Der Kampfum eineMillion.
Criminalnovelle von W. Roberts.
Nachdruck verboten.
11 .
Mit besonderer Eile ließ sich an dies. Nachmittage Ralph -Lockwell zum Onket Burns nach Westend fahren, denn die besorgten Worte der Mutter, daß sich Richard lburch einen Brief dem Onkel trotz Ralphs Vorsichtsmaßregeln entdecken könne, hatten den durchtriebenen jungen Mann innerlich doch mehr aufgeregt, als er vor der Mittler zu- gestehcn wollte. Es war doch möglich, daß Allan Burns von Richard Johnson einen Brief bekam, ohne daß er vorher durch Ralphs Hände ging, die Tölpelhaftigkeit eines der bestochenen Diener, ein unberech- neter Zwischenfall konnte Ralphs Ränke durchkreuzen.
Mit fliegender Hast sprang Ralph aus dem Wagen, als derselbe vor Allan Burns vornehmen Hause hielt, und dem sich verbeugenden Portier ein Goldstück in die Hand drückend, fragte Ralph leise nach etwaigen für seinen Onkel angekommenen Briefen.
„Vor einer halben Stunde kam ein Brief an Mr. Allan Burns, den ich für Sie aufhob, Mr. Lockwell, entgegnetc der Portier schmunzelnd, „ich werde den Brief gleich holen."
Klopfenden Herzens wartete Ralph auf die Rückkehr des in,seine Stube geeilten Portiers und nahm dann mit zitternder Hand den Brief in Empfang.
„Ich werde den Brief dem Onkel selbst überreichen," sagte er dann mit bedeutsamen Augenzwingen und stieg langsam die breite Marmortreppe, die nach des Onkels Zimmern führte, empor. Die Neugier u. Angst ließ Ralph aber keine Ruhe, er blieb an einem Fenster des Treppenaufganges stehen und prüfte verstohlen die Aufschrift und den Poststempel des Briefes. Wahrhaftig cs war ein Schreiben Richards, Ralph erkannte es an der Handschrift, und der Poststempel Port-Said, den der Brief trug, ließ keinen Zweitel darüber, daß derselbe von dem aus so tückische Art nach Indien verschickten R. Johnson herrührte.
Ralph verbarg den Brief eiligst in seiner Brusttasche und stieg langsam die Treppe weiter empor.
Mit verbindlichstem Gruße trat der Schelm vor den ehrwürdigen Onkel, der den Neffen freundlich empfing. Als sich Ralph dann wie üblich nach dem Befinden des Greises erkundigt und Grüße von seiner Mutter übcrbracht hatte, wurde das Gespräch auf deu Verschollenen gelenkt und Allan Burns sagte dabei mit schwerem Seufzer:
„O, wenn ich nur erfahren könnte, wo und auf welche Weise der arme Richard geendet hat, denn daß er nicht mehr unter den Lebenden weilt, das dünkt mir jeden Tag wahrscheinlicher!"
„Geben Sie nicht alle Hoffnung auf, lieber Onkel," erwiderte darauf Ralph mit vollendeter Heuchlermine. „Es geschehen wunderbare Dinge in der Welt und trotzdem Richard nun drei volle Wochen spurlos verschwunden ist, braucht er doch nicht tod zu sein. Ein außergewöhnliches Abenteuer, eine seltsame Wette oder vielleicht auch eine -- schwere Schuld kann Richard in die weite Welt getrieben haben, und er kann
eines Tages wohl und munter zurückkehren.
„Daran habe ich auch schon oft gedacht und mich mit kühnsten Hoffnungen getröstet," sagte der Greis und wischte sich eine Thräne ans den Augen, „aber warum schreibt mir dann Richard nicht, wenn er noch lebt, er wußte doch, daß ich mit väterlicher Liebe an ihm hing und ihm viel, sehr viel verziehen hätte."
Ralph biß sich bei diesen rührenden Worten des Greises auf die Lippen, denn er fühlte momentan so etwas wie Gewissensbisse über sein schändliches Thun. Die Reue und Scham wirkten aber nicht lange auf Ralph ein, dazu war er schon zu verdorben, und zu sehr in die Netze des Bösen geraten. Heuchlerisch erklärte er daher dem Onkel wiederholt, daß durch irgend einen Zufall sich schon noch das Dunkel über Richards Verschwinden lichten und derselbe vielleicht gar selbst wieder in die Arme seines Onkels eilen werde, aber in Ralphs bösen Herzen wuchs dabei aufs Neue das Bestreben, Richard Johnson so fern als möglich von Allan B. zu halten und sich selbst allmählich derartig in die Gunst des Millionärs einzuschleichen, daß ihn dieser als seinen Universalerben an Stelle des verstorbenen Richard Johnson cinsetzte.
Lange litt es den Ränkeschmied heute nicht beim Onkel, Ralph schlug diesen nach- .mittag die Einladung des Onkels am Diner teilznnehmcn aus, weil er noch wichtige Geschäfte in der Stadt zu erledigen habe, und mit dem Versprechen, daß er morgen wieder- kommcn werde, verabschiedete er sich von dem bekümmerten alten Herrn.
Ein wahrhaft teuflischer Trieb, Richard Johnsons Brief an Allan Burns zu öffnen, zu unterschlagen und einen gefälschten an dessen Stelle zu unterschreiben, hatte Ralph gepackt und jagte ihn nach Hause, um Hand an das schändliche Vorhaben zu legen. Doch während er in der Mietkutsche eiligst durch die Straßen der englischen Riesenstadt fuhr, durchzuckte plötzlich ein neuer Verdacht sein Hirn.
Konnte Richard nicht auch bereits an die Familie Lund oder gar an die schöne Elisabeth einen Brief gefchrieben haben?! Und konnte dieser Brief nicht alle Ränke Ralphs verderbe», wenn er nicht auch schleunigst in den Besitz desselben kam?! Er mußte also sofort bei Lunds vorsprechen, dort stand ja die Dienerschaft auch in seinem Solde. Kurz entschlossen ließ daher Ralph den Wagen halten und befahl dem Kutscher, ihn in die Westmorlandstraße No. 70 zu fahren, wo die Familie Lund wohnte.
Auch dort forschte Ralph sofort den Portier nach Briefen aus, die von auswärts an Angehörige der Familie Lund eiugetroffen sein mochten, und es dauerte nicht lange, so brachte der Portier einen an Fräulein Elisabeth Lund gerichteten Brief. Gierig griff Ralph »ach demselben, um die Schriftzüge der Adresse und den Poststempel zu prüfen. Ein jähes Rot stieg dabei in Ralphs Antlitz, denn er hatte ja wieder einen außerordentlichen guten Fang gemacht. Der Br. trug in der Aufschrift Richard Johnsons unverkennbare Schriftzüge und hatte ebenfalls wie das an Allan Burns gerichtete Schreiben den Poststempel von Port-Said, er rührte also offenbar von Richard Johnson her und war, als daS TranSport-Schiff, auf
welchem sich der nach Indien verschickte junge Mann befand, den Suezkanal passierte, in Port-Said der Post übergeben worden.
Ralph ließ ein Goldstück in des Portiers Hände gleiten und steckte den Brief mit dem Bemerken, daß er ihn selbst seiner Cousine übergeben werde, zu sich.
„Die Damen sind übrigens gar nicht zu Haufe," bemerkte der Portier vertraulich schmunzelnd, „Frau Lund und Fräulein Töchter sind nach Greenich gefahren, wohin sie eine Einladung von der Frau Oberst Muray erhallen haben."
„O, das ist schade, daß ich die Damen heute nicht spreche» kann," bemerkte Ralph im Tone des vollendeten Weltmannes, „ich wollte- sie zu einer Wasserpartie für morgen einladen. Hier, Georg, übergeben sie Frau Lund meine Karte. Ich komme wahrscheinlich übermorgen wieder. Achten Sic also hier im Haute hübsch auf alle von außerhalb Englands ankommcuden Briefe, mein alter Freund, ich werde Ihnen dankbar sein. Doch was ich Sie noch fragen wollte: Ist Frau Lund mit der Frau Oberst Maray verwandt?"
„Allerdings, Mr. Lockwell," erwiderte der Portier, „die Mütter beider Damen waren wohl verschwägert. Frau Lund und Frau Muray scheinen übrigens erst neuerdings wieder engere Freundschaft geschlossen zu haben, denn in früheren Jahren fand zwischen den Damen sehr wenig freundschaftlicher Verkehr statt."
»Ist Frau Muray auch Witwe wie Frau Lund?" forschte Ralph weiter.
„Nein, Witwe ist Frau Muray nicht," berichtete der Portier, „aber sie weilt zur Zeit fern von ihrem Galten, der ein Com- mando in Indien erhalten hat. Erst vor wenigen Wochen ging Oberst Muray mit seinem Regiment nach Indien."
„So, so !" bemerkte Ralph scheinbarglcich- giltig und verließ das Hans.
Als er nach seiner Wohnung fuhr, quälten ihn aber sehr böse Gedanken, denn daß die Frau des Oberst Muray mit der Familie Lund verwandt war und mit ihr freundschaftlichen Verkehr unterhielt, verursachte dem Ränkeschmied ganz neue Besorgnisse, denn Oberst Muray, der vor Kurzem nach Indien kommandiert worden war, kounie ja der Commandeur desselben Regiment« sein, welchem Richard Johnson in so unfreiwilliger Weise als Rekrut einverleibt worden war. Gewiß halte Richard schon den Versuch bei dem Oberst seines Regiments gemacht, um die mit ihm stattgefundeuc Verwechslung zur Aufklärung zu bringen, und es war möglich, daß der Oberst in einem Briefe an seine Frau auch die seltjame Geschichte der angeblichen Verwechslung eines gewissen Richard Johnson, welches der Neffe des bekannten Millionärs Allan Burns in London sein wolle, mit dem angeworbcnen Soldaten William Hutting erwähnen, würde. Und nach Frauenarl würde dann diese wunderbare Geschichte von Frau Muray sicher bald der Familie Lund erzählt werden.
(Fortsetzung folgt.)
(Beherzt) „Wenn wir den Dieb fangen wollen, wird es doch gut sein, noch eine» recht beherzten Man» mitzunehmen!" — „Dann hol' ich den Schuster von drüben. Der hat Mul! Er hat gestern zum dritten Mal geheiratet!"
Berantwortlicher Redakteur: Bernhard Hosmann.) Druck und Berlag von Bernhard Hofmann in Wldhad,