Schicksclkswege.
Novelle von Th. Hempel.
Nachdruck verboten.
13 .
Rosas Brief an Dr. Brand lautete:
„Mein Wohlthäier!
Mögen Sie und Ihre Gattin mir nicht zürnen. Traurige Verhältnisse zwingen mich zur Flucht. Ich gehe hinaus in die Ferne, dahin, wo Niemand mich kennt. O vermöchte ich mich im Schoß der Erde zu verbergen! Vergessen Sie die unglückliche
Rosa."
Der Graf war über diese Nachricht auf's Tiefste bestürzt, heftigen Schrittes ging er im Zimmer ans und nieder. Was sollte er thun? Es war unmöglich, Rosa ihrem Schicksal zu überlassen. War er auch fest überzeugt, daß sie nie etwas Unrechtes thun würde. Sein Auge siel auf den zweiten Brief, er öffnete ihn rasch, in der Hoffnung, hier eine Lösung des Rätsels zu finden. Umsonst, er brachte nur neue Dunkelheit. Sein Onkel, Graf Salten, schrieb ihm:
„Gewisse Verhältnisse, peinliche Situationen legen mir die Verpflichtung auf, zugleich im Namen meiner Tochter, früher getroffene Bestimmungen als nicht vorhanden anzusehen. Ich wünsche, daß Du die Bitte meiner Tochter, später um ihre Hand zu werben, als nicht geschehen betrachten mögest, da von einer Verlobung nicht die Rede sein kann. Der Proceß um das in Frage stehende Besitztum wird wieder ausgenommen werden, im Falle Du nicht freiwillig Dich Deiner Rechte beziehst.
Graf Salten."
Sollten sich denn heute Rätsel auf Rätsel häufen! Was meinte sein Oheim für peinliche Situationen, von denen er selbst keine Ahnung hatte? Und da war noch ein Briefchen von zierlicher Damenhand, an ihn adressiert. Ec öffnete auch dieses. Das Brijchen lautete:
„Lieber Arwed!
Fast überzeugt, daß Du ebenso wie ich einer Verbindung mit mir wiederstrebst, reiche ich Dir als treue Freundin die Hand. Ich habe sie gesehen, welcher, wie ich bestimmt glaube, Dein Herz gehört. Sie ist ein edles Mädchen, wenn auch aus ganz andcrm Stande als wir. Gott schenke Dir in der Verbindung mit ihr ein reiches Glück, ich will ihr von Herzen gern eine Schwester sein, denn ich achte sie hoch. Meine Eltern wissen nichts von diesen Zeilen, sie würden natürlich meine Ansichten teilen. In verwandtschaftlicher Zuneigung wie immer Deine Kousine
Dorothea.
Graf Salten las beinahe fassungslos der Briefe nach dem andern nochmals durch. Er war fest überzeugt, daß sie in einem ge- wissen Zusammenhang ständen, und er vermöchte doch den verknüpfenden Faden nicht herauszufinden. Nur eins ward ihm klar, er mußte Rosa suchen, wie sehr st: sich auch verborgen, er mußte sie wiederfinden und dann, wenn er sie gesunden, sie fest an sein Herz nehmen und ihr zu sagen:
„Rosa, Du bist mein, nichts darf uns mehr trennen auf Erden." Strahlenden
Auges malte er sich das Glück ihres Besitzes aus, Rosa, sein Weib, Rosa, die Herrin seines Schlosses.
Da plötzlich schrak er zusammen, einen Augenblick hatte er die Wirklichkeit über seinen Träumereien vergessen. Sie war entflohen. Würde er sie je wiederfiuden? Vor allen Dingen mußte er Nachforschungen anstelle», dazu war seine Rückkehr nach der Heimat nötig. Er klingelte dem Diener, befahl, seine Sachen cinzupacken und befand sich bereits wenige Stunden danach auf der Heimreise.
Er dachte keinen Augenblick an die Möglichkeit, daß ein Unrecht sie zur Flucht veranlaßt habe, aber er fürchtete, daß ihr reizbares Ehrgefühl, ihr Stolz sie leicht zu einem unüberlegten Schritt verführen könnte und er wußte, daß nichts sie vermögen würde, seinen Schutz und seine Hilfe zu suchen. Zu Haus angekommen fand er Doktor Brand ebenso wie Frau Walther in der größten Bestürzung, auch sic hatten nicht die geringste Aufklärung gefunden.
Mit Anfang der rauhen Jahreszeit kehrte die vornehme Welt noch der Residenz zurück. Man öffnete die Salons wieder und auch am Hof begann die alljährliche Reihe der Festlichkeiten. Prinz Hermann und seine kunstsinnige Gemahlin versammelten außer dem hohen Adel die Autoritären der Gelehrten und Kunstwelt um sich.
Gräfin Dorothea war mit ihren Eltern heimgekehrt, ohne die gehoffte Erholung gefunden zu haben. Wie ein Alpdruck lastete auf ihr die Rückkehr zum gewohnteu Leben mit seinen vielen Festlichkeiten, welche nur dazu angcthan waren, ihr Herz noch trüber zu stimmen. Graf Salten gehörte zu dem näheren Umgang des Prinzen, er befand sich am ersten Empfangabend mit Gemahlin und Tochter im Palais. Dorothea fühlte sich hier in den glänzenden Räumen unter den vielen Menschen einsamer als draußen im grünen stillen Walde. Dort durfte sie ungestört ihren Gedanken sich hingeben, hier mußte sie mit lächelnder Miene ihren Kummer verbergen. Dazu richteten sich von allen Seiten fragende Blicke auf sie, denn ihre Beziehungen zu Graf Arwed von Salten waren kein Geheimnis geblieben, man hatte während seiner Anwesenheit entschieden die Veröffentlichung der Verlobung erwartet und erschöpfte sich nun in Vermutungen über seine plötzliche Abreise, ohne daß die Angelegenheit einen Abschluß gefunden. Die Prinzessin unterhielt sich voll liebenwürdiger Huld mit Dorothea. Sie hatte das junge Mädchen liebgewonnen und schenkte ihr besonderes Interesse.
„Hier unser Flüchtling. Endlich ist es mir gelungen, ihn aus der Einsamkeit zu entführen."
Mit dicsen Worten führte der Prinz den Professor Reinhard seiner Gewahlin zu.
Zum Glück für Dorothea begann die Prinzessin eine lebhafte Unterhaltung mit dem Professor, sodaß sie indessen Zeit fand, ihre Verlegenheit zu bemeistern.
Die Ankunft des Landesherrn nötigte das Fürstenpaar, sich schnell zu entfernen, und zum ersten Male nach jenem verhängnisvollen Abend stand der Professor seiner ehemaligen Schülerin gegenüber. Einen Augenblick schwiegen beide, endlich frug Dorothea:
„Sie waren längere Zeit verreist, wie ich höre, im Interesse der Wissenschaft, werden Sie nun wieder mehr Zeit finden, sich der Geselligkeit zu widmen, Herr Professor ?"
Schmerzlich bewegt hatte der Professor in das müde, bleiche Gesicht der jungen Gräfin geblickt, welche er nach dem, was sie ihm an jenem Abend selbst mitgeteilt, als glückliche Braut wiederzustnden gemeint hatte.
„Die große Huld des Fürstenpaar es führte mich hierher, aber ich fühle, daß es am besten für mich ist, der Geselligkeit möglichst fern zu bleiben," antwortete der Gelehrte.
„Dies würde den Prinzen sehr schmerzlich berühren, ich selbst war Zeuge, mit welcher Freude derselbe Sie seiner Gemahlin zuführte."
„Außer ihm wird mich Niemand vermissen, und da ich Erlaubnis habe, im kleinen Kreise an seinem Theetisch zu erscheinen, werde ich fortan diese Festlichkeiten meiden, in denen ich doch nur ein Fremdlig bin."
„Dann müssen wir uns schnell wieder von einander verabschieden, ich genieße diesen Vorzug nicht", sagte Dorothea mit einem schwachen Versuch zu lächeln. Wieder schwiegen beide.
„Sie werden sich nicht darnach sehnen, man sagt, daß der Glückliche die Einsamkeit liebt," bemerkte Professor Reinhard.
Ein tiefes Erröten flog über Dorotheas Gesicht und stockend erwiederte sie:
»Ich selbst verschulde den Irrtum, es ist mir lieb, daß ich ihn noch berichtigen kann, ehe wir scheiden. Es war mir stets ein beschämendes Gefühl, daß ich Ihnen damals die Unwahrheit sagte. Man plante in der Familie allerdings eine Verlobung zwischen meinem Vetter und mir, das Projekt wird aber nie zur Ausführung gelangen."
„Wenn Sie mich täuschten, Gräfin, so war dies die Strafe für meinen Uebermut. Sie traf mich schwer, die Worte, welche ich, den Unterschied der Stände vergessend, zu Ihnen sprach, bannten mich aus Ihrer Nähe. Das Glück, mit Ihnen verkehren zu dürfen, hatte ich mir geraubt- Ich darf Sie nicht Wiedersehen, wenn die Wunde im Herzen heilen soll," fügte er beinahe flüsternd hinzu.
„Sie heilt nie," entgegncte Dorothea wie im Traume sprechend, „nichts kann sie kühlen, es ist so schwer, zu dem bang klopfenden Herzen sagen zu müssen:
„Dir bleibt die Sehnsucht, bis Du auf ewig ausruhen darfst."
„Gräfin I Auch Sie, das Kind des Glückes, Sie lernten das Leid kennen?"
„Ich wagte es, mit einem edeln Herzen zu spielen, dies rächte sich an mir."
„Dorothea! Täuscht mich ei» Traum?" frug der Professor mit bebenden Lippen.
„Ich habe Sie lieb, Reinhard, eines an- den Mannes Weib kann ich nicht sein," flüsterte leise die Comteß.
Sie schracke» beide zusammen, als andere sich ihnen, näherten, die Wirklichkeit mußte wieder in ihre Rechte treten, mit einer ruhigen Verneigung trennte sich der Gelehrte von der Gräfin, aber sie vermochten beide nicht, den glänzenden Strahl des Glückes aus ihren Gesichtern zu bannen. Sie sahen einander den Abend nicht wieder lund fühlten doch die süße Befriedigung, vereint zu sein.
(Fortsetzung folgt.)
rnhard Ho smann in Wldbatz.
iiKr«M«»rklicher Redakteur: Bernhard Hosmann.) Druck uird Airlag von B t