Rundschau.

Dem Anträge der Staatsanwaltschaft gemäß ist Martin Müller von Ochl- lingen, der am 20. Oktober v. I. das At­tentat auf Ce. Kgl. Hoheit den Prinzen Wilhelm verübt, durch Befchlust^Vcr Straf­kammer des K. Landgerichts Stuttgart vom 3. Februar hinsichtlich der Beschuldigung eines Verbrechens des versuchten Mords und des Hochverrats außer Verfolgung gesetzt worden. Hiebei ist das Gericht davon aus- gegaugen :daß die Entscheidung der Frage, ob der Angeschuldigte in der mißlungenen Absicht, S. Kgl. Hoheit zu töten, gehandelt, oder aber, ob der Angeschuldigte für welch letztere Annahme sehr erhebliche Gründe sprechen ohne jene Absicht ldiglich mit dem Entschlüsse, den Schein einer bei ihm bestandenen Tötungsabsicht zu erregen, ge­handelt habe, füglich aus sich beruhen könne, sofcrne nach den vorliegenden eingehend be­gründete» Gutachten außer Zweisel stehe, daß der Angeschuldigte zur Zeit der Begeh­ung der Handlung in einem Zustande krank­hafter Störung seiner Geistesthätigkeit sich befunden habe, dnrch welche seine freie Wil- lenSbestimmnng ausgeschlossen gewesen sei." Müller, welcher vom K. Medizinalkollegium als ein entschieden gemeingefährlicher und mutmaßlich unheilbarer Geisteskranker be­zeichnet ist, wird nun in eine öffentliche Irrenanstalt verbracht werben.

Der Bohrversnch aus Steinkohlen bei Sulz. Dem St.-Anz. geht die Nach­richt zu, daß sich in der l-tzten Woche die Aussichten, die Steinkohlcnformation auszu- finden, immer ungünstiger gestaltet haben. Neuerdings wurde nun aber in der Tiefe von 871 Meter ein kristallinisches Gestein erbohrt, das nach der Ansicht der Sachver­ständigen dem kristallinischen Grundgebirge des Schwarzwaldes angehört. Damit schwin­den alle Hoffnungen, an dieser Stelle »och Kohlen zu finden. Es ist durch diesen Ver­such der bestimmte, aber leidige Beweis er­bracht, daß auch an dieser nach Ansicht der Geognosten hoffnungsreichsten Stelle des würtlembergischen Schwarzwaldes daS Tot- liegende, der Regel im Schwarzwalde folgend, unmittelbar auf dem kristallinischen Grund­gebirge anfliegt und die Stcinkohlenformaton fehlt. Der Bohrversuch ist daher in der Tiefe von 900 Meter eingestellt worden. Die außerordentliche, in unserem Lande bis jetzt nicht gekannte Mächtigkeit des Tot- liegenden von 700 Meter hat die Ansicht der G>ognosten bestätigt, daß das Grund­gebirge des Schwarzwaldes bei Sulz eine mächtige Mulde bildet. Dieser Mulde ge­hört auch Schrambcrg an, wo die Stein- kohlenformalion zu Tage tritt. ES war daher naheliegend, zu untersuche», ob die letztere sich im Verflachen und Verliefen der Mulde nicht zu einem produktiven Gebirge entwickelt, wie das zuerst von dem jüngst verstorbenen Professor v. Quenstedt ver­mutet worden ist. Der Umstand, daß sich auch in bedeutender Tiefe dieser Mulde, bei Sulz, die Kohlenformation überhaupt nicht wieder gesunde» hat, ist auch ferneren Hoff­nungen auf Kohlen am Schwarzwald nicht günstig, in dtssen Untergrund dieser Versuch einen erweiterten, wenn auch nicht erfreu­lichen Einblick gewährt hat.

Göppingen, 6. Febr. Kaufmann Mürd- ter bemerkte schon längere Zeck starke Ab­gänge in seiner Ladenkaffe; nach fleißigem

Aufpassen gelang cs gestern abend zwischen 7 und 8 Uhr, die beiden Lehrlinge des Mil- hauSbesitzcrs Rasierers W. auf frischer Thal zu ertappen, als sic die im Hausgang be­findliche Ladcnlhüre mit falschem Schlüssel öffneten und 26 der Ladenkaffe entnom­men hatten. Dieselben haben auch das Warenlager bestohlen.

Ulm, 6 Febr. Am 29. v. M. ist ein männlicher Leichnam bei der Gänswiesc aus der Donau gezogen worden. Der Verlebte wurde später als der Metzgermeister Schuster von Weißenhorn agnosziert, welcher tags zuvor seine Heimat verlassen und auch eines seiner Kinder, einen 11jährigen Sohn, mit­genommen hatte. Die beiden waren am Abend des 28. in einer hiesigen, an der Donau liegenden Wirtschaft gesehen worden. Da auch ver Knabe bis jetzt nicht wieder nach Hause zurückgekchrt war, so mußte an­genommen werden, daß auch diesem ein Unglück zugestoßen sei. Nach heute hier kingclaufenen Nachrichten ist der Leichnam eines Knaben bei Münster, Bezirksamt Donauwörth, aus der Donau gezogen wor­den, der Kopf desselben trage Verletzungen. Es scheint demnach, daß der Vater zuerst Hand an seinen Sohn gelegt und sich dann selbst ertränkt hat.

I» der Nähe von Biebrich bei Mainz ist kürzlich ein Strohhaufm, in welchem mehrere Obdachlose nächtigten, abgebrannt. Zwei derselben sind an den erlittenen Brand­wunden gestorben. Nun steht sich heraus, daß eiu dritter den Hausen iu böswilliger Absicht angczündet hat, und zwar aus Rache darüber, daß ihm die Mitbenutzung des Nacht­lagers verwehrt wurde. ^

Wiesbaden, d. Febr. Baumeister Biltz vergiftete sich. Er war gemütskrank infolge verfehlter Spekulationen.

Es verlautet, die russische Regier­ung beabsichtige, die deutschen Grundbesitzer in den Ostseeprovinzen Kurland, Esthland uno Livland zu enteignen nach demsGrund- satz der ZwangSablösnng, ähnlich dem bei der Besrriung der russischen Leibeigenen an- gewcndetcn Vorgehen. Das wird der letzte Schritt in der Verrussung der Provinzen und der Unterdrückung des deutschen Ele­ments sein. Auch in Finnland herrscht jetzt große Aufregung, da die Finnen die Ueberzeugung gewonnen haben, daß die rus­sische Regierung dem Vertrage von Borga zuwieder in der nahen Zukunft zu der Ver­rufung ds autonome» Großhcrzogtums schreiten und mit der Aufhebung der Finn­land von den Zaren dieses Jahrhunderts feierlich gewährleisteten Sonderrechte begin­nen werde. Seitens des finnischen Volkes darf der stärkste Widerstand erwartet wer­den, und diejenigen, welche dessen Natinal- charakter kennen, halten cs nicht für un­wahrscheinlich, daß die Russen auf etwas mehr als bloß passipen Widerstand stoßen werden.

Wien, 6. Febr. DasFremdenbl." schreibt: Die Erlasse des deutschen Kaisers Wilhelm werden vom deutschen Publikum zweifellos freudigst begrüßt werden, und auch auf die Wahlen nicht ohne Einfluß bleiben; sie sind geeignet, anch im Aus­lande allgemeine Aufmerksamkeit zu erregen. DiePresse" meint, cS sei dies eine politi­sche That ersten Ranges, welche für die soziale Frage iv Europa auf lange Zeit epochemachend sein werde. Für die Wahlen

^bildeten die Erlasse ein Programm, durch welche die Arbeit auf sozialen Gebieten zum Zwecke des Friedens vorgezeichnet wird. DieNeue freie Presse" sagt. Die Be­deutung der Erlasse reiche weil über den Rahmen eines vorübergehenden Wahlkampfes hinaus.

London, 6. Febr. Heut- früh erfolgte eine Explosion schlagender Wetter in der Kohlengrube Abersychan in der Nähe, von Newport (Südwales). Alle Verbindungen mit der Grube, in welcher sich 300 Mbci- ter befinden, sind abgeschnitten.

London, 7. Februar. Bis gestern nach­mittag waren 63 Leichen in Abersychan auf­gefunden.

Durch ein schlagendes Wetter wur­den in der Zeche Wasmes (Belgien) 5 Berg­leute tötlich verwundet.

Aus New-Aork wird gemeldet: Stier- raritz (Kalifornien) wurde von Schneclawi- nen verschüttet; viele Menschen sind umge- kommcn.

Ein New-Dorker Millionär hat nach denDaily News" dem Sultan 100,000 Dollars baar geboten, wenn er zum Christen­thum übertrete.

Verschiedenes.

Ein flotter Reiter. Der Kaiser bringt so schreibt der B.-C. aus Ber­lin in seinen Hofhalt viele Neuerungen. So reitet der Kaiser z. B. in der Reitbahn des Marstalls selbst Pferde ein; er läßt sich daher sogar Hürden aufbauen. Die bekann­ten ältesten Leute im Marstall wissen sich eines solchen Vorkommnisses nicht zn er­innern. König Friedrich Wilhelm IV war kein Reiter, Kaiser Wilhelms I Pferde wur­den sorgsam zugeritten; sie gingen z. B. nur Rechtsgalapp. Der jetzige Kaiser springt mit einem Satz auS dem Sattel.

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Eiuglücklicher" Gewinner. Ein Architekt, dem für die Berliner Unfallver- hütungsausstellung größere Arbeiten aufge­tragen wurden, hatte sich veranlaßt gesehen, sich mit einer stattlichen Summe an der Lot­terie zu beteiligen; der Baumeister nahm nicht weniger als 1350 Loose, die ein Kapi­tal von 13,500 Mark darstellen. Die Zieh­ung bestand, wie man weiß, einfach darin, daß entweder die graben oder ungrade» Zah­len, also jedes zweite Loos gewinnen sollte. Dem Architekten nun ist hierbei dasGlück" zu Teil geworden, daß er außer drei Ge­mälden nicht weniger als 83 farbige Repro­duktionen dcS Prell'schen Kaiserbildes und 581 Erinnerungsblätter an die Ausstellung davongctragen hat l Geschenke für seine Ver­wandten und Freunde braucht der glückliche Gewinner nun wohl in seinem Leben nicht mehr zu kaufen.

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.'. Unanfechtbar. Bahnwärter (zu einem Bauern, der auf dem Bahnkörper geht): Macht, daß Ihr da heruuterkommt, da oben darf niemand gehen l" Bauer: Dat is mir noch schöner! Ich Han» en Belljett, on hätt sogar fahre könne, wenn ich de Zug nicht versüml hält'."

.'. Schusterjunge (dessen Cigarre nicht brennen will):Herr jott, fabrizieren se ooch schon rauchlose Cigarren '"

.'. (Was ist unglückliche Liebe?) Auf diese Frage antwortete ein Franzose: Jede Liebe, die mit einer Heirat endet.