unterstehen, was das rechtsuchende Publikum natürlich außerordentlich belästigt. Noch schlimmer aber ist, daß die Bevölkerung der Hohenzollern- schen Gemeinden Eseratsweiler und Sieberats- ueiler au der Bahnlinie Lindau-Kempten zu ! rem Amtsgericht Kloster Wald, das abseits d.r Bahn in der Nähe von Sigmariugen liegt, eine mindestens sechsstündige Eisenbahnreise durch vier Staaten machen muß, um nur die dem Gericht nächste Station zu erreichen. Ein Versuch, das kleine Ländchen für das Rechts« wesen dem Landgericht Tübingen anzugliedern, scheiterte, weil Preußen einen Landgerichtsdirektor stellen wollte, während Württemberg nur einen preußischen Landgerichtsrat genehmigte. So fristet das Landgericht Hechin gen sein ziemlich arbeitsloses Dasein auf Kosten der preußischen Steuerzahler weiter. Auch Württemberg hat eine ganz unsinnige Abgrenzung der Gerichtsbezirke. So gehört Schorndgrf, das vor den Toren Stuttgarts liegt, zum Landgericht Ell- wangen, welche Stadt an der Perpherie des Landgerichtsbezirks liegt und nur 5000 Einwohner zählt, während im Zentrum des Bezirks die bedeutenden Städte Gmünd und Aalen liegen. Neuenbürg und Wildbad gehören zum weit entfernten Landgericht Tübingen, Kirchheim u. T., in der Nähe Stuttgarts gelegen, gehört nach dem fernen Ulm, während die Bevölkerung von Neu-Ulm, das mit Ulm wirtschaftlich eine Einheit darstellt, aber allerdings bayerisch ist, dem Landgericht Memmingen zugewiesen ist. Wenn eine Reform der Gerichtsbezirke eingebahnt wird, müßten ausschließlich wirtschaftliche und verkehrstechnische Gesichtspunkte maßgebend sein; die Zugehörigkeit zu einem Bundesstaat darf absolut keine Rolle spielen. Ein Unikum ist es, daß die alte Bergfeste Hohentwiel bei Singen zur 41 Kilometer entfernten württembergischen Stadt Tuttlingen gehört; so hat ein Bewohner des Hohentwiels das zweifelhafte Vergnügen, zur Anmeldung eines neugeborenen Sprößlings eine weite Bahnreise zum Standesamt nach Tuttlingen zu machen. An den einfachen Ausweg, den Hohentwieler Förster im Nebenamt mit den standesamtlichen Geschäften zu betrauen, hat man noch nicht gedacht.
Verschiedenes.
— Die silberne Hochzeit desKaiser- paares. In Berlin hat sich ein Komitee zur Sammlung einer Spende für unser Kaiserpaar gebildet, das am 27. Februar 1906 das Fest der silbernen Hochzeit begeht. In dem Aufruf heißt es, das Lieblingswerk Ihrer Majestäten ist die zum Gedächtnis unseres großen Heldenkaisers zu Berlin errichtete Kaiser Wilhelm- Gedächtniskirche. Es soll deshalb vor allem der fertige Ausbau dieses Nationaldenkmals unserem Kaiserpaare als Gabe zu dem Tage seiner silbernen Hochzeit dargebracht und weitere Spenden für den Ausbau der zum Gedächtnis an die Kaiserin Augusta erbauten Gnadenkirche und zur Unterstützung von Wohltätig- keitseinrichtungen für Arme und Kranke verwendet werden, als ein Zeichen des tiefsten Dankes für alles, was selbes in den 25 Jahren zum Wohls seiner Untertanen, besonders in religiöser Beziehung, getan hat. — Die Berl. „Neuest. Nachr." knüpfen daran die Meldung, daß die „Köln. Volkszeitung" gegen diesen Aufruf Verwahrung eingelegt hat.
— Bürgermeister und Großherzog. Auf einer musikalischen Veranstaltung, die Oberbürgermeister Dr. Gaßner in Mainz am Abend des 9. September in seiner Villa zu Ehren des zur Eröffnung der Photographischen Ausstellung nach Mainz gekommenen Großherzogs gab, trug sich, dem Fränkischen Kurier zufolge, eine heitere Episode zu. Auf dem Programm stand: „Brahms' Rhapsodie für Klavier". „Die wie vielte ist es?" erkundigte sich der Landesherr, der bekanntlich sehr musikalisch ist, bei dem Oberbürgermeister. Unser Stadtoberhaupt, hatte aber — ob nur in diesem Augenblick oder überhaupt, das steht dahin — keine Ahnung, wie viel Rhapsodien Brahms hinterlassen hat, und erwiderte mit bemerkenswerter Kaltblütigkeit auf gut Glück: „Die siebente, königliche Hoheit!" Ernst Ludwig aber klopfte ihm lachend auf die Schulter und sagte: „Nanu, es gibt ja bloß zwei!"
— Die Tiere im Regen. Die Wirkungen eines Regentages auf die Tiere in einem Zoologischen Garten sind äußerst interessant zu beobachten, erklärte jüngst ein Beamter des Londoner
„Zoo." „Jener große Wolf ist an einem Regentag ausgelassen und springt munter umher. Alle Wölfe machen es so; der Regen erheitert sie. Ganz anders dagegen verhalten sich die Löwen. Sie sind unruhig, aufgeregt, knurren und brummen, bis man ihnen eine Extraportion Fleisch oder eine große Pfanne voll warmer Milch gibt. Dann schlafen sie; aber jeder Regentag scheint den Löwen und der ganzen Katzenfamilie auf die Nerven zu fallen. Schlangen werden immer in einer bestimmten Temperatur gehalten, so daß die feuchte Luft sie eigentlich nie erreicht. Aber ich habe immer bemerkt, daß an Regentagen alle Reptilien lebhaft und heiter sind, wenn man das von Reptilien sagen kann. Das Rotwild, die Bären, die verschiedenen Arten wilder Ziegen scheinen sich um den Regen nicht zu kümmern. Die Vögel sind bei Regenwetter ganz untröstlich und traurig. Sie singen nicht, sie zirpen kaum und fühlen sich so elend wie möglich."
— Wahres Geschichtchen. Bei einem jüngst niedergegangenen Hagelwetter lief ein schwäbisches Bäuerlein barhäuptig vor sein Haus und rief: „Liebs Herrgottle, hör auf, i bin net versichert! Auweh-auweh, auweh!"
— DerMinister in der vierten Klasse. Daß der preußische Eisenbahnminister Budde die Ueberraschungen liebt, ist schon mehrfach berichtet worden. Jetzt wird aus Kassel folgendes Geschichtchen mitgeteckt: Exzellenz Budde wurde am Freitag vormittag gegen 11 Uhr auf dem Bahnhof in Kassel von den versammelten Mitgliedern der dortigen Eisenbahndirektion erwartet. Budde kam von Wilhelmshöhe, wo er gegenwärtig wohnt, und als der Zug einlief, sglaubten die Herren der Direktion, die durch einige Besuche schon allen wohlbekannte Gestalt des Ministers natürlich aus der ersten Wagenklasse steigen zu sehen. Aber kein diensteifriger Schaffner öffnete das Coupö, und es gab sehr erstaunte Gesichter, als Seine Exzellenz freundlich grüßend — aus einem Wagen vierter Klasse stieg. DerMinister hatte offenbar die Fahrt unternommen, um sich in die Verhältnisse dieser sozial so bedeutungsvollen Wagenklaffe persönlich einen Einblick zu verschaffen und sein Interesse daran zu bekunden.
Mit verschränkten Armen stanv Professor von Dorn am Fenster, sein Auge hing an dem bräutlichen Mädchen dort drüben, sein Herz blutete, daß sie ihm verloren für alle Ewigkeit. Ja, wenn sie nur auch in der Tat glücklich würde!
„Auf ein Wort, Herr Professor," vernahm er dicht neben sich die heisere Stimme Lehnerts, „es betrifft etwas rein Geschäftliches; L>ie kennen Sennor Malejos genau?"
„Wie Sie das ausfasfen, Herr Kommerzienrat ; jedenfalls stehe ich auf gutem Verkehrsfuße mit ihm."
„Haben Sie irgend welchen Einfluß auf ihn?"
„Was wünschen Sie von mir, Herr Kommerzienrat, ich will Ihnen gern zu Diensten sein."
„Ha, ja — o, es ist nur eine Bagatelle, der Sennor will Herkommen. Er — er hat Depositen bei mir stehen und ich — ich muß verreisen — vielleicht schon morgen — oder heute Nacht. Sie begreifen — daß es mir fatal wäre, wenn er unnötig käme; vielleicht könnten Sie ihm — telegraphieren — er wird dann gewiß nicht kommen — und mir wäre ein großer Gefallen damit geschehen — ach ja, ein sehr großer Gefallen, Herr Professor."
Der scharfsichtige Psychologe stutzte; hier lag ein vielleicht furchtbares Geheimnis verborgen; stand nicht für den bleichen Mann da vor ihm alles auf dem Spiele? Weshalb wohl stellle er ihm sonst dies eigentümliche Anliegen?
„Ich bedaure, Herr Kommerzienrat, Ihnen hierüber leider nicht dienen zu können," ent- gegnete er ablehnend, „um mich in die Privatangelegenheiten Sennor Malejos zu mischen, stehe ich demselben denn doch zu fremd gegenüber und kann dabei auch Ihnen nichts nützen. Wenn Sie Ihre Reise —"
„O bitte, Herr Professor, nicht so laut! Ich erwähnte dieselbe nur so nebenbei; es ist völlig Privatsache und würde auch niemand interessieren."
„Je nun, dann ließe sich gewiß ein Arrangement treffen, daß Sie Malejos Hierherkommen entweder abwarten oder sich durch Ihren Buchhalter vertreten ließen."
„Nein, niemals! Ich sage Ihnen, Drummer ist ein Schurke und es würde ihn mit Triumph erfüllen, wenn ich zu Grunde — Aber, was sage ich da! Die ganze Sache ist ja nur eine Bagatelle, nicht der Rede wert. Sie werden öoch keinen Gebrauch davon machen, bester Professor! Ah, meine Tochter ist fertig und nun wird Leutnant Kühn singen; ein vortrefflicher Bariton, kann ich Ihnen sagen."
Voll ernster Teilnahme blickte der Gelehrte in das farblose, verzerrte Antlitz des Kommerzienrats. Jetzt war es ihm zur Gewißheit geworden, daß hier irgend etwas Schreckliches sich vorbereitete, doch noch ehe er ein Wort zu erwidern vermochte, war Lehnert voll nervöser Lebendigkeit weiter geeilt.
„Arme Else," murmelte er vor sich hin, „wenn irgend eine Katastrophe eintreten sollte, will ich zu Dir stehen und Dir gewiß helfen; wer weiß, ob Du nicht einen treuen Freund wirst brauchen können." —
Die Gäste hatten sich einer nach dem andern zurückgezogen, und das Brautpaar blieb allein, denn der Kommerzienrat mußte notwendig noch nach seinem Komptoir. Bergen begriff, daß auch er sich zurückziehen müsse, und doch wurde es ihm schwer, sich von seiner Braut zu trennen.
„Morgen früh, Else, hole ich Dich zum reiten ab," sagte er, ihre Lippen zum unzähligsten Male küssend, „und wenn wir erst verbunden sind für alle Zeiten —"
Sie hielt ihm lachend und verwirrt den Mund zu, was ihn veranlaßt«, sie abermals in die Arme zu schließen und den Abschied von vorne zu beginnen.
„Adieu, liebster Ernst," sagte sie innig» „geh' jetzt» ich kann Dich nicht länger hier behalten; Papa ist heute so sonderbar aufgeregt, ich begreife nicht, was ihm fehlen kann."
„Ich auch nicht," lachte der junge Offizier übermütig, „aber laß Dich das nicht kümmern. Liebste; ein Kaufmann hat wohl oft kleinere oder größere Verdrießlichkeiten, die ein Brautpaar aber nichts angehen."
„Mein Ideal," flüsterte sie, sich an ihn schmiegend, „mein Ritter ohne Furcht jund Tadel. Also auf Morgen.
Vor dem Hause des Kommerzienrats schritt ein einsamer Spaziergänger auf und ab, an dem der Leutnant eilig vorüber schoß, ohne ihn anzusehen. Er ahnte nicht, daß es sein Vetter, Professor von Dorn sei, der hier wartete. Auf was er wartete, hätte er nicht zu sagen vermocht, und doch trieb ihn eine innere Unruhe dazu —
Droben stand der Kommerzienrat vor seinem Buchhalter, der höhnisch, mit gekreuzten Armen auf ihn hinblickte.
„Ich habe es Ihnen gesagt. Bester," meinte er achselzuckend, „wenn Ihre Tochter meine Hand ausschlüge, sollten Sie meine Rache fürchten. Wer nicht hören will — der büße im Zuchthaus, haha!"
„Aber, Herr Drummer, läßt sich nicht ein anderer Ausweg finden, um wenigstens vorläufig die spanischen Depositen wieder zu ergänzen?"
„Keiner. Sennor Malejos kann vielleicht schon morgen kommen; ich rühre keinen Finger."
„So bleibt mir weiter nichts übrig, als eine Kugel durch den Kopf —"
„Pah, so rasch stirbt es sich nicht und wer damit droht, tut es nicht. Aber versuchen Sie nur, mein bester Lehnert, wie es im Zuchthaus schmeckt; Hummern mit Kaviarsauce wird es nicht geben."
(Fortsetzung folgt.)
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