Ein Wcrterherz.

Roman in Originalbearbeitung nach dem Englischen von Clara Rheinau.

92) (Nachdruck verboten.)

51. Kapitel.

Die Doktoren hatten Paulo Baretti'S Fall sehr richtig beurteilt; das Dasein des elenden Verbrechers zählte nur noch nach Tagen. DaS Leben aus der Galeere war ihm schlecht bekommen und war zu rasch einem Leben voller Ausschweifungen und Laster gefolgt, um nicht seine natürliche Wirkung auszuüben. Paulo behauptete bis zu seiner letzten Stunde, daß er schlecht behandelt und auf jede Weise dem Tode nahe gebracht wor­den sei. Sein wildes, unbändiges Betragen, seine beständige Widersetzlichkeit gegen die be­stehenden Regeln hatten ihm manche besondere Strafe, manche Entziehung kleiner Vergünstig­ungen zugezogen, und sein ohnehin nicht kräftiger Körper brach rascher zusammen, als die Gefängnisärzte berechnet hatten. Man schon sprach von seiner bevorstehenden Auflösung, als eine Gelegenheit zur Flucht sich ihm bot, und obschon man ganz Paris nach ihm durch­suchte, so war dies nach Paulo'ö Ansicht nur eine Form, seinen Leichnam zu begraben. Paulo Barett! hatte einen organischen Fehler, und die Badegäste von Barstoft entsetzten sich über den grünlich ouSsehcnden Mann, der in einem Fahrstuhle am Strande erschien.

Frau Baretti machte keinen Versuch, ihren Gatten zu verbergen, ste war überzeugt, daß man ihn imFalle einer Entdeckung im Frieden sterben lasten würde, da der Barstofter Dok­tor den Ausspruch g-than, jede große Auf­regung könne seinen sofortigen Tod zur Folge haben. Sie bemühte sich sogar, Paulo mit dieserV-rstcherung zu trösten; aber erfühlte sich in seiner Stimmung durchaus nicht geho­ben durch den Gedanken, daß er viel zu krank sei, um arretiert und der französischen Be­hörde ausgeliefert zu werden. Weit lieber hätte er erfahren, daß er bei einem ruhigen, friedlichen Leben, unter guter sorgfältiger Pflege wieder genesen könne. Ein plötzliches Aufleben der Hoffnung ein wildes An­klammern an das Leben war diesem Manne gräßlich anzusehen und von Ausbrüchen trost­loser Verzweiflung gefolgt. Er, der so ver­brecherisch mit dem Leben anderer Verfahren, war nun steter Sorge um sein eigenes, zweck­loses Dasein. Wenn nur Tony kommen und ihm die Last von der Seele nehmen würde, die ihn verzehrte, dann könnte es bald besser mit ihm werden! Zu denken, daß der Junge ihm den einen großen Irrtum, der ihn auf die Galeere gebracht, nicht vergeben haben sollte, das brachte ihn in's Grab!

In seinem Fahrstuhle zusammengekauert, eingchüllt in den farbigen Shawl seiner Frau, über dessen viele Falten sein häßlicher Kopf hervorlugte, war er kein angenehmer Anblick sür die Barstofter Gesellschaft. AVer eS zog ihn immer wieder bis an den Strand dort war doch Aussicht, daß die frische Brise seinen Zustand besserte und vielleicht kam auch Tony eines TageS über die See. Warum sollte er auch schließlich nicht wieder gesund werden können? dachte Paulo er war kein alter Mann -2- hatte eine Brust wie ein junger Stier, und wenn auch die Aerzte sagten, inwendig sei etwas nicht in Ordnung, wie konnten ste wissen, wie er inwendig aus­sah I

Auf diese weise redete Paulo, wenn er gerade zum Sprechen aufgelegt war; aber seine Stimme klang schwach und pfeifend, und er mochte sie nicht so häufig anstrengen. Er zog es vor, in seinem Fahrstuhl an das Ende des Hafendams gebracht zu werden, um sich im Hellen Sonnenscheine zu wärmen und auf Tony zu warten; Frau Baretti, die ihren Posten als Schildwache nie verließ, wußte, daß er in der Regel ungestört seinen Gedanken nachzuhängen wünschte, und ver­hielt sich schweigend. Hier saß er dann stundenlang und starrte auf die See hinaus, nur selten von Fremden belästigt, denn diese verließen während der heißen Nachmittags­stunden ihr Zimmer nicht. Manchmal brachte Frau Baretti auch ihr Kind mit in den Son­nenschein heraus, und Paulo ließ sich herab, von ihm Notiz zu nehmen, über es zu wei­nen und zu wünschen, eS sei Tony, bis er wieder in sein gewohntes Brüten zurücksank und seine augenblickliche Umgebung vergaß.

An solch einem schwülen Augustnachmtt- tage fand auch Helene Dertng ihn auf seinem Lieblingsplätzchen und Frau Baretti an seiner Seite. Paulo hatte eine Zeitung auf dem Schoße, über deren Durchblättcrn er müde geworden, und verfolgte mit gespannter Auf­merksamkeit ein fernes Schiff auf der See. Die herrschende Schwüle hatte die Badegäste in den Schutz ihrer Häuser getrieben, und nur das sanfte Plätschern der Wogen unter­brach die tiefe Stille. Helene näherte sich vorsichtig der Frau, die im Schatten auf dem kreisrunden Sitze des hölzernen Gebäudes saß und fragte mit leiser Stimme:Schläft er?"

Nein ; er schläft nicht mehr viel. Wenn er nur nicht immer hierher wollte erwirb mir eines TageS hier am Strande sterben," murmelte Frau Baretti.

Ich wollte ihn gerne noch einmal sprechen ich war besorgt um ihn."

Besorgt! Warum?"

Seine Reue ist so gezwungen und selt­sam, und er steht am Rande des Grabes," versetzte Helene unruhig.Hat er noch keinen Geistlichen bei sich gesehen oder Zusehen verlangt?"

Nein ; je schwächer er wird, desto sicherer hofft er auf Besserung, wie mir scheint."

Helene trat zu ihm hinüber, und seine Augen wandelten von dem fernen Schiffe zu ihrem Gesicht, das er in der Sonne anblin- zeltc, als ob er sich daran zu erinnern ver­suche.Fräulein Dering, nicht wahr?" sagte er schließlich und fuhr auf HelenenS bejahende Antwort fort:Tony ist noch nicht gekommen; Sie haben ihm geschrieben Ihr Wort gehalten?"

Ich schrieb nicht; ich telegraphierte."

Das war freundlich," jubelte der Kranke, das gleicht einer gescheidten Dame. Meine Frau denkt an nichts, als an ihr Kind an andere Leute gar nicht. Doch ich glaube," fügte er in krächzendem Geflüster bei,ich werde kräftiger."

»Ich hoffe, Sie denken nicht weniger an das zukünftige Leben, als an das irdische," mahnte Helene mit großem Ernste.Wir sollten Alle vorbereitet sein."

Paulo blinzelte über seinen Shawl hinaus zu ihr hinüber.Ich hätte nicht gedacht, daß Sie so religiös reden könnten," sagte er langsam.

Früher nahm ich mir wohl auch Alles

leichter. Aber Leid und Enttäuschungen lehren uns den Ernst des Lebens kennen."

Ueber was sind Sie enttäuscht gewesen? Ueber Tony?" rief Paulo eifrig, als ein neuer Gedanke ihn erfaßte:Sie haben sich doch nicht wegen meines Jungen gegrämt, wie ich?"

Nein das war nicht der Fall," sagte Helene ruhig.Doch darf ich nun wieder von Ihnen selbst sprechen?"

Nein; lasse« Sie mich, bitte Fräulein Dering. Ich habe ja später noch Zeit zum Denken. Ich bin nicht in Eile."

»Ich frage Ihre Frau," fuhr Helene fort,ob Sie verlangt hätten"

Nein, ich habe nichts verlangt," unter­brach er ste hastig;denn eS bringt mich herunter, und ich bin ohnedies elend genug. Und wenn ich Aussicht habe, durch Ruhe und Frieden wohler zu werden, so möchte ich auch Beides haben." Nach diesen Wor­ten schien er in seine düstere Stimmung zu verfallen; aber da Helene sich nicht entfernte, sondern im Gegenteil eine Gelegenheit zu sprechen abzuwarten schien, so nahm er seine Zeitung auf und vertiefte sich anscheinend ganz in deren Inhalt.

Helene sah, daß es ein französisches Blatt war und fragte:Nachrichten aus Frank­reich?"

So ist'ö. Ich interesstr mich ein wenig für Frankreich," fügte er trocken bei,und dachte, eS könnte etwas von mir darin stehen. Fanny erwischte das Blatt heute Nachmittag am Strande, und eS hat mich ergötzt sehr ergötzt." Es lag eine Bedeutung in seinen Worten, als er mehrmals mit dem Kopfe nach der Zeitung zu nickte, und Helene be­merkte eS sofort.

Was hat Sie so ergötzt?" fragte ste.

DaS ist dieser Nord; ich möchte wissen, ob auch er den Ernst des Lebens kennen ge­lernt hat."

Was meinen Sie damit?"

Sie sagten, daß Enttäuschungen"

Geben Sie Herl Was steht in diesem Blatte?" rief Helene, ohne alle Umstände dem Kranken die Zeitung aus der Hand reißend. Paulo erschrak darüber, denn er war entsetzlich schwach. Er sank ganz in sich zusammen, während Helene das Blatt entfaltete und rasch den Inhalt überflog, in ihrer Hast das für ste Wichtigste übersehend. Was ist es «aS steht hierin von Frank Nord?" fragte sie.

Regen Sie mich nicht auf," fl-hte Paulo. Es hat keinen Bezug auf Sie; und ich kann harte Worte nicht ertragen. ES ist sehr grausam, Einen so anzuschreien."

Ich bitte um Verzeihung; doch sagen Sie mir, welche Nachrichten über Frank Nord dieses Blatt enthält?"

O, nicht viel; nur, wenn er auf Geld gerechnet hat, wird er ein wenig enttäuscht sein. Ich konnte den Menschen nie auö- stehen," murmelte er.

Sie sollten keine Abneigung mehr hegen, am allerwenigsten gegen Oberst Nord, Herr Baretti."

(Fortsetzung folgt.)

Merk's.

Halte deine Krone feste,

Halte männlich, was du hast!

Recht beharren ist das beste;

Rückfall bringt nur größ're Last.

Aktzakito», Druck und Verlag von Beruh. Hofmann in Wlbbab.