Nr. 281
Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamisbezirk Cauv.
97. Jahrgang.
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Freitag, de» 1. Dezember 1822.
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Neueste Nachrichten.
Die rheinischen Sozialdemokraten sowie die freien Gewerkschaften der Angestellten und Arbeiter erheben scharfen Protest gegen die französischen Eewaltpläne im Rheinland. Inwieweit die Mitteilungen in der französischen Presse auf tatsächlichen Forderungen der Regierung beruhen, ist anch heute noch nicht sicher zu sagen. Aus London wird immer wieder behauptet, daß di« englische Regierung noch leine Mitteilung über derartige Absichten Frankreichs habe, dah man sich aber für diesen Fall „freie Hand" Vorbehalte. Letzten Endes wird man aus die Geltendmachung der englischen „Bewegungsfreiheit" nicht viel Hoffnungen setzen dürfen. Die Vorbesprechungen der Alliierte« in London sollen Mitte des Monats stattfinden; die Brüsseler Konferenz wird also wieder verschoben, zweifellos weil man das Ergebnis der Orientkonserenz wenigstens tnbezug auf die wichtigsten Punkte abwarten will. Der Ernst der Lage wird durch die Erklärung des Auswärtigen Amtes in Washington gekennzeichnet, wonach die amerikanischen Besatzungstruppen am Rhein aus auhen- politischen Gründen vorläufig noch nicht zurückgezogen werden sollen. Die deutsche Presse kommentiert diese Nachricht dahin, dah die amerikanischen Truppen zur Demonstration gegen die französischen Eewaltpläne zurückgehalten werden, es kann aber auch gegebenenfalls, namentlich wenn dj« Orientkonserenz zu Komplikationen führt, eine Solidaritätserklärung mit den Alliierten aus dieser Truppenzurückhaltung entstehen. Allerdings hat es heute den Anschein, als wolle Frankreich unter dem Druck der Alliierten seine extremen Forderungen doch revidieren, und zu diesem Zweck Poincare fallen lassen, um eine Berständigung mit den Alliierten und Deutschland zu ermöglichen. Man wird die daraufhin deutende Nachricht von heute aber mit starkem Vorbehalt aufnehmen müssen.
Dah man zur Zeit Deutschland gegenüber sich etwas vorsichtiger verhält, erklärt sich aus dem Bestreben, zuerst mit den Türken und deren Verbündeten, insbesondere den Russen, fertig zu werden, die ihre alten Forderungen nach wirklicher Freiheit der Meerengen und wirklicher Unabhängigkeit der Türkei noch nicht fallen gelassen haben, weshalb jeden Tag eine Verschlimmerung der Situation eintrcten kann.
Die Neparationsfrage.
Poineartz's Gewaltpolitik am Ende?
Berlin, 1. Dez. Der Pariser Korrespondent der „Vossischen Zeitung" meldet seinem Blatt, man halte es in französischen amtlichen Kreisen für wahrscheinlich, daß PoincarS im Falle eines negativen Ausgangs der Londoner Besprechungen über die Reparationsfrage zuriicktreten werde, um Loucheur Gelegenheit zu geben, die Lösung des Reparationsproblems durch eine Verständigung mit den Verbündeten und mit Deutschland zu versuchen. Man versichere, dah Präsident Millerand für die Pläne Loucheurs gewonnen sei.
Widerstand Englands gegen die französischen Gewaltpläne?
Paris, 30. Nov. Ueber hie Stimmung nach der Erklärung im Elyste berichtet die „Ere Nouvelle", man könne ohne Uebertreibung sagen, daß die englische Regierung im Einvernehmen mit der öffentlichen Meinung in England nicht ohne Widerstand die direkte Ausbeutung des linken Nheinufers und die Besetzung des Ruhrgebiets hinnehmen würde.
Die übliche zweideutige Haltung Englands.
London, 1. Dez. Die Presse weist darauf hin, daß Donar Law bei der bevorstehenden Konferenz der alliierten Premierminister zum ersten Mal als Haupt der Regierung die auswärtigen Angelegenheiten zu behandeln haben werde. Alles sei in London für die Zusammenkunft der alliierten Premierminister bereit. Wie verlautet, ist der britische Standpunkt der, daß in Anbetracht der Tatsache, daß der französische Reparationsplan weiter fortgeschritten ist als der britische, abgewartet werden mutz, welche Vorschläge Poincarö in der Reparationsfrage machen wird. In London wird die Erklärung Donar Laws, daß die Regierung sich in der Reparationsfrage für frei erachte, dahin aus- gelegt, daß sie zu einer Abänderung der Balfour-Note bereit ist.
London, 30. Nov. Der Londoner Berichterstatter des WTV. erfährt von gut unterrichteter englischer Seite, daß pack wie vor keinerlei Andeutungen der französischen Re
gierung im Sinne der von der französischen Presse befürworteten Zwangsmaßnahmen gegen Deutschland erfolgt sind. Es könne aber über die etwaige Haltung der britischen Regierung gegenüber derartigen französischen Plänen, die sie nur aus der französischen Presse kenne, keinerlei Mitteilung gemacht werden. Es werde jedoch auf die bereits gemeldeten Artikel der Londoner Morgenpresse verwiesen. Für die britische Regierung sei die wichtigste Frage vorläufig der Zeitpunkt der alliierten Vorkonferenz zur Brüsseler Konferenz, da nach englischer Ansicht eine Vereinbarung der Alliierten in der Reparationsfrage vor der Brüsseler Konferenz für die Reparationen und die interalliierten Schulden unbedingt notwendig sei. Die Besprechungen während des gestrigen Besuchs des französischen Botschafters bei Donar Law hätten daher hauptsächlich dem Zeitpunkt der interalliierten Vorkonferenz gegolten. Fran- zösischerseits sei der 15. Dezember für den Beginn der Brüsseler Konferenz angeregt worden. Die Ueberreichung des französischen Reparationsvorschlags, dem entgegengesehen werde, sei bisher.noch nicht erfolgt. Was die Haltung der britischen Regierung gegenüber einem derartigen französischen Vorschlag betreffe, halte sie sichfür frei (?), wie dies Donar Law vorgestern im Unterhaus erklärte, die Reparationsfrage nach jeder Richtung zu betrachten. Vorbesprechungen am v. Dezember.
Paris, 30. Nov. Wie Havas mitteilt, hat Bonar Law in Beantwortung der letzten Mitteilungen Poincarö wissen lassen, daß er geneigt sei, mit dem französischen, dem italienischen und dem belgischen Premierminister am 9. und 10. Dezember zu einem Meinungsaustausch über die Neparationsfrage zusammenzutreten. Poincarö hat sich mit dem Zeitpunkt einverstanden erklärt. Z. Zt. findet zwischen den Kanzleien von London, Rom und Brüssel ein Meinungsaustausch statt über die Zustimmung von Mussolini und Theunis zu dem von Donar Law vorgeschlagenen Datum. Weitere De'.asfung der amerikanischen Truppen am Nhe n!
London. 30. Nov. Der „Times" zufolge teilt das ame- rikanische Staatsdepardement mit. daß die Absicht der Regierung, die noch im Rheinland anwesenden amerikanischen Besatzungstrnpprn zurückzubcrnfen, aus wichtigen außenpolitischen Gründen noch nicht verwirklicht werden könnte.
Vorläufig Kerne deutsche Negierungserklärung zur Nheinlandsrage.
Berlin, 30. Nov. (Drahtb. W.-B.) Nachdem der Reichskanzler im Reichstag sowohl wie im Reichsrat den Standpunkt der neuen Regierung zu den französischen Rheinlandsplänen kurz und klar Umrissen hat, ist zunächst nach unserer Kenntnis nicht beabsichtigt, gegen den neuesten Vorstoß aus Paris deutscherseits mit einer besonderen Regierungserklärung oder Kundgebung zu antworten, Das schließt natürlich nicht aus, daß der Reichskanzler bei Gelegenheit ausführlich auf die Rheinlandfrage zurückkommen wird. Staatssekretär Hamm hat dieser Tage eine eingehende Aussprache mit dem Oberpräsidenten der Rheinpfalz. — Die Haltung der Regierung erscheint gerechtfertigt, da tatsächliche Unterlagen für die Pläne der französischen Regierung doch nicht vorhanden sind.
Die rheinischen Sozialdemokraten
gegen die französischen Gewaltpläne.
Berlin, 1. Dez, Nach einer Meldung des „Berliner Tageblatts" aus Köln haben sich die rheinischen Sozialdemokraten an den französischen.Abgeordneten Leon Blum und den englischen Arbeiterführer Macdonald gewandt und sie gebeten, ihren Einfluß gegen die Verwirklichung der französischen Rheinlandpläne geltend zu machen. Die Leitung der rheinischen Sozialdemokratie hat gestern beschlossen, trotz des allgemeinen Drängens „Sofort auf die Straße" von Massenkundgebungen abzusehen. Sie hält sich aber bereit. Die „Rheinische Zeitung" gibt die Stimmung in den Arbeitcrkreisen mit folgenden Worten wieder: Man empört sich gegen die breite, unerhörte Herausforderung, wie sie in der Ankündigung liegt, daß man über die Millionen von Rheinländern wie über eine willenlose Herde verfügen will. Die Anregung zu einer gemeinsamen Abwehraktion der Arbeiter ist, wie das „Berliner Tageblatt" meldet, von den Kommunisten ausgegangen, ein Zeichen für die allgemeine Empörung über die französische Pfänderpolitik im Rheinland.
Mainz, 1. Dez. Die Vertreter der Freien Gewerkschaften und der freien Angestelltenverbände des Mainzer Wirtschaftsgebiets, die etwa 13 000 Mitglieder vertreten, nahmen gestern eine Entschließung an, in der unter Hinweis auf die unheilvolle Wirkung
der von dere französischen Regierung geplanten, dem Friedensvertrag widersprechenden Zwangsmaßnahmen betont wird, daß eine Lösung der schwebenden Fragen nur durch Verständigung, niemals aber durch Gewalt erfolgen könne. Die Entschließung besagt weiter, die Gewerkschaften erachteten es nach wie vor besonders aus moralischen Gründen für ihre Pflicht, am Wiederaufbau der zerstörten Gebiete mitzuarbeiten. Alle Bestrebungen auf Loslösung rheinischer Gebietsteile vom Reich werden mit Entrüstung zurückgewiesen.
Die Konferenz von Lausanne.
Die russischen Forderungen in der Meerengenfrage.
Berlin, 30. Nov. Heute abend empfing Tschitscherin in der russischen Botschaft die internationalen Pressevertreter und gab in einer kurzen Ansprache besonders über die Meerengenfrage und ihre Bedeutung für das Schwarze Meer die Ansichten der russischen Regierung wieder: voll« Souveränität de« türkischen Volkes über die türkischen Lande »nd die türkischen Gewässer, Schließung der Meerenge» für alle Kriegsschiffe mit Ausnahme der türkische«, was für Wahrung des Friedens »nd die Sicherheit des Schwarzen Meeres unbedingt notwendig sei. Jeder Versuch der Einmischung in die türkischen Angelegenheiten würde von der türkischen nationalen Bewegung weggeschwemmt werden. Tschitscherin fuhr fort, er wage nicht, zu versichern, daß Lausanne eine endgültige Lösung bringen werde. Dann sprach Tschitscherin von der morgen beginnenden Abrüstungskonferenz in Moskau und gab Erklärungen über den russischen Vorschlag, der darauf hinausläuft, zwischen den Nachbarstaaten Kontrollzonen zu schaffen, in denen nur Grenztruppen in einer von den Nachbarn festgesetzten Stärke bleiben dürfen.
Besprechung der Meerengenfrage am Montag.
Lausanne, 1. Dez, Dem russischen Besuch entsprechend ist die erste Sitzung der Konferenz über die Meerengenfrage auf Montag verschoben worden.
Stimmungsmache gegen Griechenland.
Paris, 30. Nov. Der Sonderberichterstatter des „Echo de Paris" berichtet aus Lausanne, die dort vorherrschende Meinung sei ziemlich streng gegen Venizelos, der, wie man annehme, den Gewalttätigkeiten der revolutionären Of- ,iziere, die gegenwärtig Herren der griechischen Regierung sind; kein genügend energisches Veto entgegengesetzt habe. Dagegen habe sich der gleiche Venizelos, der es gestern Nachmittag vermieden habe, in der Kommission für die Asgai- schen Inseln zu erscheinen, stark eingenommen geecn die Erklärung gezeigt, die von Seiten des Königs Konstantin in einer noch nicht weit zurückliegenden Angelegenheit weit geringere Ausschreitungen geduldet habe. Ter Berichterstatter zieht aus dieser Tatsache folgende beiden Schlußfolgerungen: erstens, der Tag sei ferner als je, selbst wenn man den Abschluß des Orientfriedens als nahe bevorstehend betrachten könne, daß die Kleine Entente Griechenland den Eintritt in diese Gruppe gestatten und ihm territoriale Sicherheit gewähren würde. Zweitens, zwischen der englischen Politik und idenizelos scheine jetzt der Bruch vollständig zu sein. Dieser Vorgang könne für die Konferenz von Lausanne günstige Folgen haben; denn die Wortführer Angoras würden jetzt vielleicht in die Konferenz mehr Vertrauen setzen als in der Vergangenheit. — Abgesehen davon, daß die Hinrichtung der Minister und Generale ein Rohheitsakt sondergleichen ist, da die Männer doch nur das beste für ihr Land wollten, zielt die „Entrüstung" über Griechenland jetzt nur daraus hin, die vollständige A> kehr der Entente, namentlich aber Englands von Eriecheir- land, moralisch zu bemänteln.
Lausanne, 1. Dez. In der gestrigen Unterredung zwischen Lord Curzon und Venizelos wurde festgestellt, daß die Vorgänge in Athen und die Rückberufung des englischen Gesandten keinen Anlaß zur Unterbrechung der Konferenzarbeiten geben.
Verhaftung weiterer griechischer Generale.
Athen, 30. Nov. (Reuter.) Die Generale Papulös, Dusmanis und Faleties sind verhaftet worden.
Ausland.
Die Deutschenvertreibung aus Polnisch-Oberichlesien.
Berlin, 30, Nov. Wie die Blätter in Ergänzung zu der kürzlich von der Reichsregierung dem Völkerbund übergebenen Note über die Deutschen-Vertreibungen aus Polnisch-Ob«rschlesi«n mit-