Schicksccl'swege.

Novelle von Th. Hempel.

Nachdruck verboten.

16 .

Sie war in seiner Vaterstadt Lehrerin an einer öffentlichen Schule und erteilte außerdem Privatunterricht in feinen Fami­lien. Nach den Herbstferien war sie plötz­lich verschwunden, und niemand ahnte, wo­hin sie gegangen. Natürlich habe ein der­artiges Ereignis sogar in der Großstadt Auf­sehen erregt und es habe nicht an verschie­denen Auslegungen dafür gefehlt, tiotzdem dem die Familie, in welcher sic gelebt, sie von jedem Unrecht freigesprochen, doch sei erzählt worden, daß ein vornehmer Herr mehrere Male im Hause auS- und cingegangen. Bei seinem letzten, längeren Besuch in Abwesen­heit der Familie habe dieser nach Anssage des Dienstmädchens eine höchst erregte Un­terredung mit der jungen Dame gehabt. Kurze Zeit darnach sei diese unter dem Ver­geben, eine Ferienreise zu unternehmen, auf immer verschwunden. In welcher Beziehung der junge Herr zu der Dame gestanden, hat der Gast der Baronin nicht zu erklären ge­wußt, hat eS aber für seine Schuldigkeit ge». Hallen, die Baronin von dieser doch sehr dunklen Geschichte in KennlniS zu setzen, um sie zu warnen. Die Baronin wollte sofort daS Fräulein zur Rede setzen und sie aus ihrem Hause entlasse», vics §sei sie ihren Kindern schuldig. Nur durch mein dringen­des Zureden gav sic zu, die Angelegenheit bis zur Rückkehr ihres Galteu ruhen zu lassen."

Aber ich werde sie nicht ruhen lassen," fuhr der Graf auf, welcher seinen Zorn nicht länger zu demeisteru vermochte.Ich bitte Sie, führen Sie mich zur Baronin, damit ich meine Mündel unter meinen Schutz stellen kann!

Ihre Mündel?" frug der Arzt jetzt erstaunt.

Ja, von ihrem sterbenden Valer mir an­vertraut. Zn jung, um selbst ihre Erzieh­ung zu übernehmen, legte ich dieselbe in be­währte Hände."

Als zwölfjähriges Kind nahm ich sie aus," fuhr der Graf fort,als ich sie zu einem schönen Mädchen erblüht wiedersah, saßlc ich ein lebhaftes Interesse für sie."

Von ihrer Seile fand ich aber nur Ab­weisung. Tlvtzdem ich nur einige Male iv ihre Nähe gctommen bin, ha! man die Unschuldige den gehässigsten Verleumdungen -auSgcsetzt, nur deshalb ist sie auS der Hei­mat eniflohcn. Ich hoffe, daß sie sich nicht mehr meinem Schutze entzieht, nachdem ich sie länger als ein Jahr vergebens suchte."

Der Graf wäre am liebsten sofort nach der Villa geeilt. Der Arzt meinte je­doch, daß er du Baron'u erst gegen Abend sicher sprechen könne, und daß es doch wohl das Richtigste sei, sich ihr als Vormund der jungen Dame vorzustellen.

Voll Ungeduld erwartete der Graf die Empfangsstunde der Baronin, endlich, mit einbrechendem Abend nahte er sich dem er­sehnten Ziel. Er durchschritt einen park­ähnlichen Garten, in dessen Milte das Haus lag, als plötzlich eine dunkle Gestalt schatten- gleich an ihm vorbeieilte. Beinah erschrocken blickte er ihr nach und bemerkte, daß sie am Ufer des dicht am Garten vorübcrraujchen-

den Flusses zusammensank. Schnell eilte er ihr nach und hörte noch einen unterdrückten Aufschrei und dann von einer ihm nur zu wohl bekannten Stimme, die verzweifelten Worte:Giebt es nirgends Ruhe und Frie­den für mich, bin ich überall die AuSge- stoßene, ist die Sünde allzugroß, wenn ich mich vor den harten Herzen der Menschen dahin flüchte, wo sie mich nicht, mehr zu er­reichen vermögen, und die Ruhe in den Fluchen suche? Aber nein, es darf nicht sein, Vater im Himmel, erbarme Du Dich meiner Verlassenheit, sende mir Schutz!"

Da fühlte sie sich von einem Arm um­schlungen, und eine teure, ihr wohlbekannte Stimme sagte in mildem Tone zu ihr: Rosa, Du armes Kind, einst gelobte ich Dir meinen Schutz, wenn Du darnach riefst, ich komme heute, mein Wort einzulösen. Rosa, willst Du dich mir anvertraucn?"

Herr Graf, was führt Sie hierher, welcher Engel leitete Sie auf meinen Weg, Ji, ich habe das Vertrauen zu mir selbst v rloreu, ich flehe Sie an, seien Sie mein Retter, mein Beschützer."

Rosa, ich möchte Dir mehr sein, ich habe Dich gesucht mitjeinem Herzen voll Liebe und Sehnsucht, seit Du von uns gegangen, warum lhateft Du mir das?"

Weil man mich beschimpfte, weil meine Ehre und auch die Ihrige, Herr Graf, mir zu hoch stand, um sic besudeln zu lassen."

Nun habe ich Dich wi-dcr, Du lieber Flüchtling, nun lasse ich Dich nicht wieder von mir. Rosa, kannst Du Dich enschlie- ßen? Willst Du mein Weib sein?"

Dein Weib?"

Sie sah ihn an wie träumend und flü­sterte dann:

Ja Arwcd, ich will eS, denn ich liebte Dich, seit Du mir unmöglich gemacht hattest, Dich länger zu hassen."

Nun ging ihre schwache Kraft zu Ende, sie vermochte nur noch, ihm mit leiser Stimme zu erzählen, daß sie soeben nach einem hef­tigen Auftritt mit ihrer Herrin aus der Villa entflohen sei mit dem festen Vorsatz, dieselbe nicht wieder zu betreten.

An seinem Arm führte der Graf die Wankende nach der nahen Stadt, um bei seinem Freund, dem Arzt ein Unterkommen für sie zu arbitten, aber ihre Siune schwan­den sehr bald vollständig, und so blieb ihm nicht übrig, als in dem nahen Krankenhaus Zuflucht für sie zu suchen. Nachdem der Graf mit einem Arzt das Nötige besprochen, und dieser ihm gelobt hatte, für die plötzlich' Erkrankte mit einer Pflegerin nach Kräften zu sorgen, begab er sich nach der Wohnung seines Freundes um sich auch dessen Für­sorge zu empfehle» Zugleich sprach er die feste Zuversicht aus, daß Rosa nicht eigent­lich erkrankt, sondern nur in Folge der heftigsten Aufregung völlig erschöpft sei.

Sodann begab er sich zur Baronin, dem Diener die Weisung gebend, daß er seine Herrin auf jeden Fall sprechen müßte.

Diese bereute schon jetzt, in der Ueber- eiluug ihr dem Arzt gegebenes Versprechen nicht gehalten zu haben. Es that ihr nun von Herzen leid, das junge Mädchen so schwer beleidigt zu haben. Sie hatte Rosa schon allenthalben gesucht, ober vergebens. Der Diener meldete ihr nun den Besuch des Grafen; dieser ließ sich nich lange in Un- kenntnis über den Grund seines Kommens.

Verzeihen Sie, gnädige Frau, die Stör­ung, aber gewiß wird cs Ihnen wünschens­wert sein, über den Verbleib einer jungen Dame Auskunft zu erhalten, welche zu ihrem Hause gehörte. Ich sand dieselbe in der höchsten Aufregung in Ihrem Garten, als ich im Begriff war, zn Ihnen zu kommen, um Ihnen in meiner Eigenschaft als Vor­mund des Fräuleins meinen Besuch zu machen."

Die Baronin schrak zusammen. Bald einen Blick auf die Karle des Grafen wer­fend, welche sie noch in der Hand hielt, bald diesen selbst musternd fand sie keine Ant­wort.

Bei der Abneigung meiner Mündel, in Ihr Haus zurückznkchrcn, und da dieselbe sich tödlich angegriffen fühlte, wußte ich keinen anderen Ausweg, als sie vor der Hand in demnahelicgendenKrankenhausunurzubringen. Hoffentlich erholt sie sich dort bald und ist im Stande, mir mitzuteilen, wodurch ,sie in diese furchtbare Aufregung versetzt worden ist. Ihr sterbender Vater hat sie mir einst anvcrtraut, da ich natürlich nicht selbst die Sorge für sie übernehmen konnte, da ich natürlich nicht selbst die Sorge für sie über­nehmen konnte, übergab ich sie den besten Händen. Ich selbst lebte im Ausland. Bei meiner Rückkehr nach der Heimat habe ich sie einige Male im Hanse ihrer Pflegeeltern gesehen. Sie hatte dort das beste Lob; kaum war ich wieder nach dem Ausland gegangen, als ich die Nachricht von ihrem Verschwin­den erhielt. Daß es kein Unrecht war, wel­ches Rosa zur Flucht veranlaßt?, davon war ich fest überzeugt, aber erst nach einiger Zeit brachte ich in Erfahrung, in welch' empör­ender Weise das feine Ehrgefühl des stolzen Mädchens verletzt worden war, um es zu diesem verzweifelten Schritt zu vermögen. Ich hoffe, daß meine Bürgschaft für Fräu­lein Rosa Matthias, dies ist ihr wirklicher Name, Ihnen genügen wird, um nicht länger Zweifel über sie zu hegen. DaS im leiden­schaftlichen Zorn sich denen entzog, welche Elternstelle an ihr vertraten, war ein Fehler, er hat sich schwer gerächt."

Die Baronin, welche dem Grafen tief beschämt gegenüberstand, sprach den dringen­den Wunsch auS, sogleich selbst nach dem Krankenhaus zu gehen, um Rosa zu ver­mögen, daß sie wieder in ihr Haus zurück- kehre. Für heute lehnte der Graf der Ba­ronin Begleitung ab, versprach aber, das junge Mädchen unter ihren Schutz zu stellen, sobald es sich einigermaßen erholt habe.

DeS Grafen Freude, dc>s geliebte Mäd­chen endlich anfgefunden zu haben, verwan­delte sich nur zu bald in schwere Sorge. Sic war ernstlich erkrankt. Nachdem der Doktor längere Zeit des Grafe» Besuche bei der Kranken entschieden abgelehnt, forderte er ihn eines Tages selbst dazu auf.

Hat sich denn der Zustand endlich ge­bessert ?" frug der Graf erfreut.

Leider nicht," entgegnctc der Professor und fügte zögernd hinzu:Ich muß Ihnen gestehen, daß die Krankheit einen sehr ern­sten Charakter angenommen hat."

Wünscht sie meine Gegenwart?" frug der Graf erbleichend.

Nein, sie hat so heftiges Fieber, daß sie Niemand erkennt, aber ich glaubte, es wäre zu Ihrer eigenen Beruhigung."

(Fortsetzung folg»)

Verantwortlicher Redakteur: Bernhard Hosm » nn.) Druck und Vertag von Bernhard Hofmann in Wildbad.