Nr. 139

Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw

97. Jahrgang

iLrlcheinuntzrweri*: Lmrtt wöchentlich. AnzriyenpreiS: Dir Nrinipattige Zette M 2.ö^ Neklamln Mk 7.. Auf Sammelanzeigen kommt ein Zuschlag von 100 Fernspr. 9.

Montag, den 19. Juni 1922.

Br,u

preis 3

SpretS: In der Stadt mit Tritoerlohn Mk. 60. vierteljührNch. Postbezug-» SO. mit Hestellgeld. Schluß der Anzeigenannahme 8 Uhr vormittags.

Neueste Nachrichten.

Die Frage der Erhebung einer Getreiden m läge scheint zu einer Rcgierungs- und Parlaincntskrisis führen zu wollen, da die Sozialdemokraten im Falle der Ablehnung mit einem Ausscheiden aüF der Regierung drohe». Ta außer de» Rechtsparteien auch die Unabhängigen und Kommunisten, allerdings aus entgegengesetzten Gründen gegen die Umlage stimmen wollen, so müßte mit einer Ablehnung gerechnet werden. Zurzeit werden jedoch noch Ver­handlungen zwecks Beilegung der Krisis geführt.

.

AuS Anlaß des Besuchs Poincares in London zu Zwecken der Ver­tiefung des englisch-französischen Bündnisses äußert sich die Presse beider Länder übe« die Fragen, die neben den äußeren Formen der erneuten VerbrüdcrungSfcier die Staatsmänner behandeln wer­den. Einmal will man die Orientfrage besprechen, die ver­schiedene Schwierigkeiten hat, weil Frankreich die Türken unter­stützt, während England eS zurzeit mit den Griechen hält, und weil sich die Herrschaften über dir Verteilung derMandate" im ehe­maligen türkischen Reiche noch nicht klar sind. Zum andem soll die Haltung der Entente im Haag zur Sprache kommen, wo Eng­land zur Mäßigung der Forderungen geneigt ist, während die Franzosen ihre Ansprüche restlos geltend mache,« wollen. Dieselben Auffassungen traten auch hinsichtlich der Reparationsfrage biS jetzt in Erscheinung. Allerdings scheint in den letzten Wochen doch die schon länger in Erwägung gezogene Lösung greifbare Ge­stalt angenommen zu haben, daß man die Regelung der deutschen Zahlungen in Verbindung mit der Regelung der alliierten Schul­den bringen will, d. h. daß die Franzosen sich zu Abstrichen be­reit erklären wollen, wenn die Amerikaner und Engländer die französischen Kriegsschulden herabsetzen bzw. annulliere».

Zur Neparaliorrs- und Anleihefrage.

Tue deutsche Valuta fällt von einem Sturz in den andern, in Rußland verhungern Hunderttausende im Jahre, die Entente aber, die an diesen furchtbaren Zuständen die Hauptschuld trügt, wenig­stens was Deutschland anbelangt, zeigt keinerlei Neigung, das Tempo der eingeleiteten Beratungen unter sich und der Verhandlungen mit den Schuldnerstaaten zu beschleunigen. Wie anfangs des Jahres die Konferenz der Alliierten von Cannes gesprengt worden war, auf der Lloyd George die gesamte Reparationsfrage mit der endgül­tigen Festsetzung der deutschen Zahlungen zur Debatte stellen wollte, um gegebenenfalls eine Revision zu erlangen, so wurde auch die Tagung von Genua schließlich deshalb aufgehoben, weil man weder die Neigung noch den Mut hatte, an die Grundprobleme heranzu- treten, von deren Lösung all..,« die Möglichkeit einer Bekämpfung der seit Kriegsschluß fortdauernden politischen und Wirtschaftskrisen abhängt. Bei Deutschland war es die nach dem Urteil von Sach­verständigen auch von feindlicher Sette zugegebene Tatsache, daß die geforderten Reparationssummen unaufbringlich sind, und daher nicht nur unsere Finanzkraft ruinieren, sondern als direkte Folge davon auch unsere Kreditfähigkeit im Auslande, bei Rußland war es die Forderung, daß die jetzige Regierung die Vorkriegs- und Kriegs­schulden der Zarenregierung anerkennen soll, und außerdem die Privatguthaben der Ausländer. Es ist also schon richtig, was Tschi- tscherin über die Genueser Konferenz gesagt hat, daß auf ihr die Alliierten und ihre Trabanten lediglich ihre Jnteressenforderungen durchzusetzen versucht haben, während man sich um den wirtschaft­lichen Wiederaufbau Europas und Rußlands verflixt wenig geküm­mert hat, d. h. abgesehen von den billigen Phrasen, die darüber los­gelösten worden waren.

Da ein taktisches Zusammengehen der beiden Schuldnerstaaten, Deutschland und Rußland, in Genua von selbst gegeben war, so wurde der Anlaß des schon in Berlin vorbereitsten deutsch-russischen Wirtschaftsabkommens als Vorwand benützt, die Verhandlungen mit den beiden Staaten getrennt vorzunehmen, damit eine gemeinschaft­liches Handeln der letzteren möglichst erschwert, bzw. verhindert würde. So verlegte man die Verhandlungen über die deutsche Außen­anleihe nach Paris, und die Beratungen über die russische Frage nach Haag. Der internationale Anleiheausschuß, der in Paris über die Gewährung einer Anleihe an Deutschland beraten sollte, die uns in die Lage setzen sollte, einerseits den Staatshaus­halt in Ordnung zu bringen, andererseits die Reparationen zu be­zahlen, hat sich nach verschiedenen Lösungsversuchen auf 3 Monate vertagt, weil die Franzosen auf die Wünsche des Anleiheausschustes, erstens die Reparationssumme auf ein, nach Ansicht der Finanzsach­verständigen, erträgliches Maß herabzusetzen, und zweitens die Po­litik der Zwangsmaßnahmen aufzugeben, wiederholt in ablehnen­der Weise sich ausgesprochen haben. Poincarä hat bekanntlich ver­schiedentlich in unzweideutiger unter dem Beifall der Presse und

Volksvertretung erklärt, daß er eher für Zahlungsaufschub gegebenen­falls zu haben sei, als für Aufgeben der »gerechten' Forderungen Frankreichs und der damit verbundenen .Rechte' zu Zwangsmaß­nahmen Und die Kammer hat ihm erst kürzlich inbezug auf die auswärtig: Politik daS Vertrauen ausgesprochen. Gleichzeitig mit der Tagung des internationalen Anleiheausschustes wurden auch deutscherseits direkte Unterhandlungen mit der Reparationskommis­ston geführt, die seither aber über das Stadium der Aufnahme und Prüfung der deutschen Sachverständigengutachten noch nicht hinaus­gekommen zu sein scheinen. iDs Alliierten wünschen eben eine voll­ständige Kontrolle über unfern Staatshaushalt und dazu noch über unsere Ausfuhr, mit andern Worten Aufgabe der deutschen Finanz­hoheit und nebenbei die offizielle Anerkennung der Berechtigung zur Handelsspionage, die sie ja jetzt schon bis zu gewissem Grade durch die Kontrollkommissionen auSüben lasten, die den .Abbau der deut­schen Kriegsindustrie' überwachen sollen. Ta eine große internatio­nale Anleihe wegen der Sabotage Frankreichs gescheitert ist, so scheint man in Paris eine kleine Anleihe propagieren zu wollen, die eS uns ermöglichen soll, die Reparationszahlungen der nächsten Monate zu leist°n, ohne die durch die Devisenaufläufe stets in Erscheinung tretenden verhängnisvollen Kursstürze der deutschen Mark befürchten zu müssen. Wie man in den Kreisen der deutschen Regierung darüber denkt, darüber verlautet im Augenblick noch nichts Bestimmtes, in in­dustriellen Kreisen scheint man sich jedoch von einer solchen vorläu­figen Lösung nichts zu versprechen, die zwar die Franzosen aus ihren finanziellen Schwierigkeiten zeitweise befreien würde, aber un­sere durch die Ausrechterhaltung des Erprestungs- und Drohsystems dauernd unsichere Finanz- und damit auch Wirtschaftslage keines­wegs bessern würde, wenn nicht gleichzeitig die begründete Hoff­nung auf eine endgültige Regelung der Reparationsfragc gegeben wäre. Die Vertagung des internationalen Anleiheausschustes dürste unseres Erachtens Wohl auch damit im Zusammenhang stehen, daß die Ententestaatcn und das mit ihnen im geheimen arbeitende Ame­rika zuerst das Ergebnis der Haager Konferenz abwartcn wollen, auf Grund dessen sie dann sowohl in wirtschaftlicher wie in politischer Hinsicht festere Richtlinien für ihre Haltung gegenüber Deutschland besitzen. Man hat bei uns in den letzten Wochen viel davon gespro­chen, als ob der internationale Anleihcausschuß eine in erster Linie wirtschaftliche Vereinigung internationaler Sachvcrständiacr sei. Wer weiß, in welcher engen Wechselwirkung Politik und Volks­wirtschaft namentlich in den am meisten beteiligten Staaten. Eng­land und Amerika, sich befinden, wird sich auch darüber vollkommen klar sein, daß hinter den angelsächsischen Finanzgrößcn ihre Re­gierung steht, d, h. die Regierung ist lediglich das auslührende Organ dieser Finanz- und Jndustriekönige, und daß bei allen Finanz- und Wirtschastsoperationen, die von Newyork und London aus gemacht werden, das politische Moment eine vielfach ausschlag­gebende Rolle spielt, und besonders in diesen Fällen der internatio­nalen Anleihen an große Staaten spielen muß. Deshalb wird die gesamte deutsche Reparationsschuld auch nur durch eine inter­nationale Anleihe mobilisiert werden, wenn die Angelsachsen glauben, daß sie auf eine genügende Sicherheit hinsichtlich der .friedlichen' politischen Entwicklung Europas in den nächsten Jahren rechnen dürfen.

Deshalb wollen auch sowohl England als Amerika die deutsche ReparatlonZschuld auf ein Maß herabsetzen, das nach ihrer Ansicht noch erträglich für Deutschland ist, wodurch einmal den Franzosen die Möglichkeit genommen würde, uns dauernd mit Gewaltmaß­nahmen zu bedrohen, andererseits aber auch infolge der Stabilisie­rung des deutschen Wechselkurses die scharfe Konkurrenz der deut­schen Industrie auf dem Weltmarkt nicht mehr so gefürchtet werden brauchte, und das umsoweniger, als wir unsere Gewinne großen­teils für die Reparationen aufwenden müssen, also kein so großes Betriebskapital wie die Angelsachsen zur Verfügung haben. Der Wiederaufbau Deutschlands wie Rußlands wird also letzten Endes nicht von dem guten Willen dieser Staaten abhängen, sondern von dem Ausgleich der widerstreitenden Interessen Frankreichs und der angelsächsischen Staaten, deren Geltendmachung aber, das darf man nicht vergessen, in absehbarer Zeit keinen grundsätzlichen Cha­rakter annehmen wird, so daß Deutschland und wohl auch Ruß­land immer wieder seinen Rücken für den AuStrag dieser Jnter- essenkämpfe wird hergeben müssen. O. 8.

«

Verknüpfung der Reparationsfraae mit der Schuldentilgungsfrage der Alliierten.

Paris, 18. Juni. Der Londoner Berichterstatter desTemps" übermittelt seinem Blatt die Nachricht, daß das Reparations- Problem von englischer Seite zum Gegenstand eines Meinungs­austausches gemacht werden würde. Man werde vielleicht die von Sir Robert Horne und Sir Basil Blackett ausgegangeneu

Vorschläge wieder aufnehmen, nach denen Frankreich seine Schulden bei England und Amerika durch Schatzscheine der Serie E begleichen könnte. Auf diese Weise würden Frankreichs Schulden bei den Alliierten, zu gleicher Zeit auch die deutschen Schulden entspreche,«d herabgesetzt, da die Engländer und Ame­rikaner, soweit der Berichterstatter desTemps" zu berichten weiß, die Obligationen der Serie für wertlos hielten. Selbst­verständlich sei ein derartiges Abkommen nur mit Zustimmung der Vereinigten Staaten möglich. Es gebe aber ein Mittel, das Ziel zu erreichen, wenn es nämlich allgemein für wünschens­wert erklärt werde, das Reparationsproblem mit der Frage der interalliierten Schulden zu verknüpfen.

Die Aufgaben des Garantiekomitee's der Entente in Berlin.

Paris, 17. Juni. Das Garantiekomitee reist heute nachmittag nach Berlin ab. Ein französischer Finanzsachverständiger hat aus Anlaß der Abreise des Komitees dem .Excelsior' erklärt, daS Komitee sei von der Reparationskommission beauftragt, im Beneh­men mit der deutschen Regierung alle die Vorbereitung der Budget- und Finanzgesehe betreffenden Maßnahmen zu regeln, sowie die Schatzoperationen und die deutsche schwebende Schuld zu beaufsich­tigen. Das Komitee übe hierbei nur rin UrberwachungSrecht aus, das der deutschen Staatshoheit keinen Abbruch tue, jedoch die Re­parationskommission instand setze, sich des tatsächlichen Standes der deutschen Finanzen zu vergewissern. Die deutsche Regierung könne und müsse alles in ihrer Macht stehende tun, um ihre Finanzlage zu sanieren.

Die Naumung Oberfchlefiens.

Das obdrschlesische Räumungsabkommen zwischen Deutschland, Polen und der interalliierten Kommission, ist am 15. dS.*Mts. spät in der Nacht noch unterzeichnet worden. Die interalliierte Kommission hat im Anschluß an die Unterzeichnung die neue Grenzlinie den be- teiligten Mächten, d. h. Deutschland und Polen, notifiziert. Damit ist das Signal zur endgültigen Räumung des Abstimmungsgebiets ge­geben, die Wiederkehr Westoberschlesiens zum Mutterlande, aber auch der (hoffentlich nurvorläufige') Verlust der östlichen Kreise der Provinz definitiv eingeleitet.

Zum Verständnis der bevorstehenden Räumung und ihres ver­mutlichen Verlaufes, geben wir nachstehende Einzelheiten aus den Bestimmungen dcS Oppelner Abkommens wiederl Nach diesem Ab­kommen wird also die Räumung schrittweise und zu den Zeiten und in den Abschnitten vor sich gehen, wie sie nach dem Räumungsplan der interalliierten Kommission festgesetzt werden. Sobald die Uebergabe in einem jeden der Abschnitte erfolgt ist, ist in dem be­treffenden Kreis die Regierungsgcwalt der interalliierten Kommis­sion zu Ende. Wichtig ist die Bestimmung, wonach zunächst in jedem Kreise die Abstimmungspolizei aufgelöst werden wird, bevor die deutsche bezw. polnische Polizei einrückt und die interalliierten Truppen abmarschieren, und zwar spielt sich die Räumung in jeder Zone so ab, daß am ersten Räumungstage die Auflösung der Ab­stimmungspolizei vorgenommen und am zweiten Räumungstage die deutsche und bezw. polnische Polizei in die betreffende Zone ge­führt wird, am driten Tage werden die interalliierten Truppen ab­rücken und am vierten Tage der Einmarsch der deutschen, bezw. der polnischen Truppen vorsichgehen. Die deutsche, bezw. polnische Polizei steht bis, zu dem Zeitpunkt, in dem der interalliierte Kreis­kontrolleur den zu räumenden Abschnitt verläßt, unter dessen Ober- oefehl. Sobald in den einzelnen Kreisen das Uebergobeprotokoll unterzeichnet ist, werden die alliierten Fahnen entfernt und die deut­schen. bezw. polnischen Farben unter den üblichen Ehrenbezeugungen gehißt. Der Zolldienst an der neuen deutsch-polnischen Grenze tritt drei volle Tage nach der Notifizierung in der im Genfer Abkommen vorgezeichneten Form in Kraft, ebenso der Post-, Fernsprech- und Eisenbahndienst, letzterer jedoch mit der Einschränkung, daß die interalliierte Kommission bis zum Abtransport ihres Personals und der letzten alliierten Truppen die Oberaufsicht über die Eisenbahnen behält. Die offizielle Gesamtübergabe der Regierunpsgewalt erfolgt jeweils am Sitze des letzten an Deutschland oder Polen zu über­gebenden Kreises; für den deutjchbleibenden Teil in Oppeln. Nach der Gesamtübergabe verläßt die interalliierte Kommission sofort das Abstimmungsgebiet.

Die Tauer der Räumung wird, wie schon bereits angckündigt, 24 Tage betragen und am Sonnabend, den 17. ds Mts., beginnen. Entsprechend dem Abkommen und dem.mungsplan der Inter­alliierten Kommission wird daher am Sonnabend nur für die Abstim­mungspolizei in den Kreisen Kreuzburg und Oberg' gau, sowie in Kattowitz-Stadt und -Lanv aufgelöst werden.

Am Sonntag kommt die polnische und deutsche Polizei ln die betreffenden Gebiete und zwar von Deutschland je eine Hunüert- »