Der Kamps um eineMillion.
Criminalnovelle von W. Roberts.
Nachdruck verboten.
20 .
Drei Tage später saß Richard Johnson, genannt „William Hntling," in ein ganz leichtes wcißcS Gewand gekleidet als Genesender an einer schattigen Stelle des Lazarcl- gartenS und freute sich, daß er dem Tode entronnen war. Hoffte er doch nun auch schon lange auf das Eintrffen eines Briefes und einer Geldsendung von seinem Onkel Allan Burns unv auf feine Befreiung vom englischen Söldnerdienste, in welchen er sehr wider seinen Willen in Folge einer verhängnisvollen Verwechselung, oder durch eine abgefeimte Schurkerei geraten war. Lange konnte nach Richards Berechnungen seine Gefangenschaft ja auch unter keinen Umständen mehr dauern, denn schon nenn volle Wochen war es her, seitdem er von Port- Said aus an Allan Burns, Ralph Lockwell und Elisabeth Lund geschrieben hatte, und mächtige Arme waren wohl bereits thälig, um seine Befreiung zu bewerkstelligen. Diese» tröstende» Gedanken nachhängend erhob sich jetzt Richard Johnson und schritt in dem Garten langsam auf und ab.
Da wurde er plötzlich bei seinem militärischen Namen gerufen und ein Lazaret- beamter winkle ihn zu sich.
„Hier sind zwei Briefe für Sie, William Hutting," sagte der Lazarclbeamtc und übergab ihm zwei Schreiben.
Richard blickte auf die Aufschrift der Briefe und bemerkte zu seiner großen Freude, daß dieselben aus England waren, und nach der Handschrift zu urteilen, von Onkel B. und von Ralph Lockwell herrühren mußten.
Eine Art Wonnetaumel packte jetzt den jungen Mann, der sich unmittelbar von feincn Leiden erlöst glaubte. Er sprang lustig in die Höhe, jubelte und schrie und eilte hinauf in seine Zelle, um dort mit Muße die Briefe, deren Inhalt er ja bereits eraten zu haben glaubte, zu lesen. Zuerst erbrach Richard natürlich den vom Onkel Burns angekominenen Brief und verschlang dessen Inhalt mit gierigen Blicke». Aber je weiter der junge Mann las, um so mehr verfinsterte sich sein erst so heiter-'s Antlitz und zuletzt schleuderte er den Brief zornig zu Boden und trat ihn mit Füßen.
„O, dieses unerhörte Schriftstück darf ich aber doch nicht vernichten," murmelte Richard dann mit bebenden Lippen und hob den Brief wieder vom Boden auf, „es könnte ja eine Fälschung sein und mir vielleicht später zu meinem Rechte verhelfen."
Langsam las der junge Mann den B. nun nachmals durch und prüfte den Inhalt, der folgendermaßen lautete:
„Unglücklicher Nest"!
Aus Deinem mir- mit dem Poststempel Port-Said zugcgangenen Schreiben habe ich ersehen, daß Dich Dein frevelhafter Leichtsinn in einen tiefen Abgrund gestürzt hat, ans welchem ich Dich weder befreien kann, noch befreien will. Die Erklärung, welche D» für Deine fluchtartige Entfernung aus England und Deine Anwesenheit bei dem englisch-indischen Heere unter falschem Namen giebst, ist ganz unglaubwürdig, zumal die Beweise vorliegcn,
Verantwortlicher Redakteur: Ber
daß Du in Folge einer ehrlosen That zu fliehen genötigt wurdest. Du bewahrst also Dich und Deine Anverwandten vor Schande und entehrender Strafe, wenn Du niemals nach England zurückkehrst. Dein verbrecherischer Leichtsinn, dem die Ruhe Deines alten Onkels nichts galt, und der Dich auf verderbliche Wege führte, hat zwischen mir und Dir eine tiefe Kluft erzeugt, die ich niemals wieder Überdrücken kann, noch werde. Ich sage mich daher hiermit feierlich von Dir los und will mit Dir keinerlei Freundschaft und Verwandtschaft mehr halten. Gleichzeitig verbitte ich mir von Dir alle ferneren Zuschriften und Zumutungen, denn ich will von Dir und Deinen Angelegenheiten nichts mehr hören. Nur für den Fall, daß Du nach langjährigem Wohlvcrhalten untrügliche Beweise für Deine Besserung gegeben hast, wirst Du dereinst aus meinem hinterlassenen Vermögen ein Legat erhalten, dessen Zinsen Du im AnSlande verzehren mußt. Kehre zurück auf den rechte» Weg, Du Pflichtvergessener, und denke, wenn es Dir schwer werden sollte, daß Arbeit, Entsagung und Pflichterfüllung die sichersten Stützen für Lebensglück und Wohlstand sind und daß auf diesem Wege Dein ehemaliger Onkel und Beschützer sein Glück gemacht hat!
London, 16. Mai 1876.
Allan BurnS."
Statt des Zornes beim ersten Lesen des Briefes erfaßte fitzt Richard Johnson eine tiefe Niedergeschlagenheit, die an krankhaften Schwermut grenzte, denn aller feiner schönen Hoffnungen, welche er auf die Großmut des Onkels fetzte, war er nun beraubt und öde, nackt und traurig lag das indische Soldaten- leben vor seinen Augen. Wie verzweifelt starrten Richards Augen auf den Brief, der die furchtbare Absage des Onkels und die unbegründeten oder doch weit übertriebenen Anklagen enthielt. Verächtlich schob Richard das Schriftstück bei Seite, er wollte cS aber für alle Fälle behalten und als er cs in seiner Brnsttasche verbergen wollte, da fiel sein Blick auf den Brief Ralps, der ebenfalls mit angekommen war und den Richard noch nicht geöffnet hatte.
„Vielleicht bringt mir dieser Brief einige Aufklärung," dachte Richard und erbrach denselben. Aber der Inhalt des Schreibens bereitete dem jungen Manne nur eine neue Enttäuschung, denn Ralphs Brief lautete folgendermaßen:
„Lieber Richard I
Du wirst Dir leicht denken können, wie überrascht und erschrocken ich war, als ich Deinen Brief empfing, der mir Aufschluß über Dein rätselhaftes Verschwinden und Deinen wieder Deinen Willen erfolgten Eintritt bei der englisch-indischen Armee gab. Ich eilte mit Deinem Br. sofort zu Onkel Allan Burns, um ihm .die frohe Botschaft, daß Du noch lebtest, zu üderbringcn und den einflußreichen Millionär zu bitten, die nötigen Schritte für Deine baldige Befreiung von dem zwangsweisen Militärdienste zu thnn. Doch da erlebte ich eine sehr bittere Enttäuschung ! Onkel Burns hielt mir, als ich kaum einige Worte zu Deinen Gunsten
ars Hof mann.) Druck und Vertag von B e
gesprochen hatte, einen Brief von Dir vor die Augen und rief mir mit zorniger Stimme zu: „Hier könne» Sie sehen, welch ein bodenlos leichtsinniger Mensch Richard Johnson ist und wie er versucht, seinen alten Onkel, der ihm so viele Wohl- Ihatcn erwies, über sein schändliches Thnn zu täuschen !" Als ich Onkel Burns darauf ersuchte, mir wissen zu lassen, worin Dein frevelhafter Leichtsinn bestehe, so erklärte mir der Greis in den Ausdrücken seines größten Unwillens, daß die Ursache Deines rätselhaften Verschwindens in einer von Dir begangenen ehrlosen That bestehe und daß Du dieserh.rlb unter falschem Namen die Flucht hättest ergreifen müssen, um der Verhaftung und Bestrafung zu entgehen. Die Angaben, welche Du über Dein Verschwinden gemacht hättest, verwies der Onkel in das Reich der Fabeln und nannte Dich einen losen Schelm und ehrlosen Schurken, mit dem er nichts zu schaffen haben wolle. Nur mit großer Mühe gelang cs mir, Allan Burns zu, veranlassen, Trine Angelegenheit etwas milder zu beurteilen. Keinesfalls wünscht er Dich aber zurück nach England und er will Dich auch niemals wieder scheu, da Du ihn um alle die schönen Hoffnungen, die er auf Dich gesetzt hatte, betrogen hättest. Er will auch in den nächsten Tagen bereits sein hauptsächlich zu Deinen Gunsten lautendes Testament ändern und hat entsprechende Aufträge bereits seinem Rechtsanwälte erteilt. Meinen unausgesetzten Bitten gelang es nur, den Onkel Burns zu bewegen, Dir unter gewissen Bedingungen eine Jahres- rentc ausznsctzen. Das Nähere darüber wird er Dir aber wohl selbst schon geschrieben haben. EL thnt mir recht leid, lieber Richard, Dir so unliebsame Mitteilungen machen zu müssen, aber ich darf bei Deinem Charakter wohl hoffen, daß Du die über Dich verhängte Prüfung mit Ruhe und Ergebung tragen und mit Vertrauen späteren besseren Zeiten entgegenscheu wirst. Ich selbst werde immer bestrebt sein, Deine Aussöhnung mit dem Onkel Burns zu betreiben und hofie bestimmt, Dich dereinst froh und glücklich nach England znrückkehren zu sehen.
Mit herzlichen Grüßen verbleibe ich London, am 21. Mai 1876.
Dein Vetter
Ralph Lockwell." „O, dieser schändliche, heuchlerische B.," rief Richard Johnson mit bit'.ernn Hohne aus und -warf das Schreiben zu Boden. „Wie soll ich aber den falschen Ankläger entlarven, wo doch selbst der alte brave Allan BnrnS meinen Worten keinen Glauben mehr bcimißl? Ich müßte sofort zmück nach England, um de» verhängnisvollen Irrtum, um die gegen mich verübte Schand- that anfzuklären, aber eherne Fesseln binden mich hier au das ferne Indien und wenn ich nicht mein Leben riskieren will, kann ich nicht entfliehen, und dann bin ich noch ein elender Deserteur. So muß ich Dich, Du grausames Geschick also wohl oder übel ertragen, muß Soldat sein ohne meinen Willen, muß verachtet, verleumdet und verstoßen werden, ohne mich rechtfertigen zu können.
(Fortsetzung folgt.)
rnhard Hvsmann in Wlldbad,