doch am Abend nach Geschäftsschluß ihre eigene Herrin sind. Kommt einmal ein frischer Mädchentransport an, dann stehen Dienstvermittler und suchende Hausfrauen zu Hanf, und ein Mädchen hat häufig, noch bevor sie die Stadt überhaupt gesehen hat, ein halbes Dutzend Dienstplätze angenommen, von denen es meist keinen antritt. Aehnlich ist es mit den Dienstkräften anderer Kategorien bestellt, und diese vielfach unerträglichen Zustände haben zahlreiche reiche Familien veranlaßt, ihre komfortablen Wohnungen aufzulassen oder vorderhand für einen Pappenstiel zu vermieten und im Hotel zu wohnen, woselbst sie aller Sorgen um Mädchen aller Kategorien Köchinnen Küchenmädchen, Wäscherinnen, Haushälterinnen, Büglerinnen, Kammerdiener, Kutscher Lakaien, Stallburschen, Portiers und andere Domestiken überhoben sind.
Ein uralter Mensch lebt im Dorfe Marew- ka im russischen Gouvernement Smolensk. Sinip heißt er und ist der Sohn eines Leibeigenen und im Mai 1775 geboren, so daß er also 127 Jahre alt ist. Sein Sehvermögen und Gehör sind noch nicht geschwunden, er war niemals krank und kann noch zwei Werft zur Dorfkirche gehen, unbedeutende Arbeiten auf dem Gutshofe leisten, Sandalen weben und Strümpfe stricken. Der alte Mann, dessen Vater 80 und dessen Mutter 120 Jahre alt wurden, kann sich noch ganz genau der Tage der Kaiserin Katharina i>. und des napoleonischen Krieges erinnern. Sinip hat sein ganzes Leben lang Branntwein getrunken und kann etwa drei Liter vertragen, ohne betrunken zu sein! „Die Werkstatt."
* Die Dame in Schwarz. Ein schauriges Reiseabenteuer wird dem „Hann. Anz." von einer Leserin mitgeteilt. Sie schreibt: Ich bestieg um von Braunschweig nach Peine zu fahren, in Braunschweig ein Frauenabteil zweiter Klasse, in dem sich bereits eine Dame befand. Sie war vollständig in Trauerkleidung, trug einen dichten schwarzen Schleier und hatte vor sich auf den Knien einen prachtvollen Kranz zu liegen. Als der Zug sich in Bewegung setzte, wurde plötzlich die Thüre aufgerissen und herein stürzten zwei Herren, die sich ungestüm in die Polster warfen, ohne ein Wort der Entschuldigung zu haben, für ihr widerrechtliches Ein
dringen in das Frauenabteil. Ich machte sie darauf aufmerksam, daß sie sich in einem Frauenabteil befänden, erhielt aber keine Antwort. Ich mahnte dann die Herren, auf der nächsten Haltestelle das Abteil zu verlassen und wandte mich als ich auch darauf keine Antwort erhielt, an die Dame in Trauer, die jedoch ebenfalls schwieg. Ich konnte mir dieses Verhalten meiner drei Mitreisenden nicht erklären und wollte auf der folgenden Station den Schaffner um Hilfe bitten; doch als der Zug hielt, stieg die schwarze Dame aus, gefolgt von den beiden Eindringlingen, die ihr sofort die Hand auf die Schulter legten und ihr etwas ins Ohr zuflüsterten. Ich sah die Danie zusammenzucken. Dann wandte sich einer der Herren zu mir und trat, während der andere die Dame mit einer Kette fesselte, zu mir an das Fenster mit den Worten: „Danken Sie Gott, daß wir zu ihnen in das Abteil gekommen sind, die vermeintliche Dame ist ein sehr schwerer Verbrecher, den wir schon lange verfolgt und jetzt endlich gefaßt haben."
* Ein neuer Erwerbszweig. Es ist eine junge Engländerin, die ihn jetzt ausübt. Nor einiger Zeit hatte die junge Engländerin zu Gunsten einer Freundin ein Stück der eigenen Haut hergegeben, das ins Gesicht der Operierten transplantiert worden war. Sie konstatierte daß der Schmerz bei der Entfernung der Haut- partie ein erträglicher war und daß die Regeneration der Haut glatt und schnell vor sich ging. Voll genialen Geschäftssinnes beschloß sie, ihre Haut für medizinische Zwecke zum Verkauf auszubieten. Vor einigen Tagen versandte sie auch diesbezügliche Zirkulare an die meisten Aerzte von London und wartet nun auf die Kundschaft Sie hatte schon eine Vorgängerin. Vor zehn Jahren verkaufte eine Dame aus San Franzisko ebenfalls ihre Haut zu Transplantationen zum Preise von 4 Doll, den Quadratzentimenter. Das Geschäft war sehr einträglich, da dieselbe sich jetzt zurückgezogen hat, um von ihren Renten zu leben.
* Melonen und Sandias. Wenn der Herbst hereinbricht, nimmt Madrid für einige Zeit den kriegerischen Anblick einer Festung an. Auf allen Plätzen sind nämlich wie die Bomben und Granaten der Artillerieparks pyramiden
förmig große runde Kugeln ausgeschichtet, die rn ganzen Wagenladungen von Valenzia und Munica geliefert worden sind. Es find zuckersüße Melonen, die, wenn sie gut sind, wie Fruchteis im Munde zerfließen, und Sandias, die bekannten Wassermelonen mit rotem Fleisch und schwarzen Kernen, die Vesperspeise von Studenten, Modistinnen, kleinen Beamten und Arbeitern, die allerdings in Verdacht stehen, Magenerkältungen hervorzurufen um den Anstoß zu dekadenter Poesie zu geben. Durch alle Straßen ziehen Händler, die auf den Rücken ihrer geduldigen Grautiere ganze Berge von dunkelgrünen Geschossen aufgetürmt haben, und alsbald entwickelt sich darin ein äußerst lebhaftes Geschäft. Die Sandia kauft man, ohne sie anzuschneiden; man hat Vertrauen zu ihr; anders liegt der Fall bei den Melonen, denn sie spielen einem manchmal einen argen Streich und fallen nicht so aus, wie man sie nach ihrem Aeußern eingeschätzt hatte. Deshalb sagt schon ein altes Sprichwort: Bei der Melone und bei der Heirat muß man das Richtige treffen." Aus den Märkten der östlichen Provinzen bieten die Bauern dem Kunden einen „Anstich" zum Beweis an, daß die Frucht wirklich gut ist, fordern dafür aber auch einen höheren Preis und bei den Sorten Rückgabe des Samens. In Madrid stößt diese löbliche Sitte der vorherigen Prüfung indes bei den Händlern meist auf Wiederstand und man muß sehen, ob man Glück hat. Uebri- gens haben die beiden Worte hier noch eine Nebenbedeutung. Als Melonen werden die platonisch Verliebten bezeichnet, die jeden Nachmittag die Alcalastraße unsicher machen und die Vertreter des weiblichen Geschlechts mit Augen anblicken wie — um ein Bild aus dem deutschen Reichstag zu gebrauchen — eine kranke Kuh. Die Sandias sind aber die vorzeitig zu sehr in die Breite geschossenen Sennoritas von 35 Jahren und darüber, denen keine Schnürbrust mehr passen will, die sich den Reispuder fingerdick auftragen und nun auf der Alcalastraße spazieren gehen und auf den letzten Abencer- ragen warten, d. h. auf den wagemutigen Rittersmann oder Knapp', der es mit ihnen für den Rest des Lebens gegen 8- bis 10000 Duraus in sicheren Staatspapieren aufnimmt.
„Was wäre Dir am Liebsten?" fragte Hedwig schüchtern.
„Mir wäre am Liebsten, langsam, sehr langsam durch die Wälder nach unserer kleinen Villa zu schlendern; für meine kleine Frau Mathia's Esel zu borgen; einen Korb voll Proviant mitzunehmen und im Olivenhain neben einer Quelle die ich oft skizziert, zu Mittag zu speisen; während der heißen Stunden im kühlen Schatten zu ruhen und spät am Nachmittage zu Hause anzugelangen."
Hedwig antwortete nicht; eine große Thräne rann über seine Wange und befeuchtete eines der Mauerblümchen in ihrer Hand.
„Warum weinst Du, Hedwig?" fragte Arthur sanft. „Sage es mir; ich möchte es wissen."
„O, es ist nichts," versetzte sie, unter Thränen lächelnd zu ihm aufblickend; „ich freue mich so sehr, daß Du zurückgekehrt bist."
„Aber warum weinst Du dann?" drängte er, ihre Hand küssend.
„Ich vermag es nicht zu erklären, Arthur."
„Aber Du mußt es mir erklären; Du weißt daß ich stets Dein bester Freund, Dein Tröster sein muß, Hedwig."
Sie lächelte fast schelmisch.
„Ich weinte sehr oft während jener Tagein Belbouquet, nur bemerktest Du es nicht."
„O, wirst Du je dem abscheulichen Murrkopf vergeben können, der Dich so übel behandelte, der so kalt und ungerecht gegen Dich war, so entschlossen^ zu glauben, daß Du ihn haßtest! O, meine liebe Hedwig, Du wirst nie erfahren nie begreifen —"
Cr barg das Gesicht in beiden Händen und verstummte.
„Arthur," sagte Hedwig sanft, „ich weiß — ich begreife Alles. Ich weiß, was Du gefühlt, was Du gelitten hast und rch freue mich, das Du Deine Liebe einem so guten, heiligmäßigen Wesen zugewendet hattest. Wir können nur an sie denken, von ihr sprechen, als ob sie unser schü tzender E ngel wäre."_ (Forts, folgt.)
1. In Vertretung: E. Hosmann daselbß.
hatte antommen sehen, fragte ob es den Kaffee hier unter die Bäume servieren solle, ein Vorschlag, dem Beide freudig zustimmten, denn die Strapazen und Aufregungen der letzten Stunden machten sich jetzt in großer Erschöpfung geltend.
Daß Mahl verlief schweigend, ihre Herzen waren zu voll zum Sprechen; aber wie verschieden war jenes Schweigen von dem früheren das in Belbouquet zu diesen Zeiten geherrscht. Manchmal begegneten sich ihre Blicke und dann erglühte Hedwig wie eine Rose, was sie noch hübscher als gewöhnlich machte.
Arthur konnte kaum glauben, daß sie das gleiche Wesen sei, das ihm einst so uninteressant geschienen und selten hatte sich wohl auch in so kurzer Zeit eine größere Veränderung vollzogen, als die letzten wenigen Wochen in seiner jungen Gattin bewirkt.
Sie hatten neue Gefühle doppelter Art in ihr wachgemfen: mächtige religiöse Eindrücke und eine reine, irdische, durch ein geweihtes Band geheiligte Neigung. Kein Wunder, daß ihr Antlitz verwandelt, daß die hübschen Züge des leichtherzigen Mädchens zu einer frauen- Wieder überzog erne glühende Röte Hedwrgs hasten Schönheit höherer Art geworden. Das liebliches Antlrtz und zum erstenmal küßte Arthur Leiden hatte ihre Wangen gebleicht, aber ihren seine junge Frau. Dann sagte er, ihre Hand schönen Augen eine Weichheit, ihrem Lächeln ergreifend: ^ine Anmut gegeben, die Arthur rührte und
„Laß uns zusammen hinaufgehen, Hedwig,! fesselte.
ganz so neu, rtirne zu be
Kerzensväilel.
Roman nach dem FcanzLsischen von Klara Rheinau, gg) (Nachdruck verboten^
„Arthur, lieber Arthur", flüsterte Hedwig, „tröste Dich; er starb so fromm, so ergeben, der gute Alte". „Sie werden Herrn Arthur sagen, daß ich die hl. Sakramente empfangen habe", bat er mich; „und er möge doch manchmal ein Vaterunser für mich beten."
„O Du guter kleiner Engel!" rief Arthur dankerfüllt; „also Du weiltest an seiner Seite und er starb nicht ungetröstet."
„Nein; es schien ihn zu beruhigen, als ich kam und mit ihm von Dir sprach. Er wollte Dir eine Botschaft senden."
„Und welche war dies?"
Hedwig errötete tief, wandte den Kopf zur Seite und schwieg.
„Ich kann es Dir jetzt nicht sagen," flüsterte sie nach einer Pause; ein andermal vielleicht."
„Ich errate, was es war," versetzte Arthur sanft. „Wollte der treue Alte mir sagen lassen, daß wir einander lieben sollten?"
und "an der Leiche unseres lieben alten Freundes Für Hedwig war es nicht gai beten und Gott versprechen, daß wir seinen Arthur's dunkle Augen und edle Sti
letzten Wunsch erfüllen wollen.
Hand in Hand betraten sie das Zimmer, wo des alten Vincenz Leiche aufgebahrt war, ein Kruzifix auf der Brust, zu Füßen die frischen Blumen, die Hedwig gepflückt. Seite an Seite knieeten die Gatten nieder und beteten eine lange > Weile, im Stillen ihr Ehegelübde erneuernd.
Dann gingen sie hinab und traten aus die Terrasse hinaus, wo die Vögel sangen und ein leichtes Lüftchen die Zweige der Akazien bewegte. Eines der Dienstmädchen, welches Arthur
wundern. Sie erinnerte sich, wie sie in Belbouquet ihn so oft verstohlen betrachtet hatte. Sie gedachte jener trüben Stunden, da nur ein paar kalte, gleichgiltige Worte über ihre Lippen gekommen und freute sich eines Schweigens, das mehr auszudrücken schien als Worte.
Nach beendigtem Frühstück berieten sie- was sie nun am Besten thun würden. , Arthur's Eltern wurden am Abend dieses Tages auf Schloß Vermont erwartet. Sollten sie bis zu ihre Rückkehr verweilen oder sich nach Velbou- quet begeben?
Klock u. e'trtag Bkttih. HotM"tw'chkn Bvkb>tuckerei in Äildbod. Verantwortlich für die Redaktion