Kin WaterHerz.
Roman in Originalbearbeitung noch dem Englischen von Clara Rheinau.
SO) (Nachdruck verboten.)
„Wollen Sie nicht die Blende herab- laffen?" fragte er; „eS ist sicherer. „Ich bin überall in Gefahr, seitdem diese höll — höllischen Steckbriefe in der Mode sind."
Helene erfüllte seine Bitte nicht; sie war noch nicht klar über den Grund seines Hierseins, und an ihr war es nicht, den Verbrecher zu schirmen. „Sagen Sie mir, was Sie hier wollen," sagte sie gebietend.
Paulo blickte geSngstigt nach dem Fenster und rückte seinen Stuhl noch näher an die Mauer, um von draußen nicht gesehen werden zu können; dann sagte er leichtfertiger: „Mich der Polizei stellen wegen des Mordes an Ihrem Bruder Friedrich. Mir liegt nichts daran, was aus mir wird in den paar Tagen die ich noch zu leben habe. Nein, mir liegt nichts daran — gar nichts."
Helene überlief ein unwillkürlicher Schauder. „Sie gestehen es mir ein — mir — daß Sie meinen Bruder gemordet?" ries sie entrüstet.
„Man hat es Ihnen schon gesagt, wie ich weiß," versetzte er; „aber ich dachte, ich wollte es Zhncn selbst wiederholen und Ihnen auf Leib und Seele versichern, daß ich ihm kein Haar gekrümmt hätte, wenn ich gewußt hätte, daß er cs sei. Es war ein Unfall," fuhr er in seiner Verteidigung fort; „ich war betrunken und öffnete die Brücke — ich weiß kaum selbst mehr, warum — und dann kam er plötzlich daher und fiel hinunter, ehe ich ihn Hallen konnte. Er that mir nie etwas zu Leide, wie Frank Nord; ich hatte den armen Kerl vor jenem Abende nie gesehen; und es war ein Schlag für mich, zu entdecken, daß ich für nichts soviel Unh-il angerichtet hatte. Aber liefern Sie mich gefälligst aus. In jedem Falle mußten Sie zuerst die Wahrheit erfahren. Hier bin ich — Ihr Gefangener und der deS Gesetzes. Ich kann nicht entfliehen — eine Krankheit, die nur zum Ende führen kann, fesselt mich an Händen und Füßen."
ES war eine schwierige Aufgabe für Paulo gewesen, all' dies zu sprechen, und er hatte oft nach Atem gerungen, um einen Satz zu vollenden. Doch Helene wartete und lauschte geduldig, die Hand dicht am Ktingelzuge, falls die Bestie in Paulo noch einmal aufleben sollte. Wenn seine Stimme es zuließ, sprach er mit großem Ernste, und gerade dieses neue, erregte Benehmen verwirrte Helene bei der Beurteilung seines Charakters. „Sie sind nicht aus diesem Grunde in mein Haus gekommen," sagte sie. „Es ist wohl kaum Reue über Vergangenes, was Sie zu mir führt."
„Doch, eS ist Reue," behauptete Paulo. „Sie können mich ausliefern, wenn Sie wollen; aber —ich möchte lieber, Sie thätrn eS nicht. Wenn ich aber inS Gefängnis muß, dann lasten Sie es ein englisches sein, Fluch über diese brutalen Franzosen, mit ihren Herzen von Stein! Sie haben mich umgebracht — mich umgebracht, die verfluchten Schufte."
Er barg sein Gesicht in die abgezehrten Hände und weinte von Neuem. Helene erkannte klar, daß er am Rande des Grabes stehe, und so konnte sie barmherzig mit ihm
verfahren — mußte er ja doch bald vor seinem göttlichen Richter erscheinen. Aber den wahren Beweggrund, der ihn hierhergr- sührt, wollte sie um jeden Preis erfahren, denn sie konnte kein Zeichen aufrichtiger Reue bei ihm entdecken. Seine zeitweilig hervor- tretende Zerknirrschung war wohl seiner körperlichen Schwäche zuzuschreiben. „Was wünschen Sie sonst noch von mir, Herr Baretti?" fragte sie ruhig. „Ich werde die Polizei nicht herbeirufen', denn ich glaube nicht, daß Sie es damals auf das Leben meines armen Bruders abgesehen hatten. Ich will sogar zu glauben versuchen, daß Sie nicht ernstlich die Absicht hatten, Oberst Nord zu töten."
Paulo zitterte an allen Gliedern und murmelte: „Ich war sehr betrunken — und im Rausch war ich immer gefährlich. Aber Ihrem Bruder wollte ich nichts an- thun."
„Das haben Sie mir bereits gesagt. Nun esklären Sie mir, warum Sie hier sind?" Sie ließ die Belnde herab, und Paulo atmete freier bei diesem Beweis größeren Zutrauens. Doch Helene beharrte bei ihrer Frage, und er beantwortete sie endlich.
„Wenn ich sterben muß," sagte Paulo, „so möchte ich sehr gerne meinen Tony noch einmal sehen. „Zch habe ihm geschrieben, aber daraufbin will er nicht kommen, und ich dachte, Sie könnten ihn vielleicht dazu bringen."
„Warum ich?"
„O, Ihnen würde er glauben, wenn Sie ihm sagten, daß ich krank sei und kaum noch Kräfte habe zu krichen. Er meint nicht, daß es schlimm mit mir stehe; ich habe ihm etwas zu sagen und kann nicht sterben ohne ihn, wie ein Hund. Fräulein Dering," fügte er bei, „Tony ist mein Einziger. Haben Sie Mitleid und schreiben Sie ihm. Ich hatte ihn immer so lieb, und 's ist — 's ist sehr hart, daß n nicht kommen, meinem Worte nicht vertrauen will."
„Wann haben Sie ihm geschrieben?" „Vor zwei Tagen — an das Theater."
„Dann kann er Ihren Brief kaum erhallen — unmöglich England schon erreicht haben."
„O, er könnte längst hier sein," versicherte Paulo verdrießlich. „Ich wäre schon zweimal soweit gegangen, wenn er krank wäre und nach mir verlangt hätte. Es ist das Alleinsterbcn, das ich nicht ertragen kann," sügte er mit harter Stimme bei, und seine Augen traten vor Entsetzen fast aus ihren Höhlen, das Sterben ohne eine teilnehmende Seele, in dem Winkel irgend eines Zimmers, unter den Augen einer gleichgültigen Wärterin, die nur daraus wartet, mir das Totenhemd anzuziehen. ES ist gräßlich — schlimmer als der Tod, daran zu denken — es ist unerträglich!"
„Sie werden sich jetzt entfernen, wenn ich Ihnen verspreche, zu schreiben?" sagte Helene. „Ich halte eS selbst für gut, daß Ihr Sohn Sie besucht. Wo wohnen Sie?"
„In dem Hinteren Teile der Stadt — io einem elenden Loche," murmelte Paulo.
„Besitzen Sie etwas Geld?"
Eine lange Pause trat ein, als ob diese Frage den Besucher überrascht habe oder Zeit zur Ueberlegung erfordere. „Nein," versetzte er dann endlich.
„Was ist aus der großen Summe ge
worden, welche Eie meiuem Bruder in jener Unglücksnacht geraubt haben ?" fragte Helene immer in der gleichen ernsten, bestimmten Weise. Paulo wechselte die Farbe, preßte die Hände ineinander, scharrte mit den Füßen und rang so entsetzlich nach Luft, daß eS den Anschein hatte, der Atem könne ihm ausgehen, ehe er eine Erklärung abzugeben vermöge. „Das Geld — sagten Sie?" stammelte er endlich.
„Die türkischen Staatspapiere, welche mein Bruder in seinem Taschenbuche bei sich trug," versetzte Helene.
„Seien Sie nicht hart gegen mich — seien Sie nicht zu hart — aber sie sind alle fort," keuchte er mühsam hervor. „Ich wußte nichts von seinem Gelbe — ich kletterte ihm nach, um ihm zu helfen, und dann dachte ich, er sei tot. Ich konnte keinen Herzschlag mehr fühlen — und ich fand daS Taschenbuch und nahm die Papiere heraus, ohne zu wissen, was sie wert seien; bei meiner Seele, ich wußte eS nicht!"
„Verpfänden Sie mir nicht Ihre Seele," tadelte Helene strenge; „denken Sie lieber daran, daß sie bald in die Hände ihres Schöpfers zurückkehren wird, und seien Sie ehrlich, wenn sie können."
(Fortsetzung folgt.)
Neueste Nachrichte«.
Pforzheim, 2. Sept. (Feuer.) Die große Kunstmühle in Lomersheim stand gestern abend um 9'/i Uhr in Flammen. — Nach einer weiteren Meldung ist die Mühle mit sämtlichen Maschinen und den dazu gehörigen Gebäuden, Stallungen und Scheunen nebst dem Elektrizitätswerk bis auf den Grund niedrrgebrannt. Die elektrische Leitung ist von Lomersheim nach Mühlacker vollständig zerstört. DaS Feuer entstand im Elektrizäts- werk und ist anzunehmen, daß der Brand durch Kurzschluß verursacht wurde. Der Gebäudefchaden beträgt 400 000 An der Versicherung sind beteiligt die württ. Pri- vatverstcherungS-Gesellschaft, sowie die Feuer- verstcherungsgesellschast „Helvetia". Heute morgen 5 Uhr konnte der Brand mit Hilfe der benachbarten Feuerwehren gelöscht werden.
Basel, 3. September. Die chinesische Sühne-Gesandtschaft ist gestern abend 11 Uhr nach Berlin abgereist.
Verschiedenes.
- Ein merkwürdiger Pserdehandel wurde dieser Tage nach der „Kreuzztg." in Heide abgeschlossen. Ein Gaul, der allerdings eia Prachtstück gewesen sein muß, wurde zunächst für 200 geräucherte Bücklinge verkauft. Der nächste Besitzer erwarb ihn für 200 Kohlköpfe, dann ging er für 10 ^ an den ersten Besitzer zurück. Dieser verkaufte ihn für 12 Mark, worauf er für einen neuen Anzug wieder seinen Besitzer wechselte. Von diesem erstand ihn ein am Markte wohnender Gast, Wirt für 10 und schließlich kauften ihn Zigeuner, die ihren Wagen selbst schoben und zogen, für eine Geige, eine silberne Uhrkette und 2 — Und da will man von
Geschäftsflauheit reden I
.. (Rentabel.) „Der städtische Park hat infolge der vielen Uebertretungen der zahllosen so viel an Strafgeldern cingebracht, daß der Magistrat die Anlage eines zweiten Stadtparks beschlossen hat."
Rrdicktiou. Druck und Verlag von Beruh. Hosmanu in Wildbad.