Nr. 282
Amis- und Anzrigeblatt sür den Oberamtsbezirk Calw.
97. Iahrganz.
tzr,chetnung-w«ise: kmal wöchentlich. ÄnzeisenpreiL: Die klelnjpalttge Zeile Ml 20.— Nektcnien Mk. 60.—. Aus Sammelanzeltzen kommt ein Zuschlag von 100 — ffernjpr. 8.
Samstag, Le» 2. Dezember 1922»
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Neueste Nachrichten.
Zum Neichsminister sür Ernährung und Landwirtschaft wurde au Stelle von Müller-Bonn Oberbürgermeister Dr. Luther-Essen, also ebensalls ein Rheinländer, eruannt.
Die Entente hat an die deutsche Regierung eine Note gerichtet, in der sie als Vergeltung sür die tätliche Beleidigugn von Mitgliedern der Ententrkoatrollkonnnijfion in Stettin, Pass au und Ingolstadt eine Geldbuße von je SO» SOI Eoldmark von diesen Städten «nd außerdem einen Entschuldigungsbrief des bayerische Ministerpräsidenten verlangt, lleber die Vorfälle und die Haltung der deutschen Regiernng wird alsbald eine Erklärung deutscherseits erfolgen. Wir sehen aber aus diesem Vorgehen der Entente, wie weit man glaubt das deutsche Volk ohne Gefahr demütigen zu können.
Die Reparationssrage wird trotz der Inanspruchnahme durch die Lausanne» Konferenz innerhalb der Entente eifrig erörtert. Im englischen Unterhaus wurde zum soundsovielten Male verlangt, daß die Forderungen an Deutschland aus ein vernünftiges Matz beschränkt «erden. Und Bonar Law hat erklärt, daß er keine Forderungen Vorschlägen werde, die wirtschaftlich, finanziell und fiskalisch nicht gerecht seien. Aber es kommt eben darauf an, was die Herren Engländer für „gerecht" halten, und im übrigen werden die Franzosen den Busschlag geben. Die französischen Absichten aber gehen, wie der „Temps", wahrscheinlich halbamtlich mitteilt, unentwegt aus die Beschlagnahme von Pfändern, d. h. auf die Anneltion weiteren deutschen Gebiets aus. Wie sich hier eine Verständigung anbahnen soll, die auch für Deutschland erträglich wäre, ist vorerst nicht abzusrben.
Die Verhandlungen in Lausanne scheinen nicht sortz<chrei- ten. Tie Türken gehen nicht von ihren nationalen Forderungen ab, und stützen sich dabei fest aus die Russen und die andern orientalischen Völker.
Der militärische Leiter des Kapp-P»tschcs in Berlin, Korvettenkapitän Erhardt ist in Miinchen verhaftet worden.
Me liugcheimW EMffoiM der Eiüenle.
Berge'lnngsmaßnahmen wegen Beleidigung von Mitgliedern der Kontronkommission.
Berlin, 1. Dez. Die Kavas-Agentur übermittelt der Presse folgende Mitteilung: Infolge der Vorfälle in Stettin, Passau und Ingolstadt, deren Opfer Offiziere der internationalen Kontrollkommission waren, wurden von seiten der Kontrollkommission von der Reichsregierung Entschuldigungen und Wiedergutmachungen verlangt. Diese Genugtuungen sind bis zur Stunde in sehr unzureichendem Matze gegeben worden und es schien daher den alliierten Regierungen unerlützlich, energische Maßnahmen zu ergreifen, um die Tätigkeit der gemütz dem Friedensoertrag vorgesehenen militärischen Kontrollkommission und den Schutz der Mitglieder dieser Kommission sicher zu stellen. Es wurde deshalb gestern Abend dem deutschen Botschafter durch die . Botschafterlonferrnz mit der Unterschrift des Vorsitzenden Poiucarö eine Note überreicht, um der Reichsregiernng folgende Entschließung der alliierten Regierungen zu übermitteln: Vor dem 10. Dezember muffen die sür die Zwischenfälle in Passau und Stettin noch zu gewährenden Genugtuungen gegeben sein. Die Wiedergutmachungen und Sanktionen, die der deutschen Regierung von der Kontrollkommission 'mitgeteilt werden, soweit sie sich auf den Zwischenfall in Ingolstadt beziehen, müssen ausgeführt werden. Der bayerische Ministerpräsident hat der militärischen Kontrollkommission einen Brief zu schreiben, worin er sich sür die Zwischenfälle in Ingolstadt und Passau entschuldigt. Diese beiden Städte werden je mit einer Strafe ovn siVOlM Goldmark (!) belegt . Im Falle, daß die Bezahlung nicht oder nur teilweise erfolgt, und zwar bis zum lo. Dezember, werden die alliierten Negierungen zu ihren Künsten die Summe von einer Million Eoldmark oder einen entsprechenden Wert beschlagnahmen, den die bayerische Regierung in der Pfalz besitzt. (Eez.): Poincarä.
Beratung im Reichskadineit.
Berlin, 2. Dez. Zu der Note Poincares über die Zwischenfälle in Stettin, Passau und Ingolstadt bemerkt das WTV.: Die erwähnte Note ist gestern an der hiesigen zuständigen Stelle eingegangen und sofort Gegenstand ein
gehender Beratung der beteiligten Ressorts gewesen. Der Entschluß der Regierung wird im Einvernehmen mit der bayerischen Regierung getroffen werden. Eine eingehende objektive Darstellung des Sachverhalts wird der Oessent- lichkeit nich vorenthalten werden.
Die Reparationsfrage.
Die üblichen Neparationsphrasen im englische»» Unterhaus.
Lo' don, 2. Dez. Das Unterhaus setzte die Debatte über die Arbeitslosigkeit fort. Das Mitglied der Arbeiterpartei Philipp Snowden sagte, früher oder später muffe der Tatsache gegenübergetreten werden, daß man Reparationen von Deutschland nur erhalten könne, wen» man Deutschland wieder auf die Beine kommen lasse, damit es der beste Abnehmer Englands werde. Snowden forderte auch dringend die Anerkennung Rußlands. — Der ehemalige Kriegsminister Worthington Evans erklärte, Deutschland werde einen großen Ausfuhrhandel haben und es muffe daher eine Ausfuhrsteuer für Reparationszwecke bezahlen. Dies werde weder den Frieden Europas stören, noch den englischen Ausfuhrhandel schädigen. Evans verteidigte die Politik der Regierung Lloyd Georges bezüglich der Anerkennung Rußlands. Als wirkliche Ursache der Arbeitslosigkeit bezeichnete er die Armut der Abnehmer Englands im Inlands und im Auslands. — Asquith führte aus, bevor der internationale Handel nicht auf eine stabile- Grundlage gestellt werde, werde England unter allen Nationen der Welt eine der Hauptleidtragenden sein. Das sei der Schlüssel des Arbeitslosenproblems. Er hoffe, daß bei der endgültigen Liquidierung alle Forderungen an Deutschland imaginärer Werte ausgegeben werden. Bonar Law erklärte seine Zustimmung zu dem, was Asquith gesagt habe. Er werde keine Maßnahmen vorschlagen, die nicht wirtschaftlich, finanziell und fiskalisch gerecht seien.
Heuchlerische Begründung der »rairzösischen P.ünderpotitik.
Paris, 1. Dez. Der „Temps" beschäftigt sich mit der F^age, was Frankreich von der Londoner Konferenz erwarte, und schreibt: Einer Nachricht zufolge soll die englische Regierung zögern, vor Ende Dezember einen definitiven Entschluß zu fasten. Sie zöge es vor, Deutschland eine neue Frist zu gewähren — eine Frist, die die beiden Zahlungstermine vom 15. Januar und 14. Februar suspendieren würde —, damit die Alliierten noch Zeit hätten, ihre Sachverständigen zu Rate zu ziehen und zu überlegen. Der „Temps" versteht sehr wohl die Forderung, die darin zum Ausdruck kommt, dennoch erscheint es ihm zur Zeit nicht opportun, einen Plan vorzubringen, der eine Regelung der interalliierten Schulden in dieser Weise vorsieht. Wenn die Situation nicht geändert und wenn binnen kurzem keine große Anleihe möglich werde, werde man das Projekt wieder aufnehmen müssen, das eine teilweise Kombination zwischen den deutschen und den interalliierten Schulden vorsehe. Daher werde Poincarö durchaus auf dem richtigen Wege sein, wenn er auf seiner Reise nach London Unterlagen für ein Projekt dieser Art mitnehme. Der „Temps" kommt zu dem Schluß, daß die Obligationen der Serie L vorläufig aus dem Spiel gelassen werden, dafür aber der Zinsendienst der Obligationen A und B unter allen Umständen gesichert werden solle. Auf alle Fülle könne die gegenwärtige Lage nicht andauern und Frankreich werde sich zu keinem Moratorium — sei es kurz oder lang —, sei es provisorisch oder definitiv — mehr bereitfinden, wenn es keine Pfänder in der Hand habe. Das Blatt beruft sich darauf, daß das französische Pfändcrprogramm den Interessen der ganzen Welt (!) diene, und daß man sich durch nichts bei seiner Durchführung cinschüchtern lassen werde. Der „Temps" möchte sogar auch weiterhin wünschen, da die deutsche Sozialdemokratische Partei endlich die „wahren Interessen der arbeitenden Massen" erkenne, die begreifen werden, daß die französische Initiative das einzige Mittel sei, die Bevorrechteten zur Raison zu bringen. Aber nach wenn Frankreich alleinstehc, komme es um Taten nicht mehr herum.
Die rheinische Zentrumspartei gegen die französischen Gewaltpliine.
Köln, 1. Dez. Die rheinische Zentrumspartei veröffentlicht folgenden Aufruf: In ernster Stunde. In diesen Tagen sind aus Paris offiziöse Nachrichten über eine geplante weitergehende Beschlagnahme des Rheinlandes und die beabsichtigte Besetzung des Ruhrgebiets herübergekommen. Angesichts dieser Mitteilungen weiß sich die rheinische Zrntrumspartei einig in der festen
Ueberzeugung, daß wir die Meinung unserer Partei zu dieser Frage nicht erneut sestzulegen, sondern nur zu erinnern brauchen an die Einschließungen, die wir u. a. sowohl auf unserem letzten rheinischen Parteitag wie auch gemeinsam mit den anderen politischen Parteien wiederholt festgelegt haben. In dieser ernsten Stunde aber, wo wiederum die rheinische Bevölkerung von Westen her in große Unruhe versetzt wird, wollen wir dem gesamten Ausland mit allem Freimut sagen, daß wir im engsten Zusammenschluß mit unserem gesamten Volke eine ehrliche Politik der Verständigung und Versöhnung gegenüber unseren westlichen Nachbarn anstreben, daß aber eine solche Politik unmöglich ist, wenn die Einheit und Hoheit des Deutschen Reiches immer wieder aufs Neue vom Ausland her bedroht wird. Wir trugen nunmehr 4 Jahre die schweren Lasten einer fremden Besetzung für unser deutsches Volk, aber jede Machtpolitit wird auch in Zukunft nicht imstande sein, das rheinische Zentrum und die rheinische Bevölkerung in der Treue zum Vaterland wankend zu machen.
Die Konferenz von Lausanne.
Die Drage eines Austausch« der türkischen und griechischen Bevölkerung in den Grenzgebieten.
Lausanne, 2. Dez. Die gestrige Beratung des Ausschusses für territoriale und militärische Fragen galt in erster Linie der Frage des Austausches der Bevölkerung, d. h. der Verpflanzung der griechischen und türkischen Minoritäten in das betreffende Nationalgebiet. Damit hat die Konferenz eine Frage angeschnitten, die in der neuen Geschichte beispiellos ist, umsomehr, als es sich um eiuen Austausch von einer Million Menschen handeln wird. Nansen verlas einen ausführlichen Bericht über die Frage auf Grund der Gutachten von Sachverständigen. In Westthra- zien hielt er einen Austausch für durchführbar. Er wies aber auf die Notwendigkeit größter Beschleunigung mit Rücksicht auf die Ernte hin. Der Austausch müsse nach seiner Ansicht möglichst Ende Februar vollzogen sein. Die ganze Angelegenheit solle dem Völkerbund übertragen werden. Jsmed Pascha erhob aufs nachdrücklichste Einspruch gegen die Einmischung des Völkerbunds, zu dem die Türkei keine Beziehungen unterhalte. Desgleichen lehnte er eine Beteiligung Nansens, da dieser nur eine Privatperson und in dieser Eigenschaft nicht in der Lage sei, im Orient gute Ergebnisse zu erzielen. Jsmed Pascha machte ferner aus die Lage der obdachlosen Bevölkerung in Anatolien und auf die griechischen Verwüstungen aufmerksam. Lord Curzon suchte die Einwände Jsmed Paschas zu entkräften und wies auf die Notwendigkeit einer schnellen Regelung des Problems hin. V<-ni- zelos erklärte sich mit den Ansichten Nansens einverstenien. klebe, die Frage, ob der Bevölkerungsaustausch einen freiwilligen oder einen zwangsweisen Eharakter haben soll, ist noch keine völlige Klarheit geschaffen worden. Curzon wies darauf hin, daß aus Humanitären Gründen zwar der freiwillige Charakter gewahrt werden müsse, daß aber doch ein gewisser Zwang notwendig sei. Der von der Kommission eingesetzte Unterausschuß wird das Problein in feinen Einzelheiten weiter prüfen. Ebenso muß dem Unterausschuß die Frage des Kriegsgefangenenaustauschs überwiesen werden, da hier die türkischen und griechischen Meinungen einander gegcnüberstchen. Die Türken fordern die sofortige Rückgabe der türkischen Gefangenen, während die griechischen Gefangenen erst nach Fricdensfchluh zurückgefandt werden sollen. Die Griechen haben Len Austausch in gleichzeitigem Umfang vorgesehen.
Anscechterfaltung der türkischen Forderungen.
London, 1. Dez. Die „Times" melden aus Konstantinopel: Nach einem amtlichen Bericht aus Angora hielt Raul Bey am 29. November in der Nationalversammlung eine Rede über die Konferenz von Lausanne, in der er sagte, die Türken könnten ihre Forderung nach einer Volksabstimmung in Westthrazien nicht aufgeben, da sie in den nationalen Pakt ausgenommen sei. Das gleiche gelte von der Frage der Petroleumgebiete von Mofful. Am> Abend des gleichen Tages hatte Raul Bey lange Unterredungen mit den Gesandten Afghanistans und Sowjetrußlands, die sich, wie verlautet, aus die Lausanner Konferenz bezogen.
Unbedingtes Zusammenarberten Rußlands und der Türkei.
Paris, 1. Dez. Nach einer Meldung des „Newyork Herold" aus Konstantinopel sind die türkischen Behörden hinsichtlich der Lausanner Konferenz sehr pessimistisch gestimmt. Man befürchtet, daß die Alliierten cs weiter ablehnen werden, dir Russen zu allen Beratungen -uzulassen. Dadurch würden sie Li« Russen