Schicki lalswegs.

Novelle von Th. Hemßel.

Nachdruck vertaten.

3.

Ein gellenderf Aufschrei unterbrach ihn, dann aber schien das Mädchen nicht mehr fähig zu klarem Nachdenken, willenlos sank es in die Kissen zurück, um zum Tode er­mattet, sich in den Schlaf zu weinen. Der Graf verließ mit Frau Walther das Zim­mer, um ihr Näheres über sein heutiges Er­lebnis mitzutcilen.

Schon mehrere Stunden, begann er, durchstreifte ich den Wald, ohne daß mir in Folge des bösen Wetters ein Wild, in den Weg gekommen wäre. Ich stattete meinem alten Freunde, dem Förster, einen Besuch ab, und begab mich bereits zur zeiti­gen Nachmittagstunde uns den Heimweg. Der Förster begleitete mich ein Stück durch den Wald. Plötzlich schreckte uns ein lautes Stöhnen aus unserer Unterhaltung ans. Wir eilten durch dichtes Gebüsch schnell vor­wärts, dem Tone nach. Unter einer Eiche, den Kopf an hervorstehcnde Wurzeln gelehnt, lag der wilde Matthias, der Fund unseres Hauses. Seine Tochter bemühte sich, mit der Schürze den Schnee von seinem Gesicht und Händen hinwegzuwischen. Vergebliches Bemühen, immer auf's Neue bedeckten die weißen Flocken den Sterbenden. Daß er ein solcher war, darüber konnte kein Zweifel walten. Ich schickte den Förster nach dem nahen Dorf, um Hilfe herbeizuholen, währ­end ich mit denr Unglücklichen und seinem Kinde allein blieb. Matthias bat mich, dicht an ihn heranzukommcn und flüsterte mir mit matter Stimme zu:Es geht zu Ende mit mir, ich fühle es, seit mehreren Stunden lag ich allein hier im Schnee. Schwer erkrankt schlich ich mich aus meiner Hütte fort, ich wollte meiner Tochter erspa­ren, allein mit mir zu sein, wenn cs zu Ende ging. Nun hat sic mich doch aufge- funden. Ich dachte über mein L-beu nach und kann mir nicht verhehlen, daß ich ein böser, rachsüchtiger Mensch gewesen bin, aber auch ein tief unglücklicher. Von gutem Herkommen heiratete ich ein armes Mädchen aus niedrigem Stande. Meine Angehörigen verziehen es mir nie und trieben mich mit Spott und Hohn aus der Heimat. Wir flohen hierher in den stillen Wald und such­ten, wenn auch in der elendesten Weise, un­ser Leben zu fristen. Die Menschen hier verachten mich, und mißtrauen mir auch, und deshalb haßte ich sie. Noch elender wurde ich, als man mich für den Mörder ihres Vaters hielt und unschuldig in das Gefäng­nis warf, worüber mein Weib vor Gram krank wurde. Aber das eine schwöre ich Ihnen, Herr Graf, im Angesicht des all­mächtigen Gottes zu, daß ich nicht der Mör­der Ihres Vaters bin. Mein armes Weck erlag bald dem Elend, auch ich würde gern sterben, wenn mein Kind nicht zu versorgen wäre."

Suchend irrte sein Auge nach seiner Tochter, sie lehnte starr vom Frost an einem Baume, halb besinnungslos, wie cs mir schien.Was soll aus ihr werde» ?" fuhr er fort,Niemand wird Erbarmen fühlen für das Kind des Ausgestoßenen."

Dies erschütterte mich. In seine kalte Hand gelobte ich für das Kind zu sorgen.

Leise stammelte er noch einen Dank und verschied, nachdem diese einzige Sorge von seinem Herzen genommen. Auch das Mäd­chen lag besinnungslos zusammengesunken im Schnee, ahnungslos, daß der Tod ihr den Vater genommen. Der Förster kehrte mit Leuten zurück. Ich gab die Erklärung ab, daß ich für das Kind sorgen werde und nahm es mit mir hierher, während die Leute den Verstorbenen nach dem Dorfe trugen. Kaum hatte ich mich einige Schritte entfernt, als der alte Förster eilig hinter mir her kam. Flehentlich bat er mich, das Mäd­chen nicht in mein Haus zu bringen, ich trüge das Unglück unter wein Dach, denn es sei bös wie eine Hexe. Er erbot sieb, es bei einfachen Leuten unterzubringen, welche es gegen eine geringe Entschädigung in den Stand setzen würden, sich nach einigen Jah­ren sein Brot als Magd zu verdienen. Ich lehnte das entschieden ab, was mir als Wortbrnch erschien. Jetzt aber bereue ich eS fast, ich sehe ein, welch schwere Last ich auf meine oder vielmehr auf Ihre Schultern gelegt habe. Nach kurzer Zeit gehe ich hin­aus in die weite Welt, wie kann ich es da verantworte», Sie mit diesem Kobold allein zu lassen. Wir wollen Nachsehen, wie für das Mädchen ein passendes, anständiges Un­terkommen zu finden ist. Nicht in der Hütte der Armut, sondern bei gebildeten, zuverläs­sigen Leuten, welche es auf sich nehmen wollen, diese verwilderte Menschcnseele viel­leicht noch zu bilden."

Nein Herr Graf, Sie versprachen für das Kind zu sorgen, weisen Sie es nicht wieder aus Ihrem Hause, ehe nicht wenig­stens ein Versuch gewagt werden ist, ob es wert sei, hier seine Heimat zu finden, ob eS nicht möglich ist, den Geist und des un­glücklichen Kindes bessern Neigungen zugäng­lich zu machen. Sie gehen auf lange Zeit hinweg, eS wäre für mich ein schöner Be­rns, in meiner Einsamkeit das Mädchen dem geistigen Elend zu entziehen. Es wäre wohl eines Versuches wert."

Wenn jemand es vermag, so sind Sie es Frau Walther, Ihr edles Herz hat Raum für die Armen und Elenden, wen» aber Güte und Strenge nichts fruchten, und Sie ihr gutes Ziel zu erreichen, keinen Weg fin­den, so gebe ich es in ihre Hand, das Kind anderweit unterzubringen. Sie wissen, daß Ihnen stets ausreichende Mittel zu Gebote tehcn, sich von der Last zu befreien."

Hiermit war die Besprechung zu Ende, der Graf bemerkte nur noch, daß er sich bereits vom Försterhause aus schriftlich bei seiner Großmutter cnschuldigt h^ie, da es ihm unmöglich sei, nach dem enfckütlernden Vorfall heule noch eine Gesellschaft zu be­suchen.

Nach Sturm und Schneegestöber brach ein heitrer Wiutertag au, die Sonne beleuch­tete hell die Schneefläche, welche weiß und glänzend die Erde bedeckte. Die Bäume, welche gestern noch ihre hohen Wipfel unter des Sturmes Gewalt tief beugten, standen heule aufrecht im Schmuck der weißen Flocken, welche die blätterlosen Zweige verzierten. Heitere Ruhe, tiefer Friede herrschte» da, wo gestern ein Menschenleben den letzten Kampf gekämpft, einem armen Kinde das Einzige genommen ward, mit welchen es ein Band der Liebe verknüpfte.

So sehr man sich auch im Dorfe freute, der Sorge für die böse Rose Matthias ent­hoben zu sein u. durch ihre schlimmen Streiche nicht mehr beunruhigt zu werden, so fverdachte es doch Jedermann dem jungen Grafen, daß er das verwahrloste Mädchen zu sich ins Schloß genommen.

Der Graf ließ sich durch den schönen Wintertag heute nicht zu hinein Jagdausflug verlocken, er war noch ermüdet u. zog es vor, ruhig aheim zu bleiben. Seine Pflegetochter hatte er noch nicht wieder gesehen; unter Marthas Obhut schlief sie noch in tiefster Ermattung.

Ein lautes Klingeln ließ sich im Hof hören, und denselben Augenblick meldete ein Diener die Ankunft der Frau Gräfin von Salten. Der Graf beeilte sich, seiner Groß­mutter entgegenzugehen, welche, von ihrer Gesellschafterin gefolgt, soeben die Schwelle des Schlosses überschritt. Sehr förmlich be­grüßte sie den Enkel, auf dessen Arm gelehnt sie die Stufen emporstieg. Oben angelangt betrat sie mit ihm ein Zimmer, während die Gesellschafterin sich zu Frau Walter begab.

Du beschämst mich durch Dein Kom­men, liebe Großmamma, ich muß mich vor allen Dingen entschuldigen, daß ich gestern nicht bei Dir erschien," sagte der Graf.

Deine Ablehnung war so kurz gefaßt, Arwed," entgegnctc seine Großmutter,daß ich den eigentlichen Grund Deines Ausblei- beibenS zn erfahren wünsche."

Mit tiefer Erregung schilderte der Graf den Vorgang im Walde und die furchtbaren Eindrücke, welche es ihm unmöglich erscheinen ließen, kurz darauf eine heitere Gesellschaft zu besuchen.

Der Tod eines Holzdiebes und Vaga­bunden also ließ Dich vergessen, was Du mir schuldig bist," entgegnele die alte Dame, stolz den Kopf zurückwerfend.Dies sind nun die Folgen Deiner Erziehung durch diese bürgerliche Frau. Dein Vater gab ihr über sein Grab hinaus noch Rechte, welche mir gehört hätten, dies war ein trau­riger Jrrthum von ihm. Daher kommt cs, daß Du Leuten, welche weit unter Dir stehen, Gleichberechtigung gewährst. Dies ist für einen Grafen Salten, verzeihe mir den Aus­druck, unpassend. Gieb dieser Frau Walther den ihr ausbedungenen Lohn, aber dulde nicht länger, daß sie Deine Ratgeberin ist und die Herrin dieses Schlosses spielt. Ist ihr Einfluß vorüber, so wirst Du Dich nicht mehr an das Sterbebett eines Bettlers stellen und sein Kind in Dein Heim führen. Du hast nicht nötig, Deine Mittel zu sparen, aber unterlasse es in Zukunft, in eigener Person einzutreten, wo Du mit Geld wirken kannst, und darüber die Pflichten zu ver­nachlässigen , welche Du mir und unfern Freunden schuldig bist."

Nur mit Mühe hatte sich der Graf bis jetzt beherrscht, er vermochte nicht länger zu schweigen. Das Haupt ebenso stolz erhoben als die Gräfin stand er dieser gegenüber. Sein Gesicht glühte vor Zorn, als er ant­wortete:Ich glaube nickt, daß Du nötig hast, Großmama, mich an meine Pflichten zu mahnen, eine der heiligsten ist es für mich, dieser Frau meine Dankbarkeit zu be­weisen, welche mir stets eine treue Mutter gewesen, mir alle Opfer brachte und noch bringt.

(Fortsetzung folgt.)

Berantwsrtlicher Redakteur: Bernhard Hofm » n n.) Druck und Verlag von Bernhard Hosmann in Wild-ad.