Rundschau.
Nürtingen, 22. März. Letzten Montag wurde die ledige 60jährigc Veronika Haußmann in Reckarhausen, welche etwas schwerhörig war, von einem die Straße rasch dahereitcndci: Fuhrwerk überfahren und sofort gelötet. — Gegenwärtig nimmt Professor Vogel von Stuttgart die Prüfung des Zeichenunterrichts an den städtische» Schulanstalten hier vor-
— Für ein Denkmal des Kaisers Wilhelm sind in Elberfeld schon über 29 100 ^ gesammelt.
Ulm, 20. März. Beim Ausfüllen von Bier in dem Keller einer hiesigen Bierbrauerei schlug cs gestern nachmittag den Boden eines fünfeimerigen Fasses hinaus. Ein verheirateter Bierbrauer, der getrosten wurde, erlitt dabei bedeutende Verletzungen am Kopfe, so daß er bewußtlos vom Platz getragen und in ärztliche Behandlung genommen werden mußte. Zwei weitere Arbeiter erhielten leichte Quetschungen.
Ricdlingen, 19. März. Vergangene Nacht ist laut Riedl. Zlg. das Wohnhaus des Postboten Enderle in Binzwangen trotz rasch herbcigcciltcr Feuerwehr nicdcrgcbrannt. Die Entstehungs- Ursache des Feuers ist unbekannt.
Freudenstadt, 19. März. Der 9jährige Sohn eines Beamten im K. Hüttenwerk Friedrichsthal Stunden von hier) geht jeden Tag nach Frcudenstadt, um eine der höheren Schulen zu besuchen. Als er am letzten Samstag morgens 7'/r Uhr den zwischen genannten zwei Orten liegenden Wald verließ, traten, wie die Bad. LandeSztg. meldet, ihm 3 Stromer entgegen und fragten ihn, ob er kein Geld habe. Nach der verneinenden Antwort des Knaben durchsuchten sie seine Kleider, mißhandelten ihn auf schreckliche Weise mit ihren Stöcken und warfen ihn hinter einen Steinhaufen in den Straßengraben. ^/« Stunde später kam dieselbe Straße ein anderer Schüler und fand den Mißhandelten tief im nassen Schnee steckend, unfähig, sich zu erheben.
Von der badischen Grenze, L0. März. Wie man aus Vil- liugcn berichtet, soll auf der gegen die württembergische Grenze hin gelegenen Anhöhe, dem sog. Manne, ein eiserner Aussichtsturm errichtet werden.
Hirsau, 20. März. Hier wurde ein höchst merkwürdiger, wertvoller, Fund anläßlich dex Kirchenrestauraliön gemacht, indem laut Ludw. Zkg. beim Beseitigen des den mittleren Gang bedeckenden Bretlerbodens ein prachtvoll gearbeiteter, wohlcrhaltener Grabstein zum Vorschein kam. Die um den Stein taufende lateinische Inschrift lautet auf Deutsch: „Im Jahr des Herrn 1524, d. 16. Juli, starb in Christo der ehrwürdige Herr Johs. Hausmann aus Calw, Abt dieses Klosters, dessen Seele in Gott selig leben möge in Ewigkeit. Amen." Wir haben es also hier zu thun mit dem Erbauer der Ortskirche, der früheren Marienkirche des Klosters, welche Abt Johann II (von 1503—1524) in den Jahren 1508—1516 durch Meister Martin aus Urrach errichten ließ. Nach abheben einer 80 vm tiefen Erdschichte stieß man auf das mit Platten bedeckte, ausgemauerte Grab und de» i» ihm befindlichen hölzernen Sarg ohne Deckel. Die Leiche war völlig in Kalk gebettet und dadurch ganz zugcdeckt. Nach Entfernung der Kalkkruste zeigten sich die Gebeine, namentlich auch der zwei fast vollständige Zahnreihen aufweisende Schädel noch sehr gut erhalten. Die Gebeine wurden pictätSvoll in einer neuen Kiste geborgen, in die Ummauerung von neuem eingelegt und so das Grab wieder geschlossen.
Berlin, 23. März. Die „Nordd. Allgem. Zeitung" veröffentlicht ein vom Nuntius Galimberti überreichtes lateinisches Handschreiben des Papstes an Kaiser Friedrich, welches die tiefe Betrüblich über das Hinscheiden des Kaisers Wilhelm ausdrückt, von dem der Papst nicht wenige und nicht geringe Beweise seiner geneigten Gesinnung empfangen habe und nicht geringere für die Zukunft erhoffte. Das Schreiben beglückwünscht den Kaiser zur Thronfolge in einem so erlauchten Reich und drückt das Vertrauen aus, daß der Papst bei Kaiser Fricderich derselben Geneigtheit begegnen werde, deren er sich bei dem unvergeßlichen entschlafenen Kaiser erfreute. „Möge sich", so heißt cs in dem Schreiben, die Gesundheit Ew. Majestät befestigen, möge sich Ew. Majestät lange Ihres Lebens freuen zum Heil Ihrer Unterthanen. Wir erflehen dies von dem allmächtigen Gott und bitten von dessen Güte, daß er uns und Ew. Majestät durch unlösliche Bande der Liebe und Gnade umfassen möge."
— Heute Vormittag 10 Uhr findet in Gegenwart des Jn- stizministcrs Friedbcrg, des Hausministers Grafen Stolberg und des gewesenen Ober-Hofmarschalls Perponcher die Entsiegelung der seit der Uebersührung der Leiche des Kaisers Wilhelm in den
Dom versiegelten; von dem Kaiser früher bewohnten Zimmer des Palais statt.
— Der Köln. Z. schreibt man: Kaiser Friedrich hat befohlen, daß das neue Palais in Potsdam unverzüglich in Stand gesetzt werde, auf daß er sofort beim Eintritt wärmerer Witterung mit seinem Hofhalte von Charlottcnburg dorthin übersiedeln könne.
Berlin, 22. März. Bei der heutigen Gedächtnisfeier für Kaiser Wilhelm im Dom hielt Hofprediger Beyer die Liturgie, Kögel die Hauptpredigl, Stöcker das Schlußgebet.
Die Kaiserin Viktoria mit sämtlichen Prinzen nnd Prinzessinnen des Königshauses, der Großherzog und die Großherzogin von Baden, der Kronprinz und die Kronprinzessin von Schweden, der Erbprinz und die Erbprinzessin von Meiningen wohnten dem Gottesdienste bei, welcher mit Choralgesang „Wenn ich einmal soll scheiden" schloß. Von hier begaben sich sämtliche allerhöchsten und höchsten Herrschaften nach Charlottenburg, wo mittags ein Trauergottesdienst in der Schloßkapelle stattfand. Demselben wohnte auch eine Deputation des russischen Regiments Kaluga bei, welches gestern am Sarge des Kaisers Wilhelm zwei Kränze niederlegte. Hofprediger Schräder hielt die Gedächtnisrede.
Berlin, 22. März. Der Kaifer ließ heute den Leibärzten des verstorbenen Kaisers und zwar Herrn v. Lauer das Groß- komthurkrenz, Herrn Leuthold das Komthurkreuz und Herrn Timann das Ritterkreuz des hohenzollernscheu Hausordens mit sehr gnädigen Handschreiben zergehen.
Berlin, 22. März. Der Kaiser, dessen Allgemeinbefinden befriedigend .ist, wohnte dem Gottesdienst zum Gedächtnis des Kaisers Wilhelm in der Charlottenburger Schloßkapelle bei.
— lieber eine merkwürdige Erscheinung, welche am Tage der Beisetzung des Heimgegangenen Kaisers beobachtet wurde, wird der Tgl Rdsch. geschrieben: „Kurze Zeit vor Beginn der traurigen Feier, als Alles schon vor dem kaiserl. Palais versammelt stand und mit klopfendem Herzen, in wehmütig feierlicher Stimmung des Kommenden harrte , auch die beiden, an der Ecke gelegenen Fenster der Kaiserin , bereits so hergerichtet waren , um ihr beim Vorbeiziehen des kais. Trauerzuges einen letzten Blick zu gestatten,
— schwebte plötzlich hoch oben in den Lüften ein wilkeoSchwair, . langsamen Fluges, über den Ptaz hinweg, wie vom Dome oder Schlosse kommend, am kaiserlichen Palais seitwärts vorüber, seinen Zug nach Westen nehmend. Uns allen, die wir es gesehen, dräng- te sich der Gedanke auf, als sei-der teu ^Entschlafene im Geiste hinweggezogen über sein treues, dort unten trauerndes Volkl"
— Die Königen von England trat mit dem Prinzen und der Prinzessin von Battenberg und Gefolge die Reise nach Jta- lien an. - ,
— Dem Polizeimeister in Riga, welcher es verbot, daß die Zeitungen, anläßlich des Todes Kaiser Wilhelms einen Trauer- , rand und die offenen Geschäfte einen Trauerschmuck anlegten, ist, der „Mgd. Ztg." zufolge, von Petersburg aus ein Verweis " erteilt worden.
Rom, 23. März. Die französsische Regierung versprach bezüglich der Ausschreitungen gegen italienische Arbeiter Abhilfe.
Sofia, 23. März. Der Drohung der Swoboda mit der Unabhängigkeitöerktärung Bulgariens wird wenig Bedeutung bei- gclcgt. Prinz Ferdinand sitzt auch bei seinen eigenen Unterthanen keineswegs sehr fest. Der Abreise seiner Mutter, der Prinzessin Klementine, wird unmittelbar entgegengesehcn.
Paris, 22. März. Der Untersuchungsrat für die Angelegenheit Boulanger hat sich unter dem Vorsitze des Generals Ferner . konstituiert und forderte Boulanger auf morgen vor Gericht zu erscheinen.
Lissabon, 22. März. Bei dem gestrigen Theaterbrande in Oporto, wodurch das Theater vollständig zerstört wurde, stürzten viele Zuschauer aus den Fenster» auf die Straße. Mehrere erstickten, andere wurden beim Ausgange erdrückt. Die Mehrzahl der Verunglückten waren Zuschauer aus den Logen deS dritten Ranges und der Galerien. Ganze Familien sind umgckommen. Die Zahl der Toten wird auf 80 geschätzt.
Danzig, 22. März. Der Eisgang auf der Nogat ist ein heftiger und richtet vielfachen Schaden au. Um das Nogateis abzulenken, sprengen die Pioniere heule das Eis bei Dirschau.
Alls dem Meere wieder anferstanden. Aus Shanghai wird mitgetheilt, daß die alte Stadt Hai-jen, nördlich vom Nmgpo gelegen, die vor tausend Jahren im Meere versunken, kürzlich wieder an der Oberstäche erscheint. Viele interessaiue Gegenständ«; längst Vergangener Zeiten sind bereits gesammelt worden,