Seine Schwester.
Erzählung aus drr Gegenwart von Fanny Stöckert.
6) (Nachdruck verboten.)
Er erinnerte sich, wir er in der ersten Zeit seiner Ehe einst der jungen Gattin hatte die Werke von Fritz Reuter vorlesen wollen, schon nach den ersten Kapiteln hatte ste ihm offen erklärt, baß sie für solche Sachen weder Sinn noch Verständnis habe, eS wäre ver- lorene Liebesmühe seinersetS sie damit unterhalten zu wollen. Die ganze Zeit, wo er ihr vorgclesen, habe ste an ihre große Wäsche denken müssen, und was ste wohl für die Waschfrauen, die jetzt immer anspruchsvoller Würden, kochen solle.
Das war der Anfang gewesen, der erste tiefere Blick in das Innere seiner Frau, die ihn förmlich erschreckt hatte. Nie wieder hatte er einen Versuch gemacht, ihr vorzulesen, hingegen lernte er immer mehr in ihren beschränkten Gedankenkreis einzudringen, auf ihre Interessen rinzugehen, besonders als ste denn hierher gezogen waren, und die Anregungen von Außen fehlten. Das Vermögen vermehrte sich, dank der weisen und sparsamen Verwaltung von Jahr zu Jahr er war ein reicher Mann geworden, und doch so bettelarm geblieben in anderer Hinsicht. Wie ein Erwachen kam eS jetzt über ihn, er hatte das Leben versäumt, das schöne unendlich reiche Leben, und nun war eS zu spät. — Solche Gedanken zogen oft durch sein Hirn, wenn Melitta ihm aus den Werken vorlas, die ein begnadeter Dichter aus dem Vollen, reichen LebenSborn geschöpft hatte.
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Bisweilen nahmen auch der Prediger des Dorfes, ein aller Herr, und seine Schwester an dem Vorlesen Teil. Melitta hatte sich in dieser einsamen Zeit sehr an diese beiden liebenswürdigen und geistig angeregten Menschen ongeschloffen, und diese kamen jetzi gern nach dem Gut heraus, wo eine so andere Luft wehte und es um so vieles behaglicher war, als wenn Frau Anna das Szepter führte. —
An einem solchen Abend, wo der Prediger des Dorfes, ein alter Herr, mit seiner Schwester sich eingestellt, wo draußen ein scharfer Nordost wehte, und Melitta sogar Punsch braute, kehrte ganz unerwartet die Frau AmtSrätin mit Flora heim. Ste halten sich so schnell zu der Rückreise entschlossen, daß keine Zeit mehr geblieben war, sich vorher anzumelven.
Melitta hart« so den ein lustiges Capitel aus der „Slromiied* vorgelesen und in dem kleinen Kreis herrschte eine solche Heiterkeit, daß man das Wagenrollen draußen gänzlich überhört hatte. Frau Anna traute ihren Ohren nicht, als sic das fiöhliche Lachen aus dem Wohnzimmer vernahm. War Gesellschaft hier? energisch riß ste die Thür auf und stand nun in ihrem großen Retse- mantel und Pelzkappote auf der Schwelle, anzuschauen wie der Knecht Rupprecht. Ihre Blicke irrten im Hellen Staunen im Zimmer herum.
War denn das noch ihr altes Wohnge- mach, in seiner, mit ihrer Persönlichkeit harmonierenden Nüchternheit? Da dufteten Blumen am Fenster, da brodelte heißes Wasser iu der Theemaschiene, die auf einem Erevenztisch am Ofen stand, Punschgläser
standen auf dem Sophatisch, denen ein verlockendes Aroma entströmte Dazu diese fröhliche Tafelrunde! Das Lacher, freilich war sofort verstummt bei ihrem unerwarten- den Eintritt; mit etwas langen, verwunderten Gesichtern erhob man sich, nur Clärchen MInde die Schwester des Predigers, griff noch eilends nach ihrem GlaS Punsch, eS auszutrinken, denn so gut wurde eS ihr hier für'S erste nicht wieder, lieber ihres Bruders Gesicht glitt ein flüchtiges Lächeln, ste ließ doch niemals etwas umkommen, seine kleine wirtschaftliche Schwester und aus der Fassung brachte ste auch so leicht nichts.
Melitta war nach der ersten Begrüßungen den Credrnztisck getreten, »darf ich Euch Thee bereiten, Tante, oder zieht Ihr vor rin GlaS Punsch zu trinken?'
„Ich bitte um Thee,- versetzte diese, indem ste aus dem Sopha Platz nahm, „Punsch zu trinken war bis jetzt bet uns nicht Mode.'
Melitta biß sich auf die Lippen, daS war die erste bittere Pille, wie manche würde sie noch schluck-n müssen nun die beiden Damen wieder hier waren.
„Das arme Fräulein Melitta, nun beginnt wieder schlimme Zeit für sie/ sagte Fräulein Clärchen als ste sich jetzt mit ihrem Bruder auf dem Heimwege befand. Eie hatten sich beide so schnell wie möglich verabschiedet, da ihre Gegenwart augenscheinlich von der Frau AmtSrätin nicht sehr erwünscht schien.
Bei ihrem Lebensmut, ihrem heiteren Sinn hat da« Alles nicht viel auf sich," versetzte der Prediger „und bei Dir findet sir ja immer die aufrichtigste Teilnahme für alle ihre kleinen Kümmern sse."
„Sie spricht sich nur zu wenig aus, ich muß größtenteils alles erraten. Klagen das ist ihre Sache nicht, dazu ist sie viel zu stolz. Aber es ist immerhin ein Trost für so ein junges Ding, ein paar Menschen nahe zu wissen, die ste innig lieb haben.'
Sie halte Recht, es war das ein Trost für Melitta in drr trüben Zeit, die jetzt für sie anbrach. Ihre Tante und Cousine Flora waren nicht sehr rosiger Laune von ihrer Reise zurückgekehrt, aber um eine Erfahrung reicher, nämlich, daß der Reichtum doch nicht überall den Ausschlag gab in den verschiedenen Gesellschaftskreisen, die ste besucht.
Die jungen Damen der Residenz trieben so viele schöne Künste, von denen Flora auch nicht das Geringste verstand. Sie malten mustcierien, auch mit der Modellirkunst befaßten sich einige, und es war nicht nur alles Dilettantismus, nein, es gab wirkliche Künstlerinnen darunter, und wahre Kunst findet immer und überall Anerkennung. Ein gewisser Zauber schwebt um künstlerische Persönlichkeiten, man drängt sich heran zu solchen Bevorzugten, solchen Lieblingen der Musen, man huldigt ihnen, besonders wenn ste jung und hübsch sind.
Flora war nun nichts weniger als ein Liebling der Musen, besaß so viel wie gar keine gesellschaftlichen Talente, so daß sich ihre eifrigsten Verehrer, denn solche fanden sich für die reiche, jung: Dame natürlich stets oft ganz verzweifelt vor Langeweile von ihr wandten anderen unlerhaldenlcren jungen Damen zu, wenn dieselben auch nicht vom Nimbus des Reichtums umstrahlt. waren. Flora mußte schließlich etnfehm, daß st-
trotz Ihrer neuen Toiletten und ihres Reich' tumS nicht die erste Rolle spielte, daß auch noch andere Vorzüge in der Gcsellshast galten die ste nicht besaß. Alles bas hatte ste verstimmt und nervös gemacht, in dieser Stimmung war ste heimgekehrt und ließ nun an Melitta ihre Launeu aus; beanspruchte ihre Gesellschaft zu ollen Tageszeiten, so daß diese immer seltener zu ihren lieb gewordenen Spaziergängen kam, woran sich in der letzten Zeit meistens ein Plauderstündchen im Pfarrhaus: angeschlossen hatte.
Wie sehnte ste sich oft danach, besonders fitzt wo schon ein leise« Frühlingsahnen durch die Natur ging. Wenn draußen die Sonne lockte, die ersten Vvgelstimmen zwitscherten, va dünkte eS sic oft unerträglich in Flora« überheizten Zimmer zu sitzen, und deren schrecklich nüchterne Erzählungen au« der Residenz mit anzuhören. Ste berichtete natürlich nur von den Triumpsen die ste dort gefeiert, wie viel man sich um ihre Gunst bemüht hätte, in diesem Thema war sie unerschöpflich. —
„Und hat keiner von all den Bewerbern Gnade vor Deinen Augen gesunden?" fragte Melitta sie eines Tages neckend.
„O denkst Du, doS ist so leicht mich zu erorbern i" versetzte Flora, ^solch ein Schritt will doch fihr überlegt sein."
„O, wo man liebt, meine ich, überlegt man nicht weiter. Weist Du was ich Dir wünschen möchte I"
„Du mir?" fragte Flora spöttisch.
„Ja, ich Dir, eine große übermächtige Liebe nämlich, die Dein ganzes Sein hinnimmt, ach, und denn so reich sein wie Du und dem Geliebten Alles, Alle« in den Schoß werfen, das denke ich mir herrlich!'
„In solche herrliche Tage wirst Du nun freilich nie kommen, und heutzutage von »roher übermächtiger Liede reden, das ist überhaupt U»stnn, Schwärmerei, woran ein armes Mädchen wie Du am allerwenigsten denken darfst. Ich könnte mir ja allenfalls solchen Luxus erlauben, aber ich spüre durchaus keine Neigung dazu.'
Melitta schaute mit eigenem Blick in daS blasse, so wenig anziehende Gesicht ihrer Cousine, »nb dachte im Stillen, daß zu diesem Luxus eigentlich zwei gehörten, und oiefer zweite für Ftora wohl garnicht so leicht zu finden sei. Mit allem ihren Reichtum konnte ste stch vielleicht lenes volle Menschenglück, geltest zu werden, nicht erkaufen.
(Fortsetzung folgt.)
Verschiedenes.
(Generalseldmarschall Gras Blumenthal) gab wenig auf sein Aeutzeres. Dabei war er schon von Natur klein und unscheinbar. Einst reist- er in Zivil und wurde vom Schaffner bkö zur Ad>ahri bereit stehen» oen Zuges befragt: Dritte Klasse?" Er verneinte dies und ohne weitere Auskunft avzuwerten rief ihm drr Schaffner zu: „Vierte Klasse dahinten I"
(Alle Achtung.) Junge Iran (zu chrem Gatten): „Sichst Du, Fritz, das Sauerkraut Hab' ich ganz allein aufgewärmt."
(Verfängliche Frage.) Zecke: „Geben Sie mir einen blauen Shnps, ber zu meinen Augen paßt.' — Verkäufer: „Bedaure, blau haben wir nicht, darf es nicht rot sein, zu Ihrer Nase passend?"
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