Aus Rrchmeshöhen.
Novelle vo» F. Stöckert.
Nachdruck verboten.
16 .
Lange Stunden hatte sie oben im dunklen Zimmer gesessen, bis sie sich endlich erinnert, daß man sie längst unten erwartet, und daß die Stellung, die sie hier im Hause einnahm, ihr nicht gestattete sich solchen Träumen und Sinnen hinzngeben. Und nicht ihre Stellung allein, ach, das Leben, wie es in seiner ganzen Herbheit an sie herangetreten, gestaltete solche Gedanken nicht. —
Mit welchem kicken Mut und sagend- froher Zuversicht hatte sie dieses Leben der Pflichten angetretcn, stolz und glücklich in dem Gedanken, ihren teueren Angehörigen eine Stütze zu werden. Das Elend zu HauS aber war viel zu groß, als daß Han- nah cs hätte lindern können. Ratlos stand sie demselben gegenüber, was sic lhun konnte, um cS zu lindern, war so gering.
Allerdings es hätte in ihrer Macht gestanden, mehr zu thun, wohl sah sie den Weg, den des Schicksals eherner kalter Griffel ihr in dieser Hinsicht vorschrieb. Solche Blüten zu pflücken, wie sie da vor ihren fieberheißen Augen, auf jenen lockenden Pfaden leuchteten, war ihr nun und nimmer gestattet; — sie wußte wohl, und doch — doch!
„Endlich kommst Du, Hans!" tönte jetzt Elviras Helle Stimme an Hanuahs Ohr, und diese wenigen Worte gaben ihr plötzlich die ganze Klarheit ihrer Gedanken wieder. Das Bündnis zwischen Hoff und Elvira war also nicht gelößt, wie sie halb gehofft und halb gesürchtet hatte. Elvira und Hoff hatten sich also wieder versöhnt, und jedenfalls gelacht und gespottet über sic, vie Gouvernante, mit welcher mau sich jawohl einen derartigen Spaß erlauben konnte.
Hoffö Blicke flogen forschend und fragend zu Hannah herüber, aber die tiesgesenk- ten Augenlider Haunahs hoben sich nicht, und eine dunkle Blutwelle stieg in sein Antlitz. Welten hätte er darum gegeben, um einen einzige» Blick des Lersläucnisses, aber H'aihpah vermied es konsequent, ihn anzusehen. Rhig nahm sie eine Arbeit zur Hand, da Elvira den Platz an der Thee- maschine eingenommen, um für ihren Haus den Thee zu bereiten, wie er ihn lieble. Gedankenlos nahm dieser die Theetasse aus Ihrer Hand, sie auf einen Zug leerend; als Elvira ihm die zweite Tasse brachte, legte sie die Hand auf seine heiße Stirn.
„Hast Du Fieber HanS? Deine Stirn brennt wie Feuer," fragte sie besorgt.
Unwillig entzog er sich ihrer Berührung, und wieder flog sein heißer Blick zu Hannah herüber.
O Gott, sie saß da wie ein Marmor- bild, die Augen auf ihre Arbeit geheftet, als hinge ihr Seelenheil davon ab, daß diese schlanken Finger nicht einen Moment innc hielten in ihrer mechanischen Bewegung.
„Wird denn heute nicht musiziert? Warum spielen Sie nicht, Fräulein Hannah?" stieß Hoff jetzt heftig heraus. „Dieses ewige Stricken, Häkeln, oder was Sic da treiben, ist nicht mehr mit anzuschen."
„Willst Du nicht etwas spielen, Elvira ?" wandte sich Hannah an diese, ich bin heute so müde."
Ein leises Beben klang durch ihre Stim- Verantwortlicher Redakteur:
me, und wie erschöpft ließ sie die Hände jetzt in den Schooß sinken.
Elvira schwebte bereitwillig an'den Flügel, und ließ einen anmutigen Walzer ertönen. Das rasende Tempo, und der laute Anschlag veriet aber, daß auch ihre Seclenstimmung eine ziemlich unruhige war.
Berko hatte schon den ganzen Abend mit erschrockenen Blicken von Hoff zu Hannah und von Hannah zu Elvira gesehen, er ahnte, daß in dem Roman, der sich in dem kleinen Kreis hier abspielte, eine entschiedene Wendung eingctreten, und als Hoff jetzt in seiner Unruhe aufsprang und an das Fenster trat, mit düstern Blicken in die stille Nacht ,hinausstarrend, folgte er ihm dort hin. Um Gottes Willen was ist geschehen, Hans?" fragte er mit leiser Stimme.
„Nichts weiter, als was geschehen mußte. Ich liebe Hannah, das weißt Du, meine Verlobung mit Elvira muß also gelöst werden. Elvira aber geberdct sich ganz unsinnig, als ich heute eine diesbezügliche Andeutung machte. Sie will mich nicht frei- gebeu, und um Hannah wicderzusehcn, hat es mich wieder hergetrieben, und ich spiele nieine traurige Rolle weiter."
„Und Hannah? Wie stehst Du mit ihr?"
„Ich war so verwegen heute ihre schöne weiße Stirn zu küssen, und darüber scheint sie zu zürnen mit mir, und es war doch nur ein so kurzer seliger Moment, flüchtig wie alles Schöne. Elvira kam dazu, und wir beide hatten dann eine Scene zusammen, schließlich warf sie sich mir um den Hals, und nun bin ich wieder hier, und wahrscheinlich komme ich auch morgen wieder, denn ich muß Hannah sprechen! Einen Brief an Hannah würde'Elvira doch unterschlagen!"
„Wäre cs nicht besser, Du löstest vor vor Allem Deine Verlobung mit Elvira. Soweit ich Hannah kenne, wird sie Dir keine Gelegenheit wieder geben, mit ihr allein zu sein. Bedenke doch auch nur, in welch eine Rolle Du sie hinein drängst."
„Bedenken soll ich, wenn meine Stirn wie im Fieber brennt, und ich nur des einen Gedankens fähig bin, Hannah und wieder Hannah!"
„Du bist aber jetzt Elviras Verlobter, sie liebt Dich aufrichtig, und ist schließlich doch auch kein Spielzeug, das man achtlos bei Seite wirft," sagte Berko ernst und trat dann wieder zu den Andern heran; seufzend folgte ihm Hoff.
Elvira halte ihr Spiel beendet, u. Frau Lucie Berko führte die Unterhaltung. Als die beiden Herren herantraten, wurden andere Gesprächsthema angeschlagen, die Tagcs- lileratur, das Leben und Wirken einzelner Schriftsteller wurde besprochen. Schließlich erzählte der Commerzicnrat ans seiner Jugend eine Begebenheit, die damals nicht geringes Aufsehen gemacht. Die Frau eines Schriftstellers hatte sich ans Liebe jzu ihrem Gatten gelötet, weil man ihr gesagt, daß nur eine große seelische Erschütterung ihn aus einer Apatie reißen könne, welche wie ein Druck auf seine geistigen Kräfte lag.
„Solcher aufopfernder heroischen Liebe sind doch nur Frauen fähig!" rief Elvira.
„Nenne es lieber Ueberspannthcit," sagte
Hoff-
„Natürlich wenn eine Frau etwas G> oßes thnt, findet Ihr Männer immer eine der.
artige Bezeichnung dafür', die die Sqche lächerlich macht oder in den Staub zieht."
„Ja, die Männer sind solche Liebe gar nicht wert," sagte Frau Berko.
„Was halten Sie Von solche heroischen Liebe?" wandte sich Hoff jetzt an Hannah. Verwirrt sah diese auf. „Ich? ich habe darüber wohl kein Urteil, ich bin nicht verheiratet, nicht verlobt."
„Allerdings wie sollten Sic da von dergleichen etwas wissen!" sagte Hoff. Es zuckte dabei sehr ironisch um seine Mundwinkel.
„Vielleicht sind diegeistigen Güter eines Mannes, woran die Mitwelt ein Anrecht hat, ein Frauenleben wert," fuhr Hannah schüchtern fort, während es in ihre» Augen eigenthümlich aufleuchtete, als sähe sie plötzlich klar und ziel bewußt den Weg vor sich, den sie zu gehen hatte. „Und jener Schriftsteller hat nachher wirklich Großes geleistet?" wandte sie sich an den Commerzicnrat.
„Ja Kind, da fragen Sie mich zu viel, ich habe mich, wie ich zu meiner Schande gestehen muß, nicht w-iter um seine Erfolge gekümmen."
„Jedenfalls hat ihm sein Schicksal schon zu einem gewissen Ruhm verholst»," meinte Berko.
„Nach Deiner Ansicht bedarf ja die Kunst die tragische Ruhe des Schmerzes und wahrhaft Großes zu leisten, doch ich meine das Glück müßte mehr begeistern, mehr zum Schaffen anregen!" sagte Hoff.
„Oft wirkt das Glück auch erschlaffend auf die geistigen Kräfte," erwiderte Berko.
„Nicht immer, denke an Göthe, dem alle Sonnen des Lebens gelächelt!"
„Allerdings es giebt eine künstlerische Größe, die doch über Erdcnleid und Erdenglück empor ragt, solche wirklich große Menschen stehen eben auf einer Höhe, an welcher nur wenige Sterbliche hinan reichen."
„ES giebt auch eine Höhe deö Glücks!" rief Hoff. „O könnte man droben stehen, und dürfte sich sagen: Du hast das Höchste und Schönste erreicht an Erdenglück!"
Elvira erblaßte, und es bedurfte ihrer ganzen Selbstbeherrschung, um nicht in Thrä- nen auszubrcchen. Mußte sie sich doch sagen, daß die Sehnsucht nach Glück, die da in den Augen ihres Bräutigams leuchtete, nicht ihr galt. Ach, und dabei war ihr Hoff noch nie so hinreißend schön erschienen wie an dem heutigen Abend. Die elementare Gewalt einer edlen Leidenschaft, wenn sie eines Menschen ganzes Sein jerfaßt, hat stets etwas Fesselndes und Interessantes, weil sie eben nichts Alltägliches ist. Wie eine seltsame Blume voll glühender Farbenpracht blüht sie einsam, in einer Welt wo der Materialismus überall sein Scepter schwingt.
Der Commcrzienrat bat Hannah jetzt um ein Lied. „Elvira hat mir verraten, daß Sie singen," sagte er, „vielleicht versuchen Sie auch später einmal die Lieder, die meine selige Frau gesungen, sie hatte eine so sanfte liebliche Stimme." — Lucie sah ihre Freundin Elvira bedeutungsvoll an bei diesen Worten, während sich Hannah langsam erhob; wie eine Träumende ging sie nach dem Flügel und griff nach einem der zerstreut liegenden Notenhefte.
(Fortsetzung folgt.)
Bernhard Hosmann.) Druck und Verlag von Bernhard Hofmann in Wildbad,