Nr. 2Ü2. Amts- und Anzeigeblatt für den OberamLsbezirk Lo.lm. 97. Jahrgang

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lLrfcheinunpSweife: 6»nal wkchentttch. Anzeigenpreis: Die kleinfpalttge Zeile M. 5. Nekiawln Mk 15 Auf Sammet-rnzelgen kommt ein Zuschlag von lOO^. Hernspr. 9.

Donnerstag, den 31. August 1922.

Bezugspreis: In der Stadt mit TrÜyerlohn Mk. 180. vierteljährlich. Postbezug»- preis 180. mit Beftellgeld. Schluß der Anzeigenannahme « Uhr vormittag .

Heute nachmittag wird die Reparationskommifsion darüber entschei­den. ob Deutschland ein Moratorium gewährt wird oder nicht. Wäh­rend gestern früh infolge entgegenkommender Haltung der Pariser Presse eine optimistische Stimmung geherrscht hatte, setzte nachmit­tags wieder eine ernstere Auffassung der Lage ein, die sich auch durch einen neuerlichen Markstnrz ans 1550 (morgens 10W) konn- zeichnete. Die neue Krisenfiimmnng war veranlaßt durch die schar­fen Erklärungen der offiziösen Pariser Presse, wonach Frank­reich unter keinen Umständen geneigt sei, ein Moratorium ohne die geforderten Pfänder zu genehmigen. Wenn Deutschland daraus nicht eingehe, dann würde die Rcparationskouunisfion wohl eine Verfehlung (!) Deutschlands seftstellcn, und Frankreich erhalte seine Aktionsfrcihrit wieder.

Der deutsch« Vertreter hat nun gestern vor der Reparattonskommission wichtige Erklärungen abgegeben, die die Aufafffung der deutschen Regierung wiedrrgeben. Er sagte, die Ursachen der Vernichtung des deutschen Markkurses seien auf die außenpolitische Lage (d. h. die dauernden Drohungen Frankreichs) zurückzufü'^rn sowie auf die (systematische) Verzögerung einer praktischen 1 >ung der Ne- parationSfrage. Die deutsche Regierung rege nun an, feste Licfe- rungSverträge in Holz und Kohlen zunächst bis Ende 1923 abzu­schließen unter Sicherungen privater Natur. Dafür solle dann der Zahlungsaufschub bis Ende 1922 gewährt werden. Die Beschul­digungen Poincares, als ob deutsche Jnteressenorganisationen den Markstnrz veranlaßt hätten, wies er als unfinnig zurück.

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Dir furchtbare Geldentwertring hat natürlich neuerliche Erhöhungen der Beamtengchälter zur Folge, über die nächstens berate» werden soll.

Im ReichSeisenbahnrat wurde bekanntgegeben, daß die Peisonentarife ab 1. Oktober und 1. Dezember erhöht werden sollen. Tie Tarif­erhöhung ab 1. Dezember soll Prozent des Oktobcrtarifs be­tragen. Die Personentarife von 72, 108, 180 und 340 Pfennig pro km ab 1. Dezember würden sich aber entfernt nicht der Geld­entwertung anpaffrn.

Me SIMMW Wer' MS.

Erklärungen des deutschen Berteeters in Paris.

Die Ursachen der Markentwcrtrmg. Neirc deutsche Vorschläge.

Paris, 30. Aug. In der heutigen Vormittagssitzung der Repara­tionskommission hat der deutsche Bevollmächtigte, Staatssekretär Schröder, folgende Erklärung abgegeben: Die Reperationskom- mission hat der deutschen Regierung anheimgestellt, sich vor ihrer Ent­scheidung noch mündlich zu äußern. Die deutsche Regierung hat von dieser Gelegenheit gern Gebrauch gemacht und hat mich zu diesem Zweck hierher entsandt. Ich werde mich kurz fassen. Durch die Er­mittelungen, die das Garantiekomitee in Berlin angestellt hat, und durch die Informationen, die neuerdings von Mitgliedern der Rcpa- rationskommisfion in Berlin eingezogen worden sind, ist die Repara­tionskommission eingehend über die Lage Deutschlands unterrichtet. Ich möchte zurückgreifen auf die Verhandlungen, die Minister Her­mes im Mai hier geführt hat. Damals ist in schwieriger Lage eine Lösung gefunden worden 1) für die Gesundung des deutschen Reichs­haushalts, 2) für die Ueberwachung der deutschen Finanzen durch die Reparationskommission. Die Forderungen, die die ReparationS- kommisston für die Gesundung des deutschen Reichshaushalts ausge­stellt hat, bestanden vor allem darin, daß die schwebende Schuld auf den Stand vom 31. März ds. Js. beschränkt bleiben sollte zuzüglich der Betrage, die für die Devisenzahlungen auf Grund deS Vertrags von Versailles aufgewendet werden. Der Zuwachs sollte zunächst durch eine innere Anleihe beglichen werden. Die deutsche Regierung hat diese Lösung unter der Voraussetzung angenommen, daß ihr in angemessener Frist eine ausreichende ausländische Anleihe bewilligt werden würde. Die Anleihe ist leider bisher nicht zustande gekommen. Trotzdem hat die deutsche Negierring unabhängig hiervon auf eine Einschränkung der schwebenden Schuld hingearbeitet. Trotz des steigenden Dollarkurses hatte sie folgenden Erfolg: Für Devisenzah­lungen waren bis 30. Juni 21,5 Milliarden Papiermark aufzuwen­den. Die schwebende Schuld hatte bis 30. Juni gegenüber dem 31. März nur um 23 Milliarden zugenommen, sodaß sich der Netto­zuwachs der schwebenden Schuld ergab, der durch eine bereits vor­bereitete Ausgabe von langfristigen Schatzanweisungen gedeckt wer­den sollte. Der Minister Hermes hatte ferner bei den Pariser Ver­handlungen die Einnahmen aus Zöllen und Steuern aller Art für

1922 auf rund 148 Milliarden Papiermark geschätzt. Hiervon ging man bei der Verständigung aus. Die tatsächliche Entwicklung in den ersten 4 Monaten des Rechnungsjahres April bis Juni hat erheblich höhere Zahlen erbracht und zwar wachsend von Monat zu Monat und noch nicht zu stark beeinflußt von dem Fallen der Mark. In diese» 4 Monaten sind bereits mehr als 70 Milliarden Papiermark eingegangcn, sodaß bei glcichbleibcnden Verhältnissen nitt einem Jah­resertrag von mehr als 210 Milliarden Papicrmark gerechnet werden konnte. Dazu tritt das Erträgnis der Zibangsanleihe mit zunächst 40 Milliarden Papiermark im Jahre 1922. Hiernach dürste erwartet werden, daß für die Reparationen aus den Einnahmen des Reichs ein erheblich höherer Betrag verfügbar sein würde, als im Mai an- gc!.^...incn worden ist. Die Ueberwachungsmaßnahmen sind in gc- meiuschafilichcr Verständigung zwischen dem Garantiekomitee und der deutschen Regierung in Berlin ausgearbeitet worden. Hierdurch hat die Reparatronslommission die Möglichkeit erhalten, einen vollen Einblick in die deutsche Finanzwirtschaft zu jeder Zeit zu gewinne». Das ganze Ergebnis wurde erzielt nicht durch ei» Diktat, sondern durch verständnisvolle Zusammenarbeit zwischen der Neparations- kommissivn und der deutschen Regierung.

Der erwartete dauernde Erfolg der Maßnahmen ist durch zwei Umstände vereitelt worden, die außerhalb der Macht­bereichs der deutschen Regierung liegen, nämlich einmal durch das Mißlingen der Beratungen des Anleihe-Komitees und dann durch die Ermordung des Ministers Rathenau. Beide Ereig­nisse haben den Pessimismus und die Mutlosigkeit weitester Kreise in Deutschland und im Ausland in Bezug auf Li« Fi­nanzen des Reichs zu einer Panik gesteigert, die immer schlim­mere Formen angenommen hat. In weniger als 2 Monaten ist der Dollar von etwa 300 auf über 2000 gestiegen, das eng­lische Pfund von etwa 1300 auf etwa 10 000 Mark. Eine solche Entwickelung wirst selbstverständlich jedes Budget über den Haufen und macht jede Hoffnung auf Eindämmung der schwe­benden Schuld für absehbare Zeit zunichte. Nun wird von maßgebenden politischen Kreisen des Auslands der Vorwurf erhoben, daß der Zusammenbruch der Mark von Deutschland selbst absichtlich herbeigcführt worden sei, um sich der Repara­tion zu entziehen. Dieser Vorwurf richtet sich weniger gegen die deutsche Negierung, als gegen gewisse Interessentengruppen. Eine solche Politik wäre Wahnsinn und eine Politik des Selbst­mords, denn die Vernichtung der Mark führt unmittelbar zur Vernichtung des gesamten wirtschaftlichen Lebens und zum Ab- sterben auch der Industrie, die den inländischen Markt immer mehr verliert und vom Ausland Rohstoffe nicht mehr impor- teren kann, zu schweren Unruhen, wenn nicht gar zum politi­schen Umsturz. Es mag zutreffend sein, daß viele Einzelper­sonen in Deutschland infolge des Verkaufs von Mark sich im Besitze von Devisenbeständen befinden. Aber die hin und wie­der auftretenden hohen Schätzungen des Gesamtbetrags dieses Devisenbesitzes sind sicherlich übertrieben. Die große Masse des deutschen Volkes ist nach wie vor auf die Papiermark angewie­sen und vom Schicksal der Papiermark direkt abhängig. Schon heute kann man sagen, bah das gesamte mobile Kapital Deutschland vernichtet ist. Das ergibt sich vor allem auch aus den Kursen der deutschen Industrie-Aktien. Nur wenige sind gegenüber dem Friedenswert bis auf das Zwanzigfache gestie­gen. Die Mehrzahl der wichtigsten Aktien zeigt nur eine ge­ringe Steigerung etwa auf das Drei- bis Viersache auf. Be­denkt man, daß heute das Verhältnis der Eoldmark zur Pa­piermark mindestens wie 300 zu 1 ist, so wird ohne weiteres erkennbar, daß auch die Besitzer deutscher Aktien an ihrem Geldkapital ungeheure Einbußen gehabt haben. Und die Di­videnden der großen Jndustriegesellschasten und Banken be­trage» auf die Eoldlage zurückgeführt zum Teil sämtlich nur einen Bruchteil eines einzigen Prozents. Die Besitzer von Rentenpapieren haben fast einen Toialverlust erlitten. Und diese Folgen soll Deutschland oder die deutsche Industrie ab­sichtlich herbeigeführt haben! Daß jemand noch kurz vor dem Tode Selbstmord begeht, glaube ich zwar bei einem so geist­vollen Schriftsteller wie Maupassant gelesen zu haben, es kann aber nicht in der Politik eines großen Volkes liegen. Zn Wahr­heit ist die Vernichtung des Markkurses auf die außenpolitisch« Lage und die immer längere Verzögerung einer praktischen Lösung der Raparationsfrage zurückzusühren. Eine Heilung kann nicht durch Zwang, Drohung oder Diktat herbeigeführt werden, sondern nur durch eine Wiederherstellung des Ver­trauens auf der Grundlage der Verständigung und der Zu­sammenarbeit.

In der heutigen Nachmittagssitzung der Reparationskommisston führte Staatssekretär Schröder folgendes aus: Als bei den infor­matorischen Besprechungen mit Sir John Bradburh und Herrn Mauc- löre deutscherseits der Vorschlag ^nacht wurde, dir Holz- und Koh-

lenlicferungen durch privatrechtliche Verträge unmittelbar mit den Lieferanten zu sichern, hatte vorher mit einem gerade in Berlin an­wesenden Vertreter der Kohlcnindustrie gesprochen werden können, der grundsätzlich einverstanden war. Die Anregung der deutschen Regierung geht dahin: Es sollen feste Licfeningövcrträge zunächst bis Ende 1923 und die sür diese Zeit festgesetzten Verträge in der glei­chen Weise abgeschlossen werden, in der sonst im geschäftlichen Verkehr solche Liescrnngsverträgc abgeschlossen zu werden pflegen. Es wür­den hierbei insbesondere auch im geschäftlichen Verkehr sonst übliche Sicherungen vorgesehen werden können. Ein solches Verfahren würde einen sehr erheblichen Unterschied gegenüber dem bisherigen darstcl- len. Bisher mußte die deutsche Regierung die von Zeit zu Zeit durch die Reparationskommisston festgesetzten Lieserungsmengen auf die Produzenten verteilen und von ihnen die Lieferung fordern. Ein« solche Forderung konnte mit den privaten sonst übernommenen Ver­pflichtungen für Lieferungen kollidieren und eS konnten sich infolge­dessen bei der Disposition über die produzierten Mengen für die Pro­duzenten erhebliche Schwierigkeiten für die Möglichkeit der Repara­tionslieferungen ergeben. Wird dagegen ein unmittelbarer Liefe­rungsvertrag von den Produzenten sofort für die sämtlichen Lieferun­gen bis 4§nde 1926 übernommen, dann haben die Lieferanten bei der Uebcrnahme sonstiger Lieferungsverpflichtungen dies« von ihnen frei­willig übernommenen privatrechtlichen Reparationsverpflichtungen von vornherein zu berücksichtigen und können ihre gesamre Disposi­tion hiernach treffen. Dann ist eine unmittelbare und bedingungslose Gewähr der Durchführung gegeben, ebenso wie für jeden anderen privatcechtlichen Lieferungsvertrag. Di« deutsche Negierung hat dann sofort die maßgebenden Vertreter der Kohlenindustrie nach Berlin zusammenberufen und hat gestern mit ihnen ein grundsätzliches Ein­verständnis darüber erzielt, die Verhandlungen dahin fortzuführen, daß die Lieferungen durch privatwirtschaftliche Organisarionen über­nommen werden. Hierbei wurden die Formulierungen über die Ein­zelheiten noch nicht ausgestellt. Man ist vielmehr davon auSgegangcn, daß es sich sehr empfiehlt, diese Formulierungen alsbald in Verhand- lungen mit den abnehmenden Stellen der alliierten Mächte zu suchen. Die deutsche Regierung schlägt deshalb vor, daß sofort zu diesem Zweck unmittelbare Verhandlungen zwischen den abnehmenden Stel­len der alliierten Mächte und den Lieferanten-Syndikalen, vertreten durch die Herren Hugo Siinnes, Peter Klöckner, Lübsen und Silver- berg, unter Beteiligung der ReichZregierung ausgenommen werden und schlägt als Verhandlungsort Wiesbaden vor. Die Verhandlun­gen über die Lieferungen von Holz könnten sich dann unmittelbar an die Verhandlungen über die Kohlen anschließen, nachdem sie in entsprechender Weift durch Erörterungen zwischen der Reichsrcgierung und den Produzenten vorbereitet sind. Die Wetterführung der Ver­handlungen mit den Industriellen hat natürlich nur dann einen Zweck, wenn uns die Reparattonskommission wenigstens einen Fin­gerzeig geben kann, ob überhaupt Aussicht besteht, daß es auf der Grundlage dieses Gedankens zur Gewährung des beantragten Zah­lungsaufschubs bis Ende 1922 konnnen kann. Man kann nicht ver­langen, daß etwa jetzt schon fertige Lieferungsverträge vo-gelegt wer­den, ohne daß man weiß, wohin derartig« Verhandlungen führen. Wenn die Reparattonskommission der Ansicht sein sollte, daß der ganze Gedanke der Lieferungen nicht auSreicht, um den Zahlungsauf, schub zu gewähren, so würde die deutsche Regierung nicht die genann­ten Industriellen zu Reisen und Einzelverhandlungen veranlassen. ES muß wenigstens eine Sicherheit dafür gegeben sein, daß die Repara, tionSkommission den Zahlungsaufschub für den Fall bewilligt, daß über die Einzelheiten noch eine Verständigung erzielt werden wird. Ich bitte daher die Reparationskommifsion, mir zunächst eine Ant- wort auf die Frage zu geben, ob der Gedanke der Lieserungsverträg« ausreichend erscheint, als Bedingung sür den Zahlungsaufschub zu dienen. Wird diese Frage verneint, dann hat die Verfolgung dieses Gedankens keinen Zweck. Wird die Frage grundsätzlich bejaht, so können die Einzelverhandlungen mit den genannten Industriellen so­fort ausgenommen werdrn.

Paris, 30. Aug. In der heutigen Nachmitagssitzung der Repara­tionskonimission ergänzte Staatssekretär Schröder die Ausführungen, die er heule vormittag gemacht hatte. Er beantwortete dann noch einige Fragen, di« von Mitgliedern der Reparattonskommission an Ihn gestellt wurden. Um ^6 Uhr verließ der deutsche Bevollmächtigte die Sitzung.

Franzöfi'che Stimmungsmache.

Paris, 30. Aug. Havas meldet, daß die Reparationskommis» sion sich wahrscheinlich am Donnerstag entscheiden werde. Wird Deutschland, so heißt es in der Meldung weiter, schließlich die Pfänder annehmen, di« die französische Negierung für die Ge­währung des Moratoriums verlangt? Gewisse Persönlichkeiten glaubten weiter daran. In diesem Fall würden keinerlei Schwierigkeiten mehr bestehen. Sollte es aber nicht der Fall sein, so wäre die einzig mögliche Lösung, die im Einklang mtt