Rundschau.

Aus Stuttgart: Ende November wird äußerem Vernehmen nach Reichskanzler v. Caprivi zu kurzem Besuche am württcm- bergischen Hofe hier einlrefsen. Die Ein­berufung deS Landtags, die für November in Aussicht genommen war, wird sich wahr­scheinlich biö nach Neujahr verzögern; eine Entscheidung ist übrigens noch nicht getroffen.

Cannstatt, 2. Okl. Heute kam ei» Teil der Ncmvndepfcrdc, welche für die neu zu bildende 4. Abteilung des 2. würlt. Felt- art.-Regiments angekauft wurden lauter junge schöne Tiere in die Stallung auf dem Wasen, woselbst die weiteren Pferde dieser Tage gemustert und aufarkaust werden sollen. Als Gewinner des ersten Ge­winnes der Bolksfestlotterie meldeten sich heute Georg Wieland, Müllerknecht von Ziegellronn, OA. Hall, seit einiger Zeit ohne Stelle und von Mitteln entblößt, sowie Wilhelm Zänker, Mühlbauer in der Kunst- mühle in Grunback, welche das Los am vor­letzten Sonntag in Stuttgart im Cigarren­laden von Hugo Hieber am Schloßbogen miteinander gelaust haben.

Winnenden, 1. Okt. Mil dem heutigen Tage hat Stadtschultheiß Hiemer nach nahe­zu nmnmonatlichem Urlaub seine Amts- thäligkeit wieder ausgenommen. Losnum­mer 6765, auf welche der zweite Gewinn der Volksfestlotterie siel, wurde durch Buch- druckercibesitzer Huß hier verkauft; der glück­liche Besitzer hat sich aber noch nicht ge­meldet.

Aus dem Oberamt Mergentheim, 2. Okt. Die Auswanderung junger Leute bei­derlei Geschlechts nimmt in diesem Herbst große Ausdehnung an. In den .höher gelegenen Orten unseres Bezirks macht sich ein empfindlicher Wassermangel fühlbar; in Adolzhausen und Pfitzingen liefern die öffent­lichen Brunnen so wenig Wasser, daß das für den häuslichen Bedarf der einzelnen Be­wohner nötige Wasser unter diese verteilt wird. JuHachtcl fiel vorgestern cin2'ir Jahre altes Kind in eine Mostkufe und er­trank.

Tübingen, 1. Oktober. Gestern wurden 100 Einjährigfreiwillige, darunter 48 Un­teroffiziere des hiesigen Bataillons, zur Re­serve entlassen. Heute traten bei demselben 62 Einjährigfreiwillige ein. Der Gesamt­stand der Einjährigfrciwilligen beträgt 88. Der Ausfall erklärt sich dadurch, baß Heuer zum erstenmal ne Zöglinge des K. Wil- helmSstifls nicht mehr zum Militär einbe­rufen werden.

Biberach, 2. Okt. In einem 4stvckigen Stadel in der Nähe des K. Amtsgerichts brach heule mittag ein bedeutender Brand aus. Die in dem Stadel aufbewahrten reich­lichen Ernlevorräte und 40 Raummeter Holz gaben dem Feuer bedeutende Nahrung, und das Gebäude brannte trotz größter Anstreng­ung der Feuerwehr vollständig nieder, ohne daß von dem Inhalt etwas gerettet werden konnte.

Von der badischen Grenze, 30. Sept. Kaufmann Hppert in Neumeier, Bez.-A. Bühl, hat in seinem Keller eine Petroleum­ader entdeckt. Nachdem vorher eine Prüf­ung statlgefunden, bot ihm ein Konsortium den Preis von 80,000 ^ Herr L.ppert wollte sich aber nicht entschließen zuzusagen, da er sich noch größeren Vorteil von der Entdeckung verspricht.

Zn einem Brunen des städtischen Wasserwerkes in Karlsruhe wurde am Diens­tag die Leicbe deS 13jährigen Sohnes des städtischen HeizerS Müller mit durchschnit­tenem Ha>fi gefunden. Der Knabe war seit dem 10. August vermißt worden.

Wiesbaden, 30. Sept. Am 23. d. Mts. ist hier als Junggeselle der weit über die Grenzen seiner engeren Heimat, durch sein Geschäft bekannt gewesene Verlagsbuchhändler Christian Wilhelm Kreidet gestorben. Der­selbe hat sein bedeutendes Vermögen bis auf einen kleinen Teil Wohlthätigkcitszwecken zu­gewandt. Testamentarisch erhält der Unter­stützungs-Verein deutscher Buchhändler und Buchhandlunflsgehilfen 25,000 Mk., der Verband deutscher Buchhandluugsgchilfen 6000 Mk-, acht hiesige Wohlthäligkcits-An- stalten und die Jdiotenanstalt zu Scheuern je 5000 Mk., die Forftschutzbeamten-Waisen- stiftung und die Adolsstistung (Lehrerwaisen) je 3000 Mk. Der Verein für elternlose Töcbter evangelischer Geistlicher im Con- sistorialbezirk Wiesbaden erhält das wertvolle Haus des Erblassers nebst prachtvollen Garten.

München, .2. Oktober. Das Gemeinde- kollegium ernannte einstimmig Moltke zum Ehrenbürger Münchens.

In Jmmenstadt ist am Dienstag abend der Gendarm Johann Maier, der eine auf der Straße entstandene Rauferei beilegen wollte, von einem der Beteiligten erstochen worden.

(Der Wartesaal für die Ewigkeit.) Aus Berlin wird geschrieben: Sehr heiter ist, was hier jetzt von einem zerstreuten Archi­tekten erzählt wird. Derselbe hatte für einen Berliner Kirchhof ein Erbbegräbnis und für einen Berliner Vorort eine Bahnhofwarte­halle zu bauen. Er entwarf die Pläne, kouvcrticrte sie an beide Adressen und ver­schwand dann spurlos in die Sommerferien. Als er wiederkam, sah er mit stillem Grauen, daß er die Pläne verwechselt hatte. Man hatte trotzdem fleißig darauflvS gebaut. Als Bahnhofsgebäude erhob sich in dem Vorort das stylvolle Erbbegräbnis, während auf dem Kirchhof eineWartehalle für die Ewigkeit" in die Lüfte stieg!

Sämtliche Blätter in Wien begrüßen den Besuch des deutschen Kaisers überaus herzlich sympatisch. DasFremdenblait" schreibt:Was Berlin im vorigen, Bres­lau in diesem Jahre unserem Monarchen geboten hat, will Wien dankbar erwidern und zugleich die unerschütterliche Freundschaft für das verbündete Reich und Sympathie für dessen rastlos thäligen Herrscher manifestie­ren. Gegenüber dem österreichisch-deutschen Bündnisse sind alle Parteien einig; sie sind durchdrungen von dessen Unerläßlichkeit für die Aufrcchterhaltung des Friedens. Kaiser- Wilhelm ist, das Muster eines im Dienste einer hohen Aufgabe rastlos thätigen Heir- schers, der geistige Leiter des öffentlichen Le­bens seines Reiches, der wahrhafte Mittel­punkt desselben, von dem die Initiative zu allen großen Angelegenheiten auSgeh». Wien begrüßt den Kaiser im Namen des ganzen Reichs als treuen Freund des vstcrreichcn Kaisers, als den Friedenshelden, als den Träger der Zukunft des engverbündeten deut­schen Reichs." DiePnsse" führt aus: Alle friedcnsfeindlichcn Stimmungen müß­ten vor dem unerschütterlichen Zusammen- halten der Friebenöliga kapitulieren; es gebe

den Völkern die Zuversicht, die Monarchen- begegnung werde ihnen zum Heile, zum Schutze der friedlichen Arbcil gereichen " DasVaterland" sagt:Der FrcundschaftS- bnnd der beiden Reiche werde dem Zustande unablässiger Beunruhigung, weicher Europa seit einem Jahrhundert heimsuche, endlich ein Ende bereiten."

Eine neue Manier, sich die Nägel ZN schneide». Zu welchen tollen Streichen mitunter Leichtsinn junge Burschen verführt, dafür bringt derKottb. Anz." aus Bück- gen bei Senstenbcrg einen bezeichnenden Be­leg. Der Maurerlehrling P. von dort ging mit mehreren ebenso verständigen Altersge­nossen die Wette ein, daß er im Stande sei, sich von einem Eisenbahnzuge die Fingernägel abschneiden" zu lassen, ohne daß die Finger selbst berührt würden. Gedacht, gcthan. Als der auf der Strecke Lübbenau-Kamenz verkehrende Personenzug um 6 Uhr abends die Station Bückgen passierte, gingen die Wet­tenden nach dem Bahnstrang. E. legte sich platt auf den Boden und hielt seine Hände derart gegen die Schienen, daß die etwas langen Fingernägel darauf zu liegen kamen. Der Zug brauste heran, und die Lokomotive passierte in Windeseile die kritische Stelle; im nämlichen Augenblick aber erhob P. auch schon ein fürchterliches Geschrei und fiel in Ohnmacht, denn die Lokomotive hatte ihm mit den Fingernägeln auch noch die Finger­spitzen abgefahren. P. wurde darauf zu einem Arzt und nach Anlegung eines Ver­bandes in ein Krankenhaus gebracht.

Aus Helgoland, 2. Okl., wird ge­meldet: Sen letzter Nacht herrscht schwerer Sturm, die See geht furchtbar hoch. Dcr dänische Schoner Neptunus ist auf der Süd­düne bei Helgoland gestrandet, die Mann­schaft ist gerettet. Der Dampfer Freia und der Postdampfer Kuxhaven ankern auf der hiesigen Reede. Seit vorgestern ist keine Post cingetroffen. Es sind noch 150 Bade­gäste anwesend. Eine Meldung aus Ham­burg besagt weiter: Eine Nordwcststurmflut richtete furchtbaren Schaden auf der Elbe und in der Nordsee an. Die Keller sind unter Wasser, bei Borkum ist ein bis jetzt noch ungekannter Schoner gesunken, dessen Mannschaft umgckommcn. Hier ertranken drei Personen.

In Tournay (Belgien) ist Baron Gaston de Crombeen unter der Beschuldig­ung des Multermordes verhaftet worden. Die Frau starb dieser Tage plötzlich anschein­end infolge einer Verletzung, die sie sich

selbst zugezogen, indem sie im Speisesaal stürzte, wobei ihr ein Messer, das sie eben in der Hand trug, in die Seite drang. Nun wollen aber die Gerichtsärzte entdeckt haben, daß daS bei der Toten gefundene Messer nicht in die Wunde paßt. Der Sohn, Ga­ston, ist geistesschwach.

Hiesiges.

§ Im hiesige» Schlachthause wurden im Monat September geschlachtet:

24 St. Ochsen 6 St. Rinder

36 Schweine 88 Kälber

12 Schafe.

Zusammen 166 Stück.

Von Auswärts eingebracktes Fleisch: 1858 Pfund.

Schlachthausverwattung: Vorstand F. Weber.