Wildbad, 1. September 1890.

Zum Sedanfeste!

Zum zwanzigsten Male kehrt in diesem Jahre mit dem 2. September der höchste »aüonale Gedenktag des deutschen Volkes wieder und an zahlreichen Orten unseres Vaterlandes schickt man sich darum an, die Feier dieses so bedeutsamen Tages diesmal besonders festlich zu begehen. Es ist die rege, sich immer erneut geltend machende Teilnahme, welche dem Scdanfeste bei seiner jedesmaligen Wiederkehr enlgegengebracht wird, gewiß ein höchst erfreulicher Beweis für das weite Kreise unserer Nation beseel­ende lebhafte patriotische Empfinden, denn ohne das Vorhandensein einer solchen mäch­tigen Regung in der Volksseele würde wohl kaum noch von einer nationalen Feier des Scdautages gesprochen werden können. Aber das deutsche Volk weiß eben sehr wohl, welche unvergänglichen, hohen Güter ihm im Schlacht- gcbraus von Sedan errungen wurden, daß in demselben der Grundstein zum Gebäude der deutschen Einheit gelegt ward, dessen glänzendes Richtfest dann am 18. Januar 1871 in der Spiegelgallerie des Versailler Schlosses vor sich ging. Und zur Erinner­ung an den hochbcdcutsamen Wendepunkt in der Geschichte und den Geschicken Deutsch­lands, den der Name Sedan in sich schließt, feiern wir eben den 2. September, nicht aber zur bloßen Erinnerung an eine einzelne Waffenthat, wie unvergleichlich ruhevoll sic auch für Deutschlands Söhne gewesen ist!

Seil jenem entscheidungsvollen Tage, an welchem vor zwanzig Jahren die deutsche Einheit im Schlachlendonner von Sedan herrlich erstand, ist nun ein neues Geschlecht aus den Plan getreten, während die Zahl derer, welche jenen große», in der Weltge­schichte einzig dastehenden Tag mit Bewußt­lein erlebt, an ihm vielleicht gar in den Reihen der Kämpfer mitgestritten haben, in der lebenden Generation beinahe nur noch die Minderheit bildet. Aber erfreulicher Weise hat hierdurch der 2. September an festlichem Charakter in keiner Hinsicht ver­loren, vielmehr bis heute in demselben Maße noch gewonnen, je weiter das große Ereig­nis in die Vergangenheit zurücktritt, und dies beweist, wie tief und kräftig auch in den Herzen der Söhne daSDewußtsein des­sen lebt, was einst die Väter auf den blut­getränkten Fluren von Sedan erringen und erstreiten halfen. Diese Erinnerung an den gewaltigen Kampf, de» dort die todesmutigen Streiter Deutschlands für die Ehre, Größe und Einheit des Vaterlandes geführt, noch in den spätesten Geschlechtern wach zu er­halten, wird darum immer einer der vor­nehmsten Beweggründe für die volkstümliche Feier des SedanfesteS bleiben und dieselbe befähigen, jedes Jahr auf's Neue das heilige Feuer patriotischen Empfindens und nationa­ler Begeisterung auch in den Herzen der Jugend zu entzünden. Möge auch zum diesmaligen Sedanfcstc diese Flamme in un­ser aller Herzen lodern, möge wiederum die Erinnerung an all' das herrliche, was der Tag von Sedan dem deutschen Vaterlandc gebrach:, unser ganzes Volk mächtig durch­zucken, und braußend durchklinge derJudcl- rnf zum heutigen Tage die deutschen Gaue vom Belt bis zum Bodensee:

Hoch Kaiser, Reich und Vaterland!

Rundschau.

Bei Lausten a. N. ereignete sich in einem Steinbruch des Zementwerks ein schweres Unglück. Während einige Leute mit Steinladen beschäftigt waren, fiel von der Höhe ein Stein herab, der einen Arbeiter so unglücklich auf den Hinterkopf traf, daß derselbe, ins Krankenhaus verbracht, seinen Verletzungen erlag.

Wangen bei Cannstatt, 28. Ang. Heute nachmittag wurde das 7 Jahre alte Töchter- chen des hiesigen Weingärtners Christian Rühle von einem im Trab fahrenden be­ladenen KieSwagen inmitten des Orts über­fahren und sofort getötet. Der Fuhrmann wurde wegen fahrlässiger Tötung heute Abend noch festgenommen und an das Amtsgericht nach Cannstatt eingelicfert.

Tübingen, 28. August. Gestern abend 7 Uhr eilte ein Fremder in großer Hast dem Bahnhofe zu. Im Wartefaal ange­kommen, wurde er von einem Schlaganfall betroffen und war sofort eine Leiche. Ein Briefumschlag, den er bei sich hatte, enthielt die Adresse:Professor Wagenmann, zurzeit in Rom." Seine Persöhnlichkeit wurde bald darauf als die des Universitätsprofessors und KonsistorialratS Dr. Julius Wagen­mann aus Göltingen festgestellt. Der Ver­storbene ist ein Württemberger und wurde 1823 als Sohn des jetzt noch lebenden pensionierten Pfarrers Wagenmann in Ber­neck, OA. Nagold, geboren. Er durchlief das Tübinger Stift und wurde 1852 Dia- konus in Göppingen. Seit 1861 war er Professor der Kirchengeschichte an der Uni­versität Göttingen und erwarb sich dort den Ruf eines hervorragenden Universitätslehrers. In gewohnter Weise war er vor einigen Tagen in die Heimat gekommen, um seine Verwandten, namentlich seinen Bruder, RatS- schreiber Wagenmann in Stuttgart, zu be­suchen. Hier in Tübingen wollte er einer Promotionszusammenkunft beiwohnen. Seine Leiche wird zur Beerdigung nach Stuttgart überführt worden.

Nagold, 29. Aug. In dem Sägewerk von Hespeler in Wildberg wurde gestern abend der langjährige vertraute Arbeiter Schund durch einen Baumstamm so schwer verletzt, daß er nach 5 Minuten verschied. Er hinterläßt eine Witwe und 5 Kinder.

Ulm, 28. August. Der Kameruner Duallaknabe, welchen der seitherige Gouver­neur von Kamerun, Frhr. v> Soden, der Familie des Oberförsters Bürger in Langen­au zur Erziehung anvertraut hatte, ist heute wieder in feine Heimat abgereist. Gestern wurde er in der oberen Kirche zu Langenau von Stadlpfarrcr Dr. Köstlin evangelisch ge­tauft. Ndinc Ndumbc, so ist sein Name, war 2'/i Jahr in Deutschland und wird sich am 31. d. Mts. mit Dr. Zinlgraf in Hamburg auf einem Dampfer der westafri- kanischcn Wörmanlinie einschiffen.

Von der bayerischen Grenze, 29, Aug. Gestern wurden ein Soldat des 14. bayer. Infanterieregiments in einem Steinbruch un­weit Rothenburg o. T. tot aufgefunden. Das genannte Regiment manöveriert gegenwärtig in hiesiger Gegend; auf welche Weise der Verunglückte in den Steinbruch gelangte ist bis jetzt unaufgeklärt.

Frankfurt, 39. Aug. Die Frankfurter Zeitung meldet aus Madrid: Die Zeitungen veröffentlichen eine Liste der bisherigen Opfer der Cholera seit dem Auftreten derselben in

Spanien. Danach erkrankten daran 7000 und starben 4000 Personen.

Köln, 28. Aug. Minister Maybach hat der Köln. Volkszeitung zufolge bei ver­schiedenen Fabriken 400 Lokomotiven bestellt.

Auf eigenartige Weise verunglückte am Sonntag in der Bockbrauerei in Berlin ein Commis G. Als er herzhaft in ein Butterbrot einbiß, löste sich sein künstliches Gebiß vom Gaumen und legte sich ihm vor die Luftröhre, so daß G- in Gefahr geriet, zu ersticken, und bereits ohnmächtig war. Einem zufällig anwesenden Arzt gelang es, das Gebiß durch die Speiseröhre bis in den Magen des Verunglückten zu schieben, der sich nun wahrscheinlich einer Operation wird unterziehen müssen.

Bei den Landtagswahlen in den Öberösterreichischen Städten wurden 14 Libe­rale und 3 Klerikale gewählt.

(Der Spielteufel.) Auf der Kos- lofstraße in Moskau sieht man täglich einen Bettler Namens Tortzoff, der vor et­wa dreißig Jahren einer der glänzendsten und reichsten Kavaliere Rußlands gewesen. Von seinem Vater hatte Tortzoff die Summe von 15 Millionen Rubel geerbt und außer diesen Millionen Fortunas hatte die Natur ihn mit allen Gaben des Körpers und des Geistes ausgestattet. Tortzoff war gewandt in allen ritterlichen Künsten. Er war der vorzüglichste Reiter, der kühnste Schwimmer, der gesürchteste Fechter und der flotteste Tän­zer. Was Wunder, wenn die vornehmsten, schönsten und reichsten Damen Moskaus sich um seine Gunst bewarben. Aber in Tortz- off's Herz hatte nur eine Leidenschaft Platz gegriffen: das Spiel. Innerhalb weniger Jahre war am Spieltisch das ungeheure Vermögen in nichts zerronnen. In einer einzigen Nacht hatte er beispielsweise drei Mil­lionen Francs an den Grafen Scheremetieff verloren. Als er völlig ruiniert war, un- terstützten ihn wohl Anfangs seine Verwand­ten, als sie aber sahen, daß er auch diese Unterstützungen seinem unersättlichen Dämon opferte, sagten sie sich von ihm los. Jetzt hatte er nur noch einen Beschützer. Es war der Graf Scheremetieff, an welchen er einst drei Millionen verspielte. Aber als auch dieser gestorben war, war der letzte Helfer dahin» und nachdem Tortzoff in seiner Ver­zweiflung schon vorher zum Branntwein ge­griffen hatte, ergab er sich jetzt ganz dem SchnabSteufel. Jetzt sielt er sich im Koth der nämlichen Straßen, welche er einst hoch zu Roß oder in glänzender Equipage durch­eilt hatte. Die wenigen Kopeken, die er zum Wutk und zum Brod gebraucht, erbettelt er sich auf offener Straße und ist glücklich, wenn ihm einer seiner früheren letzten Pferde­burschen eine Kupfermünze schenkt.

Ein sechsfacher Mord wird aus Mon­tana (Verein. Staaten) gemeldet. Ein un­weit Livingstone in genanntem Staate leben­der Mann tötete in einem Anfall von Mord­lust seine Frau und fünf Kinder. Der Wahnsinnige leistete seiner Festnahme Wider­stand und wurde totgeschossen.

Bicker's Theater in Chicago ist einer Feuersbrunst zum Opfer gefallen.

Eine Riesenforelle. In den letzten Tagen wurde, wie man der GrazerMor­genpost" aus Jrdning mitteilt, im Golling- bache eine Lachöforelle gefangen, welche einen und ein fünftel Meter in der Länge mißt und 22 Kilo schwer ist.