Rundschau.
Stuttgart, 3. August. Wie wir erfahren, sind nun sämtliche Beteiligte an dem in der Nacht vom Samstag auf Sonntag zwischen hier und Gaisdurg ausgcüdten Raub sestgeiiommcn und an das hiesige Polizeiamt eiugeliefert worden. Einer der Burschen ist, wie wir berichteten, in Cannstatt aus- gegriffcn worden, und ein Bursche und ein Weibsbild wurden vorgestern von einem hiesigen Fahnder in ihrem Heimatort bei Ludwigsburg ausgehoben und hieher transportiert.
— Vom Wetter. Der Hundertjährige hat den Nagel auf den Kopf getroffen, indem er den heurigen Sommer, welcher im Zeichen des Saturnus steht, ganz so charakterisierte, wie er sich uns gezeigt hat. „Der Sommer — sagte der alte Kalendermacher — ist in 'einem saturnischcn Jahre kalt, nrit stätigem Regenwetter und daher unfruchtbar; doch ist der Heumonat Juni über die Hälfte sehr warm und schon, im übrigen aber fast kontinuierlich feucht, Sturm und Platzregen. Das Jahr ist insgeheim kalt und feucht; denn ob cs schon zu gewissen Zeiten trocken ist, ist es doch mehrteils mit Regen angcfüllet und daher ein kaltes, ungeschlachtes Jahr." Ungeschlacht, das ist wohl die treffendste Bezeichnung für die regnerische und kühle Witterung, die uns seit beinahe 4 Wochen Tag für Tag beschicken war. Wir haben leider nach der Prophezeihung des alten Schäfer Thomas nicht auf Beständigkeit zu hoffen. Das ganze Jahr 1888 ist einmal „verpfuscht", und wir werden, wenn nicht alles täuscht, erst dann aufatmen, sobald die drei Bretzeln in der Jahreszahl wieder auf zwei zusammengeschmolzen sind und wir schreiben können 1889.
Cannstatt, 31. Juli. Der Steinbrecher Joh. Schür von Fellbach, welcher vor 14 Tagen in dem Steinbruch der Ziegcleibesitzer Thier u. Comp, dahier dadurch verunglückt ist, daß ein Sprengschuß vorzeitig sich entzündete, wodurch er im Gesicht und am übrigen Körper gräßlich verletzt wurde, ist heute vormittag im Bezirkskrankcnhaus am Wundstarrkrampf gestorben. Der Verunglückte, welcher den französischen Feldzug mitgemacht hat, hinterläßt eine Frau und fünf Kinder.
Eßlingen, 31. Juli. Im Laufe dieses Frühjahrs wurden in der hiesigen Maschinenfabrik drei zierliche kleine Schiffe montiert, zu denen ein Zimmermann in Hoheneck bei Ludwigsburg den Holzkörpcr geliefert hatte. Dieselben werden durch den Daimlerschen Motor, der in der Mitte des Schiffes unter dem Sitz des Steuermanns angebracht ist, in Bewegung gesetzt. Eines dieser Schiffe wurde besonders elegant ausgestaltet u. reich verziert durch Stuttgarter Künstler, da dasselbe zu einem Geschenk für die Enkelkinder des Reichskanzlers bestimmt ist. Vor zehn Tagen wurde dieses hübsche Fahrzeug durch die Bahn an den Ort seiner Bestimmung nach Friedrichsruhe abgcschickt.
Bietigheim, 31. Juli. Gestern nachmittag ereignete sich hier ein höchst bedauerlicher Unglücksfall. Die Frau eines geachteten hiesigen Gewerbsmanncs hatte auf dem Mj Wohnhaus mit einem alten städtischen ^rm verbindedcn Gang Betten ausgelegt, um dieselben zu sonnen. Als sie nun letztere kintMenden Regens halber hereinnehmen
wollte, bekam sie das Uebergewicht u. stürzte ca. 25—30 Fuß so unglücklich herab, daß sie die Hirnschale zerschmetterte und sofort tot war.
Heilbrouil, 2. August. Eines der besten Mitglieder des Zirkus Wulff, ein Engländer, hat sich gestern abend in seiner Wohnung erschossen. , Derselbe soll gestern die telegraphische Nachricht von dem Tode seiner in Baden-Baden sich aufhaltenden Frau erhalten und in der Aufregung darüber die That begangen haben.
Pfullingen, 2. August. Gestern abend gegen ^ 2 10 Uhr brach laut Schw. Kr. in dem von vier Famili?» bewohnten Doppelhause der Witwe Rohm an der Helfereigasse Feuer aus, welches, genährt durch die in der Sckeune befindlichen Vorräte und die etwas baufällige Beschaffenheit des Hauses, rasch um sich griff, so daß bald die obere« Stockwerke in Flammen standen und das Haus vollständig abbrannte. Zum Glück stand dasselbe von drei Seiten frei und herrschte vollständige Windstille. An dem auf der ober« Seite anstoßenden Nachbarhause wurde durch den einstürzenden Giebel das Dach eingedrückt, doch wurde durch die Feuerwehr weiterer Schaden verhütet. Von den vier obdachlos gewordenen Familien sind nur zwei versichert.
Bei Riidesheim fand ein Vorübergehender ganz in unmittelbarer Nähe der Ruine Ehrenfels die Leiche einer jungen fein gekleideten Dame, welche ihrem Leben durch Vergiftung ein Ende gemacht hatte, lieber die Beweggründe, welche die Unglückliche, die bereits einige Tage vorher sich in der Stadt aufgehalten hatte, zu der unglückseligen That veranlaßten, ist bis jetzt nichts bekannt.
— Der italienische Fregattenkapitän de la Torre, der längere Zeit zum Kurgebranch in Wiesbaden gewohnt hat, ist jüngst wegen Verbrechens im Sinne des § 176 des St.- G.-B. verhaftet, aber gegen eine Sicherheitsleistung von 10,000 c/ki vorläufig Wiederaus freien Fuß gesetzt worden. Als er am Freitag vor der Strafkammer erscheinen sollte, um sich wegen des ihm zur Last gelegten Verbrechens zu verantworten, erfuhr man, daß der Herr in aller Frühe mit seiner- ganzen Familie von Wiesbaden „abgereist" sei.
— Das dänische Königshaus, welches der deutsche Kaiser besuchte, ist durch die engsten Beziehungen mit mächtigen Herrscherhäusern verknüpft' Als die Seele des HofeS gilt die kluge, 70jährige Königin Luise, eine Tochter- des Landgrafen Wilhelm von Hessen- Kassel. Aus ihrer Ehe mit Christian IX. von Dänemark gingen drei Söhne und drei Töchter hervor: Kronprinz Friedrich, Alexandra, Gemahlin des Prinzen von Wales, Georg, König von Griechenland, Dagmar, Kaiserin von Rußland, Thyra, Herzogin von Cumberland, und Prinz Waldemar, vermählt mit Marie, der Tochter des Herzogs von Chartres. Schloß Fredensborg hat europäische Berühmtheit erlangt. Hier versammeln sich im Sommer die fürstlichen Kinder u. Enkel. Schloß Fredensborg wurde von Christian IV. erbaut und liegt prächtig an einem Binnensee etwa vier Meilen nördlich von Kopenhagen. Den Dänischen Hos besuchte Kaiser Friedrich als Kronprinz vor neun Jahren und überbrachte eine Einladung für das dänische Königspaar, welches dann auch im November 1879 dem preuhst
sehen Hofe in Berlin einen Besuch abstattete.
— Eine gräßliche Blutthat versetzte die Bewohner der Rue de Bercy in Paris in nicht geringe Aufregung. Die daselbst im Hause Nr. 251 wohnende Witwe Sivelaze wurde gegen sechs Uhr durch jammervolle Hilferufe ihres sechsjährigen Sohnes Louis aus dem Schlafe geweckt. Als sie das Nebenzimmer betrat, bol sich ihren Augen ein erschütternder Anblick dar: Auf dem Boden lag der kleine Sohn mit aufgeschlitztem Bauche und neben ihm mit durchschnittener Kehle sein zwei Jahre älterer Bruder Cölestin. Dieser hatte Louis im Schlafe überfallen, ihn mit einem Rasiermmesser verstümmelt und sich selbst nach vollbrachter Missethat die Halsadern geöffnet. Als der Polizeikommissär erschien, hatte der junge Mörder schon den Geist aufgegeben, der, wie es heißt, schon vor Monaten seinem Bruder einen Nagel in den Kopf zu treiben versucht hatte und das Rassicrmesser einem Nachbarn entwendete. Der Zustand des armen Geschöpfes ist ein hoffnungsloser.
— Der große amerikanische „Eisenkönig" Andrew Carnegie, dessen Freigebigkeit in England so bekannt ist wie in den Vereinigten Statten, hat in seinen Stahlwerken zu Braddock in Pennsylvanien mit 3500 Angestellten und Arbeitern Kontrakte abgeschlossen, wodurch das System der Gewinnbeteiligung eingesührt ist. Die Leute haben einen Rechnungs führer erwählt, der die Bücher der Firma prüft und die monatlichen Anteile feststellt; er wird von Herrn Carnegie besoldet. Da die „Ritter der Arbeit" dem Vorhaben Carnegies nicht geneigt waren, so haben sich die drei Vereine dieses Verbandes in Braddock aufgelöst.
— Ein mutmaßlicher französischer Marine- Offizier, Namens Ennen, ist in Kiel laut K. Z. verhaftet worden. Wie das Hamburger Fremdenblatt meldet, sind bei dem Verhafteten Zeichnungen des Forts gefunden worden.
London, 31. Juli. Dem Standard wird aus Berlin gemeldet, Kaiser Wilhelm habe die Absicht, möglichst bald mit der Königin von England zusammenzutrcffen, vermutlich in Baden-Baden.
Immer derselbe. Diätar: „Herr Chef, ich bitte um drei Tage Urlaub wegen meiner Hochzeit." — „So? Vor vier Wochen waren Sie erst acht Tage krank und heute wollen Sie wieder Urlaub haben wegen Ihrer Hochzeit — das konnten Sie beides doch so schön zusammen abmachen!"
— Na, hat dir dein Onkel aus der Verlegenheit geholfen?" „Ja, den Buckel voll gute Ratschläge Hab' ich gekriegt!"
(Deshalb.) Lehrer, zurechtweisen: „Seht euch hier den fleißigen Heinrich an. Warum muß ich denn den immer beloben, wenn ich euch zu tadeln habe 2" — Unberufene Stimme: „Weil sein Vater Bürgermeister ist."
Lied.
Leise, leise, liebes Vöglcin,
Schmett'rc nicht zu laut herab,
Braucht es denn die Welt zu wissen, Daß ein süßes Lieb ich Hab'?
Laß mich singen, muß gehorchen Meiner Botenpflicht geschwind,
Muß es doch dem Schöpfer künden, Daß zwei Menschen glücklich sind.