Gebeugt, aber nicht gebrochen.
Erzählung von C. Cornelius.
(Nachdruck verboten.)
l.
Vom nahen Kirchturm schlug es eben vier Uhr. Mit einem tiefen Seufzer erwachte die fchwarze Lisbeth. Ihre tranmnmfangenen Blicke sielen auf das dürftige Lager deö kleinen Frieder, welcher ruhig neben ihr schlummerte. Entsetzt sah sie den kleinen rötlichen Lockenkopf an. Ihr hatte soeben geträumt, sie hätte ihn liebkosen wollen und da seien die Haare plötzlich lauter Flammen geworden und sie habe sich die Finger daran verbrannt. Wie manche schwere Stunde hatten diese rötlichen Haare der Lisbeth schon bereitet! Wie manchen schwer verdienten Groschen hatte sie schon i» der Stadt für Salben und Essenzen hingegeben, um Frieders Haar zu. färben, aber alles umsonst! Stets hatte die Natur die kurzen Siege der Kunst wieder zu Nichte gemacht. Eö war nicht Eitelkeit für ihr Kind, weswegen Lisbeth diese Versuche gemacht hatte. Sie hatte den festen Glauben oder richtiger Aberglauben, daß alle rothaarigen Menschen im Banne des Bösen ständen und Hostie, Frieder zu retten, indem sie seine Haare färbte.
Doch jetzt galt cs, dergleichen quälende Gedanken abzuschütteln und schnell aufzustehen, denn Lisbeth wollte heute nach der Stadt, um Botengänge zu machen. Während des Ankleidens überdachte sie ihr zu verrichtendes Tagewerk noch einmal: „Dem Fräulein Adele in der Leihbibliothek das Buch Umtauschen und fragen, ob ich letztesmal nicht ein falsches zurückgebracht hätte. Das Fräulein war so verstört, als sie mir den Auftrag gab, was sie wohl haben mochte! — Dem Joseph seine Nelken zum Gärtner tragen. — Daß so ein häßlicher, rotäugiger Mensch so schöne Blumen ziehen kann! Ihm hätte ich sicher sür einen ganzen Thalcr den Gefallen nicht gethan aber dem Fräulein Adele mochte ich die Bitte nicht abschlagen. — Dem Lehrer Kupfrian einen neuen Strafstock mitbringen —" alle diese und noch eine Menge anderer Aufträge hatte die schwarze Lisbeth auszurichten. Ihr vortreffliches Gerächtnis ersparte ihr das für sie sehr schwierige Geschäft des Aufschreibens derselben.
Jetzt stand sie in ihrem kurzen, ärmlichen Kleide vor dem kleinen Wandspiegel, baut ein rotes Tuch um den Hals und blickte wohlgefällig auf ihr rabenschwarzes, glänzendes Haar und und dann auf ihre, von den weißen Hemdsärmeln nur halb verdeckten Arme, welche, wo die Sonne und die Arbeit sie nicht gebräunt halten, zu ihrer großen Freude noch ziemlich weiß waren.
Nachdem sie ein wenig Milch getrunken und ein trockenes Stück Brot dazu gegessen halte, stellte Lisbeth auch ihrem Schmerzens- kinde das Frühstück zurecht, versorgte die Ziege, nahm einen mächtigen Tragkorb auf den Rücken und fort ging es in den duftigen Morgen hinein.
Ihr W>g war äußerst beschwerlicher, aber die schwarze Lis- beth war jung und rüstig und an das Bergsteigen gewöhnt. Sie war schon ein paar Stunden gegangen, als sic zwei Männer her- ankommeu sah, welche, nach ihrer Kleidung zu urteilen, aus die Jagd wollten. „DaS giebt einen frohen Tag für mich," dachte sie, „zwei schmucke junge Leute sind das Erste, was mir begegnet." Noch dazu grüßten jetzt beide jungen Männer freundlich, und der eine fragte, ob sie auf dem richtige» Wege nach Cattcnhausen seieu und ob dort ein gutes Wirtshaus wäre? Lisbeth bejahte beides. Der junge Man» fragte sichtlich befriedigt weiter: „Wohnt in Cattcnhausen ein Fräulein v. Heimdahl?" „Gewiß," erwiderte Lisbeth, „das Fräulein Adele und ihr Vater, der alte Rittmeister."
Die jungen Leute dankten und gingen weiter.
„Darf man fragen, lieber Arnold, was für ein Wild Du heute aufzuspüren gedenkst, die Sache fängt doch an, mich zu interessieren," fragte der andere Jäger seinen in Nachdenken versunkenen Freund, als dieser ihm noch immer nicht die erwartete Aufklärung über die erste der soeben gestellten Fragen gab.
„Ich denke," versetzte Arnold lächelnd, „sie wird Dich interessieren, wenn auch in ganz anderer Weise, als Du glaubst. Zu Deiner Beruhigung will ich gleich vorausschickcn, daß die Dame, nach der ich mich erkundigte, wahrscheinlich der Jugend schon „lcbcwohl" gesagt hat, wenn sie diejenige ist, die ich in ihr vermute."
„Die Sache geht eigentlich zunächst niemand weiter etwas
an, als die erwähnte Dame, meinen Vater und mich, aber ich halte es für nicht mehr als billig, wenn ich Dir auch etwas darüber mitteile, da Du mir augenblicklich in derselben behilflich bist und ich auf strenge Verschwiegenheit Deinerseits rechnen kann."
„Gewiß, Arnold, wir kennen uns ja, aber, daß ich Dir augenblicklich behilflich war, verstehe ich nicht! Du sprichst in Rätseln!^'
„Nur Geduld, lieber Freund, gleich soll Dir alles klar werden. Du weißt, daß ich häufig Bücher aus der L.'scheu Leihbibliothek entlehne. Kürzlich lasse ich mir das Buch holen, nach dem ich lange vergeblich geangelt. Es war ein neues, wertvolles, naturwissenschaftliches Werk mit vorzüglichen Abbildungen, welches in einem schwarzen Futterale steckte. Als ich es herausznhe, habe ich anstatt des gewünschten Buches ein anderes in der Hand, das sich bei näherer Besichtigung als ein Tagebuch entpuppte. Aergerlich werfe ich bas Ding bei Seite und will es eben zurückschicken, als mir der auf dem Deckel desselben befindliche Name, Adele v. Heimdahl, auffällt. Ich sinne hin und her, wo mir derselbe schon einmal aufgestoßcn ist. Endlich fällt mir ein, daß mein Vater als ich Weihnachten zu Hause war, einen Brief von meinem befreundeten Hauptmann erhielt, welcher im letzten Kriege schwer verwundet worden war und bald darauf starb. Er übersandte meinem Vater ein Schreiben an ein Fräulein Adele von Heimdahl ohne nähere Adresse. Vis jetzt ist cs noch nicht gelungen, die Adr-ssatiii ausznfinden, möglich, daß ich sie durch den merkwürdigen Zufall mit dem Tagcbuche entdecke."
„Eine kuriose Geschichte!" erwiderte der Freund, „die Dame war gewiß des Hauptmanns Braut! Das Tagebuch könnte gewiß Aufschluß über die ganze Sache geben.,,
„Ich gestehe," sagte Arnold, als ich den Namen auf dem Deckel deö Buches gelesen, schlug ich dasselbe auf, ohne zu bedenken, was ich that. Aber gleich besann ich mich, schämte mich und klappte es wieder zu. Um der Dame jede Unannehmlichkeit zu ersparen, hätte ich es ja am besten gleich nach der Bibliothek zurückschicken und ohne dasselbe meine Nachforschungen anstellen können. Aber erstens würde mir dadurch ein vortrefflicher Anknüpfungspunkt verloren gegangen sein, und zweitens kenne ich den Bibliothekar als einen sehr indiskreten Menschen, vor dem der Inhalt des Buches nicht-sicher gewesen wäre. Er hätte ihn womöglich benützt, um eine schlechte Novelle daraus zu schreiben, was er bisweilen zu thnn pflegt.
Ich schlug daher das Tagebuch der Dame noch einmal auf, suchte nach dem letzten Datum und fand „Cattenhausen, den 15. Juli 1871." Ich kannte daö Nest nicht einmal dem Namen nach, da ich mich, wie Du ja weißt, noch nicht lange in hiesiger Gegend aufgehalten habe. Auf einer sehr ausführlichen Karte fand ich endlich ein Dörfchen dieses Namens außerhalb jeglicher Bahnverbindung und nur durch eine vierstündige Postfahrt oder auf diesem langen und unbequemen, aber sehr hübschen Fußwege erreichbar. Für die Postfahrt dankte ick und diesen langen Weg allein zu machen, verspürte ich auch keine bcsondre Lust. Hättest Du nun nicht zufällig erfahren, daß sich in der Nähe vonCatteu- hanfen wilde Enten aufhielten und mich aufgefordeet mit Dir mein Glück im Jagen zu versuche», so hätte ich das gute Werk noch länger hinausgeschoben. Wir müssen das Fräulein Adele, von dem das hübsche schwarzäugige Frauenzimmer eben sprach, aufsuche», cs wird ein ganz interessantes Abendteuer werden, hoffentlich ist sie diejenige, welche ich meine."
„Das ist alles ganz schön,,, entgegncte der besonnene Freund, „aber wir können doch derjenigen, die Du meinst, nicht schon am frühen Morgen ins Haus rücken. Auch wäre es wirklich schade, über diese Geschickte das Jagen zu vergessen, deswegen laß uns jetzt seitwärts ins Dickicht gehen, um unser» Thatendurst vorläufig an dem unschuldigen Blute einiger gesiedelten Sumpsbc« wohner zu stillen."
Arnold war damit einverstanden und beide gingen nach verschiedenen Richtungen auseinander.
(Fortsetzung folgt.)
Merk ' s!
Ein gutes Weib tanzt nach der Pfeife des Mannes. Eine kluge Frau wird es so cinzurichten verstehen, daß der Mann immer nur ihren Lieblingstanz pfeift I
Redaktion, Druck und Verlag von Bernhard Holmann in Wildbad.