Unter öer Krnfenkrone.
Roman von H. von Ziegler.
(Nachdruck verboten.)
23 .
Zwei Jahre sind vergangen und wieder feiert man in Sinters das Fest der Sonnenwende, den» der ewige Kreislauf der Natur gehl weiter, ob auch das arme Menscheuherz zuckt und leidet oder im Glücke aufjubelt.
Durch die Häuser von Sinters schreitet langsam Gräfin Eva, während ihre blauen Augen sinnend den Wölkchen droben am heitren Sommerhimmel nachschauen. Immer weiter eilen sie, immer rastloser. Doch wohin?
Die junge Frau sieht heiter aus, wenn auch tief drinneu in ihren Augen eine leise Schwermut wohnt, doch ihre Wangen sind rosig und sie trillert leise ein Liedchen vor sich hin.
Still und einförmig verflossen die beiden Jahre ihres Wit- weustaudes gegen die Stunden der Angst, welche sie durchlebt so lange der Graf noch an ihrer Seite war.
Seit dem Augenblick da sie entsetzt und starr an seiner Leiche gestanden, ist Groll und Furcht vor ihm aus ihrer Seele geschwunden, sic bedauert ihn, daß er einer so furchtbaren Krankheit zum Opfer gefallen.
Erst als man ihr am Tage nach dem Begräbnis einen von kräftiger Mäunerhand geschriebenen Brief übcrbrachte, kamen die bittren Thronen.
Er war von Schönau und enthielt nur folgende wenige Zeilen.
„Schon heute reise ich ab, um die Vorbereitungen zu meinem Ausflug nach Aegypten zu treffen. Lassen Sie mich Ihnen brieflich lebcwohl sagen, Gräfin Eva, persönlich — kann ich es nicht! Mein teures Großmütterchen bleibt in Sintorf und ich bitte Sie herzlich, sich derselben anzunehmen. Ob ich wiederkehre, gnädige Frau, weiß Gott allein. Wenn Sie am Abend allein am Fenster stehen, dann gedenken Sie manchmal an den, den Ihr Bild hinaus begleitet in die unbekannte Ferne, Gott segne Sie, Eva!
Friedrich."
All das erfüllte die blonde Frau, als sie so dahinschritt; er hätte ihr nie geschrieben und nur in den Zeitungen fand sie seinen Name» stets ehrenvoll erwähnt; auch Frau Ahne sprach nie von dem Enkel aber der Scharfblick Evas erkannte dennoch an ihrer heitren Ruhe, daß sie gute Nachrichten von ihm haben mußte. Ob er wohl bald heim kehrte?
Wie licht wurde es da Plötzlich um sie her, wie strahlte die Sonne so glänzend, wie dufteten Rosen und Jasmin um sie Herl „Behüt Dich Gott, es wär" so schön gewesen.
Sie seufzte ans, dann trat sie in den Rothof, das Ziel ihrer heutigen Wanderung; Aloys Stolzner trat ihr entgegen und lüftete freudestrahlend die Mütze. Sie gab ihm lächelnd die Hand. „Nun, wie geht eS Stolzner? Ist der Kleine munter?" „Danke schön, Frau Gräfin. Er kräht tüchtig, denn die Amme zieht ihn gerade an. Ich will sie rnfen."
„Nein, Aloys, laßt nur; ich will selbst gehen und mein Patchen besuchen."
Lächelnd gieng die Gräfin ins HauS und fand Frau Anna im Kinderzimmer vor ihrem einjährigen kleinen Knaben knieeud und mit ihm tändelnd.
Wer sie früher gekannt, hätte eS nicht geglaubt, daß dies dieselbe finstre, herrische Frau sei, welche so glückselig die rosigen Kinderhändchcn küßte.
Scho» eine geraume Weile stand Eva auf der Schwelle, ehe die Bäuerin sie bemerkte, dann aber sprang dieselbe freudig auf, um die Dann ehrerbietig zu begrüßen.
„Ich wollte seh-n wie eS Euch geht," lächelte diese und nahm den kleinen Buben auf die Arme, welcher schon sehnsüchtig ihr die Aermchen eutgegenstrecktc; „Hänschen, Hänschen, obwohl die Tante etwas mitgcbracht hat."
Der Kleine schrie abermals fröhlich, legte die Aermchen um Evas Hand und versteckte sein Gcsichtchen an ihrer Schulter.
„Aber Hänschen," wehrte die Rothofsbäuerin verlegen, „Du mußt die Frau Gräfin quälen."
„Laßt ihn nur, Frau Anna," meinte die junge Frau gütig, „ich freue mich, wenn er mich lieb hat. Hier, mein Schatz, hast Du etwas Gutes.
Fröhlich jubelnd griff das Kind nach der Düte und öffnete ^ . Üitdaktton, Druck und Verlag von D
verlangend den kleinen Mund, bis ihm die Gräfin lachend ent Chokoladenplätzchen hineisteckte.
„Werdet Ihr heute an der schwarzen Wand auch ein Johannisfeuer anzünden, Anna," srug Eva, als sie sich spater zum Gehen anschickte, „es sind nun schon zwei Jahre, daß —
„Daß ich unten im Abgrund lag," unterbrach die Bäuerin sie ernst, „ich möchte die Stunde da drunten nicht ei» zwcnes Mal durchmachen, Frau Gräfin, aber sie hat mich doch besser gemacht. Denn als ich so hilflos lag, kam cs mir in den Sinn, wie schleckt ich gewesen war, besonders gegen — ein Wesen, das mir niemals etwas zu leide gethan! Und dann auch mein braver Aloys! Ich hatte ihm mein Wort gegeben und liebte dazumal doch — einen Andren. Freilich ich wrgrub damals meine Liebe und cs hat geholfen. Ich bin von Stund an des Aloys treues Weib gewesen und werde cs auch bleiben bis ich einmal sterbe!"
„Arme Anna," sagte die Gräfin voll warmer Herzlichkeit, „Ihr habt auch erst heiße Kämpfe bestehen müssen, ehe Ihr Friede» fandet. Euer prächtiges Hänschen könnte ich gleich abkaufe». Aber nun muß ich ins Schloß zurück, denn sonst muß Großpapa mit dem Essen warten und nachmittags kommt die Frau Ahne zum Kaffee."
„Wann wird denn endlich der Herr Professor heimkehren?" — Die junge Witwe errötete bei dieser halblächelnden Frage der Bäuerin.
„Ich — weiß es wirklich nicht. Aber nun adieu, Frau Anna, adieu Hänschen. Auf Wiedersehen!"
Sinnend schaute Frau Stolzner der schlanken Gestalt nack, als sie über den Weg hinschritt, graziös wie eine Elfe, dabei voll franenhafter Würde.
„Wie lieb habe ich doch jetzt unsere Frau Gräfin," murmelte sie vor sich hin, „und einstmals haßte ich sie bitterlich. Es war eine gar schlimme Zeit und ich hält' beinah untergeben müssen in der Sünd! Aber ich denk, es giebt nun bald viel Freude im Schlosse, weil der Herr Professor heimkommt, wie die Frau Ahne mir erzählte. —
Stillvergnügt nickte sie dem Kleinen zu, hob ihn auf den Arm und ging, den Aloys zu suchen, damit die Suppe nicht kalt würde.
Am Nackmittag faßen drei liebe bekannte auf dem Balkon von Schloß Sintorf: Eva, der General von Waldheim und die Frau Ahne.
Seit er den Abschied genommen, bewirtschaftete der alte Herr mit dem Inspektor gar eifrig das Gut und kommaudirte Knechte und Mägde, daß es eine Lust war; auch folgten sie ihm wie einst seine Rekruten, denn er war kindgut und stets gerecht.
Auch Gräfin Eva lebte von nemm auf, ringsum sie her herrschte freundliche Zufriedenheit, Glück und Frieden und immer wieder war's eine Stimme tief drin im Herzen, welche die leise Schwermut dämpfte, die mitunter hervorbrach und unaufhörlich flüsterte:
„Er kommt, er kommt zurück, denn — cs muß doch Frühling werden!"
„Eva," bat Frau Ahne, als man den Kaffee eingenommen, „singe mir doch ein Lied. Es ist so lange her, daß ich Deine Stimme nickt gehört habe."
„Gewiß, Großmütterchen, ich will gerne singen."
Sie gieng hinein zum Flügel und ließ die Thüren offen. Die beiden alten Leute blieben allein.
„Es sind gerade in diesen Tagen zwei Jahre," meinte der General sinnend, „daß — das Unglück geschah."
„Ach ja." nickte die alte Dame, „damals hätte ich nicht geglaubt, daß ich noch so lange leben würde. Aber es wird nun bald Zeit — ich fühle es —"
„Dummes Zeug, Frau Ahne," polterte der alte Herr, „Ihr Enkel kommt ja bald zurück wie er mir erst neulich schrieb."
„Ja, und ich bekenne offen, daß ich Tag und Stunde seiner Ankunft kaum erwarten kann."
Drinnen im Musikfalon ertönten die ersten Akkorde einer Melodie, die seit jenen schlimmen Tagen nie mehr über Evas Lippen gekommen war:
„Es ist im Leben häßlich eingerichtet,
Daß bei den Rosen gleich die Dorne» stehn —"
Einen Augenblick hielt sie inne; damals hatten ernste, schöne Augen auf ihr geruht, welche ferne, ferne weilten und die sie doch so innig liebte.
(Schluß folgt.)
k r nha rd Holm a n n in Wildbav.