bethörte in ihrem Glauben, machte ihr für schweres Geld allerlei Schwindel vor und ließ sie zum Schluß einen Blick in ihren Zauberspiegel thun, um diejenige zu sehen, die ihrem Kinde etwas angethan. In der erschienen Fratze will nun die Mutter das Antlitz einer Frau erkannt haben, die im Dorfe längst als „Hexe" be: kannt war. Die Belehrte sorgte nun für möglichst weite Verbreitung ihres „schrecklichen Geheimnisses". Ueberall wird nun die arme, in so unsinniger Weise beschuldigte Frau auSgcstoßen und gemieden, als ob sie mit dem Teufel im Bunde stände.
— In Saalfeld ist die Familie des Bauunternehmers Schwarz, Mann und Frau mit drei Kindern, infolge eines Gasrvhr- brucheS, der das Eindringen von GaS in die Schlafräume des Hauses verursachte, erstickt. Auch ein 70jähriger Greis, der im anstoßenden Armenhaus wohnte, ist derselben Katastrophe zum Opfer gefallen.
— Um seinen 11jährigen Bruder zum Aufstehen zu bringen, zündete in Crostwitz (Sachsen, im Kreis Bautzen) rin 8jähriger Knabe das Bett desselben an. Bei dem dadurch entstehenden Brande kam leider der ältere Bruder ums Leben.
— Die Spinnerei Schlumberger im Ajolthale (Vogesen) ist niedergebrannt; sic war auf 600,000 Frcs. versichert.
— Auf der Bahnstrecke Warschau-Thorn, zwischen Lowicz und Pniewo, sind, wie bereits kurz gemeldet, in der Nacht zum 21. dS. in einem Waggon erster Klasse zwei Reisende, anscheinend Zuckeragenten, welche circa 55,000 Rubel bei sich trugen, ermordet und beraubt worden. Die Leichen wurden auf den Bahndamm geworfen. Die mutmaßlichen Mörder, zwei feingekleidete junge Leute, welche in denselben Waggon eingrstiegcn waren wie die Erstbezeichneten, sind entkommen. Die preußische und die russische Polizei entwickeln bei der Fahndung nach den Mördern große Thätigkeit.
— Aus Warschau wird gemeldet: Die Stadt Ludwipol, Gouvernement Wolhynien, wurde durch eine Brandstiftung am 19. Nov. gänzlich eingeäschert. 4000 Menschen, größtenteils Juden, sind obdachlos.
— In Belfort explodierte ein Pulverlager, wodurch 4 Arbeiter getötet wurden.
Sansibar, 22. Nov. Die beiden Mörder der während des Aufstandes in Kilwa gelöteten Beamten der Ostasrikanischen Gesellschaft, (Krieger und Hessel), wurden in Kilwa ermittelt und hingerichtet.
Amsterdam, 23. Nov. Der König der Niederlande ist heute gestorben.
Haag, 24. Novbr. Die Minister der Kolonien und der Justiz reisten nach Loo, desgleichen Obcrzeremonienmcister Baron du Tour van Bellinchave. Gestern mittag fand Ministerat statt. Alle Palais und öffent-