JigeunerELut.
Novelle von H. von Ziegler.
(Nachdruck verboten.)
6 .
Die beiden voranreitenden Herren hielten jetzt einige Sekunden, nm die Nachzügler herankommen zu lassen und mit einem Gefühl halb der Erleichterung, halb des Bedauerns schlossen sich Maria und Welheim ihnen an. Doch die ganze Gesellschaft blieb still, sogar der muntere Baron Liszka sprach wenig. Seltsame Gedanken schienen das Hirn der vier Personen zu durchkreuzen.
Im Schloß angekommen, trennte man sich auf der Freitreppe. Graf Landry war voransgeeilt, weil ein Courier inzwischen für ihn angekommen war und sehnlichst der Abfertigung wartete. Der ehrgeizige Schloßherr stand vor der Wahl zum Reichstage und all sein Interesse konzentrierte sich zur Zeit auf diese Wahl. Sonst hätte er wohl den ernsten, innigen Blick bemerkt, mit dem der Rittmeister der Comtesse die Hand reichte und halblaut, mit eigentümlich verschleierter Stimme sagte:
„Gute Nacht — Maria! — Schlafen Sie wohl nach diesem langen Ansfluge."
„Gute Nacht, Herr Rittmeister," klang es zurück und die junge Gräfin wandte sich hastig ab, denn sonderbarer Weise stürzten die Thronen ihr plötzlich ans den Augen.
Drei Tage sind seit jener Nacht verstrichen. Am Tage nach derselben waren Baron Liszka und Rittmeister von Welheim mit dem Grasen zusammen abgereist; die beiden Letzteren, um nach einigen Tagen zurückznkehren, der crstere aber um seinen Schützling, den Zigcunerknaben Nikol, in der Hauptstadt unterznbringen und ihm die neue Karriere als Künstler zu eröffnen.
Nikol, der ins Schloß gekommen, schien wie im Traume umher zu wandeln. Die neue Umgebung und Kleidung, die anderen Menschen, ja die ganze Lebensweise erschienen ihm so fremd und unheimlich, daß ihm, trotz seiner sechzehn Jahre, nur zu oft bittere Thränen über die Wangen rollten und er das Heimweh nach der geliebten Pußta in voller Stärke kennen lernte.
Nur Eins half ihm über das Alles hinweg: er sah die Gräfin Maria fast stündlich und mit einer an Abgötterei streifenden Verehrung folgte er ihrer Erscheinung ins Schloß, in den Park oder Wald. Und dann, wenn er das Bild der schönen Gräfin von Neuem in seine krankhaft überreizte Seele aufge- nommmen, holte er die Geige hervor und ließ sie seufzen und klagen in all seiner ungestümen Weise.
Die Trennung von Schloß Landry ward ihm deshalb sehr schwer, nur der Gedanke, daß er ein Künstler werden müsse, um die Gräfin einst ohne Scheu vor die Augen treten zu dürfen, drängte seinen wilden Schmerz zurück.
Nikol saß beim Kutscher auf dem Bock, drinnen im Wagen befanden sich die drei Herren und am Schloßthore stand Gräfin Maria, — im lichtblauen Morgenzewande und winkte freundlich den Abführenden zu. Schon zogen die Pferde an, da hob sie nochmals wie in aufflammenden Feuer die Hand zum Gruß und dunkle Röte färbte ihr zartes Gesichtchen.
Wem hatte dies letzte Winken wohl gegolten?
Den ganzen Weg über sann Nikol Baloy dem Rätsel nach; er wußte nicht, daß der stattliche Husarenoffizier, ungesehen von de» beiden anderen Gefährten die grüßende Bewegung Marias erwidert.
Heute nun sollten die Herren ans der Residenz zurückkommen. Der Wage» war zur Station gefahren und Maria setzte sich voll nervöser Unruhe ans Klavier, um die lange Wartezeit auszufüllen.
Tausende von Gedanken wirbelten durch ihr Lockenköpfchen, und wenn auch in allen denselben der schöne Mann mit den ernsten Augen eine Hauptrolle spielte, so drängte sich doch drohend und unheimlich ein zierlicher Brief, dessen Monogramm mit der Grafcnkrone geschmückt war, dazwischen.
Maria wußte, daß der Brief vom Vetter Graf Wolf von Landry kam, daß derselbe wohl den Tag seiner Ankunft bestimmen und — nach Manchem fragen werde, wovor ihr bangte. Mußte es denn sein, durfte inan sic zwingen, einen Mann zu heiraten, den sic lieble, während das Bild eines anderen hcllleuchtend in ihrer Seele erwachte?
Sie wußte nämlich seit jenem Abend, daß sie Wehlheim liebte.
Fast schlaflos war ihr damals die Nacht erschienen, in welcher immer und immer wieder Wehlheims Worte: „Gute Nacht, Maria," an ihr Ohr klangen.
Marias Finger glitten von den Tasten, das junge Mädchen verbarg das Antlitz in den Händen und schluchzte laut: „Armcr Emmerich von Welheim!"
Das war's heraus, was die Unruhe und das Herzklopfen in ihrer Brust zu bedeuten hatten.
Die Liebe kam über Maria blendend, bedrückend — und doch so unendlich beseligend! Und er liebte sie wieder, — jetzt wurde ihr erst vollständig klar, was Welheims ticfinniger Blick, sein zärtlicher Händedruck, sein halblautes Wort bedeutete.
Nur das Verhängnis, welches Welheim gleich beim Erkennen seiner Liebe zu Maria sich sogleich klar gemacht, nämlich, daß diese Liebe eine vollständig aussichtslose sei, vermochte diese glückliche Mädchenseele nicht zu fassen.
Langsam blätterte Maria in cinem der umherliegenden Notcn- hefte, bis sie endlich das eine ergriff. „Ob ich Dich liebe, das frage die Sterne," murmelte sie dabei, während eine Thränc an ihrer Wimper hing, „ja, ich habe sie gefragt und sie haben mir alle entgegengefnnkelt und zugeflüstert, daß ich sein Herz besitze, voll und ganz. Emmerich, o Emmerich!"
Weich und süß fluteten die Töne durchs Gemach, träumend überließ sich das schöne Mädchen dem Zauber des Gesanges und ringö um sie her versank die äußere Welt.
Draußen erklang inzwischen Rädergerassel und verschiedene Stimmen vermischt mit Hnndgebell wurden laut. Dann klirrte» Sporen die Treppe hinan, während Maria, noch immer selig lächelnd, spielte und sang, und zartes Rot ihr Antlitz höher färbte:
„Ob ich Dich liebe,
Das frage die Sterne —"
erklang es aufs Neue aus ihrem Munde, und in demselben Augenblick flog wie eine Antwort auf das jubelnde LiebcsbekenntniS eine dunkelrote Granatblüte über die Tasten des Instrumentes.
Comteß Maria sprang mit einem leichten Schrei empor und er, an den daö Lied gerichtet, stand hoch aufgerichlet mit leuchtendem Blicke vor ihr, die zum erstenmal im Leben stumm, verwirrt und rarlos vor Welheim lehnte.
„Guten Tag, Maria! Haben Sie kein Wort der Begrüßung für einen Freund?" sagte Welheim.
„Sie sind wieder angekommen, Herr Rittmeister ?" stammelte das schöne Mädchen atemlos, und ließ es geschehen, daß er ihre kleine Hand leidenschaftlich an die Lippen preßte, „ich — habe — den Wagen nicht gehört. Wo ist — der Papa?"
„Er kommt gleich. Aber Maria, warum gönnen Sie mir nicht die erste Freude des Wiedersehens? Sind Sie vor mir erschrocken?"
„Ach ja," meinte sie und lächelnd blickten ihre großen braunen Augen zu ihm auf, die sonderbare, so ungewohnte Befangenheit Marias schwand und sie konnte wieder scherzen.
„Die arme Granatblüte," bemerkte sie, „warum haben Sie dieselbe so maltrailiert, Herr Rittmeister?"
„Ach, ich war so erregt, es war in der Residenz Alles nach Wunsch gegangen, gnädige Comteß. Entschuldigen Sie daher mein übereiltes Eintreten."
„Wenn Sie Comteß sagen, entschuldige ich cs gewiß nicht."
Er lächelte glückselig bei diesen scherzenden Worten, dann wollte er wieder die schlanken Finger Marias gefangen nehme», doch sie entzog sie ihm mit unmerklicher Verlegenheit, da im selben Moment sich die Thüre öffnete und Gras Landry eintrat.
„Ach, guten Abend, liebes Kind," sagte der Graf heiter, „wie geht es in der Einsamkeit? Das wird jetzt ein Weilchen besser, denn hier ist ein Brief von Vetter Wolfs, worin er seine Ankunft meldet nno zwar morgen Nachmittag. Das ist um so besser, dann kann er am Sonntag unser großes Diner mitmachen."
„Vetter Wolfs kommt morgen und nächsten Sonntag ist eilt Diner bei uns?" frug Maria beinahe erschreckt.
Welheim hat recht wohl de» entsetzten Blick und das Erbleichen Marias bei der Erwähnung des Vetters bemerkt und er reimte sich sogleich den Zusammenhang dieser Ankunft mit den Worten, welche Marie neulich gesprochen zusammen.
(Fortsetzung folgt.)
Redaktion, Druck und Verlag von Bernhard Hofmann in Wilddad.