Gin Hinterher;.
Roman in Originalbearbeitung nach dem Englischen von Clara Rheinau.
91) (Nachdruck verboten.)
„Ich bin es — ich sage Ihnen die reine Wahrheit," winselte Paulo; „erst als ich durchging — als ich den Galgen fürchtete — machte ich den Wert der Papiere ausfindig. Ich war arm, und— ich verkaufte einige davon. Von dem erlösten Gelbe lebte ich; es waren noch einige Papiere übrig, als Nord und Tony mich ins Gefängnis stecken ließen — denken Sie sich, Fräulein Dering, von allen Menschen in der Welt gerade diese beiden! — und sie waren an einem sichern Orte aufbewahrt, wie ich glaubte, aber als ich zurückkam, waren Sie alle verschwunden. Gott verzeihe den schurkischen Dieben — ich thue es nicht," schrie er, mit der Hand auf die Stuhllehne schlagend, die er während der letzten Minuten mit seinen Thränen benetzt hatte; „es hat mich zum Bettler gemacht — mich gehindert, Ihnen den Rest, der mir noch geblieben war, zurückzubringen — es ist sehr, sehr hart." Er kreuzte die Arme über dem Stuhle, verbarg sein Gesicht und weinte, bis der alte Gedanke wieder die Oberhand gewann. „Sie werden also an Tony schreiben und ihm sagen, daß ich nicht lüge ?" begann er wieder. „Schreiben Sie ihm, daß mir gestern so ein verwünschter Doktor jagte, ich hätte keine vierzehn Tage mehr zu leben. Bitten Sie ihn zu kommen — sagen Sie, daß jedes Wörtchen davon wahr sei. — Ich habe Niemanden — ach Niemanden in der ganzen Welt — als ihn.'
„Und Ihre Frau?"
„Die würde nicht zu mir kommen. Wir haben uns nie besonders gut verstanden — sie hatte ein böses Temperament. So bald ich erwischt war, lief sie aus Angst davon. Sie hielt nicht zu ihrem Gatten, wie sich's gehört hätte — ihr war nie etwas an mir gelegen."
„Also haben Sie nicht den Wunsch, Ihre Frau zu sehen?"
„Ich weiß nicht, wie sie mich behandeln würde, und ich kann mich nicht mehr wehren, wie Sie sehen. Wir haben manchmal miteinander gekämpft, und die arme Fanny wäre vielleicht froh, alte Schulden abzutragen, wenn sie am Leben ist, was ich bezweifle. Daß der Tod die Leute so plötzlich und vor ihrer Zeit überfällt, das ist eine sehr harte und grausame Einrichtung," sagte er, von einem neuen heftigen Schauder befallen.
„Still!" mahnte Helene; „wie können Sie so reden —"
„O sagen Sie doch weiter nichts mehr," rief Baretti. „Ich erinnere mich jetzt — ich hatte vergessen, nur einen Augenblick vergessen, wie ich alles bereue. Versuchen Sie dies zu glauben, Fräulein Dering. Ich will es beschwören, wenn Sie es wünschen."
„Netn, ich verlange keinen Schwur von Ihnen," sagte Helene, „ich will glauben, daß Sie nach Ihrer Weise die Vergangenheit bereuen. Ich hege keinen Groll gegen Sie; ich überlasse Ihre Strafe oder Begnadigung einem höheren Richter. Beten Sie zu ihm, Sie armer Sünder, so lange es noch Zeit ist."
„Gewiß, gewiß, das will — das thue ich immer," sagte Paulo mit etwas zu großem
Eifer; und Sic sind gütig gegen mich gewesen; Sie sind eine gute Dame — ich wußte es, ich sah es von Anfang an. Welch' eine Frau wären Sie für Tony gewesen! und welch' eine — Ha I allmächtiger Himmel, wer ist dies? Nicht meine Fanny — die Frau, die hier bei Ihnen war, als ich zum ersten Male hereiulugte — nicht Fanny?"
Frau Baretti, ihr Kind im Arme, hatte sich geräuschlos ins Zimmer und an den Mann herangeschlichen, den» sie einst in dunkler Stunde nach dem Leben gestrebt hatte. Zum zweiten Male bemühte Paulo sich, auf die Füße zu kommen, und diesmal gelang es ihm. Zitternd und an der Stuhllehne sich festklammernd, stand er da und starrte seine Frau an wie ein Gespenst, das ihn erschreckt hatte. „Ja, ich bin hier, Paulo," sagte Frau Baretti, „um für Dich zu sorgen, bis Dein Sohn zurückkommt, um Dir die letzte Ehre zu erweisen, aus Dankbarkeit, daß Du noch an mich gedacht hast. Ich war Dir keine gute Frau — ich war die allerschlimmste von allen — aber ich will Dich Pflegen bis zum Ende."
Paulo setzte sich wieder nieder und sagte langsam: „Du bist sehr gütig, aber Du brauchst noch nicht von meiner Beerdigung zu sprechen; 's ist rücksichtslos von Dir; 's ist nicht — was ist das?"
„Dein Kind," versetzte Frau Baretti, dickt an seine Seite tretend, mit einer gewissen Teilnahme für sein Elend.
„Du möchtest es gerne sehen, nicht wahr?"
„Mein Kind!' rief Paulo, das Kleine anstarrcnd; „dies da l Ei, wer hälte jetzt daran gedacht? Mein Kind — noch ein Tony? Herr Gott! Was kann mir das jetzt nützen?' Er betrachtete das kleine Gc- schöpschen immer noch mit sichtlichem Interesse; die Ucberraschung, sich als den Vater eines to winzigen KindeS zu finden, war größer, als die über Frau Baretti'S Anwesenheit hier.
„Es ist ein Mädchen, ein liebes kleines Mädchen, das ich Elfte nenne, nach einer Frau, die mir einst eine große Wohlthat erwies," sagte Frau Baretti. „Später will ich cS Dir sagen, Ich will Dir olles sagen."
„Ein Mädchen, he?" bemerkte Paulo, „welch' kurioses kleines Ding!" Er fing plötzlich wieder an zu weinen und sein Gesicht mit dem Rockärmel zu verdecken. Frau Baretti trat nun sehr fest und selbstbewußt auf und fühlte sich sogar ihrer Pflicht bewußt. Fragend blickte sie auf Helene. „Ich werde ihn am besten heimsühren," sagte sie ganz geschäftsmäßig.
„Ja, ich denke, eS wird gut sein," versetzte Helene.
„Ich fürchte mich jetzt nicht mehr vor ihm," fuhr die Frau fort, „und ich kann für ihn sorgen — jetzt da eS so weit gekommen und das Andere so nahe ist. Wie komisch ist's — wie ein Buch, ihn hier zu sehen, Paulo!"
Er murmelte etwas zur Erwiedung, blickie sie aber nicht an.
„Willst Du mit mir kommen?" fragte sic. „Wir waren früher sehr schlimm; aber für die paar Tage, die uns noch bleiben, kann ich vergessen, wenn Du willst"
„Ja, ich will mit Dir gehen." Er erhob sich sogleich, und packte sie eifrig beim Arme. „Ich möchte etwas Brandy," flüsterte er.
Frau Baretti ließ fast ihr Kind zu Boden fallen vor Schreck und Staunen über diesen Wunsch; aber Paulo hatte keine versteckte Absicht dabei. Er hatte Elste's Erzählung noch nicht gehört, sonst würde er wohl ihr Anerbieten nicht so bereitwillig angenommen haben. Ein Blick in sein Gesicht beruhigte Fanny. Du darfst nicht trinken im Hause einer Dering," sagte sie leise.
„Ja, ja, 'S ist recht; ich vergaß. Aber sie ist eine gute versöhnliche Christin; Einen zu schonen, der so schlecht ist — so grausam schlecht wie ich — das ist wunderbar. Ich wäre zufrieden gewesen, wenn sie mich dem Gefängnis überliefert hätte — dem englischen, nicht dem französischen, merke Dir — und an Tony geschrieben hätte. Deßhalb kam ich hierher, wegen sonst nichts. Tony wäre von Frankreich herübergeeilt und hätte alles geglaubt. Ich war stets ein so großartiger Lügner, daß Niemand mir glauben wollte, doch nun wird sie selbst schreiben. Wollen Sie nicht, Fräulein Dering? Sic versprachen eS mir."
„Ich werde mein Wort halten," sagte Helene Dering.
„Das ist recht — das ist freundlich," plapperte Paulo weiter; wir wollen nun gehen. Hast Du daS Kind sicher im Arm?'
„Ja, natürlich."
„Mir stehl'S aus, als ob Du's fallen lasten würdest," brummte Paulo halb vorwurfsvoll. „Wie alt eS?"
„Elf Monate."
Sonderbar, zu denken, daß dieser Wurm da ist und mir gehört. Nicht halb so ver« lasten fühle ich mich jetzt. Aber Du bist sehr gut, Fanny, für mich sorgen zu wollen. Ich dachte stets, Du seist von guter Art," fügte er schmeichelnd bei. „Ich danke Ihnen, Fräulein Dering, für alles. Gott segne Sie l Etwas Besseres kann ich nicht sagen."
„Und so verließ dies seltsame, unliebenswürdige Paar durch die Glasihüre das Haus. Von keiner Seite war soviel Teilnahme oder Rührung hervorgetreten bei dieser unerwarteten Begegnung; aber Paulo war dankbar und Frau Baretti entschlossen, endlich ihre Pflicht zu thun und ihren Galten bis zum Tode treulich verpflegen.
(Fortsetzung folgt.)
Verschiedenes.
.'. (Probat.) A.: „Denken Sie nur, da hat sich der L. von mir vor vier Wochen 1000 Mark geborgt, und gestern meldet er seinen Konkurs an!" — B.: „Ja, wie können Sie aber auch so leichtsinnig sein, jemand Geld zu borgen, dem eS so schlecht geht, daß er sich welches leihen muß!"
(Die zweite Frau ) Vater (die neue Stiefmutter, eine Dame im höchsten Mittel- alter seinen Kindern vorstellend): „Kinder, da bringe ich Euch eine neue Mama, gebt ihr die Hand!" Die sechsjährige Ellt (leise): „Papa, mit der bist Du aber angeschmicrt worden — die ist ja gar nicht mehr neu!"
.'. (Zwischen Osfizierssrauen.) „Wie gehl'ö denn Ihrer Tochter Grete, Frau Oberst?" — „Ich danke, sie steht jetzt in Straßburg!"
(Jaso.) „Was ist denn das für ein schauderhaftes Gebimmel den ganzen Tag?" — „„Das sind die Kuhglocken!"" — „Ach, wie poetisch!"
Bedaktion, Dnck und vertag von Beruh. Hofmann tu Wttzhal»,