Nr. 1S3.
Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.
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97. Jahrgang
Montag, den 21. August 1922.
B «z u o.z vr - t« : In d« Et-dt mit rrSgerlshn Mk. 8«.— vt-rtiljäbrlich. Postbrzua». Mets Mk. 84.— mit Bestellg eld. — Schatz der Anzeigenannahme 8 Uhr von»,» 1 , 4 .
Selbstverständlich gehen bei den politischen Auseinandersct-
Die erneut aufgcnommenen Verhandlungen zwischen Vertretern der bayrischen und NeichSregierung über die Gesetze znm Schutze der Republik sind unter der Leitrmg des Reichspräsidenten zum Abschluß gebracht worden. Die Beschlüsse unterliegen nun wiederum der Prüf»,lg seitens des bayrischen Kabinetts und der Koalitionsparteien.
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!Die Anwesenheit des englischen und französischen Vertreters der Reparationskommission in Berlin gibt der alliicrien Presse Anlaß 4 U mancherlei Kombinationen. Während die englische« Zeitungen sich optimistisch gebärden, und der Hoffnung Ausdruck geben, daß jetzt das Reparationsproblem auf eine vernünftigere Grundlage gestellt werde, nämlich die der Aussprache mit Deutschland und der , Anpassung an seine Leistungsfähigkeit, wird in Paris an dem seit- s herigen Drohsysieni festgehaltcn; eine halbamtlich zu beurteilende
> Meldung besagt nämlich, daß Frankreich zur Gewährung eines ! Moratoriums nur bereit sei, wenn es entsprechende Pfänder ' erhalle. Würden diese Pfänder von der Mehrheit der Reparations- i kommission nicht gutgeheißen, so erhalte Frankreich seine Hand- ! lungsfreiheit wieder. Das soll natürlich heißen, daß die Franzosen s im Falle der Ablehnung ihrer Forderungen auf eigene Faust fich
ihre „Pfänder" sichern wollen, trotzdem sie an einen Mehrheitsbeschluß der Reparationskommission rechtlich gebunden wären. Aber die andern Alliierten haben sich bisher von Paris jede Mißachtung ihrer Auffassung gefallen lassen, daß an einen ernsthaften / Widerstand auch in diesem Falle wohl kaum zu denken wäre. Der
> heute sehr spärlich gehaltene Frühdienst aus Berlin bringt keiner- ! lei Kommentar« über den Gang oder die etwaigen Aussichten der
Verhandlungen zwischen der Rcichsregierung und den Vertretern / Frankreichs und Englands.
Die m neue» Fahrimffer?
* Die Londoner Konferenz, die zum Zwecke der vorläufigen Regelung der Reparationsfrage einbcrufen worden war, ist gescheitert, da die von den Franzosen ausgestellten Forderungen )von den andern Alliirten niecht gbilligt worden waren. Die .Franzosen hatten als Gegenleistung für das von Deutschland gewünschte Stundungsgesuch bezüglich der Ausgleichszahlungen sog. „produktive", d. h. direkt einträgliche Pfänder verlangt, wie 'die staatlichen Bergwerke und Forsten im Rheinland, die Bergwerke im Ruhrgebiet und die „Beteiligung" an der deutschen chemischen Industrie, außerdem auch die Einführung von Zöllen an der Nheingrenze. Alle diese Forderungen bezweckten di« weitere wirtschaftliche Durchdringung des Rheinlands seitens der Franzosen mit der klar verfolgbaren Absicht der allmählichen Einstellung der Interessen des Rheinlands auf die 'französische Wirtschaft und damit auf die Abtrennungspolitik Poincare's. Gleichzeitig mir diesen Forderungen war durch die bekannten Helfershelfer im Rheinland eine neue „Autonomie"- Bewegung eingelcitet worden, die vornehmlich die derzeitigen Auseinandersetzungen zwischen Berlin und München benützte, um die Vorteile eines Anschlusses des Nheinlandes an Frankreich -besser in Erscheinung treten zu lassen. Gegenüber dieser aufs Ganze gerichteten Gewaltpolitik Frankreichs traten die anderen Alliierten nur für die 26prozeutige Abgabe aus der deutschen 'Ausfuhr und die Zolleinnahmen am Rhein ein, da sie sich von den „produktiven" Pfändern keine entsprechenden Einnahmen .versprachen. Da inzwischen der Termin für die Ausgleichszahlungen herangekommen war und Deutschland nur cntsprechecrd seiner Leistungsfähigkeit zahlte, so begann Frankreich mit Er- pressungsmaßnahmen, indem es einmal die Bearbeitung der Entschädigungssorderungen des im Kriege beschlagnahmten deutschen Privatkapitals aufhob und zum andern deutsche Staatsangehörige aus Elsaß-Lothringen auswies, und gleichzeitig ihr Vermögen bis auf einert geringen Bruchteil konfiszierte, auf deutsch: raubte.
So standen die Dinge am Freitag. Am Samstag sind nun überraschenderweise Nachrichten aus Paris, London und Rom verbreitet worden, daß Vertreter der alliierten Regierungen sich nach Berlin begeben würden, um sich dort über die finanzielle Lage Deutschlands zu unterrichten und sich Unterlagen 'über die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu besorgen, damit möglichst schnell das Gesuch der deutschen Regierung nach einer Stundung der Ausgleichszahlungen beantwortet werden könne. Bekanntlich war in London beschlossen worden, der Rcparationskommission die Beantwortung des deutschen Stundungsgesuchs zu übertragen, und nun teilt die englische Regierung mit, daß die alliierten Regierungen, nach Kündigung ides Ausgleichsabkommens, einzeln mit der deutschen Regierung
über die Zahlungen verhandeln, und das Ergebnis der Verhandlungen der Reparationscommission zur Einoerstündniser- rlärung unterbreiten wollen. Die Bezahlung der auf 1ö. August fälligen Ausgleichsleistungen von 2 Millionen Pfund soll erst in vier Wochen gefordert werden, sodaß wir jetzt eine Atempause Hütten. Zugleich mit den französischen und englischen Meldungen stellte die französische Presse aller Richtungen plötzlich Betrachtungen an über die Notwendigkeit (!), die Reparationssrage mit Hilfe direkter deutsch-französischer Abmachungen auf wirtschaftlichem Gebiete zu regeln. Ob diese neue Auffassung innerhalb der öffentlichen Meinung Frankreichs, die bei ihrer Plötzlichkeit und Übereinstimmung selbstverständlich nur auf Informationen am Quai d'Orsay zurllckzuführen ist, ehrlich gemeint ist, das werden wir erst sehen, wenn wir die Verhandlungsgrundlagen kennen lernen, die Frankreich dann bekannt geben .müßte. Vorerst haben wir leinen Grund, optimistisch zu sein, denn aus Paris wurde gemeldet, daß die Franzosen hoffen, Deutschland werde gutwillig (!) die Pfänder (!) und Garantien bewilligen, ohne die die französische Regierung einem Moratorium nicht zustimmen könne. Wenn es sich um die alten, oben skizzierten Forderungen handeln würde, so weiß doch Herr Poincare, daß wir uns dazu noch weniger freiwillig hergeben würden als die Vertreter seiner Bundesgenossen. Die Frage der nächsten Tage und Wochen ist nun die, wurden in London die Einzclverhandlungen mit Deutschland beschlossen, um Frankreichs moralische Niederlage zu bemänteln, und ihm Gelegenheit zur Mäßigung seiner Forderungen zu geben, oder aber wollten die anderen Alliierten angesichts der unnachgiebigen Haltung Poincares die Verantwortung für die Folgen dieser Katastrophenpolitik nicht übernehmen. ,Diese letztere Möglichkeit würde allerdings die schwersten Komplikationen außenpolitischer Natur in Aussicht stellen, und eine solche Haltung der Alliierten wäre gleichbedeutend mit dem Benehmen Amerikas, das nach der Niederwerfung Deutschlands sich plötzlich zurückzog, weil Wilson seine gemäßigten Friedensbedingungen angeblich nicht durchzudriicken vermochte. Mit anderen Worten, die Alliierten würden dann den billigen Standpunkt des Pilatus cinnchmen, der einfach dem Verbrechen seinen Lauf ließ, ohne sich die Mühe möglichen Widerstandes zu nehmen.
Die außenpolitische Krisis ist heute auf einem Kulminationspunkt angelangt, von dem aus eine Entscheidung, wenn auch nur ans Monate hinaus sich entwickeln muß. Es wird sich in diesen Tagen zeigen müssen, ob die Erfüllungspolitik des Kabinetts Wirth angesichts der französischen Sabotage an diesem Werke zusammcnbrechen wird, oder ob sie uns doch infolge ihrer Zähigkeit zu einigermaßen erträglichen Beziehungen zu unfern Gegnern mit der Zeit führen kann. Angesichts unserer militärischen Ohnmacht gab es für uns nach dem Zusammenbruch und dem Versailler Diktat, zwei Möglichkeiten. Entweder wir lehnten das Diktat und später ebenfalls die ungeheuerlichen finanziellen und wirtschaftlichen Reparationsforderungen ab, auf die Gefahr der Abtrennung des Nheinlandes, der Besetzung des Ruhrge- bicts, und der schließlichen Zertrümmerung der deutschen Einheit, oder wir versuchten, in den Grenzen unserer Leistungsfähigkeit das Unerfüllbare zu erfüllen, oder vielmehr die Unerfüllbarkeit durch Tatsachen zu beweisen. Diese Tatsachen sind nun vorhanden. Wie können zahlenmäßig gewaltige Reparationsleistungen Nachweisen, wir können Nachweisen, daß unter der Einwirkung dieser Zahlungen und unter den trotzdem fortgesetzten französischen Drohungen die deutsche Finanz- und Volkswirtschaft auf einen bisher unerhörten Standpunkt gelangt ist. Zwar behauptete Herr Poincare, das sei deutsche Mache, aber die von Frankreich verlangte Feststellung des bösen Willens Deutschlands hat weder das Carantiekomitee noch die Reparationskommission machen können.
Wir hätten also die erste Etappe der auf lange Sicht eingestellten Erfiillungspolitik erreicht, mit dem Zugeständnis der Mehrzahl der Alliierten, daß wir eine Ermäßigung der Reparationsleistungen brauchen, und weiterhin eine internationale Anleihe, auf Grund deren die deutsche Finanz- und Volkswirtschaft etwas von den Lasten der Reparationen befreit werden könnte. Die daraufhin abzielenden Verhandlungen sind aber fraglos seither deswegen gescheitert, weil Amerika sich bis jetzt noch nicht bereit erklärt hat, Frankreich inbezug auf seine Kriegsschulden entgegenzukommen. Deshalb ist wohl auch die Londoner Konferenz wieder auscinandergegangen, um das immer noch in der Schwebe befindliche Problem der alliierten Kriegsschulden vorher zu lösen, ehe man zu endgültigen Entscheidungen über die etwaige Herabsetzung der Reparationsleistungen und im Zusammenhang damit die internationale Anleihe für Deutschland schreitet.
Zungen der Alliierten auch andere große Fragen nebenher, die natürlich die jeweiligen Entscheidungen ebenfalls zu beeinflussen geeignet sind. Die scharfe Abweisung der Forderungen Poincare's durch Lloyd George hat, wenn auch nicht zu einer grundsätzlichen, so doch zu einer vorübergehenden Störung der englischfranzösischen Beziehungen geführt, aus der sofort das alte Spiel Poincare's entsprang, scheinbare Vcrständigungsversuche mit Rußland anzubahnen, indem man einem etwas fortschrittlich gesinnten Abgeordneten zur Aufnahme direkter „wirtschaftlicher" Verhandlungen nach Moskau sandte. Dieser Schachzug Frankreichs dürfte aber noch eine andere Bedeutung in der Richtung haben, daß man die russisch-türkischen Beziehungen, die den Alliierten sehr unangenehm sind, vielleicht dadurch zu verfolgen Gelegenheit nehmen 'will, denn die Orientfrage scheint infolge der aktiven Politik der türkischen Nationalisten einerseits, die den ganzen Orient und Vorderasien für sich gewonnen haben, und der durch die Entente verschuldeten griechischen Abenteuerpolitik in Kleinasien heute komplizierter als je. Wir werden in den kommenden Tagen und Wochen über alle diese Ding« wohl manche Aufklärung erhalten, für uns gilt aber in dieser Zeit als geschlossener Einheitsstaat nach außen hin aufzutrrten, indem alle Kreise und Parteien die Reichsregierung auf ihrem durch das Stundungs- und Anleihegesuch eingeleiteten Weg« zu dem Ziele dem Durchbrechung der französischen Erpressung?- und Ausbeutungspolitik unterstützen. O. S.
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Zum Aufenthalt der Mitglieder
der Neparationskommisfion in Berlin
London, 19. Aug. Zu der Entsendung Bradburys und Mauc- Kres nach Berlin meldet die „Times" aus Paris, trotz der Haltung eines Tests der französischen Presse trete in Paris ein versöhnlicher Geist zutage, so auch bei dem französischen Teil des Entschädigungsausschusses. Es sei aber wohl zu verstehen, daß es für Poincares Stellung gefährlich sei, den Anschein zu erwecken, als gebe er nach. Es sei ein offenes Geheimnis, daß Vorschläge über neue Garantien nicht nur von Seiten der britischen, sondern auch der französischen Abordnung erfolgt find. Den sensationellen Ueberschriften in der französischen Presse betr. eine mögliche Besetzung des Ruhrgebietes innerhalb 48 Stunden, sowie über Pläne über eine Beschlagnahme- der deutschen Bergwerke und Wälder brauche keinerlei übertriebene Bedeutung beigemessen zu werden.
Berlin, 21. Aug. Wie die Morgenblätter berichten, sind die beiden Mitglieder der Reparationskommission, Vradbury und Mauclöres gestern abend in Berlin «ingetroffen. Bradbury hatte sogleich eine längere Besprechung mit dem hiesigen englischen Botschafter. Heute vormittag werden die beiden Abgesandten der Repa- rationskommifsion vom Reichskanzler Dr. Wirth empfangen wer- den. Daran werden sich Besprechungen mit den Ressortministern anschließen, je nachdem, welches Spezialgebiet die Fragen betreffen wer- den, die die Reparationskommisston stellt.
Frankreich verlangt unentwegt feine „Pfänder- für ein Moratorium.
Paris, 20. Aug. Zur Reise der beiden Delegierten der Re- parationskommission nach Berlin, schreibt „Petit Parisien", offenbar beeinflußt: Wir glauben, bestätigen zu können, daß, wenn eine zugunsten eines Moratoriums getroffene Entscheidung nicht die von Frankreich verlangten Pfänder enthält, wenn sie im Gegenteil ^Kompromisse in sich schließt, die vom franS- sischen Stundpunkt als unannehmbar angesehen werden, sich die französische Regierung für berechtigt halten wird, demgemäß zu handeln.
Eine englische Stimme zur Lage.
London, 18. Aug. In einem Leitartikel schreibt die „Times", man könne die Haltung Deutschlands beurteilen wie mcksi wolle, der Sturz der Mark sei symptomatisch für den Prozeß, der nicht fortdauern dürfe. Die Tatsache allein, daß die Neparations- kommission nach einem Kompromiß und nach Gründen einer Verschiebung des ganzen Problems suche, sei ein hoffnungsvolles Zeichen, das bedeute vor allem, daß Frankreich fest entschlossen sei, nicht selbständig vorzugehen. Der Berichterstatter der „Times" schreibt über die angestrengten Bemühungen, die unternommen werden, um die Reparationskommission in Stand zu fetzen, einen Weg aus dem Reparationsdurcheinander zu finden. Man sei ernstlich auf der Suche nach einem Kompromiß. Die Lage scheine jedenfalls keineswegs s» hoffnungslos wie noch vor 24 Stunden. An einer etwaigen neuen Konferenz dürsten auch die beiden Länder teilnehmen, die an dieser Nachkriegs- konferenz bisher nicht beteiligt waren: Deutschland und Amerika. Deutschland, das ohne seine Schuld von der Konferenz ausge«