Auf Ruhmeshöhen.
Novelle von F. Stöckelt.
Nachdruck verboten.
8 .
Wie ein Erwachen war es über ihn gekommen in dieser Stunde, wie ein Erwachen aus Irrtum und irren Träumen zu des Lebens Schönheiten. DaS lichte klare Antlitz HannahS kündete ihm dieselben, und die heiteren Weisen, die sie dem Instrument entlockt hatte, sangen und Klangen davon. Es gab doch wohl »och Poesie und Romantik auf diesen schnödem Erdball, und das Hohelied der Liebe war noch nicht verklungen I —
Aber hatte Hoff noch ein Anrecht an all diese» idealen Gütern ? Er, der sich fast gewaltsam die realistischsten Lebensansichten zu eigen gemacht, und Alles was von Poesie einst in seinem Innern Raum gehabt, hohnlächelnd daraus verbannt hatte, weil das Leben ihm, wie jedem Andern Menschen auch, sein Alltagsgesicht gezeigt, und ihn von den Höhen, ailf welchen er festen Fuß zu schaffen geglaubt, auch wieder in die Tiefen hinab geführt. Solche Gedanken zogen durch Hoff's Haupt. Nun waren die Tanzweisen verklungen, und er sah sich plötzlich wieder jNe- ben Hannah stehn, und als ihre großen grauen Augen, sich auf ihn richteten, war er fast um Worte verlegen.
„Welche Entdeckungen werden wir an Ihnen noch machen?" murmelte er.
„Allerdings ist das eine große Entdeckung," lachte Hannah, „daß ich ein paar Tänze spielen kann!"
„Aber wie spielen Sie dieselben? Fast wie ein Virtuos! Ich bin überzeugt^ daß Sie noch ganz anderes in der musikalischen Kunst leisten könnten, und cs ist ein Unrecht, der Gesellschaft solche Gaben vorzvent- halten I Bitte, zucken Sie nicht so geringschätzig mit den Schultern! Einzelne sind schon darunter, die cs verdienen."
„Ich bin in diesem Hause als Gouvernante engagiert, und nicht dazu, die Gesellschaft zu unterhalten, mit dem, was ich vielleicht sonst noch gelernt habe," erwiderte Hannah kurz abweisend.
„Sie sind aber nun ganz um das Tagcs- vergnügen gekommen, Fräulein Hannah!" mit diesen Worten trat der Kommerzienrat sehr erhitzt und nach Atem schnappend zu den Beiden heran.
„Aber wirklich ganz prächtig haben diese weißen Fingerchen gespielt" fuhr der Com- merzienrat fort, „gestatten Sie, daß ich Ihnen dafür meinen Dank abstatte." Er ergriff beide Hände Hannahs und drückte seine Lippen auf deren Fingerspitzen.
„Zu viel Ehre, Herr Commerzienrat!" sagte Hannah. Sie war rot geworden, und ein verlegener Blick streifte Hoff, der sich plötzlich jäh umwandte.
Wenn es nun doch wahr wäre, was die j bösen Zungen der Stadt schon längst ausgeklügelt hatten : daß die schöne Gouvernante bei Bergs sehr ernstlich danach strebe, Frau Cvmmerzienrätin zu werden, und auch der Commerzienrat diesem Ehebund nicht abgeneigt sei; man wartete wohl nur darauf, daß Elvira sich verheirate.
Wie diese Gedanken, welche Hoff schon hatte von Anderen laut aussprechen hören, ihm daS Blut in die Wangen trieben l Da war es ja schon wieder das schnöde All
tagsgesicht deS Lebens, das ihn höhnisch an- qrinste, jetzt wo seine Seele einmal wieder die Schwingen zu regen begann zu einem höheren. Flug. Warum sollte diese Hannah Delio auch anders sein, und anders denken und handeln wie die andern jungen Damen ! Warum sollte sie nicht die glänzende unabhängige Stellung als reiche Frau Commerzienrat der abhängigen als arme Gouvernante den Vorzug geben? Noch dazu, da ihr Herz von Liebe und Leidenschaft wohl unberührt gebliebe», denn das verriet der klar,. Blick si.,öu , Augen, die harmonische Ruhe ihres ganzen Wesens. Wem cs vergönnt wäre diese Ruhe zu erschüttern, in den klaren Augen Hannahs das Feinr der Liebe zu entzünden, und von diesem Mädchen geliebt zu werden!
Dieser Gedanke batte etwas Berauschendes für Hoff. Er spann ihn weiter aus, während er, nachdem die Gesellschaft bei Berg's auseinander gegangen, durch die nachtstillen Straßen seiner Wohnung zuschrilt Und dann saß er noch in später Nachtstunde und blätterte in alten Papiercu und suchte einzelne lose Blätter zusammen, die mit Versen darauf von seiner Hand beschrieben waren, Er las, lächelte und wurde plötzlich sehr ernst und Nachdenken.
Es war doch eine schöne Zeit gewesen damals mit, ihrer Fülle von Begeisterung, ihrem hohen Glauben an alles Gute, ihrem kühne» himmelstrebenden Hoffen, sagte sich jetzt Hoff. — Wer diese Zeit zurückrufcn könnte I Und warum sollte es ganz unmöglich sein? Warum sollte er nicht wieder ein- treten in die Reihen derer, die da die geistigen Güter der Menschheit hüten? Lag nicht das volle reiche Leben noch vor ihm? Warum konnte er nicht wieder zur Feder greifen, und mit dem Einsatz aller seiner Kräfte den Platz auf jenen Lebenhöhen sich erkämpfen. Und war es nicht wieder wie damals eine leicht umflossene Frauenerscheinung, deren Bild ihm vorschwebte gleich einem. Siegespreis? —
Wieder griff er nach einem der losen Blätter, und seine Wangen färbten sich höher, während er mit halblauter Stimme las:
„Und hast du einmal nur erfahren,
Des Lebens ganze Seligkeit.
Laß ruhig nun darüber rauschen Die Wogen einer trüben Zeit.
Was dir in Lieb' empor geblüht,
Es kann nicht welken, nicht vergeh'«. Bei jedes Frühlings Wiederkehr,
Da feiert cs ein Aufersteh'n.
Der Veilchen Gruß, der Rosen Düfte, Der Nawtff,all>:. sü'-'r Schlag,
Es ruf: zurück mit Wonn' u. Schmerze», Der ersten Liebe Frühlingstag.
Wie Jugend',ist, w^e Jugends. hnen, Umrausch: cs Du in solcher Zeit. Vergessen lehrt uns alles Weh Solch' Zauber der Vergangenheit."
So hatte Hoff einst im Vollgefühl des Glücks gesungen. Ein Freund von ihm hatte das Lied in Musik gesetzt, und dann hatte ein Concertabcnd stattgefunden, wo das Lied von einer von Hoff gerehrtcn jungen Dame gesungen worden war. Wie deutlich das Bild vor seinen Augen erstand! Ersah
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wieder den hell erleuchteten Saal und auf dem Podium die schlanke, wejßgeklcidcte Mädcheugestalt mit den Rosen in dem lichten Haar. — Und wie süß, wie bestrickend hatte sie gesungen! An dem Abend war es gewesen, wo sich ihm „deö Lebens ganze Seligkeit" erschossen, so hatte er wenigstens phantastisch geglaubt, bis er jäh erwachte aus diesem Traume von Glück und Liebe, als ein bitter Getäuschter, oder Betrogener, wie es Hoff noch derber auszudrücken pflegte, als ein thörichter Narr, dem die Augen anf- 'gcg'NMr. Eine herzlose Kokette war es gewesen, die ihr Spiel mit ihm getrieben, ihn betrogen und verraten hatte. Da war ann die Reactio» bei dem jungen Manne »getreten, und der Glaube an ideale Frauen- liedc, an des Lebens edle Schönheiten ihm verloren gegangen. Fast gewaltsam hatte er dann seinen ideal anlegtcn Geist gezwungen, sich die realistischsten Lcbcnsanschauungcn anzueignen. Nun, und das war ihm ja dann auch schließlich gelungen. Ja, er hatte eS sogar für gut erachtet, sich mit einem jungen Mädchen zu verloben, nur weil sie aus reicher, angesehener Familie war, und dabei nicht nach dem in seinem Herzen für seine Braut fehlenden Pulsschlag der Liebe gefragt.
Hoff lächelte bitter, und dann streifte sein Blid seiner Braut, welches über seinem Schreibtisch hing. So weit war es also mit ihm gekommen, daß er ohne Liebe und ohne edele Neigung, sein Dasein an das seiner reichen Braut gekettet. Hohnlächelnd schien das Bild auf ihn herabzusehen und ihm zuzurufen: Du findest den Weg nicht mehr zurück zu den Idealen Deiner Jugend, denn ich halte Dich an goldenen Ketten! —
Hannah Dclios Ruhe und Sicherheit, das schöne Gleichmaß ihres Gemüts war nach und nach, und bosonders seit dem letzten Gescllschaftsabcnd im Berg'schcn Hause, etwas ins Schwanken geraten, und es bedurfte ihrer ganzen Willenskraft, dieselbe wieder in's Gleichgewicht zu bringen. Welch große Gefahren es für ein weibliches Herz hat, die seelischen Erregungen zu sehen, die schon ihre Gegenwart allein auf das Antlitz eines Mannes zu zaubern vermag, fühlte Hannah zu ihrem großen Leidwesen. War cS Hannahs klugen Augen doch nicht entgangen, wie die Züge Hoffs sich oft ganz plötzlich veränderten, wenn sie in seiner Nähe war, wie es in seinen Augen heiß aufflammte, wie er bald blaß, bald rot wurde, und seine Stimme oft so eigentümlich vibrirte, wenn er zu ihr sprach. AlleS dies war von einem süßen, aber gefährlichen Zauber für ihr junges Herz, das weder die Blumenpfade, noch die Abgründe kannte, über welche die Licbe die Menschen glleitet. Noch war Hannahs Denken klar und unbeirrt, noch gianbte sie diesem Zauber widerst hcn zu können, aber es konnte die Stunde kommen, wo sic cs Nicht mehr vermochte, und was sollte dann geschehen? Diese Frage drängte sich hier täglich auf, wenn sie an den langen Winterabenden in der Gesellschaft des Brautpaar und des Com- mcrzienrals im Salon saß. Es waren Stunden, die wie sie sich gestehen mußte, noch lange, lange ans ihr Leben zurückleuchken würden. Und worin bestand der Zauber derselben?
(Fortsetzung folgt.)
rnh »r - Hofmann in Mldhad,
Brrantwortjicher Redakteur: Bernhard Hofmann.)