Seine Schwester.
Erzählung aus der Gegenwart von Fanny S t ö ck e r t.
20) (Nachdruck verboten.)
Sie trat an das Fenster und blickte auf das bewegte Straßenbild unter sich. Equipagen rollten hin und her, ihre Insassen allen möglichen Lustbarkeiten zusührend, hinein tn.den tollen Strudel des Vergnügens, Musik, Tanz, perlenden Scckt I rief es verlangend in ihrem Innern. Aber wohin, eine Einladung war nicht an sie ergangen, auch Fred hatte sich heute nicht blicken lassen, er war überhaupt verstimmt gewesen die letzten Tage, seine Schulden mochten ihn drücken. Auch die Frau Justizrätin hatte gestern so recht sorgenvoll ausgesehen, jedenfalls war groß Ebbe in ihrer Tasse und sie besaßen beide doch noch nicht jenen echten Leichtsinn großer Geister, der sich üver solche Kalamitäten sorglose hinweg zu setzen vermag, und auch kein Mittel scheut sich den schnöben Mammon zu verschaffen, wie sie eS das öfter gethan. Nun solche Zeiten kehrten wohl nicht wieder sie konnte künftig selbst Wohlthaten auS- teilen und die erste sollte Fred zu teil werden. Nach den Erkundigungen, die ihr Vater eingezogen, sollte der Reichtum des CommcrztenraiS ganz kolossal sein, und würde er sicher gern die Schulden des jungen Rivalen üver den er, dank dieses Reichtums gesiegt, bezahlen. Sie würde schon die ganze Sache so unschuldig und harmlos wie möglich darstellen, was sie ja im Grunde auch war, ach fast zu harmlos und unschuldig, Blicke, Händedrücke, hte unv da ein gestüsterteS LtedeSwort, das hatte ihnen genügt. Das AuSeinanbergehcn konnte da kaum schwer sein, war doch noch kein bindendes Wort gesprochen, und doch wollte sich ihr das Herz zusammenschnüren, bei dem Gedanken, daß das nun Alles, Alles vorbei sei, daß ste sich beide nun fremd und gleichgiltig gegenüber stehen sollten.
, Thränen wollten sich in ihre Augen drängen, schließlich aber war ste doch ein zu leichtlebiges Geschöpf um jo cher sentimantalen Stimmung nachzugeben. Energisch richtete ste ihre Gedanken aus die Stellung die sie künftig einnehmcn, die Rolle, die ste als reiche Frau spielen würde. Die Talmieexl- stenz, fast verächtlich streifte ihr Blick die bunte, billige Einrichtung des Zimmers, die würde ein Ende haben, aber was da goldwahr und echt in ihrem Herzen gelebt, das würde wohl zu Talmi werden I Doch nein das war nicht möglich, Gold vermag sich nie zu wandeln I Die Erinnerung an diese schönste Zelt ihres Lebens die würde ihr bleiben, die konnte ihr Niemand rauben.
Die Beschäftigung der jungen Dame an diesem einsamen Avend bestand darin, welke Sträußchen, Schleifen, kleine Briefchen, ollrs was mit Fred irgendwie zusommcnhtng, zu sammeln, zu ordnen und dann in eine Truhe einzuschlteßen. Für Carla Axhausen jedenfalls ein sehr absonderliches Thun, das mußte ste sich selbst etng-stehen. Wie ein Sarg erschien ihr die Truhe, ein Sarg, der ihre Jugend und deren Träume umschloß; denn morgen, ste ahnte, war es vorbei mit diesen Träumen, ihr Vater würde die Sache mit dem Commerzienrat heute sicher zu Ende bringen, er hatte zu energisch auSgesehn, als er sich von ihr verabschiedet.
11 .
„Gott im Himmel Fred, wo ist nur all unser Geld geblieben/ sagte die Frau Ju- stlzrätin am nächsten Morgen verzweifelt. „Vor einigen Wochen war doch noch eine ganz schöne Summe da und heute sind ge» rade noch drei Mark vorhanden. Wie ist das nur möglich I"
„Da« macht der Carneval Mütterchen", versetzte Fred, „wir haben da allerhand mitgemacht was Geld gekostet hat."
Wie konnte ich alte Frau nur so leichtsinnig sein und so in den Tag hinelnleben. Jungen Leuten ist das wohl einmal zu v-r» zeihen, aber einer alten erfahrenen Frau! Die Restdenzlust muß mich förmlich berauscht haben. Was soll nun eigentlich werden?
Fred zog sein Portemonnaie hervor, glücklicherweise war er noch im Besitz eines Zehnmarkstück-», was er seiner Mutter jetzt reichte.
,N>mm das vorläufig, bis Du Deine Witwenpenston bekömmst, muß ich Rat zu schassen suchen."
„O Fred, Du wirst wieder Schulden wachen I" jammerte die Mutter.
„Unter Studenten steht man sich gegenseitig bei, und borgt sich unter einander, das kann man kaum Schulden nennen."
„Du hast hier aber eigentlich gor keine solche Dir nahe stehenden Freunde, meine ich. In G. war das anders, da war Marlin Harden."
Fred blickte finster auf. Daß seine Mutter ihn auch gerade an den erinnern mußte, diesen Mustermenschen, der nie Schulden gehabt, solche Talamiläten, in welchen er sich jetzt befand, nur von Hörensagen und nicht aus eigener Erfahrung kannte. Wie überlegen würde Harden auf ihn herabschauen, wenn er alles wüßte. Deutlich sah er ihn vor sich, das ernste Gesicht mit dem Ausdruck männlicher Energie, festen, unwandelbaren Willens. —
Hatte er ihn nicht damals auf Rügen vor Carla gewarnt, sie eine Sirene genannt aus deren Schlingen man manchmal Im ganzen Leven nicht heraus käme. — Nun in sn diesem Punkt da war sein Wille wenigstens auch fest und unwandelbar, Carla je aufgeben, sich von ihr trennen niemals, den Beweis wollte er Martin Harden und allen die daean zweifelten einst noch geben, daß r« sich hier um eine wahre, echte Liebe handelte eine Liebe, die nur mit seinem Leben enden konnte!
O nur erst wieder in die lachenden Angen schauen, dann war alles gut, so wie ste verstand eS Niemand weiter aus der Welt alle Sorgen zu verscheuchen. Auch seine Mutter mußte ste wieder einmal beruhigen, ste sah entsetzlich sorgenvoll und bekümmert heute auS.
Er schlang die Arme um ste, und drückt« einen Kuß aus die sorgenvolle Stirn. „Sieh doch nicht so betrübt aus Mutlerchen," bat er, „es kommt ja auch wieder Geld ins Haus, und eine schöne Zeit war eS doch, dieser erste Carneval in der Residenz. Du lelbst hast eS oft gesagt, daß Du Dich ganz verjüngt fehlst bei diesem Treiben."
„Ja schämen muß ich mich, daß ich das Alles milgemacht, während Melitta nun schon den zweiten Winter so einsam verleben mußte."
„Es ist so der letzte Winter, nächstes Jahr brauchen wir das Geld vom Onkel nicht mehr l" sagte Fred indem er nach seiner Mütze griff.
„Also keine Sorgeu mehr Mütterchen I" rief er ihr noch im HinauSgchen zu.
Als er aber draußen auf der Straße war, da packten ste ihn selbst die leidigen Geldsorgen. Ach seine Mutter ahnte ja ja nicht wa« er noch für Schulden hatte, wie sie bezahlen I Alle möglichen Pläne gingen ihm durch den Kopf, sollte er an Melitta schreiben, daß ste sich bei dem Onkel für ihn verwenden möchte, oder Flora ins Vertrauen ziehen sollte. Flora! sie würde es wohl kaum zurückwkisen ihm zu helfen, aber fie würde auch große Hoffnung daran knüpjen und diese konnte er nicht erfüllen nie, niemals ! Zunächst wollte er mit Carla heute die Geidgeschtchten besprechen, denn etwas mußte geschehen, der Wechsel mußte bezahlt werden, und seine Mutter durfte nichts erfahren von dieser leichtsinnigen Handlung, die er da im Rausch des CarnevalS begangen. O wie er sich sehnte, nach ihren lachenden Augen, ihrem heiteren Geplauder, nach dem traulichen Zimmer, das in seinen Augen der Inbegriff der Behaglichkeit.
Zur Mittagsstunde zog er die Klingel an der Axhausenschcn Wohnung', ober nicht Carla kam wie sonst um zu öffnen, sondern ihr Vater.
„Ah der Herr Student," begrüßte ihn der alle Herr, während sein Antlitz in eitler Wonne strahlte.
„Sie hat wohl eine Ahnung Hergetrieben, damit ste als treuer Freund der erste sind, der Carla gratuliert."
„Gratulieren wozu? Geburtstag ist noch nicht," versetzte Fred verwnndert.
„Nein wir feiern ein viel bedeutungsvolleres Fest als so einen Geburtstag der alle Jahre wiederlehrt, Verlobung feiern wir l"
„Ver—lo—bring?" — Stoßweise kam das Wort über Freds Lippen.
„Allerdings Verlobung," entgegntte Ax- bausen „Sie scheinen das Wort mit meiner Tochter gar nicht in Verbindung bringen zu können. Denken Sie Carla soll eine laite Jungfer werden, ober soll vielleicht warten bis Sie einmal heiraten können! Nehmen Sie es mir nicht übel junger Freund, daS wären doch zu weitgehende Aussichten."
Fred war kreideweiß geworden.
„Und wer — wer ist der Glückliche?" stieß er erregt hervor.
„Na der Kommerzienrat Delmut natürlich er hat sich ja lange genug um Carla beworben."
„Der I der alte Herr l Aber das ist ja nicht möglich, Sie scherzen I"
„Bitte wollen Sie mir nicht näher treten und sich überzeugen von der Wahrheit meiner Rede."
„Nein — ich — ich muß jetzt gehen".
In dem Moment trat Carla heraus.
„Mit wem verhandelst Du denn so lange Vater I" rief sie heiter, da fiel ihr Blick auf Freds verstörtes blafseS Gesicht.
„Fred I Sie hier! Und Sie wissen schon?"
„Natürlich habe ich ihm das jfrohe Er- reigniß sofort mitgeteilt," sagte Herr Ax- Hausen.
(Fortsetzung folgt.)
»edaMon. Druck und Verlag »o» Beruh. Hat««»» tü Wtlbbab.